In der Maßtheorie hatten wir den Begriff der Länge, Fläche und des Volumens geklärt: sie werden durch Maße auf Sigma-Algebren beschrieben. In der Integrationstheorie wollen wir auf der Basis der Maße einen Integralbegriff herleiten und dessen Eigenschaften untersuchen.
Wir hatten nachgerechnet, dass die Umkehrabbildung mit Mengenoperationen vertauscht. Seien
Messräume. Wir definierten eine Abbildung
als "messbar", wenn sie alle Mengen aus der Sigma-Algebra
auf Mengen der Sigma-Algebra
abbildete. Es genügte, die Messbarkeit auf dem Erzeugendensystem zu testen. Wir konstruierten uns durch Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division und Grenzwertbildung von numerischen Funktionen neue numerische Funktionen. Wir zeigten, dass sich alle nicht-negativen messbaren numerischen Funktionen
als Grenzwert einer monoton steigenden Folge von primitiven Funktionen darstellen lassen. Damit konnten wir das Integral einer nicht-negativen numerischen Funktion definieren als Grenzwert von Integralen primitiver Funktion. Wir bewiesen den Satz übr monotone Konvergenz: Ist die Folge der nicht-negativen, messbaren numerischen Funktionen
monoton steigend, so lassen sich Grenzwert und Integral vertauschen.
Wir haben das Integral für numerische Funktionen eingeführt als Differenz des Integrals des Positivteiles und des Negativteiles und nachgerechnet, dass dieses Integral linear und monoton ist. Wir zeigten den Satz über majorisierte Konvergenz: Wenn es eine integrierbare Majorante gibt, lassen sich Grenzwert und Integral vertauschen. Wir haben auf dem Vektorraum der integrierbaren Funktionen mit dem Integral eine Norm konstruiert, indem wir Funktionen äquivalent nannten, die sich nur auf einer Nullmenge unterschieden.
Wir haben Riemann-Integral und Lebesgueintegral verglichen und in manchen Fällen als gleich erkannt.
Wir hatten zu Anfang bewusst Rechtecke und Quader definiert, um damit Flächen und Volumina zu berechnen und z.B. ein eindeutiges Lebesguemaß auf
und
gefunden. Das Integral bezog sich bisher aber nur auf den eindimensionalen Fall. Das wollen wir nun ändern, wir wollen im mehrdimensionalen integrieren. Von einem Element aus der Sigma-Algebra auf dem
-dimensionalen Raum können wir den Schnitt betrachten und landen im Raum mit einer Dimension geringer. Erstaunlicherweise liegt dieser Schnitt in der Sigma-Algebra des Teilraumes. Ein Beispiel dazu bietet eine Fläche im
(aus der Sigma-Algebra
, deren Schnitt automatisch in der Sigma-Algebra
liegt. Mehr noch: Wir erhalten eine Funktion, indem wir eine messbare Fläche schneiden und die Länge des Schnitts als Funktionswert nehmen. Und diese FUnktion ist messbar! Man kann sie also integrieren. Das Integral darüber ergibt genau das bekannte Maß der Ursprungsfläche. Wir haben also einen Rechenweg gefunden, wie wir das Maß von messbaren Flächen oder auch Volumina ausrechnen können mittels Integration.
In diesem Kapitel seien
Maßräume. Auf dem Produktraum
soll ein Maß
definiert werden, sodass für die verallgemeinerten Quader
mit
gilt:
Das ist genau das Produkt der Seitenlängen, eben gemessenen mit den Maßen
Dazu betrachtet man die
Definition (Produkt-Sigma-Algebra)
Die Produkt-Sigma-Algebra ist definiert als die von den einzelnen Mengen
erzeugte Sigma-Algebra:
Wenn die Erzeugendensysteme die Räume ausschöpfen, lässt sich die Produkt-Sigma-Algebra auch durch verallgemeinerte "endliche" Quader beschreiben:
Beweis
Zeige: die jeweiligen Erzeugendensystem sind in der anderen Sigma-Algebra enthalten.
:
:
Nun können wir den Eindeutigkeitssatz sofort anwenden:
Satz (Eindeutigkeit)
Die Erzeugendensysteme
seien durchschnittsstabil und sigma-endlich, d.h. es gebe Folgen
endlichen Maßes, die ganz
ausschöpfen, in Formeln
Dann gibt es höchstens ein Maß auf
mit
Beweis (Eindeutigkeit)
Setze als Erzeugendensytem
Seien
. Da die einzelnen Erzeugendesysteme
durchschnittsstabil sind, gilt
und somit ist das Erzeugendensystem
durchschnittsstabil:
.
Sei
beliebig. Da die
ganz
ausschöpfen,
gibt es für jedes
ein
, sodass
. Für
ist
und somit wird
ausgeschöpft durch
Damit lässt ist das Maß eindeutig auf
fortsetzen.
Schnitte vertauschen mit Mengenoperationen
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Beweis
1.):
Sei
fest. Wegen der Darstellung
und
gilt
2.):
Mit der Defintion und da die Vereinigung sagt, dass ein Element in einer der Mengen der Vereinigung liegt, gilt
4.):
Analog für
.
Die Länge der Schnitte ist eine messbare Funktion
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Wir haben gerade gezeigt, dass die Schnitte bei
in der Sigma-Algebra des Teilraumes
enthalten sind. Damit kann das Maß
des Teilraumes darauf angewendet werden für jedes
. Wir erhalten also eine Funktion, die jedem
einen Wert zuordnet. Wir zeigen jetzt: diese ist messbar. Im daraufolgenden Satz wollen wir diese messbare Funktion über
integrieren und erhalten ein Maß auf
!
Satz
Gibt es für
sigma-endliche Folgen
und
mit
und
für alle
, so sind für alle
die Funktionen
bzw.
-messbar
Beweis
1.) Der endliche Fall
:
Wir haben im letzten Satz gezeigt, dass
. Damit ist
definiert.
Da wir es mit einem Maß zu tun haben, konstruieren wir uns ein Dynkinsystem der Mengen
, sodass
messbar ist.
Wir zeigen dann, dass
durchschnittstabil ist; damit ist es eine Sigma-Algebra. Danach zeigen wir, dass es das Erzeugendensystem von
enthält und somit enthält es die kleinste solche Sigma-Algebra
.
Wir rechnen die Eigenschaften des Dynkinsystems nach:
: da die konstante Funktion messbar ist:
Aus
folgt
: Da
und die konstante Funktion messbar sind, ist auch
messbar. Dabei wird verwendet, dass Komplement und Schnitt vertauschen:
Aus
folgt
: Da
messbar ist, ist
messbar. Dabei wird verwendet, dass abzählbare Vereinigung und Schnitt vertauschen und dass
sigma-aditiv ist.
Jetzt zeigen wir, dass das Erzeugendensystm von
in
ist: Für
ist
. Dabei verwenden wir dass
messbar ist wegen
und dass
endlich ist.
messbar.
Da das Erzeugendensystem E durchschnittsstabil ist,
ist
durchschnittsstabil und damit eine Sigma-Algebra, die
enthält, also insbesodnre
enthält.
d.h. für alle
ist
-messbar.
Für
geht der Beweis völlig analog.
2.) Der sigma-endliche Fall
Folge
in
mit
:
Wir schneiden alle Mengen erst mit den
, sodass wir ein endliches Maß erhalten, siehe unten im Kapitel der Eindeutigkeit der Maßfortsetzung.
Wir erhalten also ein neues endliches Maß durch
Das ist definiert, da
.
1.) wurde allgemein für endliches Maße bewiesen, also ist es auch gültig für
. Somit ist
-messbar. Das Supremum der messbaren Funktionen
ist wieder messbar und da die
ausschöpfen gleich
Damit ist
messbar.
Wir haben jetzt die Messbarkeit der
gezeigt und können diese nun integrieren. Damit erhalten wir eine explizite Berechnungsformel für das Maß auf
Die Eindeutigkeit haben wir schon bewiesen.
Satz (Existenz)
In
gebe es sigma-endliche Folgen
mit
.
Dann gibt es genau ein Maß
auf
mit
für
und für jede Menge
gilt:
und es gibt eine sigma-endliche Folge
in
mit
und
Dieses eindeutige Maß heißt Produktmaß.
Schreibweise:
Beweis (Existenz)
:
ist
-messbar und deshalb ist die Funktion
definiert.
Wir zeigen
ist ein Maß auf
. Seien
. Wir rechnen die Eigenschaften des Maßes nach und verwenden, dass der Schnitt mit der abzählbaren Vereinigung vertauscht.
Für
gilt
Damit ist das Maß
das gesuchte. Die Eindeutigkeit haben wir schon ganz am Anfang des Kapitels gezeigt.
Analog ist
ein solches Maß. Nach der Eindeutigkeit folgt
Wir haben eine sigma-endliche Folge im Erzeugendensystem, für
gilt
Satz
Man erhält so erneut eine Konstruktion des Maßes auf
aus dem Maß auf
.
Beweis
Rechenregel zur Integration über das Produktmaß
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Satz
Es ist egal, in welcher Reihenfolge man integriert:
Seien
mit sigma-endlichen Folgen
mit
und
messbar.
1.) Dann sind
messbar und es gilt
2.) Ist
integrierbar, so sind
integrierbar für
-fast alle
und es gilt dieselbe Gleichheit.
Beweis
:
Für die Indikatorfunktion haben wir es im letzten Satz gezeigt. Nun setzen wir es fort auf primitive, nicht-negative messbare und dann auf integrierbare Funktionen.
Für
gilt
und somit
Seien
. Dann ist
und
Wir benutzen zweimal die Stetigkeit von unten und erhalten
Analog für das andere Integral.
:
Betrag, Positivteil und Negativteil vertauschen mit dem Schnitt
Nach 1.) gilt
Damit ist
integrierbar.