Soziologische Klassiker/ Levi-Strauss, Claude

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Claude Lévi- Strauss

  • geboren am 28. November 1908 in Brüssel (Belgien) als Sohn wohlhabender jüdischer Eltern (Vater war Künstler)


  • französischer Ethnologe und Anthropologe
  • Begründer des Strukturalismus


  • 1927-1931 Studium an der Sorbonne und École Normale Supèrieure
  • 1934 Professur für Soziologie an der Universität Sao Paulo
  • 1935-1939 Ethnographische Missionen im Amazonasgebiet
  • 1939-1940 Freiwilliger Militärdienst in Frankreich
  • 1941 Flucht nach New York (aufgrund seines jüdischen Glaubens), wo er an der School for Social Research unterrichtet
  • 1947 Rückkehr nach Frankreich aus Exil
  • 1949 Professur für Anthropologie und Religionswissenschaften am renommierten Collége de France
  • Direktor des Musée de l'Homme in Paris
  • Direktor der Ècole pratique des hautes études
  • 1958-1960 Forschungsprofessur
  • 1964/65/67 Ehrendoktor in Oxford, Yale, Chicago
  • 1967 Goldmedaille des C.N.R.S. (Centre National des Rechèrches en Sciènces)
  • 1973 Erasmus- Preis
  • Aufnahme in die renommierte Académie Francaise
  • 1982 Emeritierung
  • 1996 Geehrt mit Aby-M.-Warburg-Preis
  • 1. November 2009 gestorben in Paris

Historischer Kontext[Bearbeiten]

Claude Lévi- Strauss lebte zur Zeit des Nationalsozialismus. Als er 1939 von ethnologischen Expeditionen in Zentralbrasilien nach Frankreich zurückkehrte, musste er aufgrund seiner jüdischen Abstammung 1941 aus der von den Deutschen besetzten Heimat fliehen. Bis zum Kriegsende ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der New York School for Social Research.


Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Lévi-Strauss wurde in seinem linguistischen Denken wesentlich vom russischen Philologen, Linguist und Semiotiker Roman Jakobson (1896-1962), geprägt, auf den er 1941 in der französischen Exil-Universität in New York traf. Auch Jakobson musste aufgrund seines jüdischen Glaubens aus der Tschechoslowakei fliehen. Er beschäftigte sich besonders mit der Kindersprache und allgemeinen Gesetzen, nach denen unsere Sprache funktioniert. Außerdem war Jakobson Anhänger der strukturalistischen Schule, der sich auch Lévi-Strauss anschloss. Nach strukturalistischer Denkweise werden Gegenstände durch ihre Beziehung zu anderen Elementen des Systems konstituiert, die ohne dieses nicht existieren könnten und in ihren Eigenschaften beschrieben werden sollen.

Auch Linguist Ferdinand de Saussure, der als Begründer der modernen Linguistik und des Strukturalismus gilt, beeinflusste Lévi-Strauss grundlegend. Er beschäftigte sich mit dem Unterschied von Signifikant (die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens) und Signifikat (die Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens). Bezüglich der Sprache unterscheidet er „langue“ (das abstrakte System für Zeichen, Regeln, die die Sprache umfassen) und „parole“ (die realisierte Form der Sprache). Saussure meint, dass das menschliche Denken von der Sprache dirigiert wird.

Die Werke von Lévi-Strauss sind nach seinen eigenen Angaben von der Psychoanalyse Sigmund Freuds geprägt: Scheinbare Unordnung kann man erklären, man muss nur Determinanten finden, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Hinter dem scheinbar Irrationalen liegt ein tieferer Sinn.

Lévi-Strauss sieht seinen Strukturalismus außerdem als Ergänzung zu Karl Marx - der Unterschied liegt in der Zielsetzung, denn während Marx sich hauptsächlich für die ökonomische Basis eines Systems interessierte, wollte Lévi-Strauss eine Theorie der kollektiven Ideen aufstellen.

Bezüglich der Mythentheorie griff Lévi-Strauss Emile Durkheim und dessen Untersuchungen zu Religion auf und ersetzt diese durch den Mythos, von dem er annimmt, dass er in allen Kulturen zu finden sei.

Werke[Bearbeiten]

1948 Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft
1952 Rasse und Geschichte
1955 Traurige Tropen
1958 Strukturale Anthropologie I
1962 Das Ende des Totemismus
1962 Das wilde Denken
1964 Mythologiques, Bd. I, Le cru et le cuit (dt. v. Eva Moldenhauer, Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971)
1966 Mythologiques, Bd. II, Du miel au cendres (dt. v. Eva Moldenhauer, Mythologica II. Vom Honig zur Asche, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972)
1968 Mythologiques, Bd. III (dt. v. Eva Moldenhauer, Vom Ursprung der Tischsitten, 1973)
1971 Mythologiques, Bd. IV, L’homme nu (dt. v. Eva Moldenhauer, Mythologica IV. Der nackte Mensch, 2 Bde., Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975)
1975 Strukturale Anthropologie II
1985 Der Blick aus der Ferne
1987 Die eifersüchtige Töpferin
1993 Sehen, Hören, Lesen
1996 Das Nahe und das Ferne (Autobiografie)

Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Strukturalismus[Bearbeiten]

Lévi-Strauss postuliert, dass es universelle Strukturen des menschlichen Geistes gibt, die sich als zugrunde liegende Strukturen aus unterschiedlichen Erscheinungsformen ableiten lassen- es gibt also strukturelle Gemeinsamkeiten, die sich in jeder Kultur widerspiegeln.


Kern des Strukturalismus:

  • Strukturen prägen die Gesellschaft
  • Der Mensch ist Teil der Natur
  • Strukturen sind nicht von außen aufgedrängt, sondern bestehen und sind aus sich heraus gewachsen – sie müssen nur noch vom Forscher entdeckt werden
  • Die durch Struktur und Wirkungsweise des Gehirns bestimmten Denkgesetze regulieren die menschlichen Ausdrucksformen
  • Verschiedene Formen gesellschaftlichen Lebens sind keine einmaligen geschichtlichen Phänomene sondern unterliegen inwendigen Strukturen
  • Struktur = System, das über alle Transformationen hinweg unverändert bleibt
  • Alle menschlichen Äußerungen sind universell wirksamen Denkgesetzen unterworfen
  • Binäre Opposition (Denken in Gegensatzpaaren, z.B.: oben-unten, heiß-kalt,...)

Diese Art der mentalen Prozesse ist nach Lévi-Strauss in allen Kulturen gleich, nur die Manifestationen würden sich unterscheiden. Den grundlegenden Gegensatz stellt die Opposition von Natur (natürlich) und Kultur (künstlich) dar.

  • Wildes Denken: Das Denken der Angehörigen der vermeintlich "primitiven" schriftlosen Kulturen ist demjenigen der Menschen in modernen Industriegesellschaften in kognitiver Hinsicht keineswegs unterlegen, sondern lediglich weitgehend auf andere Ziele gerichtet


Verwandtschaftssysteme[Bearbeiten]

In seinem Buch „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ (1949) analysierte Lévi-Strauss Verwandtschaftssysteme mit der Allianztheorie, womit er sich klar von der britischen Anthropologie, die die Verwandtschaft mittels der Deszendenz (Abstammung) der Personen untersucht, abgrenzt. Es wird unterschieden zwischen:

  • Heiratsgebote- Gesellschaft gibt vor, aus welcher Gruppe geheiratet werden soll
  • Heiratsverbote- es wird vorgeschrieben, aus welcher Gruppe man nicht heiraten darf --> Inzesttabu (nach westlichen Vorstellungen)


Mythenanalyse[Bearbeiten]

Lévi-Strauss geht davon aus, dass man durch Mythen, aus noch nach unbestimmten Regeln zusammengesetzten Einheiten, zu den grundlegenden Strukturen des menschlichen Denkens vorstoßen könne, da sie ein Produkt der entsprechenden Kultur sind

  • Mythen sind bewusste Ordnungen in denen die Codierungen (globaler) unbewusster Ordnungen enthalten sind

Levi-Strauss argumentiert, dass in jeder Gesellschaft mythisches, wissenschaftliches und philosophisches Denken existieren und entdeckt, dass sich vor allem die Mythen der Süd- und Nordamerikanischen Indigenen, bei denen er nach ihrer "inneren Ordnung" forschte, in ihrer Struktur ähneln. Das mythische Denken beantwortet zuvor unbeantwortete Fragen also mit Analogien- "Typen" von Geschichten, die immer wieder vorkommen.

Um Mythen lesen und interpretieren zu können, greift Lévi-Strauss auf die Sprachwissenschaft zurück.


Strukturalistische Linguistik[Bearbeiten]

Kultur interpretiert Lévi- Strauss als Kommunikations"maschine" zwischen Menschen. Die strukturalistische Linguistik war ihm zufolge revolutionär, weil sie

  • die Untersuchung bewusster (linguistischer) Phänomene auf die Untersuchung ihrer unbewussten Determinanten verlagert
  • Begriffe nicht als unabhängige Einheiten behandelt (Die Beziehungen zwischen den Begriffen bilden die Grundlage der Analyse)

Lévi-Strauss weist auf die Arbitrarität von Zeichen hin: Der sprachliche Ausdruck ist von seiner semantischen Bedeutung unabhängig.

  • Mythen sind als eine Kette von Zeichen zu lesen
  • Nicht die unmittelbare Semantik der einzelnen Zeichen steht im Vordergrund, sondern ihre Verknüpfung zu einer Struktur, über die die wahre Bedeutung erst entschlüsselt werden kann
  • Mythen haben den Charakter eines sprachlichen Systems
  • Differenzierung zwischen parole (aktuelle Äußerung) und langue (Struktur der Sprache)
  • Zeitlose Dauerstruktur
  • Mytheme: Zeichen, die eine Beziehung ausdrücken

Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Heute gilt Claude Lévi-Strauss als wichtigster Kultur- und Sozialanthropologe nach der malinowskischen Ära. Die Wirkung seiner Werke geht weit über die Grenzen der Ethnologie und Kultur- bzw. Sozialanthropologie hinaus. Er beeinflusste insbesondere neuere Ansätze der Geschichtswissenschaft und Philosophie (Poststrukturalismus- Kritik des Strukturalsimus), wie auch der Psychoanalyse. Außerdem ist anzumerken, dass der Ethnologe Claude Lévi-Strauss mit seinem von überkommenen Vorurteilen befreiten Blick auf die sogenannten "Wilden" die moderne Völkerkunde revolutioniert und eine eigenwillige Methode mit Elementen der Strukturanalyse eingeführt hat. Sein Werk "Das Wilde Denken" gab den Begriffen "Rasse", "Kultur" und "Fortschritt" eine neue Bedeutung. Zwei seiner Grundthesen wurden jedoch widerlegt, nämlich

  • dass alles und jedes im menschlichen Denken auf Binarität zurück zu führen ist und
  • dass alle Formen von Verwandtschaftssystemen auf Frauentausch basieren


Zusammen mit Henri Focillon und Jacques Maritain gründete Lévi- Strauss zwischen 1942 und 1946 die École libre des hautes études de New York - eine französische und belgische Exilhochschule.


Literatur[Bearbeiten]

  • Pickel, Gert (2005):
    "Einführung in die soziologischen Strukturen"


Internetquellen[Bearbeiten]