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Grundlagen des rationalen Denkens/ Einleitung

Aus Wikibooks

Einleitung

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Was ist rationales Denken?

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Der Mensch hat die Fähigkeit bewusste Entscheidungen zu treffen, d.h. sich eine Vorstellung von den Auswirkungen verschiedener Handlungen zu machen und danach aus verschiedenen Handlungsoptionen eine gewünschte Handlung auszuwählen und durchzuführen. Diese Fähigkeit hat zwei wichtige Voraussetzungen: 1. Man muss eine Vorstellung von der Welt haben und 2. man muss eine Wertung von Zielzuständen vornehmen können, d.h. Ziele haben. Rationales Denken beschreibt Methoden um sicherzustellen, dass 1. Die Vorstellung, die wir uns von der Welt machen, den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht und 2. die Veränderungen, die wir mit unseren Handlungen vornehmen, unseren Zielen entsprechen. Diese beiden Aspekte werden auch epistemologische und instrumentale Rationalität genannt.

Die Fähigkeit zum rationalen Denken, d.h. das Anwenden der Methoden zur Sicherstellung der Korrektheit unseres Denkens, sind dem Menschen nicht angeboren. Wir müssen diese Methoden erst erlernen und bewusst anwenden, bevor sie zur Gewohnheit werden. Bis dahin wird unser Denken in der Regel mit zahlreichen Mängeln behaftet sein, die dazu führen, dass wir uns falsche Vorstellungen von der Welt machen und unsere Ziele nicht erreichen. Dieses Buch soll dabei helfen, diese Schwächen weitest möglich auszugleichen. Rationales Denken ist dabei keine Frage des Wissens, sondern des Tuns. Nur ständiges Üben führt zu korrektem Wissen über die Welt, korrektem Schlussfolgern über Ziele und ihre Erreichung und dadurch zu mehr Lebensqualität.

Das Gegenteil zu rationalem Denken ist irrationales Denken. Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man erkennen, dass der Mensch das Produkt eines ungerichteten evolutionären Prozesses ist, d.h. dass rationales Denken nicht die Zielsetzung der Entwicklung des Menschen war, sondern nur eine Möglichkeit, die sich uns zufällig eröffnet hat. Diese Fähigkeit musste sich in diesem Prozess aber anderen Zielen unterordnen und so haben sich in unserem Gehirn Strukturen herausgebildet, die "Abkürzungen" des Denkprozesses darstellen. Diese Abkürzungen sind einfacher als echtes rationales Denken und bilden sich daher durch zufällige Mutationen wahrscheinlicher als komplexere Strukturen, außerdem funktionieren diese Abkürzungen schneller als das wesentlich aufwändigere rationale Denken und bieten daher oftmals sogar einen selektiven Vorteil. Man spricht bei solchen Abkürzungen von "Heuristiken". Das sind Schlüsse, die in der Mehrheit der Fälle korrekt sind, und darum eine gute erste Abschätzung liefern, die aber in Fällen, auf die sie nicht optimiert sind, völlig falsche Ergebnisse liefern können. Das ist insofern problematisch, da diese Heuristiken eben oftmals tatsächlich korrekt sind und darum einer oberflächlichen Prüfung Stand halten. Da unser Gehirn durch Wiederholung lernt, bleiben die korrekten Schlüsse in unserem Gedächtnis haften und überlagern die Fälle, in denen wir falsch lagen. Bei nur oberflächlicher Reflexion wird irrationales Denken darum leicht übersehen und wir fühlen uns im Recht auch wenn wir es nicht sind.

Etwas zu wissen bedeutet, es gelernt zu haben, und das wiederum bedeutet, dass unser Gehirn neuronale Strukturen ausgebildet hat, die das Wissen repräsentieren. Wissen ist also eine Funktion unseres Gehirns. Da unser Gehirn ein lebendiger Organismus ist, gehorcht es keinen abstrakten, logischen Gesetzen, sondern sehr konkreten biochemischen Prozessen. Ein Irrtum ist daher jederzeit möglich. Es ist aber ein Fehler, die Unmöglichkeit absoluter Sicherheit mit einer absoluten Unsicherheit gleichzusetzen. Statt dessen können wir unserem Wissen eine Wahrscheinlichkeit zuordnen. Im wahrsten Sinne des Wortes beschreibt diese Wahrscheinlichkeit, wie sehr uns das Wissen als wahr erscheint, d.h. mit wie vielen und wie guten Belegen dieses Wissen abgesichert ist. Die Wahrscheinlichkeit ist also ein Maß dafür in wie weit unsere Vorstellung von der Welt, den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, oder in wie weit die in unserem Gehirn ablaufenden biochemischen Prozesse die abstrakt logischen Gesetzmäßigkeiten der Realität korrekt abbilden. Wahrscheinlichkeit ist demnach eine Eigenschaft unseres Gehirns und nicht der Realität.

Damit können wir die in der Überschrift gestellte Frage, was rationales Denken eigentlich ist, endlich beantworten: Rationales Denken ist ein Denken bei dem die Wahrscheinlichkeit die wir unserem Wissen dabei zuordnen den beobachtbaren Belegen für dieses Wissen entspricht. Oder anders formuliert: Rationales Denken ist ein an der beobachtbaren Realität abgesichertes Denken.

Rationales Denken bedeutet zu gewinnen

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Viele Menschen spielen Lotto, obwohl sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen vernachlässigbar gering ist und der Erwartungswert negativ ist, d.h. ein Verlust zu erwarten ist. Der Denkprozess, der dabei abläuft ist in etwa: Der Verlust des Einsatzes ist nicht besonders schwerwiegend, aber die Freude über einen Gewinn ist riesig. Solange ich also im Prinzip gewinnen kann, habe ich wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Der Denkfehler dabei ist, die Vorstellung eines einmaligen Verlustes mit der Vorstellung eines einmaligen Gewinnes zu vergleichen. Unser Gehirn kann sich weder einen billionstel Gewinn vorstellen, noch billionen Einsätze. Man kann sich aber vorstellen, dass die Lottogesellschaft nicht die Zahlen zieht, sondern die Gewinnergruppe. Wenn man dabei für die Zahlen, die nicht getippt wurden leere Gewinnergruppen einführt ist die Wahrscheinlichkeit als Gewinner ausgewählt zu werden, die gleiche wie die, die richtigen Zahlen zu tippen. Bei dieser Betrachtung des Lottospiels, kann man sich die Hoffnung auf einen Gewinn so vorstellen, dass man mit einer Billion anderer Menschen in einer langen Schlange steht, die mehrmals um die ganze Welt läuft. Da man das Ende der Schlange nicht sehen kann, weiß man nicht, wo man genau in der Schlange steht, man weiß nur, dass man jede Woche um eine Position nach vorne rückt, aber nur, wenn man seinen Einsatz zahlt. Durch diesen gedanklichen Trick, wird das Problem mit der Gewinnerwartung auf einmal für unser Gehirn greifbar und wir können unsere Einsätze für Dinge ausgeben, die für uns einen größeren Nutzen haben. Selbst wenn es sich nur um eine Brezel handelt, während wir die Brezel essen sind wir glücklicher als wir in der weltumspannenden Schlange sind. Das rationale Denken hat uns einen Gewinn verschafft. Auch wenn dieser Gewinn klein erscheint, viele kleine Gewinne ergeben einen großen.

Zu gewinnen bedeutet dabei, seine eigenen Ziele zu erreichen. Das kann schwierig sein, da in unserem Gehirn nicht ein einzelner integrierter Denkprozess abläuft, sondern mehrere parallele Denkprozesse in verschiedenen Teilen unseres Gehirns. Untersuchungen haben dabei gezeigt, dass wir Entscheidungen unbewusst treffen und uns erst dieser Entscheidung bewusst werden, nachdem sie getroffen ist. Das bedeutet, dass unser Bewusstsein nicht die volle Kontrolle über unser Denken hat, auch wenn wir das gerne glauben möchten. Und in diesem Sinne können unsere unbewussten Zielen sehr wohl von unseren bewussten Zielen abweichen. Konkretisiert bedeutet gewinnen demnach, seine eigenen, bewussten Ziele zu erreichen, d.h. diejenigen, die man sich in einem bewussten Denkprozess gewählt hat. Im Gegensatz dazu stehen sogenannte "Bauchentscheidungen", die in unserem Gehirn unbewusst ablaufen und evolutionär entwickelten Strukturen folgen. Diese Denkmuster haben sich herausgebildet, weil sie in einem unzivilisierten Umfeld zu einer Verbreitung des Gens geführt haben. Auch wenn sich diese Bauchentscheidungen danach anfühlen, als hätte man sie für sein eigenes Wohlergehen getroffen, haben solche evolutionären Denkmuster oft in Wahrheit nicht das Wohlergehen des Individuums zum Ziel, sondern vielmehr den Reproduktionserfolg des Gens, d.h. der gesamten Spezies - selbst auf Kosten des Wohlempfindens oder sogar Lebens des handelnden Individuums.

Unser bewusstes Denken ist natürlich auch das Ergebnis eines evolutionären Prozesses, allerdings können wir dadurch das rein evolutionäre Mandat unseres Unterbewusstseins ausgleichen. Dazu müssen wir aber zunächst verstehen und akzeptieren, dass wir (d.h. unser Bewusstsein) nicht "Herr in unserem Hause" sind, sondern eher ein Beobachter, der nicht selbst handelt, aber der korrigierend eingreifen kann. Dieses Eingreifen ist dann am effektivsten, wenn wir unsere Umstände so steuern, dass sich unsere unbewussten Denkprozesse für das entscheiden, was wir bewusst wollen. Wir müssen die Idee aufgeben, dass wir mit reiner Willenskraft unser Unterbewusstsein zwingen könnten in einer unangepassten Umgebung zu arbeiten und statt dessen unsere Umgebung auf unser Unterbewusstsein abstimmen, z.B. indem wir Ablenkungen aus dem Weg räumen, auf unsere Nahrung achten, Ruhezeiten einhalten, etc. Derartige Techniken haben in den letzten Jahren an Popularität gewonnen, man muss aber darauf achten, dass diese Techniken kein Selbstzweck sind, sondern nur funktionieren können, wenn dadurch bewusste Ziele erreicht werden sollen.

Grundhaltung des rationalen Denkens

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Rationales Denken beginnt mit dem Anerkennen der Realität als Maßstab der Wahrheit und damit dem Ablegen jeglichen Wunschdenkens aber ebenso dem Ablegen übertriebener Furcht oder Skepsis. Wenn etwas zu 50% wahrscheinlich ist, dann ist die Vorstellung, das könne sicher nicht schief gehen ebenso fehl am Platze, wie die Furcht, es müsse schief gehen. Die Grundhaltung des rationalen Denkens ist daher: Wenn etwas wahr ist, will ich glauben, dass es wahr ist, und wenn etwas unwahr ist, will ich glauben, dass es unwahr ist. Manchmal bedeutet dass, sich einer unangenehmen oder sogar schmerzhaften Wahrheit stellen zu müssen. Dann hilft es, sich die "Litanei von Gendlin" ins Gedächtnis zu rufen: "Das was wahr ist, ist bereits da, und ich muss es bereits erdulden. Es anzuerkennen macht es nicht schlimmer, es zu leugnen macht es nicht besser. Was unwahr ist, ist nicht da und kann nicht gelebt werden." Wichtig dabei ist, zu verstehen, dass Dinge nicht schlimmer werden, wenn wir sie anerkennen. Ganz im Gegenteil. Enttäuschung ist immer etwas positives. Es bedeutet, dass wir einer Täuschung unterlagen, die wir jetzt erkannt haben und die wir daher korrigieren können. Wenn wir plötzlich merken, dass alles, was wir bisher geglaubt haben, falsch ist, ist das ein Grund sich zu freuen. Diese Grundhaltung kommt nicht natürlich, aber wenn wir uns jedes Mal daran erinnern, können wir sie erlernen.

Neben dem Mut, sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen, ist ein weiterer wichtiger Aspekt des rationalen Denkens die Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Denkprozess. Zum Beispiel neigen wir dazu, eine Sache als verstanden zu betrachten, wenn wir sie mit einem bekannten Wort belegt haben. Ein Beispiel dafür wäre es, die Motivation von Selbstmordattentätern als verstanden zu betrachten, nur weil wir sie als Terroristen bezeichnen und dieses Wort in den letzten Jahren weithin gebräuchlich wurde. Hier müssen wir unser eigenes Denken hinterfragen und immer dann, wenn uns ein geläufiges Wort einfällt überlegen, ob der Inhalt dieses Begriffes auch tatsächlich genügend greifbar ist, dass der Begriff als Erklärung genügt und ob der Begriff in dieser greifbaren Bedeutung überhaupt angemessen ist. Wenn wir über eine Person sagen, sie sein ein "Terrorist" müssen wir uns überlegen, was wir über diese Person denn nun tatsächlich ausgesagt haben. Der Begriff wird erst greifbar, wenn wir ihn mit der ursprünglichen Bedeutung belegen: Eine Person, deren Zielsetzung es ist in einer Gesellschaft eine allgemeine Furcht zu verbreiten. Sobald wir das getan haben, können wir uns fragen, ob wir überhaupt genügend über die Zielsetzung einer Person (insbesondere einer jetzt toten) aussagen können, um den Begriff in diesem Sinne korrekt zu verwenden.

Ein weiterer Denkfehler in dieser Kategorie ist das Akzeptieren von Scheinerklärungen. Wenn wir Fragen, wie Akupunktur funktioniert, könnten wir als Antwort bekommen: "Krankheiten kommen von einer Störung im Energiefluss im Körper. Die Akupunkturnadel beseitigt diese Störung und der geheilte Energiefluss heilt den Körper." Das Gehirn erkennt diese Erklärung als eine grammatikalisch korrekte Erzählung mit bekannten, d.h. vorstellbaren, Begriffen, die eine vorstellbare Interpretation hat und akzeptiert sie als Erklärung. Dadurch entsteht der Eindruck die Akupunktur wäre verstanden und ebenso ein Faktum der Realität wie die Wirkung von Medikamenten. Erst, wenn wir unseren Denkprozess aufmerksam beobachten, stellen wir fest, dass weder der Mechanismus hinter dem Energiefluss tatsächlich erklärbar ist, noch der Einfluss der Nadel auf einen vorgestellten Energiefluss und schon gar nicht die Wechselwirkung eines vorgestellten Energieflusses mit Krankheiten unterschiedlichster Ursachen. Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Denkprozess führt dazu, dass wir feststellen, dass wir auch nach der "Erklärung" immer noch genauso wenig wissen und genauso verwirrt sind, wie davor. Das ist ein wichtiges Anzeichen für eine Erklärung, die gar keine ist. Wenn wir diese Scheinerklärung erkennen, können wir sie bewusst zurückweisen und unsere Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Akupunktur entsprechend korrigieren.

Damit können wir die wichtigsten Eckpunkte der Grundhaltung beim rationalen Denken festmachen:

  • Die Wahrheit tatsächlich wissen wollen. Nicht nur aus reiner Neugierde oder einer allgemein positiven Einstellung zur Wahrheit, sondern als bewusste Entscheidung, die nötigen Mühen auf sich zu nehmen und um die Wahrheit herauszufinden, was auch immer sie ist.
  • Den Beweisen folgen, nicht der Vorstellung. D.h. ausführlichen Erzählungen nicht deswegen mehr Glaubwürdigkeit beimessen, weil sie besser vorstellbar sind. Sondern vorurteilsfrei an die beobachteten Tatsachen herantreten und von dort die Ereigniskette zurückverfolgen ohne sich bereits vorher ein Bild gemacht zu haben, wohin diese führen wird.
  • Aufmerksamkeit gegenüber dem Eigenen Denkprozess. Denken läuft unbewusst ab. Das Bewusstsein wird normalerweise nur über das Ergebnis informiert. Fokussieren auf den Denkprozess führt dazu, dass die Zwischenschritte offen gelegt werden und kritisch hinterfragt werden können.

Diese drei Fähigkeiten müssen immer wieder einstudiert werden, damit sich unser Gehirn daran anpassen kann. Gerade alltägliche Situationen eignen sich dazu besonders. Zum Beispiel kann man sich beim Einkaufen überlegen, ob man die Waren im Einkaufswagen auch tatsächlich haben will. Zunächst muss man sich entschließen, die Wahrheit auch dann wissen zu wollen, wenn man vor sich eingestehen muss, sich von Werbung, Gewohnheit oder Bequemlichkeit täuschen gelassen zu haben. Dann folgt man den Beweisen: Was habe ich gedacht, als ich diese Waren in den Wagen gelegt habe? Habe ich Alternativen erwogen? Habe ich einen Einkaufzettel? Bin ich gerade hungrig? Und so weiter. Dabei übt man Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Denkprozess um Kurzschlüsse im Denken, wie z.B. ich habe die Ware gekauft, also wollte ich sie, zu erkennen und zurückzuweisen.