Verwaltungsrecht in der Klausur/ § 9 Einstweiliger Rechtsschutz 2: Der Antrag nach §§ 80, 80a VwGO/ C. Begründetheit

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§ 8 Einstweiliger Rechtsschutz 2: Der Antrag nach §§ 80, 80a VwGO

C. Begründetheit

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46 Ist der Antrag nach §§ 80, 80a VwGO zulässig, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob er auch begründet ist.

I. Die Struktur der Begründetheitsprüfung[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg

47 Der Obersatz der Begründetheit in einem Verfahren nach § 80a VwGO richtet sich nach der jeweils für statthaft befundenen Variante des § 80a VwGO (und ist anlehnend an § 80 V VwGO zu bestimmen; s. § 8 Rn. 51 ff.)[1].

1. Anordnung oder Wiederherstellung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg

48 Die Anträge nach § 80a III 2 i.V.m. § 80 V 1 VwGO und § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO haben die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als Ziel. Diese gerichtlichen Ermessensentscheidungen auf vorläufigen Rechtsschutz gründen auf einer Interessenabwägung. Hierbei sind auf der einen Seite das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung (Aussetzungsinteresse) und auf der anderen Seite das private Interesse des Beigeladenen an der Vollziehung des Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse) in die Abwägung einzustellen. Die Anträge sind begründet, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollziehungsinteresse überwiegt, wobei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache wesentliche Bedeutung zukommt. Hierbei überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse dann, wenn sich der Verwaltungsakt im Rahmen einer summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird.[2] Die Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheids kann regelmäßig nicht auf ein schutzwürdiges privates oder öffentliches Vollzugsinteresse gestützt werden.

49 D.h. bei ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und einer Rechtsverletzung des Antragsstellers hierdurch ist der Antrag regelmäßig begründet.[3] Bei der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann auch schon die Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Begründetheit des Antrages führen (umfassend zur Begründetheitsprüfung des Antrags nach § 80 V VwGO s. § 8 Rn. 59 ff.).

2. Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung und Antrag auf Aufhebung der behördlichen Aussetzung der Vollziehung[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg

50 Die Anträge nach § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 1 VwGO und § 80a III 1 i.V.m. II VwGO mit dem Ziel der Anordnung der sofortigen Vollziehung und nach § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO und § 80a III 2 i.V.m. § 80 V VwGO zur Aufhebung der behördlich angeordneten Aussetzung der Vollziehung sind begründet, wenn das Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts das Aussetzungsinteresse überwiegt. Dies ist anzunehmen, wenn im Rahmen einer summarischen Prüfung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.[4] Zu prüfen ist, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig sein wird. Im Unterschied zu den Fällen des § 80 V 2 VwGO ist hier ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse nicht zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sich in den Drittwirkungsfällen grundsätzlich zwei gleichrangige Rechtsgüter zweier Privater gegenüberstehen.[5]

3. Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO analog im Falle (drohender) faktischer Vollziehung[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg 51 Die Anträge auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO analog sind bei (drohender) faktischen Vollziehung begründet, wenn die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs tatsächlich besteht. Eine Interessenabwägung findet in diesem Fall nicht statt.

4. Sicherungsmaßnahmen und Vollzugsfolgenbeseitigung[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg 52 Der Antrag nach § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 2 VwGO auf Sicherungsmaßnahmen ist dann begründet, wenn es ein solcher nach § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO es ist und der Antragssteller einen gesetzlichen Anspruch auf die Sicherungsmaßnahmen hat. Die Vollzugsbeseitigung setzt konsequenterweise ebenfalls die Begründetheit des § 80a III 1 i.V.m. I Nr. 2 Alt. 1 VwGO Antrages voraus (zum Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch s. näher § 2 Rn. 1387 und § 5 Rn. 169 ff.).

5. Faktischer Vollzug[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg

53 Bei einer faktischen Vollziehung wird vom Gericht im Rahmen der Begründetheitsprüfung keine Interessensabwägung vorgenommen. Vielmehr führt die Missachtung der bestehenden aufschiebenden Wirkung auch direkt zur Begründetheit des Antrages.[6]

6. Literaturhinweise[Bearbeiten]

Stefanie Weinberg

Budroweit/Wuttke: Der vorläufige Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (§§ 80, 80a VwGO), JuS 2006, 876; Kaplonek/Mittag, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, JA 2006, 664; Seibel, Verwaltungsakte mit Drittwirkung, BauR 2006, 1845; Kiehne, Fehlt ein § 123a VwGO oder ein echtes besonderes Vollzugsinteresse als Voraussetzung des § 80a II, III 1 VwGO?, NVwZ 2017, 1670

II. Der Antrag nach §§ 80, 80a VwGO im Baurecht[Bearbeiten]

Felix Steengrafe

54 Das öffentliche Baurecht kann im einstweiligen Rechtsschutz insbesondere in der Form des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Drittwiderspruches oder einer Drittanfechtungsklage auftreten. Gemäß § 80 II Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 212a BauGB entfalten ein Drittwiderspruch und eine Drittanfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. Aus diesem Grund ist der Eilrechtsschutz für den Dritten die einzige Möglichkeit zur Verhinderung des Vollzugs der Genehmigung.


Fußnoten

  1. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80a Rn. 23.
  2. OVG Münster, Beschl. v. 5.10.2018, Az.:11 B 1129/18, juris Rn. 11 = NVwZ 2018, 1818.
  3. VGH Mannheim, Beschl. v. 22.10.1991, Az.: 5 S 2348/91 = NVwZ 1992, 277.
  4. OVG Münster, Beschl. v. 31.3.2009, Az.: 13 B 278/09 = juris Rn. 7 und Leitsatz.
  5. BVerfG, Beschl. v. 1.10.2008, Az.: 1 BvR 2466/08 = juris Rn. 21 = NVwZ 2009, 240 (242).
  6. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 1018.