Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
Autor:innen: Johannes Busch
Notwendiges Vorwissen: Link
Lernziel: XY verstehen.
Die in den §§ 113–115 StGB geregelten Tatbestände erfassen Widerstandshandlungen in Vollstreckungssituationen (§ 113 StGB) und Tätlichkeiten gegenüber Vollstreckungsbeamten (§ 114 StGB) sowie einer Reihe weiterer, diesen gleichgestellten Personen (§ 115 StGB). Der Strafrahmen für die Tatbestände der §§ 113–115 StGB wurde 2011 angehoben,[1] im Jahr 2017 wurde u. a. die Tathandlung des tätlichen Angriffs aus § 113 Abs. 1 StGB herausgelöst und als eigenständiger Tatbestand mit wiederum erhöhter Mindeststrafe in § 114 StGB ausgestaltet.[2] Doppeltes Schutzgut des § 113 StGB sind staatliche Vollstreckungshandlungen sowie der Schutz der dazu berufenen Personen. Letzteres wurde durch die Einführung des § 114 StGB abgeschwächt, bei dem die individuellen Rechtsgüter der zur Vollstreckung berufenen Beamt:innen im Vordergrund stehen.[3]
In Prüfungsarbeiten kommt den §§ 113–115 StGB keine herausgehobene Bedeutung zu. Insbesondere im Nachgang der Reform im Jahr 2017 kam es jedoch wieder vermehrt zu Entscheidungen höherer Instanzen, die auch grundlegende Fragen der Auslegung des Tatbestandes und der Konkurrenzverhältnisse betrafen.[4] Angesichts dieser Entscheidungen und des angehobenen Strafrahmens könnten die §§ 113–115 StGB in den nächsten Jahren wieder häufiger Gegenstand von Prüfungen werden.
A. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB)
[Bearbeiten]I. Grundlagen
[Bearbeiten]Der ursprünglich als Privilegierung zu § 240 StGB eingeführte Tatbestand hat diesen Charakter durch die Anhebung des Strafrahmens auf das Niveau der Nötigung weitgehend verloren. Sie macht sich nur noch bei der Sperrwirkung bemerkbar, die der § 113 StGB bei Vorliegen gegenüber § 240 StGB entfaltet (siehe dazu unter 3.). Bei § 113 StGB handelt es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt[5], bei dem es nicht auf die Herbeiführung eines bestimmten Taterfolges ankommt, sondern nur darauf, dass dieser Taterfolg intendiert wird (vgl. dazu unten XX).[6]
II. Objektiver Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB
[Bearbeiten]Der objektive Tatbestand des § 113 StGB setzt dreierlei voraus: als geeignetes Tatobjekt einen Vollstreckungsbeamten (1.) oder diesen gleichgestellte Personen (§ 115 StGB), als Tatsituation die Vornahme einer Vollstreckungshandlung (2.) und als Tathandlung das Leisten von Widerstand (3.).
1. Tatobjekt: Vollstreckungsbeamte
[Bearbeiten]Vom Schutzbereich der Norm umfasst sind Amtsträger gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie Soldaten der Bundeswehr, soweit sie als Vollstreckungsbeamte tätig werden, also im Einzelfall zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen sind. Vollstreckungsbeamte in diesem Sinne sind Personen, zu deren Aufgabe es gehört, dem in Gesetzen usw. zum Ausdruck kommenden hoheitlichen Willen gegebenenfalls durch Zwang im Einzelfall zur Durchsetzung zu verhelfen.[7]
Beispiel: Typische Beispiele für Vollstreckungsbeamte sind Polizist:innen, Gerichtsvollzieher:innen und Richter:innen. Bei letzteren zeigt sich, dass die gesetzesvollstreckende Tätigkeit nicht im Mittelpunkt stehen muss, sondern dass es genügt, wenn die Tätigkeit (hier: sitzungspolizeiliche Maßnahmen) auch zum Aufgabengebiet gehört.
Erweitert wird der geschützte Personenkreis durch § 115 StGB (vgl. dazu unter C.).
2. Tatsituation: Vornahme einer Vollstreckungshandlung
[Bearbeiten]Der Wortlaut der Norm erfasst Vollstreckungsbeamte bei der Vornahme "einer solchen Diensthandlung". Es genügt also nicht jede Diensthandlung eines Vollstreckungsbeamten, sondern es muss eine konkrete Vollstreckungshandlung vorliegen, bei der im Einzelfall der bereits konkretisierte Staatswille – nötigenfalls mit Zwangsmitteln – gegenüber Personen oder Sachen durchgesetzt werden soll.[8]
Beispiel: Tatbestandlich erfasst werden Eingriffsmaßnahmen der Polizei, die sich aufgrund eines Tatverdachts oder einer Gefahrenprognose konkret gegen bestimmte Personen richten, also beispielsweise eine Identitätsfeststellung, Durchsuchung, vorläufige Festnahme oder die zwangsweise Durchsetzung einer Blutentnahme.[9] Selbiges gilt für das das Anhaltegebot einer Polizeibeamt:in gem. § 36 Abs. 5 StVO gegenüber verkehrswidrig handelnden Personen, sowie die Vollstreckungstätigkeit eines Gerichtsvollziehers.[10] Noch nicht zur Durchsetzung des konkretisierten Staatswillens kommt es bei allgemeinen Diensthandlungen wie Streifenfahrten der Polizei. Auch beim Begleiten eines Demonstrationszugs durch die Polizei oder die Beobachtung von Personengruppen, von denen möglicherweise Straftaten ausgehen, handelt es sich noch nicht um Vollstreckungshandlungen.[11]
In zeitlicher Hinsicht erfasst sind Tathandlungen "bei" der Vornahme einer Vollstreckungshandlung, diese muss unmittelbar bevorstehen oder noch andauern, darf im Umkehrschluss also noch nicht beendet sein.[12] Über die eigentliche Vollstreckungshandlung hinaus ist somit auch Verhalten erfasst, das sich im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang abspielt und mit der Vollstreckungshandlung eine Einheit bildet.[13]
Beispiel: Rückkehr zum Dienstfahrzeug nach einem Polizeieinsatz,[14] Abtransport von sachlichen Hilfsmitteln[15].
3. Tathandlung: Widerstand leisten
[Bearbeiten]Zur Erfüllung des Tatbestandes muss gegen die Vollstreckungshandlung Widerstand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleistet werden.
Widerstand geleistet wird dabei mit einer aktiven Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter, mit der eine Behinderung oder Erschwerung der Diensthandlung bezweckt wird.[16] Entsprechend dieser Auslegung kommt es dabei auf die Herbeiführung des Widerstandserfolges nicht an; auch erfolglose Widerstandshandlungen sind vom Tatbestand umfasst. Bei § 113 StGB handelt es sich somit um ein unechtes Unternehmensdelikt (→ A.I.). Nicht ausreichend sind bloß passive Tätigkeiten zur Erschwerung oder Verhinderung einer Diensthandlung wie Sitzblockaden oder die bloße Verweigerung der Mitwirkung.[17]
Der Widerstand wird mit Gewalt geleistet, wenn er durch eine körperliche Kraftausübung erfolgt, die gegen die Person des Vollstreckungsbeamten gerichtet ist und daher für ihn körperlich spürbar ist.[18] Einwirkungen auf Sachen sind nur dann ausreichend, wenn sie zumindest mittelbar auf die Person des Vollstreckungsbeamten wirken.[19]
Beispiele: Widerstand mit Gewalt wird angenommen beim Zufahren mit dem PKW auf kontrollierende Polizist:innen, sodass diese zur Seite springen müssen;[20] ebenso beim Springen vor ein Polizeifahrzeug, um dieses an der Weiterfahrt zu hindern[21]. Kein Widerstand mit Gewalt liegt vor bei der bloßen Missachtung eines Haltezeichens ohne Zufahren auf Polizei, der bloßen Flucht vor der Polizei, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer:innen gefährdet werden,[22] bei bloßem Sitzenbleiben und unkooperativem Verhalten bei Vollstreckungshandlungen.[23] Nach hM soll die Grenze zur Gewaltanwendung aber überschritten sein, wenn Personen gegen die Vollstreckungshandlungen mehr als nur das eigene Körpergewicht einsetzen, beispielsweise durch Festhalten bzw. Festketten an Objekten oder dem Stemmen gegen die Laufrichtung.[24]
Unter der Drohung mit Gewalt wird die Ankündigung der Ausübung von Gewalt verstanden. Die Auslegung erfolgt parallel zur Drohung in § 240 StGB (→ XX), wobei hier die Drohung mit anderen empfindlichen Übeln nicht ausreichend ist.
III. Subjektiver Tatbestand
[Bearbeiten]Der Vorsatz muss sich auch hier auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale (Vollstreckungsbeamte, Vollstreckungshandlung, Widerstand leisten) beziehen. Bei Irrtümern über die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Tatbestandsmerkmale führt dies ggf. zu einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.[25] Der Vorsatz muss sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung beziehen, da es sich dabei nach hM um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt (vgl. dazu unter IV.). Irrtümer, die den Bereich der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung betreffen, sind in § 113 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB abschließend geregelt.
IV. Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung, § 113 Abs. 3, 4 StGB
[Bearbeiten]Der Schutzbereich des § 113 StGB erstreckt sich nur auf rechtmäßige Diensthandlungen. Die Absätze 3 und 4 regeln daher die Rechtsfolgen fehlender oder irrtümlich angenommener bzw. verkannter Rechtmäßigkeit.
1. Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung als objektive Bedingung der Strafbarkeit, § 113 Abs. 3 S. 1 StGB
[Bearbeiten]Die Norm selbst regelt in Abs. 3 bereits die zentrale Rechtfolge: Die Strafbarkeit entfällt, wenn die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig war (S. 1). Dies gilt selbst dann, wenn der Täter sie irrtümlich für rechtmäßig hielt (S. 2).
Der Maßstab zur Bestimmung der Rechtmäßigkeit soll nach hM nicht das zugrundeliegende Fachrecht (Verwaltungs-, Vollstreckungs-, oder Strafprozessrecht), sondern ein spezifisch strafrechtlicher sein. Entscheidend ist danach lediglich, dass die äußeren Voraussetzungen des Eingreifens vorliegen: die sachliche und örtliche Zuständigkeit muss eingehalten, wesentliche Förmlichkeiten beachtet und das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen pflichtgemäß geprüft worden sein.[26]
Beispiel[27]: Die Voraussetzungen für den Vollzug einer Abschiebung ergeben sich aus den §§ 34 ff. AsylG. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird die zuständige Polizeibehörde aber dennoch mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragt, kann nach der hM trotzdem eine rechtmäßige Vollstreckungshandlung iSd § 113 Abs. 3 StGB vorliegen, wenn die zuständige Polizei handelt, die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten und das bestehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt wurde. Leistet die von der rechtswidrigen Abschiebemaßnahme betroffene Person gegen deren Vollstreckung Widerstand, entfällt die Strafbarkeit trotz der (Verwaltungs-)Rechtswidrigkeit der Maßnahme nach dem strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff nicht.
Den handelnden Amtsträger:innen soll aufgrund der Einsatzsituation, die meist ein schnelles Handeln erfordert, ein gewisses Irrtumsprivileg eingeräumt werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen des Einschreitens falsch eingeschätzt wurden und nicht vorlagen.[28] Dies gilt allerdings nicht bei schwerwiegenden Mängeln, wenn beispielsweise die rechtlichen Voraussetzungen einer Eingriffsbefugnis oder die tatsächlichen Voraussetzungen fahrlässigerweise verkannt wurden.[29]
Das BVerfG hält diesen eingeschränkten strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsmaßstab für grundsätzlich mit Verfassungsrecht vereinbar, verlangt aber, dass bei der Anwendung des § 113 StGB grundrechtliche Schutzgehalte berücksichtigt werden müssen.[30]
Beispiel: Ein Einschreiten gegen Teilnehmer:innen einer Versammlung iSd Art. 8 GG setzt als wesentliche Förmlichkeit in der Regel voraus, dass zuvor die Versammlung aufgelöst oder die Teilnehmer:innen ausgeschlossen wurden. Wird stattdessen die Teilnahme an einer Versammlung unmittelbar durch eine Ingewahrsamnahme beendet, liegt danach keine rechtmäßige Diensthandlung vor, die Strafbarkeit eines dagegen gerichteten Widerstandes scheidet daher regelmäßig gem. § 113 Abs. 3 S. 1 StGB aus.[31]
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Gegen diesen spezifisch strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff wird insbesondere in der Literatur Kritik formuliert.[32] In Ablehnung eines als obrigkeitsstaatlich empfundenen Irrtumsprivilegs zu Lasten von Bürger:innen wird stattdessen ein materieller Rechtmäßigkeitsbegriff vorgeschlagen, bei dem sich die Rechtmäßigkeit akzessorisch aus den fachrechtlichen Vorgaben ergibt. Danach gibt es kein generelles Irrtumsprivileg für Amtsträger:innen; entscheidend ist vielmehr, ob das Strafprozess-, Verwaltungs- oder Vollstreckungsrecht Einschränkungen in Form von Verdachts-, Gefahrtatbestände oder Regeln über die vorläufige Vollstreckbarkeit enthält.[33] Für diese Sichtweise spricht vor allem die Einheit der Rechtsordnung sowie die Geltung des Gesetzesvorbehaltes, nach dem es für jeden staatlichen Vollstreckungsakt einer Rechtsgrundlage bedarf.[34] Daneben wurde in der Vergangenheit ein sog. wirksamkeitsorientierter Rechtmäßigkeitsbegriff vertreten, der noch weitergehender als der strafrechtliche Begriff alle Vollstreckungshandlungen als rechtmäßig ansieht, die nicht nach § 44 VwVfG unwirksam sind. Diese Ansicht wird aber überwiegend als zu weitgehend abgelehnt.[35]
Die Rechtsnatur dieser Regelung ist umstritten; wegen der ausdrücklich angeordneten Rechtsfolge ist die praktische Relevanz der dogmatischen Einordnung für die Klausur allerdings gering. Nach hM handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die durch die Irrtumsregelung in Abs. 4 modifiziert wird; die Prüfung sollte daher erst im Anschluss an den subjektiven Tatbestand in einem eigenen Prüfungspunkt erfolgen.[36]
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Daneben wird die Rechtmäßigkeit teilweise als unrechtskonstituierendes Tatbestandsmerkmal[37] oder als Rechtfertigungsgrund[38] angesehen.
2. Irrtümer über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung, § 113 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB
[Bearbeiten]Entsprechend der Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung nicht als Tatbestandsmerkmal sondern als objektive Bedingung der Strafbarkeit (vgl. oben A.IV.1.) richten sich die Folgen eines Irrtums über dieses Merkmal nicht nach den allgemeinen Regeln der §§ 16, 17, sondern nach den abschließenden Regelungen in § 113 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 StGB. Erfasst sind dabei sowohl Fehlvorstellungen auf tatsächlicher Ebene als auch auf Ebene der rechtlichen Bewertung.[39] Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
Hält der Täter eine rechtswidrige Vollstreckungshandlung irrtümlich für rechtmäßig, ist der dagegen gerichtete Widerstand nicht strafbar, § 113 Abs. 3 S. 2 StGB.
In der umgekehrten Konstellation, wenn also der Täter eine rechtmäßige Vollstreckungshandlung irrtümlich für rechtswidrig hält, trifft § 113 Abs. 4 eine abschließende Regelung. Diese ähnelt strukturell der Behandlung des Verbotsirrtums gem. § 17 StGB, weist in der Prüfung aber einige Besonderheiten auf. Zunächst wird – parallel zu § 17 StGB – zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Irrtümern unterschieden; wie dort ist zu fragen, ob der Täter alle seine "individuellen Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten, die Einholung von vertrauenswürdigen Auskünften eingeschlossen" eingesetzt hat, um zur Unrechtseinsicht zu gelangen.[40] War der Irrtum nach diesem Maßstab vermeidbar, kann das Gericht gem. Abs. 4 S. 1 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2 StGB) mildern.[41] War der Irrtum hingegen unvermeidbar, erhöht Abs. 4 S. 2 die Anforderungen gegenüber der allgemeinen Regel des § 17 StGB. Die Strafbarkeit entfällt danach nur, wenn zusätzlich zur Unvermeidbarkeit des Irrtums die Einlegung von Rechtsbehelfen unzumutbar war, beispielsweise bei einem drohenden irreparablen Schaden.[42] Wären hingegen Rechtsbehelfe zumutbar gewesen, um die Vollstreckungshandlung abzuwehren, kann das Gericht – wie bei Abs. 4 S. 1 – von Strafe absehen oder zusätzlich auch ganz von einer Bestrafung absehen.[43]
V. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 StGB
[Bearbeiten]Absatz 2 enthält eine strafschärfende Strafzumessungsregel für besonders schwere Fälle und nennt für diese drei Regelbeispiele. Die Strafzumessung sollte – wie sonst auch – erst im Anschluss an die Schuld erörtert werden.
Für die Nr. 1 genügt bereits das bloße Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, eine Verwendung im konkreten Fall wie bei § 224 StGB (→ § 224 unter XX) ist nicht erforderlich. Die zuvor erforderliche Verwendungsabsicht hat der Gesetzgeber 2017[44] gestrichen und die Norm dadurch an § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB angeglichen. Wie dort bestehen seitdem die gleichen praktisch nicht lösbaren Probleme, die Gefährlichkeit des Gegenstandes ohne Rückgriff auf die konkrete Verwendung zu bestimmen (→ § 244 unter XX).[45]
Für die Verwirklichung von Nr. 2 muss der Täter den Angegriffenen durch eine Gewalttätigkeit in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringen. Die Gefahrerfolge entsprechen den Regelbeispielen in § 250 Abs. 1 Nr. 1 c bzw. § 250 Abs. 2 Nr. 3 b StGB (vgl. dazu → § 250 unter XX) und müssen zumindest von bedingtem Vorsatz[46] umfasst sein. Gewalttätigkeit geht über die Gewalt bei § 240 StGB im Sinne einer körperlichen Wirkung hinaus und verlangt eine Aggression mit unmittelbarem Kontakt der Körpersubstanz der angegriffenen Person.[47]
Das Regelbeispiel der gemeinschaftlichen Begehung in Nr. 3 entspricht dem Merkmal in § 224 Abs. 1 Nr. 4 (vgl. dazu → § 224 unter XX).
VI. Prüfungsaufbau
[Bearbeiten]B. Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB)
[Bearbeiten]I. Grundlagen
[Bearbeiten]Der 2017[48] neu eingeführte Tatbestand regelt den zuvor als Tatbestandsvariante des § 113 StGB ausgestalteten tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Gegenüber § 113 StGB wartet die Norm mit einer erhöhten Mindeststrafe (3 Monate Freiheitsstrafe) sowie einem durch den fehlenden Bezug zu einer Vollstreckungshandlung erweiterten Anwendungsbereich auf.
II. Tatbestand
[Bearbeiten]Ein tätlicher Angriff ist jede mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung, unabhängig von ihrem Erfolg.[49] Angesichts der zwingenden Freiheitsstrafe[50] ist insbesondere die untere Grenze des Tatbestandsmerkmals von Relevanz. Mit guten Argumenten wird dabei von zahlreichen Stimmen in der Literatur wegen der Mindeststrafe und der individuellen Schutzrichtung des Tatbestandes gefordert, dass die Einwirkung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erreichen oder eine Eignung zur Rechtsgutsverletzung aufweisen muss.[51] Die – mittlerweile auch durch den BGH bestätigte – Rechtsprechung hält ausgehend vom gleichen Wortlaut an der bisherigen Auslegung des tätlichen Angriffs fest und hält eine Einschränkung nicht für erforderlich.[52] Auch wenn diese Rechtsprechungslinie begriffliche Klarheit suggeriert, lagen dieser bisher Konstellationen zugrunde, bei der auch die Literaturansicht von einem tätlichen Angriff ausgehen würde.[53] Ungeklärt sind demnach Konstellationen, in denen die Handlung bereits ungeeignet zur Verletzung der durch die Norm geschützten individuellen Rechtsgüter der Vollstreckungsbeamt:innen sind, beispielsweise leichtes Rempeln oder Schubsen.[54] Hier scheint eine Begrenzung parallel zu § 223 Abs. 1 StGB (→ § 5 XX) angemessen, bei der bloße Bagatellen vom Tatbestand auszunehmen sind.[55]
Beispiel: Beim Anspucken scheint eine Differenzierung wie folgt sinnvoll: erfolgt dies auf bekleidete Körperteile, erfüllt die Handlung grundsätzlich mangels Verletzungseignung bzw. Erheblichkeit nicht den Tatbestand. Anders liegt es, wenn das Tatopfer im Gesicht getroffen wird, eine auf diesem Wege übertragbare Krankheit vorliegt oder dies unter Verstoß gegen infektionsschutzrechtliche Auflagen (Abstands- und Maskenregelungen) erfolgt.[56]
Tatobjekt ist auch weiterhin der Vollstreckungsbeamte (→ A.II.1.), nicht erforderlich ist hingegen, dass diese sich in einer Vollstreckungssituation befinden. Erfasst sind somit – zusätzlich zu den durch § 113 StGB erfassten Vollstreckungshandlungen – auch allgemeine Diensthandlungen wie Streifenfahrten, Vernehmungen, Befragungen oder Unfallaufnahmen.[57]
III. Prüfungsaufbau
[Bearbeiten]Examenswissen: Sollte so dargestellt werden.
C. Vollstreckungsbeamten gleichstehende Personen (§ 115 StGB)
[Bearbeiten]§ 115 StGB erweitert den persönlichen Schutzbereich der §§ 113, 114 StGB und stellt drei weitere Personengruppen, den Vollstreckungsbeamten gleich. Insbesondere Jagd- und Fischereiaufseher sind Personen, die nach Abs. 1 ohne Amtsträger zu sein, Rechte und Pflichten von Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind.[58] Von Abs. 2 erfasst sind Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind. Beispielhaft sei hier das medizinische Personal bei körperlichen Untersuchungen gem. § 81a StPO, oder Mitarbeiter:innen privater Abschleppdienste, die im Auftrag der Polizei Fahrzeuge abschleppen.[59] Abs. 3 erweitert den Anwendungsbereich der §§ 113, 114 StGB um die dort genannten professionellen Hilfeleistenden.[60]
D. Konkurrenzen, Verhältnis zu anderen Tatbeständen
[Bearbeiten]§ 113 StGB regelt einen speziellen Fall der Nötigung und ist damit im Verhältnis zu § 240 StGB lex specialis.[61] Ob der Rückgriff auf § 240 StGB auch gesperrt ist, wenn in einer Vollstreckungssituation mit einem (bei § 113 StGB nicht tatbestandsmäßigen) empfindlichen Übel gedroht wird, ist umstritten. Zum Teil wird ein Rückgriff auf § 240 StGB erlaubt, wenn die Voraussetzungen des § 113 StGB nicht vorliegen; dabei sollen die Abs. 3 und 4 analog anwendbar sein.[62] Da § 113 StGB aber den Schutz der Willensfreiheit von Vollstreckungsbeamten abschließend regelt, erscheint es überzeugender auch in diesen Konstellationen bei der Sperrwirkung zu bleiben.[63] Kein Spezialitätsverhältnis liegt hingegen vor, wenn die Drohung außerhalb der tatbestandlichen Grenzen des § 113 StGB erfolgt und beispielsweise gar keine Vollstreckungssituation gegeben ist.[64]
Verwirklicht der Täter sowohl § 114 Abs. 1 als auch § 113 Abs. 1 StGB stehen die beiden zur Klarstellung der unterschiedlichen Schutzrichtungen in Tateinheit zueinander.[65]
III. Prüfungsaufbau
[Bearbeiten]Examenswissen: Sollte so dargestellt werden.
Wissen für das zweite Staatsexamen
[Bearbeiten]Wenn ihr Wissen für das zweite Staatsexamen anbringen wollt, gehört es an das Ende des Absatzes mit einer eigenen Überschrift vor die Überschrift zur weiterführenden Literatur.
Weiterführende Studienliteratur
[Bearbeiten]- hier steht eine empfehlenswerte Quelle für weiterführende Studienliteratur
- und noch eine Quelle
- aber nicht zu viele
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
[Bearbeiten]- das haben wir gelernt
- und das haben wir gelernt
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Vgl. dazu Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473.
- ↑ Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (510 ff.).
- ↑ Rengier, BT II, 22. Aufl. (2021), § 53 Rn. 2, 44.
- ↑ Zuletzt BGH NJW 2020, 2347.
- ↑ Zum echten Unternehmensdelikt vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB.
- ↑ Zum unechten Unternehmensdelikt Radtke, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 11 Rn. 142 ff.; zu § 113 Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 600.
- ↑ Bosch, in: MüKo-StGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 10; Eser, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 113 Rn. 10.
- ↑ BGHSt 25, 313 (314); Eser, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 113 Rn. 13; Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 6.
- ↑ Bosch, in: MüKo-StGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 12.
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 7.
- ↑ KG NStZ 1989, 121.
- ↑ Paeffgen, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 113 Rn. 18.
- ↑ BGH NJW 1982, 2081; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 598.
- ↑ BGH NJW 1982, 2081.
- ↑ BayObLGSt 1987, 135.
- ↑ BGH NStZ 2015, 388; Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 12.
- ↑ Bosch, in: MüKoStGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 17.
- ↑ BGH NStZ 2015, 388.
- ↑ BGH NStZ-RR 2020, 288 (Ls.); Dallmeyer, in: BeckOK StGB, 50. Ed. (2021), StGB § 113 Rn. 8.
- ↑ BGH NJW 1953, 672 (672 f.).
- ↑ BayObLGSt 1988, 7 (8 f.).
- ↑ BGH NStZ 2013, 336 (336 f.).
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 14.
- ↑ Dagegen Bosch, in: MüKo-StGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 19; kritisch auch Paeffgen, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 113 Rn. 29.
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 33.
- ↑ BGH NJW 1968, 710 (714); BGH NJW 2015, 3109 (3110 f.).
- ↑ Nach BGH NJW 2015, 3109.
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 26 f.
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. 2021, § 14 Rn. 608 f.
- ↑ BVerfG NVwZ 2007, 1180 (1182).
- ↑ BVerfG NVwZ 2007, 1180 (1182 f.).
- ↑ Übersichten zum Meinungsstand bei Bosch, in: MüKoStGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 31 ff.; Paeffgen, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 113 Rn. 32 ff.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 606 ff.
- ↑ Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. 2020, § 17 Rn. 11 ff.; Wolters, in:SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 113 Rn. 10 ff.
- ↑ Wolters, in:SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 113 Rn. 10 ff.
- ↑ Bosch, in: MüKo-StGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 33; Paeffgen, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 113 Rn. 39; Rosenau, in: LK-StGB, § 113 Rn. 35.
- ↑ Vgl. die Aufbauempfehlung bei Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 4 sowie Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 620.
- ↑ Eser, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 113 Rn. 20.
- ↑ Bosch, in: MüKo-StGB, Bd. III, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 30
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 614 f.
- ↑ Rengier, AT, 13. Auflage (2021), § 31 Rn. 20; ausführlicher zum Maßstab Heuchemer, in: BeckOK StGB, 51. Ed. (2021), § 17 Rn. 35 ff.
- ↑ Insofern besteht hier eine Abweichung von § 17 StGB, der für vermeidbare Irrtümer eine Milderung nach § 49 I StGB vorsieht.
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 34.
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 615: persönlicher Strafmilderungs- bzw. Strafausschließungsgrund.
- ↑ 52. StÄG vom 23.5.2017, BGBl I S. 1226.
- ↑ Busch/Singelnstein NStZ 2018, 510 (514); Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. 2021, § 14 Rn. 617.
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 619.
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 113 Rn. 30.
- ↑ 52. StÄG vom 23.5.2017, BGBl I S. 1226.
- ↑ So zuletzt in Fortführung der ständigen Rechtsprechung BGH NJW 2020, 2347 (2347).
- ↑ Eine Geldstrafe ist nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 StGB möglich.
- ↑ Busch/Singelnstein NStZ 2018, 510 (511); Roggan KriPoZ 2020, 144 (145); Übersicht bei Dallmeyer, in: BeckOK StGB, 53. Ed. (2022), StGB § 114 Rn. 5.
- ↑ BGH NJW 2020, 2347 (2347 f.).
- ↑ Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 49.
- ↑ Singelnstein NJW 2020, 2349.
- ↑ Bosch, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 114 Rn. 6; Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 49.
- ↑ Dallmeyer, in: BeckOK StGB, 53. Ed. (2022), StGB § 114 Rn. 6; aA LG Fürth, NStZ-RR 2021, 169 (170) das – wenig überzeugend – maßgeblich darauf abstellt, dass das Anspucken „besonders ekelerregend“ sei.
- ↑ BT-Drs. 18/11161, S. 9.
- ↑ Vgl. § 25 Abs. 2 BJagdG, weitere Beispiele bei Bosch, in: MüKoStGB, 4. Aufl. (2021), § 115 Rn. 4 ff.
- ↑ Dallmeyer, in: BeckOK StGB, 53. Ed. (2022), StGB § 115 Rn. 3.
- ↑ Zuletzt erweitert um Hilfeleistende des ärztlichen Notdienstes und der Notaufnahme, vgl. dazu Engländer NStZ 2021, 385 (386).
- ↑ BGHSt 48, 233 (238); differenzierend Bosch, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 64.
- ↑ Heger, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. (2018), § 113 Rn. 26; Rengier, BT II, 22. Auflage (2021), § 53 Rn. 41 f.
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), § 14 Rn. 601; Bosch, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 113 Rn. 65.
- ↑ Wolters, in:SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 113 Rn. 25.
- ↑ BGH NJW 2020, 2347 (2348); Fahl ZStW 2018, 745 (754 f.).