Eigentumsgarantie des Grundgesetzes/ 10. Das Wohl der Allgemeinheit als Voraussetzung für eine Enteignung.
Nach Art. 14 Abs. 3 muss die Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich sein. Es reicht nicht aus, wie in Art. 14 Abs. 2 GG, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. Eine Enteignung aus Staats-Zweckmäßigkeitsgründen ist ausgeschlossen (56, 249, 276). Dabei ist auch zwischen dem Wohl der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG und den Interessen der Allgemeinheit nach Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG zu unterscheiden (a.a.O., S. 273). In der klassischen Enteignung besteht eine unmittelbare Beziehung zwischen der staatlichen Aufgabe, dem zu ihrer Erfüllung erforderlichen "Unternehmen" und dem zu seiner Verwirklichung erforderlichen Einsatz staatlichen Zwanges (a.a.O., S. 279). Die Enteignung ist also kein Instrument, die zwischen Rechtssubjekten auftretenden Probleme zu lösen. Sie dient nicht der Vermögensverschiebung zwischen Privaten. Die Enteignungsermächtigung ist dem Staat nicht eingeräumt, wirtschaftliche Interessen des einen gegen den anderen durchzusetzen (a.a.O., S. 290). Die Enteignung ist so lange unzulässig, als dem Wohl der Allgemeinheit auch ohne Enteignung Rechnung getragen werden kann. Es dürfen daher auch nur solche Grundstücke in die Enteignung einbezogen werden, die für den öffentlichen Zweck benötigt werden (24, 367, 405). Das Bundesverfassungsgericht ist an die Wertung durch den Gesetzgeber, was das Wohl der Allgemeinheit erfordert, nicht gebunden. Sonst würde letztlich der einfache Gesetzgeber den Inhalt des Grundrechts im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 bestimmen. Das Mittel der vollständigen Eigentumsentziehung ist nur bei einem Unternehmen gerechtfertigt, das auf Dauer ausgerichtet ist (24, 367, 406 f.).
Die Enteignung ist ihrer Funktion nach ein Hilfsmittel zur Bewältigung vom Gemeinwohl geforderter Aufgaben. Allein dem parlamentarischen Gesetzgeber ist es nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes vorbehalten, die eine Enteignung bewirkenden Gemeinwohlaufgaben zu bestimmen und die erforderlichen Rechtsvorschriften zu erlassen. Weder die staatliche noch die kommunale Verwaltung können an Stelle des Gesetzgebers die eine Enteignung rechtfertigenden Gemeinwohlaufgaben bestimmen. Planungsbefugnis und Selbstverwaltungsrecht geben der Gemeinde kein Recht, Enteignungszwecke zu erfinden. Das Enteignungsgesetz bildet nicht nur die Grundlage für konkrete Eingriffe, sondern beschränkt zugleich die Enteignungsbefugnis auf die in der jeweiligen Regelung vom Gesetzgeber bestimmten Vorhaben und Zwecke. Die Verwaltung darf nur dasjenige Enteignungsgesetz anwenden, das der für den vorgesehenen Enteignungszweck zuständige Gesetzgeber erlassen hat. Die Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes bestimmen damit nicht nur die Gesetzgebungszuständigkeit, sondern legen auch den Umfang der gesetzlichen Regelungsbefugnis fest und beschränken damit zugleich den Tätigkeitsbereich der das Gesetz anwendenden Behörde (56, 249, 261 f.). Da die gesetzliche Festlegung der Enteignungszwecke eine verfassungsrechtliche Enteignungsvoraussetzung konkretisiert, verletzt eine von der Verwaltung durchgeführte Enteignung für einen in dem angewendeten Gesetz nicht zugelassenen Enteignungszweck nicht nur den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Enteignung, sondern auch zugleich das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG (a.a.O., S. 262 f.). Bei Gesetzen, bei denen eine Planfeststellung Rechtsgrundlage für die Enteignung nach dem Landesenteignungsgesetz bildet, ist das für die Planfeststellung maßgebliche Gesetz und das Enteignungsgesetz eine materiell-rechtliche Einheit (a.a.O., S. 263). Erst ist zu prüfen, ob der Enteignungszweck dem Art. 14 Abs. 3 GG entspricht, dann erst, ob das richtige Gesetz angewendet ist. Bei der Prüfung des Gemeinwohls im Enteignungsgesetz wenden die Gerichte und Behörden Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbar an (a.a.O., S. 267). Jeder Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich steht unter dem rechtsstaatlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit des Mittels. Dies gilt auch für die Enteignung. Auf das Eigentum darf nur zugegriffen werden, wenn das Vorhaben dem Wohle der Allgemeinheit dient. Außerdem muss gerade das Mittel der Enteignung erforderlich sein, um das dem Wohl der Allgemeinheit dienende Vorhaben durchführen zu können (24, 367, 404). Die Enteignung ist keine Einrichtung, jemanden zu begünstigen, weder den Staat noch eine Gemeinde noch einen Privaten (53, 337, 271). Die Enteignung ist nicht lediglich ein Güterbeschaffungsvorgang. Die Enteignung kann nur eingesetzt werden, wenn eine legitime staatliche Aufgabe mit den üblicherweise von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln nicht verwirklicht werden kann. Die Enteignung soll dazu dienen, dass das enteignete Objekt für die Staatsaufgabe zur Verfügung steht. Wird die Aufgabe nicht erfüllt, so ist der enteignete Gegenstand wieder herauszugeben (a.a.O., S. 272). Die Tatsache, dass ein Vorhaben einer ordnungsgemäßen staatlichen Planung entspringt, besagt nichts darüber, ob es das Wohl der Allgemeinheit erfordert. Daher darf die Gemeinde zwar alles planen, aber nicht alles, was geplant ist, dient dem Wohl der Allgemeinheit und darf schon deshalb zwangsweise durchgesetzt werden.