Examensrepetitorium Jura: BGB Allgemeiner Teil: Willenserklärung und Willensmängel

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Willenserklärung[Bearbeiten]

Der Willenserklärung sind im BGB gerade einmal die §§ 116–144 zu geordnet. Trotzdem ist die Willenserklärung der grundlegende Bestandteil der deutschen Privatrechtsordnung. Jedes Rechtsgeschäft beruht auf Willenserklärungen, sodass sie Bestandteil von zwei- und mehrseitigen Rechtsgeschäften sind und der Begriff "Willenserklärung" synonym für einseitige Rechtsgeschäfte verwandt wird.

Definiert wird die Willenserklärung als private Willensäußerung, durch die eine Rechtsfolge gesetzt wird.

Die Willenserklärung hat dementsprechend sowohl objektive als auch subjektive Voraussetzungen:

objektives Element[Bearbeiten]

Erklärung
Zunächst muss objektiv eine Erklärung vorliegen. Dies ist jede Entäußerung, Verdeutlichung eines Willens. Sie muss nicht ausdrücklich erfolgen, sodass Zeichen mit rechtsgeschäftlicher Bedeutung genügen. Auch konkludentes, also schlüssiges Verhalten ist genug, um den Willen von jemandem zu verdeutlichen. Zurückhaltung ist aber geboten bei: Annahmeerklärungen nach § 151 BGB, Genehmigungen und Bestätigungen, Widerruf einer Vollmacht, da hier Erklärungsbewusstsein vorhanden sein muss, also das Bewusstsein, rechtsgeschäftlich zu handeln.
Problem: Bedeutung von Schweigen
Schweigen hat grundsätzlich keine Bedeutung. Dadurch wird kein Wille von jemandem deutlich. Auch kann dem Schweigen nicht durch einseitige Bedingung eine Bedeutung zugemessen werden, etwa bei "Sollten Sie sich nicht innerhalb von 14 Tagen melden, gilt der Vertrag als geschlossen."
Ausnahmen gibt es allerdings in § 362 I 1 HS 2 HGB, §§ 545, 516 II 2, 416 I 2 BGB und beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben[1]. Des Weiteren kann Schweigen eine Pflichtverletzung im Rahmen vn §§ 311 II, 241 II und § 663 BGB sein.

subjektive Elemente[Bearbeiten]

Handlungswille
Das Bewusstsein darüber, dass überhaupt eine Handlung vorliegt, muss immer gegeben sein. Deshalb scheiden solche "Erklärungen" aus, die im Schlaf oder als Reflex auf einen äußeren Reiz abgegeben wurden.
Erklärungswille
Der Erklärungswille ist das Bewusstsein, dass das Handeln rechtserhebliche Folgen hat. Fehlt es kann eine Anfechtung analog § 119 I BGB erfolgen, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Eindruck einer Willenserklärung hätte erkennen und vermeiden können. Dies gilt auch bei konkludentem Verhalten.
Geschäftswille
Der Geschäftswille ist auf den Abschluss eines konkreten Geschäfts gerichtet. Der Geschäftswille ist nicht notwendig. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit § 116 BGB.

Wirksamkeit[Bearbeiten]

Damit eine Willenserklärung überhaupt wirksam werden kann, muss sie abgegeben worden sein, §§ 130, 131 BGB. Allein durch ihre Abgabe wird die Willenserklärung aber nur wirksam, wenn sie nicht empfangsbedürftig ist. Empfangsbedürftige Willenserklärungen müssen dem Adressaten auch noch zugehen.

Abgabe
bewusste Entäußerung durch den Erklärenden
Bei nicht empfangsbedürftigen Erklärungen kennzeichnet die Abgabe den Abschluss des Erklärungsvorgangs; empfangsbedürftige Erklärungen müssen zum Adressaten gesprochen oder an ihn abgeschickt worden sein.
Problem: abhanden gekommene Erklärung
Eine abhanden gekommene Willenserklärung wird wie eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein behandelt: Sie kann analog § 119 I BGB angefochten werden, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Eindruck einer Willenserklärung hätte erkennen und vermeiden können.
Zugang
Unter Abwesenden gilt für den Zugang die
„Empfangstheorie“
Die Erklärung muss so in den Macht-/Herrschaftsbereich des Empfängers gelangen, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen Kenntnis von der Erklärung nehmen kann, vgl. auch § 312e I 2 BGB.
Macht-/Herrschaftsbereich
Briefkasten, Postfach, unter Wohnungstür durchgeschoben, elektronisches Postfach (Rechner des Diensteanbieters), da der Zugriff über den Schlüssel/das Passwort jederzeit durch den Adressaten möglich ist; bei einem Einschreiben genügt nicht die Benachrichtigung des Zustellers, dass ein Einschreiben vorhanden ist; wird eine Willenserklärung gegenüber einem Empfangsboten abgegeben, gilt die Willenserklärung im Haushalt bei Kindern ab ca. 12 Jahren, in Organisationen bei der Entgegennahme durch die dafür zuständigen Mitarbeiter als zugegangen
"unter gewöhnlichen Umständen"
Umzug und Urlaub liegen im Risikobereich des Empfängers, er kann sich nicht darauf berufen, dass er umgezogen ist oder im Urlaub war, wenn die Willenserklärung am vorherigen Wohnort oder während der Abwesenheit ankommt und er sie nicht entgegennehmen konnte. Die Uhrzeit hingegen liegt im Risikobereich des Erklärenden, wenn es schon sehr spät ist. Bei einer bestehenden Sprachbarriere kommt es darauf an, ob der Erklärende davon wusste oder nicht: Hatte er positives Wissen, dass der Empfänger die Willenserklärung nicht versteht, ist die Erklärung nicht zugegangen.
Kenntnisnahme
ist die physische Verfügbarkeit und das Begreifen der enthaltenen „Botschaft“.
Wenn die Kenntnisnahme der Willenserklärung früher erfolgte, als es zu erwarten war, dann ist die Willenserklärung schon diesem früheren Zeitpunkt zugegangen.
Unter Anwesenden gilt für den Zugang die
„Vernehmungstheorie“
Hierbei wird auf das (akustische) Verständnis des Empfängers abgestellt.
Das Risiko trägt grds. der Empfänger: Er muss Verständnisschwierigkeiten erkennbar machen, wenn sie nicht erkennbar sind, zB. Sprachrisiko oder Hörschädigungen.
In einer Gesamtbetrachtung kann man deshalb sagen, dass es eine differenzierte Interessenabwägung ist, wann eine Willenserklärung zugegangen ist: Jeder Teilnehmer trägt das Risiko seiner jeweiligen Sphäre. Der Erklärende trägt zusätzlich das „Transportrisiko“, weil er „aktiver Teil“ ist, vgl. § 130 I 2 BGB (Widerrufsrecht bis zum Zugang [nicht Kenntnisnahme!]). Der Empfänger ist demgegenüber nur für das „Wie“ und das „Wo“, nicht aber für das „Ob“ des Zugangs verantwortlich.

Willensmängel[Bearbeiten]

Es gibt drei unterschiedliche Arten von Willensmängel:

  • Fehler bei der Willensbildung: Der Erklärende kommt auf Grund unrichtiger Beweggründe zu einem "Willen", den er eigentlich nicht hat. Solche Motivirrtümer sind grundsätzlich bedeutungslos und beeinträchtigen die Wirksamkeit der Willenserklärung nicht.
  • Fehler bei der Erklärung: Der Erklärende verspricht, verschreibt oder vergreift sich. Es liegt eine unbewusste Diskrepanz zwischen Willen und Erklärtem vor. Dies ist ein typischer Fall für die Anfechtung.
  • Handeln ohne Geschäftswillen: Der Erklärende erklärt fehlerfrei seinen Willen, will jedoch, dass das Erklärte nicht gilt. Es liegt eine bewusste Diskrepanz zwischen Willen und Erklärtem vor.

Es gäbe nun zwei Möglichkeiten, diese Fehler einheitlich zu behandeln: die Willenstheorie, die auf den Willen des Erklärenden abstellt und deshalb den Erklärenden bevorteilt, und die Erklärungstheorie, die auf das Erklärte abstellt und damit den Erklärungsempfänger bevorteilt. In beiden Fällen würde grundsätzlich eine Seite bevorteilt, was nicht immer interessengerecht wäre. Der Gesetzgeber hat sich deshalb jeden Fall einzeln angeschaut und ihn gelöst. Zum einen gibt es demnach Willensmängel, die die Gültigkeit der Willenserklärung nicht beeinflussen. Das ist bei Motivirrtümern grundsätzlich der Fall. Dann gibt es solch schwere Fehler, die Willenserklärungen von Beginn an nichtig werden lassen. Und zum dritten gibt es Willensmängel, bei denen der Gesetzgeber es den Parteien überlässt, ob sie die Willenserklärung vernichten oder nicht.

Willensmängel, die die Gültigkeit der Willenserklärung nicht beeinflussen[Bearbeiten]

Ein solcher Mangel ist der geheime Vorbehalt. Er beeinflusst die Gültigkeit der Willenserklärung nicht, es sei denn, der andere Teil kannt den geheimen Vorbehalt, vgl. § 116 BGB.

Willensmängel, die die Nichtigkeit der Willenserklärung zur Folge haben[Bearbeiten]

Solche Willensmängel liegen bei einem Scheingeschäft und bei einem Mangel der Ernstlichkeit der Willenserklärung vor. Diese Fälle sind in den §§ 117, 118 BGB geregelt.

Willensmängel, die die Willenserklärung vernichtbar machen[Bearbeiten]

Den Hauptanwendungsfall bilden allerdings Willensmängel, die Willenserklärungen vernichtbar machen. Dies geschieht idR. durch die Anfechtung.

Wirkung
Gemäß § 142 BGB gilt eine angefochtene Willenserklärung als von Anfang nichtig. Das bedeutet, es wird so getan, als hätte sie nie existiert.
Gegenstand
der Anfechtung ist die Willenserklärung, wie sie sich aus normativen Gründen nach dem objektiven Empfängerhorizont beurteilt.



  1. Voraussetzungen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens sind:
    (1) Vertragsverhandlungen sind im Ganzen oder im Wesentlichen abgeschlossen.
    (2) Das Bestätigungsschreiben muss in engem zeitlichem Zusammenhang mit den Verhandlungen verfasst worden und der anderen Seite zugegangen sein.
    (3) Die beteiligten Parteien sind Kaufleute. (Der Begriff ist nicht handelsrechtlich zu verstehen, sodass auch Unternehmer [nicht unbedingt iSv. § 14 BGB] darunter fallen, sofern es den unternehmerischen Tätigkeiten entspricht.)