Komplexe Zahlen/ Anwendung in der klassischen Physik

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Dieses Kapitel enthält – mit nur kurzen Erläuterungen – Hinweise zu Anwendungen in Physik und Technik, bei denen die komplexen Zahlen relevant sind. Über Verweise auf Wikipedia-Artikel gibt es ausführliche Erklärungen und in der Regel auch Literaturhinweise.

Beschreibung von Schwingungen[Bearbeiten]

Die Tatsache, dass die komplexwertige Lösung der Schwingungsgleichung des harmonischen Oszillators darstellt, wird in der (technischen) Physik gern dafür genutzt, Schwingungen mit Hilfe komplexer Zahlen zu beschreiben:

  1. Die Kreisbahn kann man mit und darstellen.
  2. In elektromagnetischen Wellen verhalten sich aufgrund der Maxwell-Gleichungen das normierte elektrische und das magnetische Feld wie .
  3. In der Elektrotechnik kann man den Zusammenhang von Schein-, Wirk- und Blindleistung leicht darstellen.

Der harmonische Oszillator ist auch deswegen von zentraler Bedeutung in verschiedenen Bereichen der Physik, weil man damit zumeist auch näherungsweise Schwingungen nicht harmonischer Oszillatoren mit einer einfachen analytischen Lösung beschreiben kann, sofern nur die Auslenkungen aus der Gleichgewichtslage klein genug sind. Bei vielen praktischen Anwendungen von Schwingungen und Wellen handelt es sich um solche Systeme, die so betrieben werden, dass der harmonische Oszillator eine brauchbare Näherung ist.

Siehe auch  Harmonischer Oszillator Maxwell-Gleichungen Scheinleistung

Einfache Schwingungen[Bearbeiten]

Wir können die Position eines Masse-Punktes, der sich auf einer Kreisbahn bewegt, in jedem Augenblick t durch den „Vektor“ angeben. Ist die Bewegung gleichförmig, so ist die Winkelgeschwindigkeit ω konstant:

Der in der Zeit t überstrichene Winkel ist dann gegeben durch , wobei der Winkel zur Zeit ist. Diese Kreisbewegung wird dann vollständig beschrieben durch:

Die momentane Position ist also das Produkt zweier komplexer Zahlen:

Natürlich gilt außerdem:

Man nennt die komplexe Amplitude, sie gibt die Position zur Zeit an.

Man kann die Kreisbewegung als Überlagerung der beiden Schwingungen auffassen:

(Ob man eine Schwingung durch Cosinus oder Sinus darstellt, ist Geschmackssache, denn mit kann man leicht von einer Darstellung zur anderen übergehen. Wir entscheiden uns für Cosinus, weil dies dem Realteil der zugehörigen komplexen Zahl entspricht.)

Für ergibt sich eine rechtszirkulare Bewegung, für erhalten wir den Fall einer linkszirkularen Bewegung. Um das einzusehen, rechnen wir die Formeln einfach aus.

δ = π/2

Dafür ergibt sich:

Dies ist eine rechtszirkulare Bewegung mit .

δ = 3π/2

Wegen können wir direkt schreiben:

Dies ist der Fall einer linkszirkularen Bewegung.

Überlagerung von Schwingungen

Der Vorteil der komplexen Beschreibung von Bewegungsvorgängen zeigt sich vor allem bei der Überlagerung von Bewegungen (Schwingungen), da man dann die umständlichen Additionstheoreme umgeht. Wir wollen uns davon jetzt überzeugen.

Um die Rechenvorteile der komplexen Rechnung auszunutzen, schreibt man auch lineare Schwingungen wie in komplexer Form. Dazu ergänzt man sie mit zu einer linkszirkularen Schwingung:

Alle Rechnungen werden komplex durchgeführt, die resultierende Schwingung ist der Realteil des komplexen Resultats. (Meist überlagert man Schwingungen gleicher Frequenz. Es ist dann unnötig, stets den Zeitfaktor hinzuschreiben. Man rechnet demnach meist nur mit .)

Hier ist ein Beispiel:

Für erhält man:

Die durch dargestellte Schwingung lautet also:

Die Phase muss stets im Bogenmaß angegeben werden, da dimensionslos ist.

Den wirklichen Vorteil der komplexen Rechnung werden wir jetzt sehen, wenn wir zwei Schwingungen von gleicher Frequenz und gleicher Richtung überlagern. Die beiden Schwingungen lauten:

Die Summe werden wir jetzt nicht umständlich mit Hilfe von Additionstheoremen berechnen. Wir rechnen komplex.

Die resultierende Schwingung lautet:

Hier ist , was man auch sofort hätte anschreiben können. Nun gelten:

Und das bedeutet:

Die Amplitude der resultierenden Schwingung lautet:

Hierin bedeuten (C für cos-Terme, S für sin-Terme):

Die Phase ergibt sich aus .

Die resultierende Schwingung hat dieselbe Richtung und dieselbe Frequenz wie die Ausgangsschwingungen.

Siehe auch  Schwingung

Wechselstromrechnungen[Bearbeiten]

In diesem Buch wird die imaginäre Einheit mit i bezeichnet, weil es sich um ein Buch der Mathematik handelt. In der Technik werden i und I üblicherweise für die Stromstärke und ersatzweise j für die imaginäre Einheit verwendet, wie schon bei der Definition erwähnt wurde. In diesem Abschnitt stehen j und J für die Stromstärke.

In der Wechselstromtechnik ist die Verwendung komplexer Größen zur Berechnung von linearen zeitinvarianten Wechselstromnetzwerken im stationären („eingeschwungenen“) Zustand schon sehr lange von besonderer Bedeutung. Schauen wir uns den Fall der komplexen Widerstände an.

Eine Wechselspannung hat den reellen Momentanwert

Um die reellen von den komplexen Größen zu unterscheiden, bezeichnen wir letztere mit einem Vektorpfeil usw. Die komplexe Form der Spannung ist also:

Ein Wechselstrom hat den reellen Momentanwert

Der komplexe Momentanwert ist

Wegen der Existenz der Phasen und ist der Quotient im Allgemeinen zeitabhängig:

Das Ohm’sche Gesetz des Gleichstroms gilt also nicht mehr. Nur im Falle von gilt:

Ein Widerstand, der auch bei Wechselstrom dem Ohm’schen Gesetz genügt, heißt reeller Widerstand oder Ohm’scher Widerstand.

Bei Wechselstrom definiert man analog zum Ohm’schen Gesetz des Gleichstroms einen komplexen Widerstand , der Impedanz genannt wird. Er ist definiert durch:

Der Quotient der Scheitelwerte heißt Scheinwiderstand.

Offenbar gilt:

Das fasst man zusammen in der Schreibweise , dabei bedeuten:

Falls die Phasen übereinstimmen, wenn es also keine Phasenverschiebung gibt, gilt .

Der Betrag des Wechselstromwiderstandes ist gegeben durch:

Für den Tangens der Phasenverschiebung ergibt sich:

In einer idealen Spule eilt die Spannung dem Strom um voraus, d. h. .

Bei einem idealen Kondensator hinkt die Spannung dem Strom um hinterher, d. h. .

Bei einer realen Spule wird auch etwas Leistung umgesetzt, daher ist nicht gleich , es gilt vielmehr . Man nennt den Verlustwinkel (er wird gewöhnlich mit einer speziellen Wechselstrombrücke gemessen).

Beim realen Kondensator gilt .

Siehe auch  Komplexe Wechselstromrechnung

Erzwungene Schwingungen[Bearbeiten]

Die Grundgleichung für Resonanzprobleme in den verschiedensten Bereichen der Physik können wir von einem einfachen mechanischen Modell ableiten.

Ein Feder-Masse-System schwingt unter dem Einfluss einer periodisch erregenden Kraft auf einer horizontalen Unterlage.

Wir sehen in der Abbildung eine Masse m, die von einer äußeren Kraft zu erzwungenen Schwingungen angeregt wird. Ohne die äußere Kraft liegt eine harmonische Schwingung mit Reibung vor. Die Reibungskraft ist proportional zur Geschwindigkeit , der Proportionalitätsfaktor b heißt Dämpfungskoeffizient. Der Faktor k ist die Federkonstante.

Wendet man das 2. Newton’sche Gesetz auf den Oszillator an, so kann man schreiben:

 (1)

Für und identifiziert man leicht entsprechend obigen Ausführungen zum harmonischen Oszillator die Eigenfrequenz des Oszillators.

Gesucht ist eine Funktion , die diese Gleichung (1) erfüllt. Der hier anzuwendende Trick besteht darin, zunächst anstelle von eine komplexe Funktion einzuführen. Das bedeutet, wir benutzen eine Hilfsgleichung mit , multiplizieren sie mit i und addieren sie zur Gleichung (1). Also:

 (2)

Das führt uns zur folgenden Gleichung für :

 (3)

Wir werden also zunächst nicht (1) lösen, sondern (3), was im Allgemeinen leichter ist. Zum Schluss nehmen wir dann den Realteil der gefundenen Lösung, denn der ist das, was uns interessiert.

(Wenn die Kraft in der Form gegeben ist, haben wir auf der rechten Seite von (3) zu schreiben: , worin die komplexe Amplitude durch gegeben ist.)

Wir nehmen jetzt an, was, wie man zeigen kann, ein vernünftiger Ansatz ist, dass die Lösung von (3) folgendermaßen aussieht:

 (4)

Die Ableitungen von (4) lauten:

Den Ansatz (4) setzen wir in (3) ein, benutzen dabei die Ableitungen und erhalten:

 (5)

Den Nenner von können wir wie jede komplexe Größe in Exponentialform ausdrücken:

 (6)

Wir erhalten damit die Amplitude

 (7)

Ohne Reibung wird die Angelegenheit offenbar dramatisch, wenn – die Amplitude geht gegen unendlich. Bei realen Systemen bedeutet dies einfach, dass das System zerstört wird. Bei wenig Reibung gibt es ebenfalls sehr große Auslenkungen, welche das System zerstören können. Reale Systeme reagieren bei großen Auslenkungen allerdings anders, die Gleichungen für einen harmonischen Oszillator gelten dann einfach nicht mehr.

Mit dem Resultat für die Amplitude können wir dann schreiben:

 (8)

Die Gleichung (4) wird zu:

 (9)

Die Lösung, an der wir interessiert sind, ist der Realteil von (9):

(10)

Um die allgemeine Lösung von Gleichung (1) zu finden, müssen wir zu Gleichung (10) die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen Differentialgleichung

hinzufügen. An dieser Lösung ist man im Allgemeinen jedoch nicht interessiert, denn mit ihrer Hilfe beschreibt man einen Einschwingvorgang, der meist schnell vorübergeht. Die von Gleichung (10) dargestellte Schwingung beschreibt den sogenannten stationären Schwingungszustand, d. h. die Schwingung, die übrig bleibt, wenn der Einschwingvorgang abgeklungen ist.

Siehe auch  Erzwungene Schwingung