Soziologische Klassiker/ Adorno, Theodor W.

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Grundstruktur des Kapitels:

Adorno (rechts) gemeinsam mit Horkheimer

Biographie in Daten[Bearbeiten]

 Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno

  • geboren am 11.09.1903 in Frankfurt a.M. (Deutschland)
  • jüdische Herkunftsfamilie, Vater konvertierte zum Protestantismus
  • Studium der Soziologie, Philosophie, Musikwissenschaft und Psychologie
  • 1934 - 1937 in Oxford (England)
  • Habilitation
  • Einladung von Max Horkheimer nach New York
  • 1938 - 1940 in New York (USA)
  • Tätigkeit in Horkheimer Max`s Institute for social research
  • Forschungsprojekt zu Massenkommunikation
  • musiksoziologische Studie
  • 1941 - 1949 in Los Angeles (USA)
  • 1943 USA-Staatsbürgerschaft
  • Zusammenarbeit mit Max Horkheimer
  • Dialektik der Aufklärung: Kritische Theorie
  • empirische Überprüfung der kritischen Theorie durch ein Forschungsprojekt zu Ursachen für antisemitische Vorurteile
  • 1949 - 1969 in Frankfurt a.M. (Deutschland)
  • Direktor am Institut für Sozialforschung
  • Professor für Soziologie und Philsophie
  • Beteiligung am Positivismusstreit
  • gestorben am 06.08.1969 in Visp (Schweiz)

Historischer Kontext[Bearbeiten]

Modernisierung[Bearbeiten]

Der Prozess der Modernisierung beschreibt in der Soziologie einen sozialen Wandel von Gesellschaftsformen. Für die Moderne ist es der Wandel von der traditionalen Gesellschaft in eine moderne, nämlich die Industriegesellschaft. Mit diesem Prozess haben sich viele Soziologen in der Zeit der beginnenden Modernisierung beschäftigt, unter anderen Auguste Comte, Karl Marx, Emile Durkheim und Max Weber. Die Soziologie hat ihren Ursprung in den Veränderungen durch die Moderne.


Kapitalismus[Bearbeiten]

Der Kapitalismus ist eine durch Privateigentum und Marktwirtschaft gekennzeichnende Wirtschaftsordnung. Er hat seine Ursprünge am Ende des Mittelalters und ging mit der Entwicklung der Industrialisierung einher. Im Besonderen hat sich Karl Marx mit diesem Phänomen beschäftigt, aber auch Max Weber mit seiner religiösen Protestantismusthese, ebenso Ludwig von Mises.


Faschismus und Bolschewismus[Bearbeiten]

Als Faschismus versteht man ursprünglich die in Italien unter Benito Mussolini entstandene politische Strömung, die durch einen nationalistischen und populistischen Führerkult gekennzeichnet ist. Erst später wurde Faschismus auf ähnliche Formen wie dem Nationalsozialismus übertragen und damit zum Sammelbegriff für national- und sozialrevolutionäre Bewegungen mit totalitärem Gepräge. Für den Faschismus galt der Bolschewismus als bedrohlich. Der Bolschewismus hat seinen Ursprung bei Lenin, der damit eine politisch-weltanschauliche Lehre aufstellte. Sie ist politisch-ideologisch durch den Marxismus-Leninismus und philosophisch durch den Dialektischen Materialismus gekennzeichnet.


Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Karl Marx[Bearbeiten]

Karl Marx (1818 - 1883) war ein deutscher Soziologe, Philosoph und politischer Journalist. Sein Hauptinteresse galt dem Modernisierungsprozess. Insbesondere beschäftige er sich mit dem Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft.

Für Karl Marx ist die Soziologie die Wissenschaft, die die sozialen Verhältnisse durch die ökonomische Basis erklärt. Seine Leitfrage ist, was den Gesellschaftswandel antreibt. Sein Erklärungsmodell ist ein historisch-materialistisch-dialektisches. Als Basiseinheit dienen ihm die Arbeitsverhältnisse. Für ihn geht die Gesellschaft dem Individuum voraus. Den Modernisierungsprozess versteht er als Domestizierung und die Produktivkraftentfaltung als treibendes Veränderungsprinzip. Durch die Modernisierung entsteht schließlich Entfremdung, eine Warenfocusierung und die kapitalistische Krise.


Max Weber[Bearbeiten]

Max Weber (1864 - 1920) war ein deutscher Soziologe, Jurist und Nationalökonom. Sein Hauptinteresse galt ebenfalls dem Modernisierungsprozess.

Für Max Weber ist die Soziologie die Wissenschaft von den Ursachen und Folgen sozialer Handlungen. Seine Leitfrage ist, die Bestimmung des modernen Ethos und wie er sich in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft äußert. Sein methodologischer Individualismus, seine verstehende Soziologie und seine Handlungstheorie dienen als Erklärungsmodell. Die Basiseinheit sind bei Max Weber die sozialen Akteure und ihre sozialen Handlungen. Ebenso wie bei Marx geht die Gesellschaft dem Individuum voraus. Modernisierung bedeutet für Max Weber Rationalisierung und der protestantische Ethos (Religion) ist das treibende Veränderungsprinzip. Als Folge der Modernisierung entsteht Entzauberung und Sinnverlust.

Max Horkheimer[Bearbeiten]

Max Horkheimer (1895 - 1973) war deutscher Soziologe und Sozialphilosoph. Sein Hauptinteresse galt dem erweiterten Modernisierungsprozess. Horkheimer gründete zusammen mit Theodor Adorno die Kritsche Theorie und die Frankfurter Schule.

Für Max Horkheimer ist die Soziologie die Analyse der objektiven Gesetze der Gesellschaftsbewegungen. Seine Leitfrage ist, weshalb sich die Gesellschaft trotz steigender Aufklärung zum Unmenschlichen entwickelt. Sein Erklärungsmodell ist ein an Hegel und Marx angelehnter dialektischer Materialismus. die Basiseinheit sind kapitalitische Tauschverhältnisse. Im Gegensatz zu Marx und Weber sieht Horkheimer das Individuum von der Gesellschaft bestimmt. Modernisierung ist für ihn (noch stärker als für Marx) eine verstärkte Domestizierung. Das treibende Veränderungsprinzip ist einerseits die instrumentelle Naturbeherrschung und andererseits das Profitgesetz.

Werke[Bearbeiten]

  • Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Tübingen 1933
  • Willi Reich, Alban Berg. Mit Bergs eigenen Schriften und Beiträgen von Theodor Wiesengrund- Adorno und Ernst Krenek, Wien, Leipzig, Zürich 1937
  • Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Amsterdam 1947
  • Philosophie der neuen Musik. Tübingen 1949
  • T.W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford, The Authoritarian Personality. New York 1950
  • Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Berlin, Frankfurt a.M. 1950
  • Versuch über Wagner. Berlin, Frankfurt a.M. 1952
  • Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Berlin, Frankfurt a.M. 1955
  • Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien. Stuttgart 1956
  • Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. Göttingen 1956
  • Aspekte der Hegelschen Philosophie. Berlin, Frankfurt a.M. 1957
  • Noten zur Literatur I. Berlin, Frankfurt a.M. 1958
  • Klangfiguren. Musikalische Schriften I. Berlin, Frankfurt a.M. 1959
  • Mahler. Eine musikalische Physiognomie. Frankfurt a.M. 1960
  • Noten zur Literatur II. Frankfurt a.M. 1961
  • Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1962
  • Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno, Sociologica II. Reden und Vorträge. Frankfurt a.M. 1962
  • Drei Studien zu Hegel. Frankfurt a.M. 1963
  • Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a.M. 1963
  • Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis. Frankfurt a.M. 1963
  • Quasi una fantasia. Musikalische Schriften II. Frankfurt a.M. 1963
  • Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928–1962. Frankfurt a.M. 1964
  • Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Frankfurt a.M. 1964
  • Noten zur Literatur III. Frankfurt a.M. 1965
  • Negative Dialektik. Frankfurt a.M. 1966
  • Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt a.M. 1967
  • Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs. Wien 1968
  • Impromptus. Zweite Folge neu gedruckter musikalischer Aufsätze. Frankfurt a.M. 1968
  • Sechs kurze Orchesterstücke op. 4 <1929>. Milano 1968
  • Theodor W. Adorno u. Hanns Eisler, Komposition für den Film. München 1969
  • Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankfurt a.M. 1969


Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Was ist die Grundfrage von Adorno?[Bearbeiten]

  • Grundlage zur Leitfrage

Grundsätzlich beschäftigte sich Adorno wie Horkheimer und Marx mit dem Modernisierungsprozess. Sie alle verstehen ihn als einen Prozess der Domestizierung, also der Naturbeherrschung durch den Menschen. Marx sah diesen Prozess als einen konstruktiven an, der Fortschritt für die Gesellschaft bedeutet. Anders für Adorno und die Frankfurter Schule. Für sie geht es dabei um Verfall. Der Kapitalismus wurde - wie Marx meinte - nicht überwunden, es gab keine Revolution, die diesen endgültig beseitigte.


  • Die Leitfrage

Daraus ergibt sich die Leitfrage von Adorno. Warum also konnte die Menschheit nicht vom Kapitalismus befreit werden und in einen menschlichen Zustand übertreten? Stattdessen gerät sie in einen noch schlimmeren Zustand. Weshalb bleibt aber die Revolution aus und warum erkennen die Menschen ihre Situation nicht mehr?


  • Grundsätzliche Antwort

Adorno kommt zu dem Schluss, dass die Verlierer des Modernisierungsprozesses aus dem Grund keine revolutionären Gedanken hegen, da sie vollständig in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess eingebunden sind. Sie sind in den Prozess der Beibehaltung der sozialen Ordnung integriert und das nun auch mit ihrem Bewusstsein. Sie sehen ihre Gesellschaft als eine solche an, die so sein soll. Er nimmt damit einen universellen Verblendungszusammenhang an.


Wie geht Adorno bei der Beantwortung der Grundfrage vor?[Bearbeiten]

  • Bruch mit "Sein prägt das Bewusstsein"

Marx war der Auffassung, dass das Sein das Bewusstsein prägt. Das bedeutet, dass die ökonomische Situation die gesellschaftlichen Vorstellungen beinflusst und sie sogar bestimmt. So ist die Kultur ein Ergebnis der Ökonomie. Er ging davon aus, dass die Proletarier erkennen würden, dass es eine Kluft zwischen dem Überfluss der Güter und dem Mangel in ihrem Leben gibt. Er schrieb ihnen genug Intelligenz zu, dass sie erkennen würden, dass ihre elende Situation beseitigt werden kann.

Anders die Kritische Theorie. Sie sieht den gesellschaftlichen Überbau wie Kultur, Recht, Staat oder Philosophie nicht durch die ökonomische Situation verursacht. Dieser Überbau hat demnach eine eigene Dynamik. "Hatte die materialistische Kritik der Gesellschaft dem Idealismus einst entgegengehalten, daß nicht das Bewußtsein das Sein, sondern das Sein das Bewußtsein bestimme, daß die Wahrheit über die Gesellschaft nicht in ihren idealistischen Vorstellungen von sich selbst, sondern in ihrer Wirtschaft zu finden sei, so hat das zeitgemäße Selbstbewußtsein solchen Idealismus mittlerweile abgeworfen. Sie beurteilen ihr eigenes Selbst nach seinem Marktwert und lernen, was sie sind, aus dem, wie es ihnen in der kapitalistischen Wirtschaft ergeht. Ihr Schicksal, und wäre es das traurigste, ist ihnen nicht äußerlich, sie erkennen es an." [Band 3: Dialektik der Aufklärung: Zwei Welten. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 1481 (vgl. GS 3, S. 238)

Weiters sieht sie die Persönlichkeit der Menschen als bedeutend an.

"Wären Menschen kein Besitz mehr, so könnten sie auch nicht mehr vertauscht werden. Die wahre Neigung wäre eine, die den anderen spezifisch anspricht, an geliebte Züge sich heftet und nicht ans Idol der Persönlichkeit, die Spiegelung von Besitz." 

[Band 4: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben: Moral und Zeitordnung. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 1790 (vgl. GS 4, S. 89) http://www.digitale-bibliothek.de/band97.htm ]

Deswegen wird auch von einem sogenannten Freudomarxismus gesprochen, da auch sozialpsychologische Elemente hinzugezogen werden. Beispiel: Wer in einer von Angst und Abhängigkeit geprägten Umgebung aufwächst, wird eine schwache Ich-Stärke entwickeln und später kaum Widerstand leisten, sondern sich vielmehr anpassen und einordnen.


  • Interdisziplinärer Materialismus

Der Interdisziplinäre Materialismus ist ein sozialphilosophisches Konstrukt. Es wurde von Horkheimer in den frühen 1930ern entwickelt und sollte als Programm für das Frankfurter Institut für Sozialforschung dienen. Als solches wurde es allerdings niemals zur Gänze umgesetzt. Das lag einerseits an den politischen Umständen (Nationalsozialismus, Faschismus), andererseits auch an den ökonomischen (Wirtschaftskrise), die eine empirische Sozialforschung mit einem großen Sinnfragezeichen versah.

Das Konzept hat das Basis-Überbau-Modell von Marx zur Grundlage. Da die Revolution ausblieb, wurde der Persönlichkeitsaspekt hinzugefügt. Die ökonomische Situation beinflusst demnach die Persönlichkeitsstruktur, die wiederum durch Sozialisationsprozesse entsteht. Die Transformation der ökonomischen Situation erfolgt dann über die Persönlichkeitsmuster.

Der Zusammenhang der nun drei Pole Wirtschaft, Kultur und Persönlichkeit ist nun Ziel der Forschung, kann allerdings nur durch die Zusammenarbeit der betroffenen Disziplinen geschehen, also interdisziplinär. Konform mit Marx werden die Produktionsverhältnisse als Grundlage der Gesellschaft bezeichnet, daher also materialistisch.


  • Tauschverhältnisse

Marx und auch ursprünglich Adorno wie Horkheimer sahen in der Entwicklung der Produktivkräfte den Maßstab für die Verhältnisanalyse (Produktionsverhältnisse). Nun meinten sie, dass ein Problem bei der Domestizierung der Natur besteht. Die Betrachtung Subjekt - Natur wurde deswegen beibehalten, jedoch waren nicht mehr die Produktionsverhältnisse sondern die Tauschverhältnisse interessant. So kam es zum Tausch von den Produktions- zu den Tauschverhältnissen.

Das Tauschverhältnis geht von einem Identitätsprizip aus. Dieses Prinzip nivelliert die spezifischen Eigenschaften und lässt sie gleich erscheinen. Das erfordert den Abschied von qualitativen Eigenschaften. Es zählen nur noch vergleichende, also rechnerische Aspekte, also quantifizierende. Wenn etwas nicht ident ist, kann es als Äquivalent getauscht werden.

Im Kapitalismus geht es um einen Warentausch. Dabei können Bodenschätze aber auch Menschen die Ressource sein. Das Profitgesetz wird zur Dynamis, also zur treibenden Kraft der Entwicklung in der Gesellschaft. Es entsteht eine Herrschaft des Instrumentellen, die durch das Identitätsdenken verstärkt wird.


  • Kritik am Positivismus

Da der Positivismus die vorliegende (schlechte) Situation legitimiert, spricht sich Adorno gegen eine positivistische Soziologie aus. Sie verfahre nämlich, wie der Kaptialismus mit dem Identitätsprinzip und bekräftigt damit die Lage. Außerdem erkennt sie nicht, dass die Begrifflichkeiten für die gegebenen sozialen Phänomene selbst aus der Gesellschaft heraus entstanden sind. So darf ein Begriff nicht die vorliegende Situation einengen, sondern muss auch andere Möglichkeiten eröffnen. Denn die Situation könnte auch anders sein. Damit sind nicht nur die Begriffe veränderlich, sondern auch das was damit beschrieben wird.


  • Denken in Konstellationen

Adorno fordert stattdessen, dass die gesellschaftlichen Phänomene aufgedeckt werden müssen. Die Gesellschaft fasst er als ein System auf, das zur Gänze betrachtet und gedacht werden muss. Die Soziologie kann das allerdings nicht allein, weswegen durch ein Denken in Konstellationen mittels wechselnder wissenschaftlicher Perspektiven die Phänomene aufgedeckt werden. Gerade im Gegensatz zum Identitätsprinzip hält man nicht mehr starr an Begriffen fest, sondern legt sie flexibler fest.


  • Soziologie von Adorno in Abgrenzung zur Aufklärung

Damit hat Adorno eine strukturtheoretische Auffassung von der Gesellschaft. Durch die genaue Analyse der sozialen Phänomene kann letztlich auf die Gesellschaft geschlossen werden. Gesellschaft begründet sich allein in dem Prozess, in dem gesellschaftliche Gesetze die Menschen und sozialen Beziehungen bestimmen. Damit enthält seine Soziologie das Subjektive, das Verstehen nach Weber und die Perspektivität der Akteure.

Begriffe haben nach Adorno eine historische Eigenschaft. Sie sind in einem geschichtlichen Kontext entstanden. Das was nicht identisch ist, kann durch konstellatives Denken erkannt werden. Eine soziologische Wahrheit hat somit einen sogenannten Zeitkern, der sich im Laufe der Zeit ändern kann. Damit steht Adorno in der Gegenposition zur klassischen Aufklärung, die von überzeitlich geltenden Begriffen ausgeht. Andererseits bildet die Kritische Theorie eine pessimistische Grundhaltung heraus und widerspricht damit sowohl der klassischen Aufklärung sowie auch Marx.

Wie analysiert Adorno die Geschichte der Gesellschaft?[Bearbeiten]

  • Differenzen zu Karl Marx

Adorno wie auch Marx betrachteten die Gegenwartsgesellschaft im Hinblick auf ihre geschichtliche Entwicklung. Marx kam dabei zu dem Beschluss, dass die Entwicklung von der Sklavengesellschaft der Antike bis zur bürgerlichen Gesellschaft die Geschichte der Produktionsverhältnisse ist. Adorno sieht das als geblendete Betrachtung an und hält das für zu kurz, hat aber mit Marx den Aspekt der Domestizierung gemeinsam. Weitere Differenzen sind:


  • Instrumentelle Rationalität

Jedoch geht Adorno in der Frage der Naturbeherrschung noch einen Schritt zurück. Für ihn stellte sich die Frage, wie ein Subjekt in der Beziehung zur Natur erst zu einem solchem wird. Der Mensch ist ursprünglich der Natur unterworfen gewesen. Die Angst vor ihr hat den Menschen angetrieben sie zu domestizieren. Dieser Prozess gelang mit der Aufklärung zur Gänze. In historisch früheren Gesellschaften geschah dies durch die Mythenbildung. Horkheimer und Adorno nennen es Instrumentelle Rationalität. Damit ist die Bestimmung von effizienten Zweck-Mittel-Relationen gemeint. Es ist dies derselbe Begriff wie Weber ihn entwickelt hat. Er unterscheidet sich jedoch darin, dass diese Rationalität einen Selbstzweck hat und nicht auf ein Ziel hin bestimmt ist. Die Instrumentelle Rationalität ist konsequent gedacht auch eine Ursache für den Kapitalismus.


  • Krisen im Kapitalismus

Im Gegensatz zu Marx sehen Adorno und Horkheimer anstatt einer Produktivkraftsteigerung eine Steigerung der Instrumentellen Rationalität. Die gegenwärtige bürgerliche Gesellschaft ist damit nicht die von Marx gesehene Vorstufe zum Kommunismus. Marx sah in den Krisen der Gesellschaft das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und des Kapitalismus. Denn eine Revolution sollte diese umstürzen. Adorno meinte hingegen, dass nur eine Totalisierung der instrumentellen Rationalität dies leisten könne.


  • Phasen des Kapitalismus

Die erste Phase des Kapitalismus ist die konkurrenzkapitalistische, mit der sich Marx vorwiegend beschäftigte. Sie lässt sich mit der Konkurrenz der Unternehmer in einem freien Markt beschreiben. Marx und Engels sahen hier die Gefahr für die Monopolbildung durch Kartelle und Trusts. Dies definiert bereits die zweite Phase, die monopolkapitalistische. Damit wird der Markt durch politische Einflüsse Interventionen konfrontiert und ist damit nicht mehr unabhängig. Der Marxismus betonte die dominante Rolle der Ökonomie gegenüber der Politik. Politik war die reaktive Tätigkeit durch die bestimmende Ökonomie. Die Frankfurter Schule (darin vorwiegend Friedrich Pollock) sieht nun eine weitere Phase, die staatskapitalistische. Es ist dies eine Fortführung der marxistischen Phasen. Wie Marx glaubte auch Pollock, dass Krisen in der kapitalistischen Ökonomie lediglich durch planerische Maßnahmen behoben werden können. Der Kapitalismus an sich ist aber nicht grundsätzlich dem Untergang geweiht. Andererseits bedeutet diese so genannte Planwirtschaft nicht unbedingt auch Sozialismus. Die Staatskapitalismustheorie zeichnet grundsätzlich eine kapitalistische Planwirtschaft. Darin steuert der Staat die Ökonomie und behält sowohl die Klassentrennung als auch das Profitgesetz bei. Dabei kann dieser Kapitalismus entweder demokratisch und reformistisch oder auch totalitär sein.


  • Autoritärer Staat, Nationalsozialismus, Bolschewismus

Mit dem Staatskapitalismus übernimmt nun die Politik die Führung über die Ökonomie. Der entstandene autoritäre Staat durchdringt mit seinem bürokratischen Apparat die Gesellschaft vollends. Damit soll die Krise des Kapitalismus überwunden werden. Marx focusierte die Entwicklung der Produktivkräfte und interpretierte das Ende des Kapitalismus sowie den Sozialismus als Vorstufe für den Kommunismus. Beides ist nicht eingetreten und nach der Frankfurter Schule falsch. Vielmehr geht es um die Steigerung der Instrumentellen Rationalität. So erklärt die Frankfurter Schule die Entwicklung zum Nationalsozialismus und Bolschewismus. Beide beschreiben eine Erweiterung der Instrumentellen Naturbeherrschung, die nicht mehr zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Natur differenziert. Diese Entwicklung ist in der Theorie eine logische Fortführung der Geschichte.


  • Beantwortung der Leitfrage

Die Leitfrage von Adorno lautete, warum sich der Mensch nicht traut eine Revolution zu seiner eigenen Befreiung zu organisieren. Zum Einen erklärt er es mit der faschistischen Gewaltherrschaft, die einen Widerstand nahezu unmöglich machte. Sie verängstigte die Menschen, so dass sie sich in das System einfügten und nur für ihre Selbsterhaltung lebten. Juden galten dann als Objekte und Sündenböcke, an denen die Aggression abgeladen werden konnte. Das Sündenböckprinzip ist ein Ventil für die eigene nicht aushaltbare Situation und dient als gesellschaftlicher Stabilisator.

Das erklärt jedoch die Leitfrage nicht zur Gänze. So bleibt die Frage, warum die Menschen nicht einmal ein Bewusstsein für ihre unerträgliche Situation entwickeln. Die Frankfurter Schule erklärt dies mit einer sogenannten Kulturindustrie. Damit wird die Kultur in zweierlei Hinsicht instrumentalisiert. Einerseits gehorcht sie dem ökonomischen Rationalprinzip auf Profitmaximierung und andererseits dient sie dazu, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Kultur ist damit sinnentleert und nur noch für den Genuss in der Freizeit und zur Wiederherstellung der Kräfte für die Arbeit. Damit zeichnet sich ein totales System, das Adorno und die Frankfurter Schule kritisieren.


Zu welchem Ergebnis kommt Adorno?[Bearbeiten]

  • Problem des instrumentellen Naturbezuges

Adorno sieht die Domestizierung an sich bereits als pathologisch an. Der Mensch beginnt die Natur zu beherrschen und beherrscht sich selbst. Dabei zerstört er sich selbst in soweit, als dass er sich erfahrungsunfähig macht. Durch diesen instrumentellen Naturbezug steigt letztlich die instrumentelle Herrschaft an, die sich gegen die Menschen selbst richtet.


  • Totale Herrschaft als Folge der Aufklärung

Die totale Herrschaft ist die Konsequenz der Moderne. Sie bezeichnet nicht ein Unfall oder Rückfall in eine alte Zeit, sondern eine Folge der Bürokratie und Industrialisierung. Beides ist durch die Aufklärung entstanden. Damit ist ein gewisser Webermarxismus erkennbar. Weber sah einen Sinnverlust und Verlust der Handlungsmöglichkeiten sowie -gründe für eine konstruktive Lebensführung als Diagnose. Marx gab die Konzeption vor. Die Kombination aus beiden kann als "Entzauberungsprozess" begriffen werden. Mit fortschreitender Aufklärung steigert sich die instrumentelle Rationalität und damit die Versachlichung der sozialen Verhältnisse. Das äußert sich in einer totalen Bürokratiesierung und einer Anerkennung der bestehenden Herrschaft. Die Natur wird ausgebeutet, ebenso die Mitmenschen. Gerade die totale Herrschaft ist unabhängig von Gefühlen und daher höchst rational. Die versachlichte Natur führt damit unweigerlich zur Versachlichung des Menschen. Es entsteht ein System, das sich nur noch selbst reproduziert, die bestehenden Verhältnisse konserviert und keinen Ausweg daraus mehr ermöglicht. Es entsteht eine totale Integration.


  • Universaler Verblendungszusammenhang

Die Gesellschaft blockiert sogar ein Bewusstwerden der Situation. Deswegen sprach Adorno von einem universellen Verblendungszusammenhang. Dabei geht es nicht mehr nur um das Marxsche falsche Bewusstsein der Betroffenen.

Zunächst beschrieb Marx für die beginnende Moderne dieses falsche Bewusstsein. Es beinhaltet eine normative Vorgabe, nämlich falsch zu sein und ist damit Grundlage für eine Revolution, genau dann, wenn es von den Betroffen wirklich als falsch aufgefasst wird. Als Beispiel möge ein Arbeitsvertrag dienen, der eine Identitätsgleichung von Arbeit und Geld herstellt. Falsch daran ist, dass die Arbeitskraft nicht wie eine Ware behandelt werden kann. Der Vertrag kommt aber dennoch zu stande, da die Beteiligten ihn als richtig ansehen. Wenn aber die negativ betroffenen Menschen das falsche erkennen, entwickeln sie ein revolutionäres Bewusstsein und die Grundlage für eine Revolution ist geschaffen.

Die entwickelte Moderne kennt aber kein falsches Bewusstsein mehr und hier setzt Adorno an. Durch die totale Integration kann kein Bewusstsein der Falschheit mehr entwickelt werden. Falsch daran ist nun die Überzeugung der Menschen, dass es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt. Es entsteht damit ein restringiertes Bewusstsein.

Der universale Verblendungszusammenhang beruht nach Adorno auf Ursachen. Eine davon liegt im dritten Pol des Konzepts der Kritischen Theorie, nämlich der Kultur. Durch eine Kulturindustrie wird die Gesellschaft reproduziert. Das bestehende Bewusstsein wird gefestigt und verstärkt. Andererseits bewirkt genau diese Kulturindustrie die völlige Integration der Individuen in die vorliegende Gesellschaft. Die Menschen entwickeln erst gar nicht das Bedürfnis die bestehende Situation umwälzen zu wollen. Die Kulturindustire produziert ein leibliches Fundament mit Motiven und Impulsen und lenkt damit die Menschen innerhalb eines festen Rahmens.

So ist die Kulturindustrie ein Herrschaftsmittel, denn sie lenkt einerseits die Menschen in ihren Befriedigungen und andererseits stellt sie gleichzeitig die Mittel für deren Befriedigung zur Verfügung. Durch die Instrumentelle Rationalität handelt es sich dann um Konsum und die kulturellen Erzeugnisse haben einen Warenwert.


  • Die Kritische Theorie nach dem Ende der totalitären Staaten

Das Ende der totalitären Staaten bedeutet in gewisser Weise nun eine Überprüfung der Kritischen Theorie. Adorno meinte allerdings, dass auch nach dem Ende derselben, ein totalitärer Charakter noch vorhanden ist. Er sprach von einer Fassade der liberal-demokratischen Staaten. Das bedeutet einerseits, dass solange ein Staatskapitalismus vorliegt auch eine Rückkehr des Faschismus jederzeit möglich ist. Der Kapitalismus ist also unmittelbar mit dem Faschismus verknüpft. Andererseits besteht eine latente Totalität. Sie äußert sich im Wesen der Gesellschaft durch die bürokratisierte Kontrolle der Staaten über seine Mitglieder. Diese Menschen sind völlig integriert und an das System gebunden.


  • Mimesis (Nachahmung) der Natur

Adorno zeichnete allerdings eine gewisse Hoffnung für den Menschen. Durch ein sogenanntes mimetisches Verhalten soll sich an die Natur als Gegenüber angelehnt werden. Das bedeutet nicht die völlige Aufgabe der Vernunft oder das Ergeben an die Natur, sondern eine andere Auffassung der Natur als die instrumentelle Vernunft es tut.


  • Kunst als Indikator

Für Adorno ist die Kunst ein gewisser Rückzugsort. Dort kann der Mensch durch ästhetische Erfahrungen noch einen Naturbezug spüren. Dadurch könnte er erfahren, dass die Instrumentelle Rationalität grausam ist. Kunst ist daher ein Indikator für das Bewusstsein der Menschen, ob sie ihr Leid und gesellschaftliche Alternativen noch erkennen.

Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Frankfurter Schule[Bearbeiten]

Als Frankfurter Schule wird eine Gruppe von neomarxistischen Forschern beschrieben, die sich im Institut für Sozialforschung in Frankfurt a.M (D) niedergelassen haben. Besonders hervorgetan haben sich dabei Max Horkheimer und Theodor Adorno, die die Kritische Theorie entwickelten. Sie hatte enorme gesellschaftliche Wirkung in Deutschland, insbesondere auf die Außerparlamentarische Opposition, die Studierendenbewegung der späten 60ger Jahre und auf die Neue Linke.

Das Institut für Sozialforschung wurde ab 1931 von Max Horkheimer geleitet. Er führte die Zeitschrift für Sozialforschung ein. Darin wurde die Kritische Theorie ausführlich öffentlich diskutiert. Bedeutende weitere Persönlichkeiten waren unter anderen Theodor Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm und Friedrich Pollock. Im Jahr 1933 musste das Institut unter dem Nationalsozialismus geschlossen werden und verlegte den Hauptsitz nach New York. Nach dem Krieg kehrten 1949 Max Horkheimer und Theodor Adorno wieder nach Frankfurt a.M. zurück und gründeten das Institut für Sozialforschung neu. Die Zeit des Nationalsozialismus und der Holocaust prägten die Frankfurter Schule mit ihrer Kritischen Theorie enorm.


Extremer Pessimismus[Bearbeiten]

Die Kritische Theorie ist von einem extremen Pessimismus gekennzeichnet. Dieser hat sich besonders auf die deutsche Gesellschaft ausgewirkt. Dieser extreme Pessismus kann im Sinne der Kritischen Theorie selbst als zeitgeprägt aufgefasst werden. Die Theorie wurde durch den Nationalsozialismus im Besonderen geformt. Im Pessimismus kommt dann dieses (nationalsozialistische) machttheoretisch geprägte apokalyptische Bild von der Gesellschaft hervor.


Jürgen Habermas[Bearbeiten]

Jürgen Habermas zählt zu den Vertretern der Frankfurter Schule. Er lebt aber zeitlich etwas später.

Critical legal studies[Bearbeiten]

Die critial legal studies oder auch Kritische Rechtslehre wurde durch die Kritische Theorie verursachend beeinflusst. Sie entstand in den späten 60gern und hatte ihre Blützeit in den 80-igern. Dabei wurden die Ideen von Marx, Adorno und Marcuse auf das Recht angewandt. Die Bewegung verwendete die Kritische Theorie für das Rechtssystem und kam so beispielsweise zu dem Ergebnis, dass das Recht den Mächtigen und Reichen nutze und diskriminierte Personen wie Arme, Frauen, Homosexuelle oder Personen der Arbeiterklasse benachteilige und damit die bestehenden Verhältnisse stabilisiere.

Literatur[Bearbeiten]

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Internetquellen[Bearbeiten]

Podcast-Tipp[Bearbeiten]

Soziopod #020: Frankfurter Schule – Die Verflüssigung der Macht