Martin Heidegger „Sein und Zeit“/ Drittes Kapitel §§ 61–66

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Dieses Kapitel baut eine Brücke zwischen der vorangegangenen Analyse des Daseins und der Freilegung des Sinns von Sein, der – wie sich zeigen wird – Zeitlichkeit. Die Daseinsanalyse war also nur vorbereitend, weshalb die hermeneutische Ausrichtung von „Sein und Zeit“ später erfordern wird, dass unter dem Gesichtspunkt der Zeitlichkeit die Analyse des Daseins und seiner Existenzialien wiederholt wird. Damit interpretieren sich die beiden Hälften von „Sein und Zeit“ gewissermaßen gegenseitig: Das Sein des Daseins als Sorge zu erkennen, ist Bedingung dafür seine Zeitlichkeit freizulegen (mit einer Bestimmung des Menschen als Vorhandenes wäre dies nicht gelungen); die Zeitlichkeit des Daseins wiederum wird erst helfen das Sein des Daseins als Sorge gänzlich – das heißt, nun auch in seiner Geschichtlichkeit! – zu verstehen. Das ist offensichtlich gegen Husserls Anspruch einer idealen und überzeitlichen (also auch übergeschichtlichen) Wissenschaft gerichtet.[1]

Um den Bogen zur Zeitlichkeit zu spannen, wird Heidegger das eigentliche Ganz-sein-können und die Zeitlichkeit verbinden. Dass beides zusammengehört, ist zunächst eine Vorgabe Heideggers, die nach ihrer Erläuterung einer eingehenden Prüfung bedarf. Daher zeichnet sich dieses Kapitel durch einen umfangreichen Teil an Methodenreflexion aus. Heideggers weiteres Vorgehen läßt sich wie folgt zusammenfassen: In den vorangegangenen Analysen wurde die Möglichkeit eines Ganzseinkönnens des Daseins als Sein zum Tode aufgezeigt. Ebenso wurde die Möglichkeit einer eigentlichen Erschlossenheit (Entschlossenheit) verdeutlicht. Aufgabe ist zu klären, wie diese zwei Phänomene zusammenkommen: „Was soll der Tod mit der konkreten Situation des Handelns zu tun haben?“[2] Es wird sich zeigen, dass die Entschlossenheit erst mit dem Vorlaufen in den Tod eigentlich ist. Weiterhin nimmt die Untersuchung folgenden Gang: Als Sinn der Sorge wird sich die Zeitlichkeit erweisen. Hierzu muss der Zusammenhang von Sorge und Selbst geklärt werden. Zeitlichkeit wird wiederum an der eigentlichen Entschlossenheit erfahren. Auf diesem Boden lässt sich dann auch der Ursprung des vulgären Zeitbegriffes verstehen. Das so entdeckte Phänomen der Zeitlichkeit wird sich anschließend in einer erneuten Analyse des Daseins bewähren müssen: Die bis jetzt gewonnenen Strukturmomente des Daseins (Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen) werden dann auf ihre Zeitlichkeit hin interpretiert.[3]

Eigentliche Entschlossenheit: eigentliche Erschlossenheit und Sein zum Tode
Ganz-sein-können (d. h. das Sein zum Tode) und eigentliche Erschlossenheit (Entschlossenheit) sollen als zusammengehörig erwiesen werden. Hierzu geht Heidegger folgendermaßen vor: Er zeigt zunächst existenziell, dass Entschlossenheit nur im Lebenvollzug möglich ist, dass also die Übernahme der Schuld sich im konkreten Handeln vollziehen muss: „Die existenzielle Übernahme dieser ‚Schuld‘ in der Entschlossenheit wird demnach nur dann eigentlich vollzogen, wenn sich die Entschlossenheit in ihrem Erschließen des Daseins so durchsichtig geworden ist, dass sie das Schuldigsein als ständiges versteht.“ Wichtig ist hierbei die Wendung „als ständiges“: In ihr steckt der Hinweis darauf, dass das Dasein nicht einfach nur als Vorhandenes schuldig ist, sondern dass es sich schuldig macht, indem es handelnd Entscheidungen trifft. „Ständig“ meint deshalb nicht ein sich über eine gewisse Dauer durchhaltende Eigenschaft, sondern ein vollziehen. (Diese Auffassung Heideggers ist gegen die Substanzontologie gerichtet, welche nicht den Vollzug sondern die bleibenden Eigenschaften der Dinge in den Blick bringt.)

Damit sich das Dasein aber selbst schuldig machen kann, muss es verstehen, was es heißt Entscheidungen zu treffen. Sein Entscheidungshorizont eröffnet sich ihm jedoch erst angesichts seiner Endlichkeit. Wie oben gezeigt, ermöglicht ja erst der Tod dem Dasein sein Sein-können als das eigene (als jemeiniges) zu verstehen. Weil der Tod die unüberholbare Möglichkeit ist, versteht das Dasein seiner angesichts auch erst den Entscheidungsspielraum der davorliegenden Möglichkeiten und sich somit in seiner Ganzheit. Heidegger schließt an: „Dieses Verstehen aber ermöglicht sich nur dergestalt, dass sich das Dasein das Seinkönnen ‚bis zu seinem Ende‘ erschließt. Das Zu-Ende-sein des Daseins besagt jedoch existenzial: Sein zum Ende.“[4] Nicht umsonst setzt Heidegger das ‚bis zu seinem Ende‘ in Anführungszeichen: Diese markieren, dass es sich um eine existenzielle Beobachtung, nicht um eine ontologisch-existenziale Bestimmung handelt. Die Übersetzung vom Existenziellen ins Existenziale erfolgt erst im zweiten Satz, wenn das auf existenzieller Ebene verständlich gemachte ontologisch-existenzial gefasst wird, nämlich als Sein zum Ende. Erst angesichts des Todes und damit seiner Endlichkeit kann das Dasein (man könnte wieder sagen: die handelnde Person) die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, auf sich selbst hin interpretieren und sich einen Entscheidungsspielraum eröffnen. Das heißt, es genügt in Heideggers Augen zum Person-sein nicht, dass die Person sich als Individuum zu allgemeinen Möglichkeiten verhält, sondern sie muss dies in Bezug zu einem durch den Tod begrenzten Ereignisspielraum tun. Nur wenn sie dies ständig tut, ist sie auch eigentlich. Das „Ständig-tun“ bezeichnet Heidegger als vorlaufend. Erst vorlaufend ist daher das Dasein in der eigentlichen Entschlossenheit, weshalb sie Heidegger auch vorlaufende Entschlossenheit nennt.

Einmal eigentlich geworden, ist dem Dasein auch die Möglichkeit des Zurückfallens in die Unentschlossenheit des Man klar geworden, wogegen es sich in der eigentlichen Entschlossenheit zur Wiederholung ihrer selbst jedoch verwahrt.[5] Der Tod wird bei all dem nicht „überwunden“, noch führt die eigentliche Entschlossenheit für Heidegger in die Weltabgeschiedenheit. Zwar ist ihre Grundstimmung die Angst, mit dieser einher geht jedoch eine „gerüstete Freude“ an der nun entdeckten Möglichkeit der Selbstbestimmung. [6]

Die hermeneutische Situation
Heidegger verwendet nun etwas Zeit darauf, sein Vorgehen im Sinne der Hermeneutik zu rechtfertigen. Er betont die Schwierigkeiten, welche sich bis jetzt ergeben haben und macht für ihren Grund aus, dass das Untersuchende und der Untersuchungsgegenstand im Dasein zusammenfallen: Das Dasein ist sich im vorreflexiven Selbst- und Weltbezug so vertraut, dass jedes explizite ontologische Wissen ihm abgerungen werden muss.[7] Die Untersuchung stellte sich der dem Dasein innewohnende Verdeckungstendenz entgegen, was gelegentlich den Charakter der Gewaltsamkeit mit sich brachte. Gerade deshalb möchte Heidegger der Frage nachgehen, auf welche Art die Untersuchung überhaupt Evidenz erzeugt. Vor allem muss geklärt werden, woran sich die Eigentlichkeit der Existenz ablesen lässt. Bis jetzt, so Heidegger, ließ sich die Untersuchung von dem im Dasein selbst liegendem Seinsverständnis leiten.[8] Seinsverständnis ist dem Dasein immer schon gegeben. Allein, wenn die Untersuchung vom Seinsverständnis des Daseins ihren Ausgang nimmt, um eine fundamental-ontologische Analyse auf den Weg zu bringen, so stellt sich mit aller Schärfe die Frage nach einem hierin liegenden Zirkel. Der Zirkel ist jedoch, wie sich nun mehr und mehr zeigt, für Heidegger kein Mangel, denn es kommt ihm nicht auf Deduktion an, sondern darauf „dass die solches Verstehen ausbildende Interpretation das Auszulegende gerade erst selbst zu Wort kommen läßt, damit es von sich aus entscheide, ob es (…) erschlossen wurde“.[9]

Heideggers existenziale Analytik kann somit gar nicht nach den Regeln der Konsequenzlogik funktionieren. Wer einen Zirkeleinwand gegen die hermeneutische Daseinsanalyse erhebt, der hat nach Heidegger schlicht die ontologische Differenz mißachtet: aus der Seinsart des Daseins selbst, das nämlich als Verfallenes nur das Seiende und nicht das Sein betrachtet, ergibt sich eine dem Seienden angepasste Logik als Methode. Damit verkennt man jedoch das Verstehen als Grundart des Daseins: Verstehen ist an Sinn gekoppelt, also an Bezüge innerhalb der Welt. Diese sind aber mit der Logik allein gar nicht deduktiv abzuleiten, sondern gehen einem Weltverständnis immer schon voraus. Ein Denken das sich auf die Logik beschränkt, setzt daher zu wenig voraus. Eine Beschränkung auf die Logik ist künstlich und willkürlich, sie beschneidet die thematischen Gegenstände, um dann erst im Nachhinein an sie anzubauen.[10]

Sorge und Selbstheit
Um im darauffolgenden Abschnitt den Seinssinn der Sorge freizulegen, muss Heidegger diese noch einmal vollständig in den Blick bringen und ihren Zusammenhang mit dem Selbst klären. Die Sorgestruktur zeigte sich als vielfach gegliedert: Sich-vorweg-schon-sein-in als Sein-bei, wobei das Sich-Vorweg als Sein zum Ende bestimmt wurde, dies kann durch den Ruf der Sorge in die Eigentlichkeit gerufen werden, so dass es als vorlaufende Entschlossenheit ist. Die Vielzahl dieser Strukturmomente wirft aber erneut die Frage nach ihrer Einheit auf.

Traditionell, so Heidegger, sollte die Einheit der Sorge bzw. des Subjekts stets durch ein Ich oder das Selbst als tragenden Grund gewährleistet werden.[11] Eine solche Vorstellung äußert sich für Heidegger z. B. im Ich-Sagen: „Das im Ich-sagen Aus- und Angesprochene wird immer als dasselbe sich Durchhaltende angetroffen.“[12] Auch Kant knüpft hieran an, wenn er das transzendentale Subjekt mit dem Ich denke zu fassen versucht. Dieses Ich denke hat für ihn jede Erfahrung zu begleiten. Damit entspricht Kants Ich, so Heidegger, der res cogitans, dem bloßen Bewusstsein als das, welches die Dinge der Anschauung verbindet. Auch bei Kant hat das Ich also zusammenhaltende Funktion (Ich verbinde).[13] Allein, Kant fällt doch wieder in das Substanzdenken zurück, wenn er das Ich als Subjekt fasst, „denn der ontologische Begriff des Subjekts charakterisiert nicht die Selbstheit des Ich qua Selbst, sondern die Selbigkeit und Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen.“ Kant stellt sich nämlich Subjekt und Erfahrung (Empirie) als gleichzeitig miteinander vorhanden vor. Aber das Empirische ist innerweltlich Vorhandenes, was also Welt im Sinne Heideggers schon voraussetzt. Weil Kant das Phänomen der Welt nicht sah, so Heidegger, isoliert er nun das Ich wieder aufs Subjekt.

Heidegger hingegen versteht unter dem Ich im Ich-Sagen das sich als in-der-Welt-seiend aussprechende Ich, womit Ich und Welt nicht zwei getrennte Dinge sind, sondern entsprechend dem In-Sein untrennbar miteinander verbunden: „Das ich meint das Seiende, das man ‚in-der-Welt-seiend‘ ist“.[14] Erst in der Eigentlichkeit erschließt sich jedoch dieses ständig sich durchhaltende als in-der-Welt-seiend. Das heißt, damit das Dasein sich auf sich selbst beziehen kann, braucht es einen veränderten personalen Selbstbezug (die Eigentlichkeit) und erst dann überhaupt kann sich das Dasein auf sich selbst beziehen, erst dann macht auch die Rede von einem Selbst Sinn. Im erst mit der Eigentlichkeit hervortretenden bewussten Selbstbezug ist das Dasein also selbstständig, wie Heidegger sagt. Es verläßt sich nicht mehr auf die Möglichkeiten des Man, sondern eignet sich diese bewusst an. Damit aber ist das Selbst nicht etwas Vorhandenes, kein Ich, keine Substanz, sondern vielmehr ein Modus der Sorgestruktur. Auch gründet entgegen der Tradition die Sorge nicht auf einem Selbst, sondern sie schließt es nun mit ein.[15]

Vorlaufende Entschlossenheit gründet in der Zukunft und damit in der Zeitlichkeit
Den Sinn bestimmte die Untersuchung bereits als „das, worin sich Verstehbarkeit von etwas hält, ohne dass es selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt. Sinn bedeutet das Woraufhin des primären Entwurfs, aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann.“ Wenn Heidegger also den Sinn von Sein aufzeigen möchte, so muss er folglich das Woraufhin des Entwurfs sichtbar machen. Das Entworfene ist das Sein des Daseins. Das Sein des Daseins ist die Sorge. Die Frage nach dem Sinn des Seins eines Seienden macht das Woraufhin des allem Sein von Seiendem zugrundeliegenden Seinsverstehens (des Daseins) zum Thema. Damit wird die Frage nach dem Sinn von Sein zur Frage nach dem Sinn der Sorge. Der Seinssinn des Daseins liegt somit auch nicht ‚außer ihm‘ als etwas freischwebendes. Heidegger benutzt das Wort ‚Sinn‘ entsprechend seinen beiden Bedeutungen zugleich, nämlich Sinn als Verweisung, Bedeutung und als Richtung wie in ‚Uhrzeigersinn‘. Da Sinn der Grund des Verstandenen ist, hat also auch das Verstehen schon eine gewisse Richtung bzw. Orientierung.

Vorbereitend hatte Heidegger das Sein zum Tode mit der eigentlichen Erschlossenheit verknüpft in der vorlaufenden Entschlossenheit (s. o.). Er führt diese nun mit der Zeit zusammen, indem er zeigt, dass die Möglichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit in der Zeitlichkeit gründet: „das Sein zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen […] ist nur so möglich daß das Dasein überhaupt in seiner eigensten Möglichkeit auf sich zukommen kann.“[16] Die Sorge beinhaltete als Strukturmoment also das Sich-auf-sich-zukommenlassen: hierin liegt das Phänomen der Zukunft. Zukunft ist jedoch nicht etwas, das noch nicht wirklich geworden ist oder das einmal erst sein wird, sondern „die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“.[17] Hier zeigen sich zwei Aspekte Heideggers Zukunftsbegriffs: Einerseits kommt mit der Zukunft auf das Dasein etwas zu, andererseits ist es das Dasein selbst, das auf sich zukommt. Damit ist Zukunft weder nur eine Projektion des Daseins und seiner Seinsmöglichkeiten als noch nicht verwirklichter, noch ist es etwas vom Dasein getrenntes und ihm fremdes, es ist ja seine Zukunft.

Einheit der Zeitlichkeit
Neben der Zukunft gibt es noch zwei andere, wie Heidegger sagt, zeitliche Ekstasen. Entsprechend bestimmt Heidegger die Gewesenheit als das, wie das Dasein je schon war. Gegenwart ist das Gegenwärtigen als Begegnenlassen von Anwesenden.[18] Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart sind jedoch verschränkt, so nämlich, dass die Gewesenheit der Zukunft entspringt, indem die Zukunft die Gegenwart aus sich entlässt. Damit ergibt sich als die volle Bestimmung der Zeitlichkeit: „Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit“.[19]

Zeitlichkeit als Sinn der eigentlichen Sorge
Heidegger hat soweit ‚exemplarisch‘ (genauer: existenziell) gezeigt, dass die vorlaufende Entschlossenheit der Zeitlichkeit bedarf. Auch erst mit der bewussten Übernahme seiner Geworfenheit kann das Dasein eigentlich gewesen sein. Die konkrete Situation zu begreifen und sich auf innerweltlich Seiendes ausrichten zu können gründet für Heidegger in der Gegenwart. Die eigentliche Entschlossenheit, als eigentliche Erschlossenheit angesichts des Todes, nannte Heidegger die vorlaufende Entschlossenheit. Vorlaufen ist jedoch nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich. Vorlaufende Entschlossenheit, also das sich ausrichten einer Person auf und in ihrem Entscheidungsspielraum dessen Ende der Tod markiert, ist also nur durch die Zeitlichkeit möglich. Zeitlichkeit enthüllt sich somit als der Sinn der eigentlichen Sorge.

Zeitlichkeit als Sinn der Sorge
Diese soweit nur existenzielle Untersuchung der vorlaufenden Entschlossenheit und Zeitlichkeit muss nun auf die existenzial-ontologische Ebene gehoben werden. Heidegger hatte zuerst die vorlaufende Entschlossenheit mit der Zukunft verknüpft, anschließend wurde die Rolle der anderen zwei zeitlichen Ekstasen für die vorlaufende Entschlossenheit ausgewiesen. Zeitlichkeit war in sich selbst wegen der Verschränkung der Ekstasen einheitlich. Die vorlaufende Entschlossenheit ist erst durch die Zeitlichkeit als einheitliches Phänomen zu verstehen. Vorlaufende Entschlossenheit war ein Modus der Sorge, deshalb ist hinreichend gezeigt, dass erst die Zeitlichkeit die Einheit der Sorge ermöglicht. Damit ist als Sinn der Sorge die Zeitlichkeit in ihren drei Ekstasen ausgewiesen:[20]

Zeitlichkeit Sorge In-sein Ontologischer Charakter
Zukunft Sich-vorweg-sein Verstehen Existenzialität
Gewesenheit Schon-sein-in-der-Welt Befindlichkeit Faktizität
Gegenwart Sein-bei Besorgen Verfallen

Die Sorge läuft wie gezeigt nicht in einer linearen Zeit ab, vielmehr ist die Zeitlichkeit verschränkt, sie zeitigt sich.[21] Da die Zeitlichkeit das Außer-sich des Daseins ermöglicht, nennt Heidegger Gewesenheit, Gegenwart und Zukunft auch Ekstasen der Zeitlichkeit. (Ekstase von εξíστασθαι, exhistasthai = aus sich heraus treten, außer sich sein). Die vulgäre Zeitauffassung einer linear ablaufenden Zeit nivelliert nach Heidegger gerade den ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit. Heidegger räumt innerhalb der drei Ekstasen der Zukunft einen Vorrang ein, denn sie ist das „primäre Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit (…)“.[22] Dieser Vorrang ergibt sich aus dem Sein zum Tode, Dasein existiert endlich: Erst durch die Zukunft und den Tod wird dem Dasein seine Nichtigkeit bewusst und erst dann kann es auch eigentlich sein.

In dem folgenden Kapitel soll nun die existenziale Analyse des Daseins im Hinblick auf die Zeitlichkeit der Sorgestruktur (d. h. Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede) wiederholt werden. Weiterhin möchte Heidegger durch die Analyse seines Zeitigungscharakters das Dasein als geschichtlich enthüllen. Ebenso wird die Ausbildung der Zeitrechnung untersucht werden und wie sich hieraus ein Zeitverständnis von in der Zeit seiend entwickelt. Dieser Auffassung Heideggers folgend, wird sich zeigen, dass nur Innerweltliches in der Zeit sein kann, was mit dem Titel Innerzeitigkeit gefasst wird.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Vgl. Marion Heinz: Das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins und die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge. in: Thomas Rentsch: Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 180.
  2. SZ, Seite 302.
  3. Vgl. SZ, Seite 304.
  4. SZ, S. 305.
  5. Vgl. SZ, Seite 308.
  6. Vgl. SZ, Seite 310.
  7. Vgl. SZ, Seite 311.
  8. Vgl. SZ, Seite 313.
  9. SZ, Seite 314f.
  10. Vgl. SZ, Seite 316.
  11. Vgl. SZ, Seite 317.
  12. SZ, Seite 318.
  13. Vgl. SZ, Seite 319.
  14. SZ, Seite 322.
  15. Vgl. SZ, Seite 323.
  16. SZ, S. 325.
  17. SZ, Seite 325.
  18. Vgl. SZ, Seite 326.
  19. SZ, Seite 326.
  20. Vgl. SZ, Seite 327.
  21. SZ, Seite 328.
  22. SZ, Seite 329.