Grüne Neune

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Grüne Neune (offiziell Thalia, Concordia-Theater, Wallner's Theater) war im Volksmund der Name für ein Theater in Berlin von 1801 bis 1864.

Lage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lageplan der „Grünen Neun“ (neben dem Concordia-Theater) 1852
Stadtplan 1882, mit einzelnen Grundstücken

Das Theater befand sich in der Blumenstraße 9(b) (bis 1816 Lehmgasse 9) in der Stralauer Vorstadt östlich des historischen Alt-Berlin.[1][2] Heute befindet sich dort das Neubaugebiet an der Singerstraße.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thalia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um 1801 kaufte der Schneidermeister Carl August Werner das Grundstück in der Lehmgasse 9 für eine Privat-Theatergesellschaft, die seit 1790 bestand und deren Direktor er war.[3][4] Er ließ auf dem hinteren Teil des Grundstücks ein kleines Theater erbauen, die Gesellschaft nannte sich nun Familien-Ressource. 1820 kam es zu einer Abspaltung, danach war der Name Privat-Theater-Gesellschaft "Thalia".[5] Es wurden im Sommer sonntags alle ein oder zwei Wochen ein Theaterstück aufgeführt, an dem die Mitglieder der Gesellschaft mitwirkten.[6][7] Der Zutritt war formal nur durch Kontakt zu einem Mitglied möglich, da es keine offizielle Theaterkonzession gab, de facto konnte jeder es besuchen. 1842 zog das Thalia-Liebhabertheater auf den Wollankschen Weinberg[8] und 1844 in die Alexanderstraße 26, wo es bis 1860 existierte.

Concordia-Theater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ab 1802 hatte die 1800 gegründete Ressource zur Harmonie ihren Sitz ebenfalls im Haus Lehmgasse 9.[9] Nach Auflösung der Harmonie im Jahr 1807 wurde die Ressource Concordia gegründet und das Gebäude von deren Theatergesellschaft genutzt . Es gab weiter Theatervorstellungen etwa alle 14 Tage.

„Man tritt durch ein Gitterthor in eine schmale Gartenallee, die zu beiden Seiten mit prächtigem Kartoffelkraut, Sonnenblumen, Stachelbeerstauden und Brennnesseln eingefasst und in einer Entfernung von 30 Schritten von einer Art höchst geschmackvoll übertünchter Gartenlaube malerisch begrenzt wird. […] Aus dieser Gartenlaube gelangt man in den Garten der das Theatergebäude umgibt, das […] nichts von seiner hohen Bestimmung ahnen lässt. […] Man gibt auf diesem Theater Lustspiele, Possen, Schau- und Trauerspiele; am meisten Anklang finden jedoch bürgerliche Dramen, Ifflandsche Familiengemälde und Kotzbuesche Possen.[10]

1825 zog die Ressource Concordia in einen Neubau in der Alexanderstraße 26.

Wallner's Theater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem das Grundstück Nr. 9 im Jahr 1846 in die Grundstücke 9, 9a und 9b geteilt worden war, hatte das Theatergrundstück die Nr. 9b. Der Eigentümer August Wilhelm Grieben stellte 1854 Grundstück und Gebäude zur Verfügung und übernahm die Kosten des Umbaus des alten Theaters.[11] 1855 eröffnete Rudolf Cerf dort sein Königsstädtisches Vaudeville-Theater und verpachtete es an Provinztruppen. Noch im selben Jahr erwarb der Theaterdirektor Franz Wallner eine Lizenz und betrieb das Königstädtische Theater.[12][13] In dieser Zeit wurde es meist als Grüne Neune bezeichnet, wegen der grünen Farbe des Gebäudes und der Hausnummer.[14][15][16] Ein Beleg dafür ist im Prolog anlässlich der Übernahme durch Wallner zu sehen:

„Und zogest, einst so groß, du jetzt so winzig Kleine, Zur Blumenstraße hin, zur hoffnungs g r ü n e n Neune.“

Wallner ließ 1856 nach Plänen des Theaterbaumeister Eduard Titz ein neues größeres Gebäude auf dem benachbarten Grundstück Nr. 11, im Blumengarten des Gärtners Bouché, als Sommertheater errichten.[17] Er machte dieses Neue Königsstädtische Sommer-Theater bald sehr populär mit Lustspielen, Singspielen und besonders Berliner Possen von David Kalisch.[18] 1858 wurde das Königstädtische Theater nach Plänen von Titz zu einem komfortablen kleinen Theater umgestaltet und erhielt die offizielle Bezeichnung Wallner's Theater.[19][20]

1864 wurden sowohl das Sommertheater als auch das Wintertheater geschlossen und Wallner erbaute ein neues Theater in der Nähe und zog mit seinem Ensemble dorthin um. Der Abschiedsepilog im alten Theater lautete:

„Des Hauses letzte Stunde Sie läuft nun endlich ab, Es steigt die grüne Neune Für immer in das Grab.“

Weitere Nutzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Theatergrundstück 9b wurde zusammen mit den Grundstücken 10 und 11 von Hoffmann und Schmidt erworben, das Sommertheater abgerissen und das alte Theater zunächst für kleinere Vorstellungen genutzt, zum Beispiel durch Hugo Wauer.[21] Schmidt baute um 1866 an den vorhandenen Raum einen noch einmal so großen an und verwandelte das alte Wallner-Theater in das Ball-Lokal Alhambra mit Eingang in der Wallner-Theater-Straße 15 (Die Nr. 9b existierte nicht mehr und die Nr. 11 gehörte zur Wallner-Theater-Straße 15). Auf dem Grundstück bestanden in dieser Zeit möglicherweise zwei verschiedene Theatergebäude nebeneinander.[22]

In der Folge wechselten Namen und Direktionen der ehemaligen Grünen Neune häufig: 1872 wieder Königstädtisches Theater, 1875 Bundeshallentheater unter Direktor Schmiedel, 1878 wieder Königstädtisches Theater, geleitet von den Gebrüdern Adolph und Louis Kalbo, 1879 Heinsdorff-Theater unter Louis Heinsdorff,[23] 1881 Alhambra-Theater und 1887 Berliner Stadttheater unter Paul Strewe,[24] 1889 American-Theater unter August Reiff,[25] 1896 wieder Alhambra-Theater unter Paul Strewe um dann von 1897 bis 1914 als Ballhaus Alhambra zu existieren.

Im Zweiten Weltkrieg wurden alle Gebäude zerstört.

Trivia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ausruf „Ach du grüne Neune“ wird gelegentlich mit dem Theater in Verbindung gebracht. Dafür gibt es aber keine Belege. Die Herkunft der Redewendung ist unklar.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Regina Mangold: Zweimal "Grüne Neune". Berliner Liebhabertheater der Biedermeierzeit aus Akten abgelesen. Berlin 1956, Privatdruck (in der ehemaligen Senatsbibliothek Berlin) , sehr detaillierte historische Angaben
  • Curt Meyer: Hundert Jahre „Aktienbudiker“. Ein Beitrag zur Berliner Theatergeschichte. Was wurde aus der „Grünen Neune“?. In Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 7, 1956, S. 49–57 (PDF zum Download)
  • Curt Meyer: Das Theater Franz Wallners. In Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 5/1954, S. 54–66 (Digitalisat)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. zur Lage vergleiche Histomapberlin.de unter Straubeplan IIA von 1910 oder Karte 4231 von 1940, auch Karte 423D von 1966, Suchstichwort: Ifflandstraße >> 4 (10179) / X=26140, Y=21105
  2. Lage der Theater in der Blumenstraße
  3. Uta Motschmann: Die private Öffentlichkeit – Privattheater in Berlin um 1800. In: Klaus Gerlach (Hrsg.): Der gesellschaftliche Wandel um 1800 und das Berliner Nationaltheater. (= Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800, 15). Wehrhahn, Hannover 2009. S. 61–84, hier S. 61f. Anm. 2, (vgl. auch S. 79) PDF (oben)
  4. Ruth Mangold: Zweimal "Grüne Neune", Manuskript, Berlin 1956, sehr ausführlich, zitiert aus Akten von 1822: die Witwe Werner erklärte Bereits sind es 21 Jahre, dass wir uns als ruhige und gesittete Bürger in diesem Familienzirkel versammelt haben. Sie verwies darauf, dass ihr vor drei Jahren verstorbener Mann das Vermögen zum Grundstückskauf für ein Privattheater eingesetzt hatte und ihre Einkünfte aus einem kleinen Beitrag bestanden. (Um die Wintermonate im Kaffeegarten zu überbrücken. Eine Kabinettsordre vom 4. August 1822 hatte die Schließung aller Privattheater angeordnet und so baten diese in Bittschriften an den König um das Fortbestehen.) Aus den Akten der Baupolizei folgt ein Theaterbau auf Grundstück 9/10 für das Jahr 1815, (nach Acta betr. die Privattheater Urania und Concordia 1822-1845, Reihe 89, Band III, 91.11)
  5. 1819 war der Direktor Carl August Werner gestorben. Die Witwe verkaufte 1824 das Theatergrundstück an einen Schönfärber und dieser 1825 an den Schuhmacher Schultze, einen eifrigen Dilettanten [= Laienschauspieler als neutrale Bezeichnung ]. Dieser ließ einen bewohnten alten Seitenflügel und die Kegelbahn abbrechen zur besseren Benutzung des darin vorhandenen Liebhabertheaters. Dessen Witwe, neu verheiratete Grieben (geb. Kuhirt) war 1830 Grundstückseigentümerin, ihr Mann verkaufte in ihrem Namen 98 Fuß der 132 Fuß der Straßenfront an den Maurermeister Böhme, der die zwei Vorderhäuser 9 und 9a bebaute. Wegen unbeglichener Rechnung baute er ein Theater und vermietete es an die Concordia. (Das Grundstück selbst wurde bald versteigert und mit Hypotheken belegt.) Angaben nach Ruth Mangold, 1956, vgl. auch Berliner Adressbücher, zur Blumenstraße 9
  6. Alexander Cosmas: Neuester und vollständigster Wegweiser durch Berlin, Berlin 1842, S. 117, als Theater der Thalia-Gesellschaft
  7. Johann Daniel Ferdinand Neigebaur: Handbuch für Reisende in Deutschland, Leipzig 1843, S. 533, Thalia in der Blumenstraße 9
  8. Theater: Thalia, Liebhaber, Wollanksche Weinberg. In: Berliner Adreßbuch, 1843, 2, S. 534.
  9. Uta Motschmann: Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften 1786–1815. S. 551. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Ludwig Lenz: Berlin und die Berliner, Genrebilder mit original Federzeichnungen von Theodor Hosemann, Berlin 1844
  11. Erika Wischer: Das Wallner-Theater in Berlin unter der Direktion von Franz Wallner, 1855-1868: das Berliner Lokalpossen-Theater des Nachmärz. Berlin 1967, S. 19.
  12. Franz Wallner: Aus meinen Erinnerungen. Verlag Albert Goldschmidt, Berlin o. J. In: Bunte Reihe. Band II, S. 11–12, Ich hatte im August 1855 ein winziges, unbeachtetes Theaterchen in der Blumenstraße gepachtet, welches früher als Liebhabertheater unter dem Namen Grüne Neune vegetirte, bis der Eigenthümer die brachliegende Theaterkonzession von Cerf miethete.
  13. Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Öffentliches Leben vom 1. Juli 1865, No. 27, S. 779, von Robert Prutz, über die Anfänge Wallners dort 1855 eine wahre Mausefalle […] in einer der entlegensten obscursten Gegenden der Stadt
  14. „Hugo Wauer führt ihn darauf zurück, dass das Theater in einem großen Garten stand und noch dazu grün angestrichen war. Andere sprechen von einer grünen Laterne, mit der das Theater „verilluminiert“ wurde.“, Carl Helmerding: Aus meinem Bühnenleben (Erinnerungen II). In: Der Zeitgeist, Beiblatt zum Berliner Tageblatt, Jahrgang 187, Nr. 36, 5. September 1887.
  15. Ludwig Lenz: Berlin und die Berliner, Genrebilder mit original Federzeichnungen von Theodor Hosemann, Berlin 1844, erklären ihn einleuchtend mit dem grüngestrichenen Torweg, an dem die Zahl 9 im schönsten Saftgrün prangte.
  16. Zum Abschied wurde 1864 das Theaterstück „Die letzte Stunde der Grünen Neune“ von David Kalisch aufgeführt, vgl. Max Ring: Der Vater des Kladderadatsch und der Berliner Posse, in Die Gartenlaube , 1872 Online
  17. Theater und Krawalle in der Blumenstraße Friedrichshainer Zeitzeiger, mit Zeichnung des Gebäudes von 1856, der Text des Artikels ist teilweise fehlerhaft
  18. Der Zwischen-Akt vom 18./19. Februar 1861, S. 3, über das Wallner-Theater
  19. Blumenstraße 9b. In: Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Adreß- und Geschäftshandbuch für Berlin, 1860, II., S. 14. „Wallners Theater, Eigentümer Director Wallner“ (vgl. S. 527: F. Wallner Director und Eigenthümer von Wallners Theater, Wohnung Blumenstraße 23).
  20. Für 48.000 Taler wurde das Grundstück nebst Theater am 23. September 1859 an acht Concordia-Mitglieder „auf Abzahlung“ verkauft. 1861 wurden Antheilsscheine von 50 Thalern einer "Grundstücksgesellschaft des Grundstücks Blumenstraße 9" ausgegeben. Angaben nach Ruth Mangold, 1956
  21. Hugo Wauer: Humoristische Rückblicke auf Berlins ‚gute alte‘ Zeit von 1834-1870. Miterlebtes von Hugo Wauer, Selbstverlag, 6. Auflage, Berlin 1910, Seite 107
  22. Curt Meyer: Hundert Jahre „Aktienbudiker“. Ein Beitrag zur Berliner Theatergeschichte. Was wurde aus der „Grünen Neune“?. In Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 7, 1956, S. 53f. (PDF), nimmt an, das es zwei Theatergebäude nebeneinander gab, die Begründung dafür ist teilweise schwer nachvollziehbar
  23. Nic Leonhardt: Piktoral-Dramaturgie: Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899). S. 125, Anm. 37. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  24. Th. Entsch (Hrsg.): Deutscher Bühnen-Almanach. Berlin 1888, S. 94–95. (Volltext in der Google-Buchsuche).
  25. Gerhard Wahnrau: Berlin, Stadt der Theater: Der Chronik, Band 1. Berlin 1957, S. 460.