Logik und Aussagen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Aus Wikibooks
Version vom 6. März 2016, 21:07 Uhr von Stephan Kulla (Diskussion | Beiträge) (Abschnitt "Fußnoten" obsolete)

Warum Logik für die Mathematik wichtig ist

Logik ist als Lehre des vernünftigen Schlussfolgerns die Sprache der Mathematik. In dieser Sprache werden mathematische Sätze formuliert und Beweise geführt. Sie genügt der Anforderung der Mathematik, dass alle in ihr formulierten Ausdrücke eine klare und scharf definierte Bedeutung haben. Dabei ist das richtige Schließen aus logischen Ausdrücken nicht immer so einfach, wie man zunächst annimmt. Oftmals verführt uns unsere Intuition zu Schlüssen, die sich beim genaueren Hinschauen als falsch herausstellen. Der richtige Umgang mit logischen Ausdrücken ist einer der Schlüssel, um Mathematik zu verstehen und zu beherrschen. Deswegen beschäftigen wir uns in diesem Kapitel mit logischen Ausdrücken und wie man mit ihnen umgeht.

Mehrdeutigkeit natürlicher Sprachen

Zunächst möchte ich dir an einigen Beispielen zeigen, warum die deutsche Sprache (oder andere natürliche Sprachen) nicht geeignet sind, um sich allein in ihr über mathematische Problemstellungen zu unterhalten.

Frage: Welche Bedeutung haben die folgenden Aussagen?

Aussage: Jeder Mann liebt eine Frau.

  1. Jeder Mann liebt mindestens eine Frau.
  2. Jeder Mann liebt genau eine Frau.
  3. Jeder Mann liebt dieselbe Frau.

Aussage: In der Liste finden Sie Ihre Adresse oder Ihre Handynummer.

  1. In der Liste finden Sie Ihre Adresse und/oder Ihre Handynummer.
  2. In der Liste finden Sie entweder Ihre Adresse oder Ihre Handynummer.

Aussage: Ich sehe Robert auf dem Dach mit dem Fernglas.

  1. Ich bin auf dem Dach und sehe durch mein Fernglas Robert.
  2. Ich sehe durch mein Fernglas Robert, der auf dem Dach ist.
  3. Ich sehe Robert, der auf dem Dach ist und ein Fernglas hat.
  4. Ich sehe Robert auf dem Dach, das mit einem Fernglas ausgestattet ist.

Du siehst, dass viele Sätze unserer Alltagssprache (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) mehrdeutig sind. Sicherlich kennst du noch weitere Beispiele für Sätze, die mehrdeutig sind. Überlege, wie oft es dir schon passiert ist, dass dich jemand missverstanden hat.

Wegen dieser Mehrdeutigkeiten können natürliche Sprachen zur Kommunikation in der Mathematik nicht verwendet werden. Stelle dir vor, Mathematiker hätten eine unterschiedliche Auffassung über mathematische Objekte, weil die ihnen zugrunde liegende Definition auf unterschiedliche Weise verstanden werden kann. Ein sinnvolles mathematisches Arbeiten ist dann schlicht nicht möglich. Deswegen ist es wichtig, einen Werkzeugsatz zu haben, mit dem ganz klar definierte Aussagen formuliert werden können und in dem es klare Regeln gibt, wie man aus bestehenden Aussagen neue herleitet. Dieses System ist für die Mathematik die Logik, die ich dir in diesem Kapitel vorstellen werde.

Klassische Logik

Es wurden bisher mehrere logische Systeme entwickelt. Das für dich zunächst wichtigste System ist die „klassische Logik“. Der Begriff klassisch hat hierbei keinen zeitlichen Charakter. Die klassische Logik ist alles andere als veraltet und kann vielmehr als „Standardlogik“ angesehen werden. Sie definiert sich über folgende zwei Eigenschaften:

  • Prinzip der Zweiwertigkeit: Eine Aussage ist entweder wahr oder falsch.
  • Extensionalitätsprinzip: Der Wahrheitswert jeder zusammengesetzten Aussage ist eindeutig durch die Wahrheitswerte ihrer Teilaussagen bestimmt.

Was die obigen beiden Prinzipien im Einzelnen bedeuten, werde ich dir in den kommenden Kapiteln erläutern. Die klassische Logik umfasst wiederum zwei Teilbereiche:

  • Aussagenlogik – Die Aussagenlogik beschäftigt sich mit Aussagen und der Verknüpfung von Aussagen zu neuen Aussagen.
  • Prädikatenlogik – Die Prädikatenlogik ist eine Erweiterung der Aussagenlogik. Sie ermöglicht die Untersuchung der inneren Struktur einer Aussage.

Diese beiden Teilbereiche der klassischen Logik werde ich dir im Folgenden schrittweise vorstellen.

Hinweis

Trifft eine der beiden Eigenschaften der klassischen Logik nicht zu, spricht man von nichtklassischer Logik. Ein Beispiel hierfür ist die mehrwertige Logik, bei der das Prinzip der Zweiwertigkeit aufgegeben wird. Wir werden uns aber in den folgenden Kapiteln nur mit klassischer Logik beschäftigen.

Grundlegende Begriffe

Die Aussage

Der grundlegende Begriff der Aussagenlogik ist die Aussage:

Definition (Aussage)

Eine Aussage ist ein aus Wörtern und/oder mathematischen Zeichen aufgebauter Ausdruck, bei dem es möglich und sinnvoll ist zu entscheiden, ob dieser Ausdruck wahr oder falsch ist.

Aussagen sind damit Ausdrücke, denen man sinnvoll einen Wahrheitswert zuordnen kann. Man kann sie also für die Punkte im folgenden Satzfragment einsetzen:

Ist es wahr, dass gilt: … ?

Der Ausdruck „5 ist eine Primzahl.“ ist beispielsweise eine Aussage, weil die Frage „Ist es wahr, dass gilt: 5 ist eine Primzahl?“ sinnvoll gestellt und beantwortet werden kann. Demgegenüber ist die Frage „Ist 5 eine Primzahl?“ keine Aussage, da der Ausdruck „Ist es wahr, dass gilt: Ist 5 eine Primzahl? ?“ keine sinnvolle Frage ist (Beachte das doppelte Fragezeichen). Damit folgt, dass Fragen, Satzfragmente und Befehle keine Aussagen sind, da ihnen nicht sinnvoll ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann.

Auch sprachliche Gebilde wie „“, in denen freie Variable vorkommen, sind keine Aussagen. Dies liegt daran, dass bei solchen Ausdrücken der Wahrheitswert von der Belegung der Variablen abhängt. So ist „“ für die Belegung wahr und für falsch und es kann deshalb nicht eindeutig entschieden werden, ob dieser Ausdruck wahr oder falsch ist. Man spricht auch dann nicht von einer Aussage, wenn der Ausdruck unabhängig von der Belegung der freien Variablen immer wahr ist. So ist der Ausdruck keine Aussage. Später werden wir für solche Ausdrücke mit freien Variablen den Begriff Aussageform kennen lernen.

Leider ist es nicht so einfach, dass alle Ausdrücke mit Variablen Aussageformen sind. So ist der Ausdruck „Für alle reellen Zahlen gilt “ eine Aussage und keine Aussageform. Der Grund ist der, dass hier durch den so genannten Quantor „für alle“ gebunden wird und nicht mehr frei ist. Was genau freie und gebundene Variablen sowie Aussageformen sind, werde ich dir im Kapitel „Aussageform und Substitution“ erklären.

Beachte, dass die obige Definition nicht ganz sauber ist. So ist nicht genau geklärt, was ein sinnvoller Ausdruck ist. Meist genügt hier die menschliche Intuition, jedoch kann damit eine gewisse Subjektivität nicht vermieden werden. Für unsere Zwecke reicht aber obige Definition vollkommen. In Vorlesungen zur mathematischen Logik wirst du im Übrigen eine präzisere Definition der Aussage kennen lernen.

Eine Aussage kann nur genau einen der sogenannten Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ besitzen. Dies wird „Prinzip der Zweiwertigkeit“ genannt:

Definition (Prinzip der Zweiwertigkeit)

Eine Aussage ist entweder „wahr“ oder „falsch“.

Dabei nutzt man für den Wahrheitswert „wahr“ oftmals das Symbol , oder . Für „falsch“ werden die Symbole , oder benutzt.

Ausdruck Ist der Ausdruck eine Aussage? Bemerkung
10 ist eine gerade Zahl. Aussage wahre Aussage
5 ist durch 3 ohne Rest teilbar. Aussage falsche Aussage
Zwischen zwei aufeinander folgenden Quadratzahlen liegt mindestens eine Primzahl. Aussage Man nennt diese Aussage die Legendresche Vermutung. Bis heute weiß man nicht, ob diese Aussage wahr ist oder falsch[1].
Schläfst du schon? keine Aussage
Geh in die Schule! keine Aussage
keine Aussage Ohne weitere Informationen zu x können wir nichts sagen: Ist x frei wählbar? Wenn ja, muss x eine natürliche, ganze, reelle oder komplexe Zahl sein?
oder oder keine Aussage Obwohl der Ausdruck für alle reelle Zahlen wahr ist, ist dieser Ausdruck keine Aussage. Schließlich ist nicht klar, ob wirklich eine reelle Zahl ist (wie man vermuten könnte). Es gibt nämlich Ordnungen, in der dieser Ausdruck nicht für alle Objekte wahr ist.
Boah, Alter, geil mann … keine Aussage

Aussagen begegnen dir überall in der Mathematik. Alle Sätze, Hilfssätze und Axiome sind als wahre Aussagen formuliert. Wenn du dir einen Beweis anschaust, so ist dieser eine Folge von Aussagen, welche aufeinander aufbauen und in (logischen) Beziehungen zueinander stehen (zum Beispiel kann eine Aussage eine Schlussfolgerung aus einer anderen Aussage sein). Dementsprechend ist es für dich als MathematikstudentIn oder -interessierteN wichtig, dass du mit Aussagen richtig umgehen kannst, also zum Beispiel die innere Struktur einer Aussage erkennst und sie richtig negieren kannst sowie häufige Fehler im logischen Schlussfolgern vermeidest.

Verständnisfrage: Welche der folgenden Ausdrücke sind Aussagen?

  1. Alle Raben sind weiß.
  2. Ist ?

Antwort:

  1. Aussage
  2. keine Aussage (Term)
  3. Aussage
  4. Aussage
  5. keine Aussage (Frage)

Unentscheidbare Ausdrücke

Aber Vorsicht: Es gibt Ausdrücke, die auf dem ersten Blick wie eine Aussage aussehen, denen aber kein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Einer dieser Ausdrücke ist der auf sich selbst beziehende Satz „Dieser Satz ist falsch“. Du kannst zwar sinnvoll fragen, ob dieser Ausdruck wahr oder falsch ist – du kannst dies aber nicht sinnvoll entscheiden. Egal welchen Wahrheitswert du dieser Aussage zurechnest, du landest immer bei einem Widerspruch (Probiere es aus!). Dementsprechend handelt es sich bei diesem Ausdruck um keine Aussage.

Unentscheidbare Ausdrücke können insbesondere dann auftreten, wenn diese einen Selbstbezug aufweisen. Dieser Selbstbezug ist bereits im obigen Beispiel „Dieser Satz ist falsch.“ vorhanden. Ein weiteres Beispiel für einen unentscheidbaren Ausdruck ist:

„Der nächste Satz ist wahr. Der vorherige Satz ist falsch.“

Verständnisfrage: Warum ist der Ausdruck „Der nächste Satz ist wahr. Der vorherige Satz ist falsch.“ unentscheidbar?

Wenn der erste Satz wahr ist, so wäre der zweite Satz wahr und damit der erste falsch ↯. Wenn der erste Satz falsch ist, wäre der zweite Satz falsch und damit der erste Satz wahr ↯.