Heiliger Hain

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Heiliger Hain (Gemälde von Arnold Böcklin, 1882)
Platonische Akademie in Athen (2008)

Ein heiliger Hain (von althochdeutsch hagan „Dorngesträuch“: eingefriedeter Platz)[1] ist eine alte Bezeichnung für einen geheiligten kleinen Wald (Hain). In der Antike sind heilige Wäldchen in Griechenland und im Römischen Reich belegt, darüber hinaus auch im so genannten Barbaricum (in Nord-, Mittel- und Südosteuropa). Sie dienten dem Gebet und dem Opfer. In vielen ethnischen Religionen pflegen Dorfgemeinschaften in der Nähe ihres Dorfes einen heiligen Wald, teils auch in Zusammenhang mit Grabstätten und Ahnenverehrung oder anderen Ritualen (vergleiche Bestattungswald).

Antike[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Griechenland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Griechenland waren heilige Haine (αλσος) bestimmten Göttern, aber auch Nymphen[2] geweiht. In Dodona in Epirus weissagte Zeus aus einer heiligen Eiche.[3] Die ältesten Belege für heilige Haine stammen aus Homers Ilias und Odyssee. Hier werden Haine beschrieben, die Athena, Poseidon, Apollon, Aphrodite und Zeus geweiht sind. Der Hain kann aus Pappeln bestehen[4] und enthält gewöhnlich eine Wasserquelle.[5] Sie scheinen nicht umzäunt gewesen zu sein. Nach Wickham symbolisierte die Quelle die Erdmutter Gaia und der umgebende Wald den Himmelsgott Uranos.[6] Die seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. nachgewiesenen Lehr-Gärten der Philosophen am Stadtrand von Athen, deren bekanntester Platons Akademie war, scheinen diese heiligen Haine nachgeahmt zu haben; auch sie enthielten meist eine Quelle.[7] Heilige Haine konnten zu Bestattungen genutzt werden, zum Beispiel nach der Schlacht bei Marathon.

Heilige Haine der Aphrodite sind auf Zypern archäologisch seit der späten Bronzezeit nachgewiesen, so in Kition.[8] Am Athener Hephaistos-Tempel wurden Pflanzlöcher für Bäume archäologisch nachgewiesen.[9]

Römisches Reich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf römischen Münzen wurde der Tempel einer Stadtgöttin manchmal zwischen zwei Bäumen abgebildet, was einen heiligen Hain (lucus oder nemus)[10] andeuten könnte.[11] Diese Haine werden als schattig beschrieben (lucus a non lucendo). Aus Aricia ist ein rex Nemorensis als Priester der Diana bekannt.[12]

Hadrian und Marcus Tullius Cicero ahmten die griechischen gymnasia in Hainen nach.[13] Nach Ansicht von Maureen Carroll stand der Tempel der Venus in der Via Marina in Pompeji in einem heiligen Hain, archäologische Belege fehlen jedoch.[14]

Kelten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Moderne Spekulation zum Aussehen eines Heiligen Hains der Muttergöttin Noreia in Frög in Österreich (Foto: 2015)

Kelten und Briten bezeichneten heilige Haine als nemeton, was allgemein einen heiliger Ort bedeutet.[15][16] Sie sind durch Inschriften und Ortsnamen überliefert.[17] Letztere finden sich in Frankreich, Spanien (Drunemeton), Schottland (Duneaves, Perthshire) und in der Türkei (Galatien[16]). Nach Richard Dunn kann sich in England die Nutzung solcher Stätten in einigen Fällen bis in die römische Zeit erstreckt haben.[18] In der Bretagne umgab ein Wald namens Nemeton die Benediktinerabtei bei Locronan.[16]

Germanen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tacitus erwähnt in seinem Werk Germania einen heiligen Hain der Göttin Nerthus auf einer Insel in der Ostsee, in dem Menschenopfer stattfanden.[19] Auch in den Kapiteln 9 und 39 beschreibt er die Einrichtung heiliger Lichtungen und Haine, in dem von den Abgesandten mehrerer Stämme Tier- und Menschenopfer dargebracht werden. Der Hain dürfe dabei nur in Fesseln betreten werden, um als Untertan die Macht der Gottheit zu bekunden.[20]

Die Germanen schmückten die Haine unter anderem mit Kriegsbeute. Der germanische Marserfürst Mallovendus zeigte im Jahr 16 dem römischen Feldherrn Germanicus den Legionsadler der Legio XVII, den die Germanen während der Varusschlacht erobert hatten, in einem benachbarten Hain.[21] Der Legionsadler der Legio XVIII, der in der gleichen Schlacht verloren gegangen worden war, wurde 41 in einem Hain der Chauken von Aulus Gabinius Secundus gefunden.[22] Des Weiteren berichtet Tacitus von Hainen, die der Göttin Tamfana und dem Gott Donar geweiht waren.

Weltweit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heilige Wäldchen sind aus vielen Gegenden der Welt bekannt. In der Geschichte Armeniens sind heilige Haine belegt.[23]

In Afrika bilden heilige Haine häufig Inseln von unberührtem Wald inmitten einer ansonsten kultivierten oder degradierten Landschaft.[24] in Nigeria gibt es den heiligen Hain der Göttin Osun (eine Schutzgottheit). In der westafrikanischen Region Senegambia wird von der Volksgruppe der Mandinka der Initiationsritus Kankurang in heiligen Wäldern praktiziert, die anhaltend durch Umwandlung in Kulturland verloren gehen.[25]

In Nordostindien pflegen mehr als 100 Dorfgemeinschaften des indigenen, autonomen Volks der Khasi heilige Wäldchen für Dorfgottheiten und teils als Begräbnisstätten, die auch von staatlicher Seite als Naturwaldreservate anerkannt sind.[26] Im indischen Bundesstaat Maharashtra wurde die fortbestehende Wichtigkeit von heiligen Wäldern untersucht.[27] Im südindischen Bundesstaat Kerala werden an Dorfschreinen, die von heiligen Hainen (Malayalam kavu) umgeben sind, eine Reihe von hinduistischen Tempelritualen durchgeführt, darunter Teyyam und Nagamandala. Ein eigenes Genre bildet die Kavu-Ritualmusik, deren Gesänge unter anderem von den Saiteninstrumenten Pulluvan vina und Nanduni begleitet werden.

In völkischen und neu-heidnischen Kreisen im Deutschland der 1920er-Jahre wurden „Heilige Haine“ als Begräbnisstätten eingerichtet.[28]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(chronologisch geordnet)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Heilige Haine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Worteintrag: Hain. In: Duden online. Abgerufen am 4. März 2022; Zitat: „Herkunft: mittelhochdeutsch (mitteldeutsch) hain < mittelhochdeutsch hagen, althochdeutsch hagan = Dorngesträuch = eingefriedeter Platz, zu Hag“.
  2. Sappho, Patrick Bowe: The sacred groves of ancient Greece. In: Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes. An International Quaterly 29, 2009, 235.
  3. Homer: Odyssee 19, 296–299.
  4. Homer, Ilias 23, 138.
  5. Patrick Bowe: The sacred groves of ancient Greece. In: Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes. An International Quaterly. Band 29, 2009, S. 235–245 (englisch).
  6. Louise Wickham: Gardens in history, a political perspective. Oxford, Windgather Press, 2012, 16–17.
  7. Louise Wickham: Gardens in history, a political perspective. Oxford, Windgather Press, 2012, 17.
  8. Maureen Cartoll-Spillecke: The Gardens of Greece from Homeric to Roman Times. In: Journal of Garden History 12, 1992, 85.
  9. Patrick Bowe: Civic and other public planting in ancient Greece. In: Studies in the History of Gardens & designed Landscapes. An International Quarterly 31, 2011.
  10. R. Flasche: Wald und Baum in den Religionen. In: Forstwirtschaftliches Centralblatt. Band 113, 1994, S. 5.
  11. Maureen Carroll: Exploring the sanctuary of Venus and its sacred grove: politics, cult and identity in Roman Pompeii. In: Papers of the British School at Rome. Band 78, 2010, S. 63 (englisch).
  12. Strabon: Geographika 5, 3, 12; Pausanias 2, 27, 24; Maurus Servius Honoratus: Kommentar zu Vergils Aeneis 6, 136.
  13. Louise Wickham: Gardens in history, a political perspective. Oxford, Windgather Press, 2012, 17.
  14. Maureen Carroll: Exploring the sanctuary of Venus and its sacred grove: politics, cult and identity in Roman Pompeii. In: Papers of the British School at Rome 78, 2010, 64.
  15. Richard Dunn: Four possible “nemeton” place-names in the Bristol and Bath area. In: Landscape History Band 27, Nr. 1, S. 17–30, hier S. 17 (englisch; doi:10.1080/01433768.2005.10594569; unter Berufung auf Rivet & Smith 1979: The Place-Names of Roman Britain).
  16. a b c James MacKillop: A dictionary of Celtic mythology. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 978-0-19-172655-2, S. ?? (englisch).
  17. R. Flasche; Wald und Baum in den Religionen. In: Forstwirtschaftliches Centralblatt Band 113, 1994, S. 5.
  18. Richard Dunn: Four possible “nemeton” place-names in the Bristol and Bath area. In: Landscape History. Band 27, Nr. 1, S. 17–30, hier S. 29 (englisch; doi:10.1080/01433768.2005.10594569).
  19. Tacitus, Germania 40.
  20. Tacitus, Germania 39.
  21. Tacitus, Annales 2,25 (online, mit deutscher Übersetzung).
  22. Cassius Dio, Römische Geschichte 60,8,7 (englische Übersetzung online).
  23. Arthur Hambartsumian: The sacred Aryan Forest in the Avestan and Pahlavi Texts. In: Iran and the Caucasus. Nr. 13, 2009, S. 125 (englisch).
  24. Michael J. Sheridan: The Environmental and Social History of African Sacred Groves: A Tanzanian Case Study. In: African Studies Review. Nr. 52, 2009, S. 73–98 (JSTOR:27667423).
  25. UNESCO: Kankurang, Manding initiatory rite (Gambia and Senegal). In: UNESCO.org. November 2008, abgerufen am 4. März 2022 (englisch).
  26. Staatliche Gesamtliste mit 105 heiligen Wäldern der Khasi (2018): Sacred Groves in Meghalaya. Envis Centre, Ministry of Environment & Forest, Government of India 2018, abgerufen am 28. Februar 2019 (englisch; mit Literatur von 1999 und 2006).
    Literatur (2010): Rekha M. Shangpliang: Forest in the Life of the Khasis. Soziologische Doktorarbeit Universität Shillong. Concept Publishing, Neu-Delhi 2010, ISBN 978-81-8069-667-1 (Leseprobe in der Google-Buchsuche ).
  27. Chandrakant K. Waghchaure, Pundarikakshudu Tetali u. a.: Sacred Groves of Parinche Valley of Pune District of Maharashtra, India and their Importance. In: Anthropology & Medicine. Band 13, Nr. 1, 2006, S. 55–76 (englisch).
  28. Wolfgang Ribbe: Flaggenstreit und Heiliger Hain. Bemerkungen zur nationalen Symbolik in der Weimarer Republik. In: Dietrich Kurze (Hrsg.): Aus Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Festschrift für Hans Herzfeld. Berlin/New York 1972, S. 175–188.