Examensrepetitorium Jura: Zivilprozessrecht Zwangsvollstreckungsrecht: Vollstreckungserinnerung

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Allgemeines[Bearbeiten]

Die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO ist ein Rechtsbehelf, der sich gegen Art und Weise der Zwangsvollstreckung richtet. Es handelt sich im Unterschied zu §§ 767, 771 ZPO nicht um eine Klage, das Gericht entscheidet also nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss. Die Parteien heißen daher auch nicht Kläger(in) und Beklagte(r), sondern Erinnerungsführer(in) und Erinnerungsgegner(in).

Im Referendarexamen wird es typischerweise darum gehen, dass der Gerichtsvollzieher einen Gegenstand gepfändet hat und der Vollstreckungsschuldner oder ein Dritter Einwände gegen die Pfändung vorbringt.

Der Obersatz lautet:

Die Erinnerung hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

Zulässigkeit[Bearbeiten]

Statthaftigkeit[Bearbeiten]

Bei jeder Prüfung eines Rechtsbehelfs in der Zwangsvollstreckung ist die Statthaftigkeit anzusprechen. Die Erinnerung ist statthaft, wenn Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betroffen ist (§ 766 Abs. 1 ZPO). Im Rahmen der Statthaftigkeitsprüfung muss zu anderen in Frage kommenden Rechtsbehelfen abgegrenzt werden.

Es muss also eine Vollstreckungsmaßnahme vorliegen. Das ist unproblematisch der Fall, wenn es um ein Verhalten des Gerichtsvollziehers geht:

  • Durchführung einer Pfändung,
  • Weigerung, einen Vollstreckungsauftrag durchzuführen,
  • oder Ansetzen von Kosten.

Wird jedoch eine Handlung oder Unterlassung eines Richters oder Rechtspflegers beanstandet, muss geprüft werden, ob es sich dabei um eine Vollstreckungsmaßnahme oder eine Entscheidung handelt. Wenn eine Entscheidung vorliegt, ist nicht die Erinnerung sondern die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) statthaft. Eine Entscheidung liegt immer vor, wenn die Beteiligten zuvor angehört wurden.

Liegt demnach eine Maßnahme vor, empfiehlt es sich, schon im Rahmen der Statthaftigkeit die gerügten Verfahrensfehler einschließlich Nennung der möglicherweise verletzten Norm aufzulisten. Mögliche Rügen sind:

  • Fehlen einer allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzung (z.B. Fehlen eines Titels, § 750 ZPO),
  • Fehlen einer besonderen Vollstreckungsvoraussetzung (z.B. Fehlen des Angebots der Gegenleistung im Fall der Zug-um-Zug-Vollstreckung, § 756 ZPO),
  • Vorliegen eines Vollstreckungshindernisses (z.B. Nichtbeachtung eines vorgelegten Einzahlungsbelegs, § 775 Nr. 5 ZPO),
  • Verfahrensfehler bei der Vollstreckung (z.B. Pfändung eines unpfändbaren Gegenstands, § 811 ZPO).

Oft wird auch eine materiell-rechtliche Einwendung erhoben. Diese kann schon an dieser Stelle als im Erinnerungsverfahren unstatthaft ausgeschieden werden. Für materiell-rechtliche Einwendungen des Schuldners ist die Vollstreckungsabwehrklage statthaft, für Einwendungen eines Dritten die Drittwiderspruchsklage. Zu beachten ist auch, dass eine objektive Klagenhäufung von Erinnerung und §§ 767, 771 ZPO nicht möglich ist: Für die Erinnerung ist das Vollstreckungsgericht zuständig, für materiell-rechtliche Einwendungen dagegen das Prozessgericht. Selbst wenn es sich dabei um das gleiche Amtsgericht handeln würde, läge eine andere funktionelle Zuständigkeit vor (Goebel, Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, § 14 Rn. 10). Es müssen also in dem Fall zwei Verfahren parallel geführt werden.

Problematisch ist die Behandlung von Vollstreckungsverträgen. Das Problem liegt darin, dass ein solcher Vertrag weder direkt die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betrifft (§ 766 ZPO) noch eine materiell-rechtliche Einwendung (§ 767 ZPO) darstellt.

  • Nach Teilen der Literatur soll die Erinnerung (§ 766 ZPO) statthaft sein, soweit nicht schon die Wirksamkeit des Vollstreckungsvertrags bestritten wird. In letzterem Fall soll die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) statthaft sein.
  • Nach Ansicht des BGH ist immer § 767 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden (dazu Goebel, Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, § 15 Rn. 18 und § 4 Rn. 16 ff.).

Zuständigkeit[Bearbeiten]

Sachlich zuständig ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht (§§ 766 Abs. 1, 764 Abs. 1 ZPO). Die Zuständigkeit ist ausschließlich (§ 802 ZPO), d.h. Gerichtsstandsvereinbarung und rügelose Einlassung sind unzulässig (§§ 40 Abs. 2 ZPO).

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattgefunden hat oder stattfinden soll (§§ 766 Abs. 1, 764 Abs. 2 ZPO); wiederum ausschließlich (§ 802 ZPO).

Innerhalb des Gerichts funktionell zuständig ist der Richter (§ 20 Nr. 17 S. 2 Rechtspflegergesetz - RPflG, Schönfelder Nr. 96). Die funktionelle Zuständigkeit ist jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung und muss daher nicht angesprochen werden.

Erinnerungsbefugnis[Bearbeiten]

Die Erinnerungsbefugnis wird ähnlich geprüft wie die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Erinnerungsführer können sein: der Vollstreckungsschuldner, der Vollstreckungsgläubiger und Dritte. Danach richtet sich auch die Prüfung:

  • Der Vollstreckungsschuldner ist erinnerungsbefugt, wenn die Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme (§ 766 Abs. 1 S. 1 ZPO) ihn in seinen Rechten verletzt. Dies entspricht der aus dem Verwaltungsprozess bekannten "Möglichkeitstheorie"; außerdem kann auch auf die "Adressatentheorie" zurückgegriffen werden, nach der der Adressat einer belastenden Maßnahme mindestens in Art. 2 Abs. 1 GG verletzt sein kann.
  • Der Vollstreckungsgläubiger ist erinnerungsbefugt, wenn die Rechtsverletzung durch Ablehnung seines Antrags als möglich erscheint (§ 766 Abs. 2 ZPO).
  • Legt ein Dritter die Erinnerung ein, muss eine Verfahrensnorm betroffen sein, die drittschützenden Charakter hat. Ist eine solche Norm nicht auffindbar, ist die Erinnerung mangels erinnerungsbefugnis also unzulässig. Beispiele:
  • Wird eine Sache, die sich im Gewahrsam eines Dritten befunden hat, ohne dessen Einverständnis gepfändet (§ 809 ZPO), ist er in seinen Rechten verletzt. Beachte aber: Ehegatten und Lebenspartner nach dem LPartG können sich jedoch nicht auf eine Verletzung von § 809 ZPO berufen, soweit die Vermutung des § 1362 BGB gilt (§ 739 ZPO). Zu diesem Problem siehe hier. Wird allerdings gerade gerügt, dass die Voraussetzungen von § 739 ZPO nicht vorgelegen hätten, ist die Erinnerungsbefugnis gegeben.
  • Einige Pfändungsschutzvorschriften entwickeln Drittschutz, z.B. § 811 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5, § 812 ZPO.
  • Grundsätzlich kann ein Dritter sich nicht auf sein Eigentum an der gepfändeten Sache berufen, da der Gerichtsvollzieher nur den Gewahrsam prüft. Eine Ausnahme besteht aber, wenn das Eigentum des Dritten evident ist, z.B. bei der Pfändung eines Pkw aus einer Kfz-Werkstatt oder eines Buchs mit Stempel der Stadtbücherei.
  • Ein Dritter ist erinnerungsbefugt, wenn er zu Unrecht als Schuldner behandelt wird.

Frist[Bearbeiten]

Keine. Aufgrund Zeitablaufs kann aber das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sein (siehe unten).

Form[Bearbeiten]

Für die Form werden § 569 Abs. 2 und 3 ZPO analog angewandt. Danach kann die Erinnerung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, nach der bisherigen h.M. Nach der ZPO-Reform und der Einführung des § 573 ZPO, der die Erinnerung gegen die Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten enthält, ist § 573 Abs. 1 S. 2 ZPO für die Analogie geeigneter.

Parteibezogene Zulässigkeitsvoraussetzungen[Bearbeiten]

Die Beteiligten müssen partei- und prozessfähig sein.

Anwaltszwang besteht nicht, auch die anwaltlich nicht vertretene Partei ist also postulationsfähig. Das ergibt sich aus § 78 Abs. 5 ZPO, da die Erinnerung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann (§ 569 Abs. 3 ZPO analog).

Rechtsschutzbedürfnis[Bearbeiten]

Das Rechtsschutzbedürfnis (oder -interesse) muss immer angesprochen werden. Es besteht in der Regel vom Beginn der Zwangsvollstreckung bis zu deren Beendigung. Die Zwangsvollstreckung beginnt mit der ersten Vollstreckungshandlung und endet mit der Erlösauskehr an den Gläubiger.

Ausnahmsweise ist wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorbeugender Rechtsschutz möglich, nämlich wenn

  1. die Vollstreckung unmittelbar bevorsteht,
  2. ein irreparabler Schaden droht
  3. und der Vollstreckung schon der gerügte Verfahrensfehler anhaftet.

Begründetheit[Bearbeiten]

Der Obersatz lautet:

Die Erinnerung ist begründet, wenn sich die Verletzung einer (drittschützenden) Verfahrensnorm feststellen lässt.

Damit steht das Prüfungsprogramm fest: Es müssen alle Verfahrensfehler, die der Klausursachverhalt aufwirft, erörtert werden. Zu den Vollstreckungsvoraussetzungen siehe hier, zu den klausurrelevanten Besonderheiten der Mobiliarvollstreckung hier. Wie bei jeder prozessualen Prüfung gilt auch hier, dass offensichtlich Unproblematisches höchstens kurz zu erörtern ist.

Entscheidung des Gerichts[Bearbeiten]

Das zuständige Vollstreckungsgericht entscheidet auf die Erinnerung durch Beschluss (§ 764 Abs. 3 ZPO).

  • Bei Zulässigkeit und Begründetheit der Erinnerung erklärt das Gericht die angegriffene Maßnahme für unzulässig. Die gesonderte Anweisung an den Gerichtsvollzieher, die Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben, ist überflüssig (Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 766 Rn. 29).
  • Die unzulässige Erinnerung wird verworfen (wird in der Klausur kaum vorkommen), die unbegründete Erinnerung zurückgewiesen.
  • Auf die Erinnerung des Vollstreckungsgläubigers wird der Gerichtsvollzieher angewiesen, die begehrte Maßnahme durchzuführen bzw. angewiesen, den Vollstreckungsauftrag nicht mit der angegriffenen Begründung abzulehnen.

Rechtsbehelf gegen die Erinnerungsentscheidung[Bearbeiten]

Gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts ist die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO gegeben. Das weitere Verfahren richtet sich nach §§ 567 ff. ZPO. Für die sachliche Zuständigkeit des Beschwerdegerichts gelten §§ 72, 119 GVG.

Anmerkungen[Bearbeiten]