Bundestag

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Autor: Hagen Lohmann

Notwendiges Vorwissen: Gewaltenteilung und Prinzip der Volkssouveränität

Lernziel: Die Wahl bzw. Neuwahl des Bundestags sowie seine Funktionen im Verfassungsgefüge verstehen.


Der Bundestag ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Über seine zentrale Aufgabe der Gesetzgebung beherrscht er die staatlichen Organe und nimmt Einfluss auf das politische, wirtschaftliche, kulturelle und allgemein das gesellschaftliche Leben. Zu beachten ist allerdings, dass der Bundestag zwar das zentrale, nicht aber das einzige Organ der Gesetzgebung ist. In unterschiedlichem Maße sind hieran auch die Bundesregierung, der Bundesrat und der:die Bundespräsident:in beteiligt.

A. Die Organisation des Bundestags[Bearbeiten]

Der Bundestag regelt seine interne Organisation und Arbeitsweise durch eine eigene Geschäftsordnung (GOBT). Sie enthält u.a. Vorschriften über die Redezeiten im Plenum sowie die Verhaltensregeln der Abgeordneten, aber auch über den:die Bundestagspräsident:in, den Ältestenrat und das Präsidium.

B. Wahl bzw. Neuwahl des Bundestags[Bearbeiten]

I. Wahlperiode, Sitzungsperiode und Sitzungen[Bearbeiten]

Art. 39 GG regelt den Zusammentritt und die Wahlperiode des Bundestags. Danach wird der Bundestag für einen Zeitraum von vier Jahren gewählt. Diese Zeitspanne wird auch als Wahl- bzw. Legislaturperiode bezeichnet. Hiervon abzugrenzen sind die Begriffe der Sitzungsperiode (auch „Sitzungswochen“ genannt) und der Sitzungen. Ihnen allen gemein ist, dass sie bestimmte Arbeitsperioden des Bundestags beschreiben.

  • Legislaturperiode wird die Zeit genannt, für die die Abgeordneten in den Bundestag gewählt werden.
  • Sitzungsperiode bezeichnet einen Zeitabschnitt innerhalb der Wahlperiode, während derer das Parlament versammelt ist und seine Sitzungen abhält.
  • Sitzungen sind schließlich die Zeiträume, in denen der Bundestag versammelt ist, um seine Beratungen durchzuführen.

II. Beginn und Ende der Wahlperiode[Bearbeiten]

Die Wahl- bzw. Legislaturperiode des Bundestags beginnt mit dessen erstmaligem Zusammentritt. Zwar enthält Art. 39 GG hierzu keine ausdrückliche Aussage. Art. 39 I 2 GG regelt vielmehr nur, dass die Wahlperiode des (bisherigen) Bundestags mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags endet. Da sich die Wahlperioden allerdings lückenlos aneinander fügen[1], bewirkt der erstmalige Zusammentritt eines neuen Bundestags zugleich auch den Beginn der neuen Legislaturperiode. Grundsätzlich enthält Art. 39 I 2 GG den einzigen Beendigungsgrund für die Wahlperiode nach dem Grundgesetz. Allein in Art. 115h I 1 GG wird für den Verteidigungsfall etwas abweichendes geregelt. Danach enden während des Verteidigungsfalls auslaufende Wahlperioden des Bundestags und der Landtage erst sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls. Abgesehen davon sieht das Grundgesetz keine anderen Beendigungsgründe vor. Auch die Auflösung des Bundestags nach Art. 63 IV GG oder Art. 68 I GG bewirkt daher nicht die Beendigung der laufenden Legislaturperiode.[2] Diese endet vielmehr erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags.

Umstritten ist, ob und gegebenenfalls inwieweit die Wahlperiode verlängert bzw. verkürzt werden kann. Zu unterscheiden ist dabei, ob die Zeit der laufenden oder aber zukünftige Wahlperioden verlängert bzw. verkürzt werden sollen. Die laufende Wahlperiode kann grundsätzlich weder verlängert noch verkürzt werden.[3] Art. 115h I 1 GG stellt insoweit die einzige Ausnahme hierzu dar. Eine Verlängerung oder Verkürzung der laufenden Wahlperiode würde in Konflikt mit dem Demokratieprinzip geraten. Denn repräsentative Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit, deren Dauer das amtierende Parlament gerade nicht für sich verlängern können darf. Gegen eine Verkürzung der laufenden Legislaturperiode auf der anderen Seite spricht, dass dies der bewussten Entscheidung zuwiderlaufen würde, dem Parlament kein Selbstauflösungsrecht einzuräumen.[4] Ein solches existiert im Grundgesetz gerade nicht. Gegen eine Verkürzung auch zukünftiger Wahlperioden könnte sprechen, dass die derzeitige Wahlperiode von vier Jahren nach Ansicht des BVerfG eine wirksame und kontinuierliche Erfüllung der Aufgaben des Bundestags ermöglicht.[5] Eine Verkürzung dieser Zeitspanne könnte daher mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments in Konflikt geraten. Fraglich ist, ob eine zukünftige Legislaturperiode von vier auf fünf oder sogar sechs Jahre verlängert werden könnte. Eine solche Verlängerung könnte gegen das Prinzip der Volkssouveränität aus Art. 20 II 1 GG verstoßen, da in einer repräsentative Demokratie der Legitimationsakt der Wahl in ausreichend kurzen Abständen erfolgen muss. Ist dieser Abstand zu lange, geht der Legitimationszusammenhang zwischen Abgeordneten und Wähler:innen verloren. Zur ausführlichen Besprechung des Problems vergleiche den Beitrag zur Volkssouveränität.

III. Grundsatz der Diskontinuität[Bearbeiten]

Im Zusammenhang mit dem Aufeinanderfolgen der Wahlperioden steht auch der verfassungsrechtlich anerkannte Grundsatz der Diskontinuität. Gemeint ist damit, dass die Neuwahl des Bundestages zu einer personellen, institutionellen und sachlichen Zäsur führt.[6] Offensichtlich ist dies in personeller Hinsicht: Die Abgeordneten des „alten Bundestages“ verlieren mit dem Ende der Wahlperiode ihr Amt. Statt ihrer nehmen nun die „neuen“ Abgeordneten (welche mitunter durch Wiederwahl identisch zum vorherigen Personenkreis sein können) die Aufgaben des Parlaments wahr.[7] Institutionelle Diskontinuität bedeutet, dass mit dem Ende der Wahlperiode auch die Amtszeit der Gremien des Bundestages und seiner Amtsträger endet.[8] Häufig werden die Aspekte der personellen und der institutionellen Diskontinuität auch unter dem Oberbegriff der formellen Diskontinuität zusammengefasst, nicht zuletzt auch deshalb, um sie von der sachlichen beziehungsweise materiellen Diskontinuität abzugrenzen.

Die materielle Diskontinuität führt dazu, dass alle beim Bundestag noch anhängigen, nicht abgeschlossenen Beratungsgegenstände mit dem Ende der Wahlperiode als erledigt gelten, vgl. § 125 Satz 1 GOBT. Die praktisch größte Bedeutung hat der Grundsatz materieller Diskontinuität für Gesetzesvorlagen. Da sie mit Ablauf der Wahlperiode automatisch als erledigt gelten, müssen sie nach der Neuwahl neu ins Parlament eingebracht werden, wenn sich der Bundestag mit ihnen befassen soll.[9] Der Grundsatz der Diskontinuität betrifft allerdings nur den Bundestag, sodass Gesetzesvorlagen oder Stellungnahmen der Bundesregierung oder des Bundesrates, die noch in der alten Wahlperiode beschlossen, aber nicht in den Bundestag eingebracht wurden, ohne erneuten Beschluss ins Parlaments eingebracht werden können.[10]

Weiterführendes Wissen

Kein Rotationsprinzip: Im Zusammenhang mit der Dauer der Wahlperiode ist auch noch das sog. „Rotationsprinzip“ zu erwähnen. Dies war ein von der Partei „Die Grünen“ in den Anfangsjahren ihres Bestehens verfolgtes Konzept, nach dem die in das (Landes- oder Bundes-) Parlament gewählten Abgeordneten nach dem Ablauf der Hälfte der Wahlperiode ihr Amt durch Mandatsverzicht an die auf der Wahlliste Nächstplatzierten abgeben sollten. Durchgeführt wurde dies in der Praxis mehrmals. Besonders hervorzuheben ist dabei die Rotation im Juni 1984, als fünf Abgeordnete der Partei im Niedersächsischen Landtag nach zweijähriger Amtszeit auf ihr Mandat verzichteten. Dieser Mandatsverzicht war in der Folge Gegenstand eines Verfahrens vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof, der den Mandatsverzicht im Ergebnis für unwirksam erklärte.[11] Im Jahr 1994 schafften Die Grünen das Rotationsprinzip sodann ab.

Nach Ansicht des Gerichts lagen zwar die formellen Voraussetzungen vor; auch erfolgte der Verzicht nach Meinung des Gerichts freiwillig. Allerdings stand der Mandatsverzicht im Widerspruch zu der in der Verfassung festgelegten Dauer der Wahlperiode.[12] Die Verfassungsbestimmung über die Dauer der Legislaturperiode sei das Ergebnis einer Abwägung des Demokratieprinzips und dem Gebot der Kontinuität der Amtsführung der Organe des Staates.[13] Die Abgeordneten seien für eine durch die Verfassung bestimmte Zeit als Vertreter des Volkes in das Parlament gewählt worden.[14] „Ihre demokratische Legitimation beruht auf der Wahl durch das Volk. Sie bedarf während der Wahlperiode keiner neuen Bestätigung, und die Fortdauer des Mandats darf nicht der Entscheidung der Wähler oder eines Parteiorgans unterworfen werden.“[15] Diesen Grundsätzen würde es daher widersprechen, wenn es den Parteien freistünde, die gewählten Abgeordneten während der Wahlperiode auszuwechseln.[16]

C. Die Funktionen des Bundestags[Bearbeiten]

Auch heute noch lehnt sich die Systematisierung der Aufgaben und Funktionen des Bundestags an die Beschreibung der Aufgaben des Parlaments durch Walter Bagehot an.[17]

I. Die Gesetzgebungsfunktion[Bearbeiten]

Der Bundestag ist Gesetzgebungsorgan; er beschließt im Umfang seiner Zuständigkeiten und unter Mitwirkung der anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe die Gesetze. Das Gesetz ist die rechtsverbindliche Form der parlamentarischen Entscheidung, die - soweit sie im Einklang mit der Verfassung steht - auch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bindet.[18] Dabei ist der Bundestag nicht nur zur Gesetzgebung berechtigt, sondern auch gerade dazu aufgefordert.[19] Dies ergibt sich aus dem Vorbehalt parlamentarischer Entscheidungen (sog. Parlamentsvorbehalt, der nach der Rechtsprechung des BVerfG für alle „wesentlichen“ Bereiche gilt.[20] Der Gesetzgeber ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, alle wesentlichen - gemeint sind damit vor allem alle grundrechtsrelevanten - Fragen selbst durch ein förmliches Gesetz zu regeln (Wesentlichkeitstheorie). Die Berechtigung zur Gesetzgebung geht also mit bestimmten Regelungszwängen einher. Dabei sind die Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich durch Ermächtigung der Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen von dieser Belastung teilweise zu befreien, durch die Verfassung limitiert (Parlamentsvorbehalt und Art. 80 I GG).[21] Auch die zunehmenden Umsetzungsverpflichtungen des Unionsrechts zwingen den Gesetzgeber zum Erlass bestimmter Regelungen.

II. Die Kreationsfunktion[Bearbeiten]

Der Bundestag nimmt ferner eine Kreations-, Wahl- oder auch als Legitimationsfunktion bezeichnete Funktion wahr, indem er an der Bestellung der Amtsinhaber anderer oberster Bundesorgane mitwirkt.

Zunächst ist insoweit auf die Wahl des:der Bundeskanzler:in nach Art. 63 GG hinzuweisen. Diese:r wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin durch den Bundestag gewählt (Art. 63 I GG). Bei der Auswahl der Bundesminister:innen ist der Bundestag dagegen - jedenfalls formal - nicht beteiligt, da diese auf Vorschlag des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin vom Bundespräsidenten bzw. von der Bundespräsidentin ernannt und entlassen werden (Art. 64 I GG). In praktischer Hinsicht muss sich der:die Kanzler:in bei der Kabinettszusammenstellung über parteiinterne Wünsche hinaus[22] allerdings auch der Akzeptanz durch die Mehrheit des Bundestages gewiss sein. Andernfalls droht er oder sie das Vertrauen des Bundestags zu verlieren und damit im Extremfall die Stellung der Vertrauensfrage (Art. 68 GG) oder gar ein konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 GG) zu riskieren.

Auch an der Wahl des:der Bundespräsident:in nach Art. 54 GG ist der Bundestag beteiligt. Zwar erfolgt diese ausdrücklich des Wortlautes von Art. 54 I 1 GG durch die Bundesversammlung und gerade nicht durch den Bundestag. Nach Art. 54 III GG besteht die Bundesversammlung allerdings zur Hälfte aus den Mitgliedern des Bundestags, sodass diese – wenn auch nicht in ihrer Funktion als Mitglieder des Bundestages, sondern vielmehr als Mitglieder der Bundesversammlung – jedenfalls faktisch an der Wahl mitwirken. Neben dieser Beteiligung an der Amtsbestellung steht dem Bundestag nach dem Grundgesetz auch ein Instrument zur Bewirkung der Amtsenthebung bei. Nach Art. 61 I 1 GG kann neben dem Bundesrat nämlich auch der Bundestag den Bundespräsidenten bzw. die Bundespräsidentin vor dem BVerfG wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes anklagen. Der Antrag auf Erhebung der Anklage, der nur von einem Viertel der Mitglieder des Bundestags gestellt werden kann (Art. 61 I 2 GG), bedarf allerdings der Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestags, um beschlossen zu werden (Art. 61 I 3 GG). Das erfolgreiche Verfahren vor dem BVerfG führt sodann zum Amtsverlust (Art. 61 II 1 GG).

Schließlich wirkt der Bundestag auch an der Bestellung der Richter:innen des BVerfG mit. So wird nach Art. 94 I 2 GG die Hälfte der Richter:innen des BVerfG durch den Bundestag gewählt und zwar aufgrund des Vorschlags des Wahlausschusses nach § 6 II BVerfGG.

III. Die Kontrollfunktion[Bearbeiten]

Dem Bundestag obliegt ferner die parlamentarische Kontrolle über die Regierung. Die Kontrolle soll einerseits das Handeln der Regierung transparent und nachvollziehbar machen.[23] Andererseits dient sie dem Parlament aber auch als Mittel, um Einfluss auf die Entscheidungsprozesse auszuüben („dirigierende Kontrolle“).[24] Besonders anschaulich wird dies im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses: Die notwendige Beratung der Gesetzentwürfe im Parlament (Art. 77 I 1 GG, § 78 I 1 GOBT) macht die von Regierung und Parlamentsmehrheit verfolgten Ziele für die Allgemeinheit transparent und nachvollziehbar. Umgekehrt kann insbesondere die parlamentarische Opposition auf Änderungen an der Gesetzesvorlage hinwirken (vgl. §§ 82 bis 86 GOBT) und so inhaltlichen Einfluss auf den Entwurf ausüben. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle letztlich die Kehrseite der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung ist.[25]

Ausdrücklich erwähnt ist die parlamentarische Kontrolle nur in den Art. 13 VI GG, Art. 45b S. 1 GG und Art. 45d I GG. Aus einer Gesamtschau verschiedener Bestimmungen des Grundgesetzes ergibt sich aber auch die allgemeine Kontrollfunktion des Parlaments.[26] Das folgenschwerste Instrument der Regierungskontrolle ist das konstruktive Misstrauensvotum.[27] Für die Ausübung der Kontrollfunktion durch die Opposition stehen dieser in erster Linie die Minderheitenrechte zu.

Die parlamentarische Kontrolle der Regierung kann allerdings nicht grenzenlos erfolgen. Dies ergibt sich, ähnlich wie bei der Gesetzgebungsfunktion, aus dem Gewaltenteilungs- und dem Funktionentrennungsprinzip, die beschränkend auf die Kontrollfunktion des Parlaments wirken.[28] Der Bundestag darf das Regierungshandeln nur transparent und die Regierung so verantwortlich machen, es jedoch nicht durch eigene Maßnahmen ersetzen.[29] Er hat die Bundesregierung als eigenes Verfassungsorgan zu respektieren.[30] Es muss einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geben und einen kontrollfreien Internbereich.[31] Auch das Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten erreicht seine Grenzen, wenn durch die Informationsgewährung das Staatswohl gefährdet werden würde.[32] Schließlich bilden auch die Rechte Dritter eine Grenze der Kontrollrechte.[33]

Die verschiedenen Instrumente der Kontrolle durch das Parlament sind im Grundgesetz und der GOBT geregelt. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit fällt eine Systematisierung schwer.[34] Verbreitet ist eine Unterteilung in Instrumente, die der Informationsgewinnung dienen und andererseits solche, die Regierungs- und Parlamentshandeln verschränken, um so eine Kontrolle zu ermöglichen.[35]

Zu den Maßnahmen der Informationsgewinnung gehören z.B. das Untersuchungsrecht (Art. 44, 45a II 1 GG), der Wehrbeauftragte (Art. 45b GG), der Petitionsausschuss (Art. 45c GG), das Enqueterecht (§ 56 GOBT) oder öffentliche Anhörungen (§ 70 GOBT), das Zitierrecht (Art. 43 I GG), das Fragerecht (§§ 100 ff. GO-BT; Große und Kleine Anfragen, Einzelanfragen und Fragestunde, Aktuelle Stunde) und das Unterrichtungsrecht (§ 75 I lit. e GOBT, § 77 II GOBT).

Eine Verschränkung von Regierungs- und Parlamentskompetenzen, die eine parlamentarische Kontrolle dadurch ermöglicht, dass die Regierung nicht ohne die Mitwirkung des Bundestags entscheiden kann, ist etwa im Erfordernis von Parlamentsbeschlüssen oder Parlamentsgesetzen gegeben.[36] Dies findet sich beispielsweise im Bereich der auswärtigen Gewalt (Art. 59 II 1 GG), der europäischen Integration (Art. 23 GG) sowie in den Bereichen des Haushalts und der Verteidigung (Art. 110 II GG, Art. 114, 115l Abs. 1 GG; Art. 87a II 2, Art. 115a I, Art. 115 II 6 GG). Bezogen auf den Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte wird auch vom „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt“ gesprochen.[37] Ein Mitentscheidungsrecht des Bundestags wird auch über den Integrationsvorbehalt bei Vertragsänderungs- und Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union garantiert.[38]

Zur Durchsetzung der Informationsansprüche und der Parlamentskompetenzen stehen dem Parlament sowohl politische als auch rechtliche Mittel zur Verfügung, von denen insbesondere die Parlamentsminderheit bzw. die Opposition Gebrauch zu machen pflegt. In der politischen Praxis kann eine unzureichende Antwort auf eine Anfrage beispielsweise vor das Plenum und damit an die (mediale) Öffentlichkeit gebracht werden.[39] Rechtlich stehen mit der abstrakten Normenkontrolle und dem Organstreitverfahren tragfähige Rechtsbehelfe zur Verfügung, die eine Kontrolle der Parlamentsmehrheit durch die Opposition ermöglichen. Hinsichtlich der Kompetenzüberschreitung im Unionsrecht existiert mit der Subsidiaritätsklage vor dem EuGH ebenfalls ein Rechtsmittel für die Durchsetzung der parlamentarischen Kontrolle.

IV. Die Öffentlichkeitsfunktion[Bearbeiten]

Vor allem im politikwissenschaftlichen Bereich wird darüber hinaus über die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments diskutiert.[40] Repräsentative Demokratie erfordert danach einen kommunikativen Prozess des Parlaments mit der Öffentlichkeit.[41] Dem wird zunächst dadurch Rechnung getragen, dass der Bundestag grundsätzlich öffentlich verhandelt (Art. 42 I GG). Da sich die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen „von unten nach oben“ vollzieht, müssen die Staatsorgane die Bürger umgekehrt mit den für die Meinungsbildung und die Wahlentscheidung notwendigen Informationen versorgen.[42] Die dialogische Struktur der Öffentlichkeitsfunktion entfaltet sich in der Auseinandersetzung im Parlament, im Gespräch zwischen Parlament und Regierung und schließlich auch als „Gedankenaustausch mit der überwiegend medial vermittelten öffentlichen Meinung.“[43]

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Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, § 50 Stellung und Aufgaben des Bundestags.
  • Morlok/Hientzsch, Das Parlament als Zentralorgan der Demokratie, JuS 2011, 1.
  • Schwanengel, Die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns, Jura 2018, 463.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Die Wahl- bzw. Legislaturperiode des Bundestags beträgt vier Jahre. Sie beginnt mit dem erstmaligen Zusammentritt des gewählten Bundestags. Hiermit endet auch die Legislaturperiode des alten Bundestags (Art. 39 I 2 GG).
  • Andere Beendigungsgründe als den Zusammentritt eines neuen Bundestags kennt das Grundgesetz grundsätzlich nicht. Insbesondere bewirkt die Auflösung des Bundestags keine Beendigung der laufenden Legislaturperiode.
  • Der Bundestag ist Gesetzgebungsorgan und beschließt im Rahmen seiner Zuständigkeiten und unter Mitwirkung der anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe die Gesetze.
  • Im Rahmen der Kreationsfunktion wirkt der Bundestag an der Wahl des:der Bundeskanzler:in, des:der Bundespräsident:in sowie an der Bestellung der Richter:innen des BVerfG mit.
  • Der Bundestag übt die parlamentarische Kontrolle über die Regierung aus. Die Kontrollinstrumente sind im GG und der GOBT geregelt.
  • Der Bundestag muss die Bürger mit den für die Meinungsbildung und die Wahlentscheidung notwendigen Informationen versorgen, da die repräsentative Demokratie einen kommunikativen Prozess mit der Öffentlichkeit erfordert.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 39 Rn. 18.
  2. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 39 Rn. 21.
  3. Vgl. Brocker, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 39 Rn. 2.2; Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 39 GG, Rn. 22 und 24, jeweils m.w.N.
  4. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 39 Rn. 25.
  5. BVerfG, Urt. v. 16.2.1983, Az.: 2 BvE 1, 2, 3, 4/83 = BVerfGE 62, 1 (32, 44) - Bundestagsauflösung I.
  6. Brocker, in: BeckOK GG, 48. Edition 15.8.2021, Art. 39 Rn. 3.
  7. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 39 Rn. 49.
  8. Brocker, in: BeckOK GG, 48. Edition 15.8.2021, Art. 39 Rn. 4.
  9. Brocker, in: BeckOK GG, 48. Edition 15.8.2021, Art. 39 Rn. 6.
  10. Kersten, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 76 Rn. 116.
  11. Vgl. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2319 ff.).
  12. Vgl. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2320).
  13. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2320).
  14. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2320).
  15. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2320).
  16. NdsStGH, Urt. v. 5.6.1985, Az.: StGH 3/84 = NJW 1985, 2319 (2320).
  17. Vgl. z.B. Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 38 Rn. 47. Er unterschied die „elective function“, die „expressive function“ („to express the mind of the English people“), die „teaching function“ (die Veränderung der Gesellschaft mit dem Ziel, sie zu verbessern (vgl. Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 15.), die „informing function“ und die „function of legislation“ (vgl. insgesamt Bagehot, The English Constitution, 1964, S. 151 ff. (zuerst im Jahr 1867 erschienen).
  18. Vgl. H. H. Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 17.
  19. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 25.
  20. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 25.
  21. Vgl. Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 24.
  22. Vgl. hierzu Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 28.
  23. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 GG, Rn. 28 m.w.N.
  24. Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 33.
  25. Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, Az.: 2 BvE 11, 15/83 = BVerfGE 67, 100 (130) - Flick-Untersuchungsausschuß; Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 33.
  26. Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, Az.: 2 BvE 11, 15/83= BVerfGE 67, 100 (130) - Flick-Untersuchungsausschuß.
  27. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 29.2.
  28. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 31.
  29. BVerfG, Urt. v. 29.7.1952, Az.: 2 BvE 2/51 = BVerfGE 1, 372 (394) - Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen.
  30. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 31.
  31. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 31.
  32. Vgl. BVerfG, Urt. v. 7.11.2017, Az.: 2 BvE 2/11 = BVerfGE 147, 50 (130) m.w.N. - Parlamentarisches Auskunftsrecht.
  33. Vgl. z.B. BVerfG, Urt. v. 15.12.983, Az.: 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 = BVerfGE 65, 1 (42 ff.) - Volkszählung.
  34. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 31.
  35. Vgl. auch zum Folgenden Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 31.
  36. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 32.2.
  37. Vgl. zu diesem näher Calliess, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 24 Rn. 78 ff.
  38. Vgl. BVerfG, Urt. v. 30.6.2009, Az.: 2 BvE 2/08 u.a. = NJW 2009, 2267 (2294) - Lissabon.
  39. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 33.
  40. Vgl. Butzer, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 38 Rn. 22.
  41. Klein, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 50 Rn. 42 ff.
  42. Vgl. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977, Az.: 2 BvE 1/76 = BVerfGE 44, 125 (147 ff.) - Öffentlichkeitsarbeit.
  43. Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 38 Rn. 56.