Lehren, Lernen und Bildung metaphorisch verstehen/ Denkwerkzeuge/ Lerntheorien/ Konstruktivismus

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Einleitung[Bearbeiten]

Der Konstruktivismus gilt derzeit in der Erziehungswissenschaft als ein praxisrelevantes Konzept, da sein Reiz in der Spannbreite seiner Einsetzbarkeit liegt. (Vgl. De Haan 2009, S. 7) Er bietet sich sehr gut für den Entwurf pädagogischer Handlungskonzepte an und bietet zudem Aussagen über die Wahrnehmungsformen des menschlichen Gehirns, gibt Antworten auf die Frage, was wir erkennen können und liefert Erklärungen dafür, warum Lernende, trotz der gleichen Belehrungen, am Ende zu ganz unterschiedlichen Einsichten kommen. (Vgl. De Haan 2009, S. 7)

Lernen ist hierbei keine Folge des Lehrens sondern als eigenständige Konstruktionsleistung des Lernenden zu verstehen. Seit den 1990er-Jahren sorgte der Konstruktivismus immer wieder deshalb für Diskussionen. (Vgl. Jank/ Meyer 2014, S. 286)

In seiner ursprünglichen Form ist der Konstruktivismus eine Erkenntnis- bzw. Wissenschaftstheorie und mit den Namen wie Humberto Maturana, Francesco Varela, Ernst von Glaserfeld, Heinz von Foerster und Siegfried J. Schmidt verbunden. Demzufolge ist der zentrale Gedanke des Konstruktivismus immer nur als Ergebnis subjektiver Konstruktionen zu verstehen. (Vgl. De Witt/ Czerwionka 2007, S. 60)

Gegenstandsbereich[Bearbeiten]

Den Kernpunkt des Konstruktivismus bildet die Auseinandersetzung, inwieweit eine objektive äußere Welt durch den Menschen erkannt werden kann und wie verlässlich eine solche Erkenntnis ist. Die realistische Position geht davon aus, dass eine erkennbare Außenwelt existiert, welche man sich durch Erfahrungen und wissenschaftliche Bemühungen aneignet. (Vgl. Hollstein-Brinkmann 1993, S. 29) Der Konstruktivismus hingegen sagt aus, dass eine objektive Aneignung bzw. Erfassung der Welt nicht möglich ist. (Vgl. De Witt/ Czerwionka 2007, S. 60)

Die Wirklichkeit wird vom Menschen konstruiert, ohne dass er weiß, wie eine Außenwelt real beschaffen ist. Denn es sind nicht die Dinge selbst, die der Mensch wahrnimmt, sondern die eigenen Erfahrungen von den Dingen, denen eine Bedeutung zugeschrieben wurde. Die Grundüberzeugung des Konstruktivismus lässt sich wie folgt zusammenfassen: „[...] dass Wahrnehmung nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit verstanden werden darf, sondern als das Ergebnis eines außerordentlich aktiven, konstruktivistischen Prozesses gesehen werden muss, bei dem das Gehirn die Initiative hat.“. (Vgl. Arnold 2007, S. 55)

Den Hintergrund dieser Theorie bildet die Annahme, dass das Gehirn ein relativ geschlossenes System ist, das zwar Reize aus der Umwelt aufnimmt, diese allerdings nur als „Rohmaterial“ für die weitere Bearbeitung verwendet. Die Reize werden durch die Sinnesorgane aufgenommen und geordnet und auf diese Weise werden die Objekte der Wahrnehmung definiert. Aus diesem Grund begegnen dem Menschen Situationen und Objekte der Außenwelt nur in Form einer eigenen Interpretation. (Vgl. Arnold 2007, S. 55)

Was wir sehen, hören und fühlen, was wir alltäglich erleben, das sind unsere Deutungen, die auf unserem Wahrnehmungsapparat und unseren individuellen Erfahrungshintergründen basieren. (Vgl. De Haan 2009, S. 7)

Zum Beispiel, wenn eine Lehrperson einem Schüler etwas erklärt, speichert der Schüler die Informationen nicht einfach ab, sondern konstruiert sich anhand der aufgenommenen Informationen sein persönliches, individuelles Abbild der Realität – abhängig von seinem Vorwissen, seinen Einstellungen und der aktuellen Lernsituation. Demzufolge wird Lernen von jedem Schüler unterschiedlich aufgenommen.

Analytische Dimension[Bearbeiten]

Das Lernen ist ein aktiver Konstruktionsprozess, in dem jedes Subjekt eine individuelle Repräsentation seiner Welt erschafft. In der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt erfahren Menschen, dass es durchaus nicht immer nur eine richtige Lösung gibt, sondern dass verschiedene Wege zu gleichen Ergebnissen führen können. In Anlehnung an diesen Gedankengang entspringt auch der Kerngedanke des Konstruktivismus, welcher eine objektive Erfassung der Welt bzw. der Wirklichkeit ausschließt. (Vgl. Arnold 2007, S. 64 f.).

Der Konstruktivismus geht davon aus, dass kognitive Systeme in sich geschlossene autopoietische (selbstorganisierte) Systeme sind, die selbstreferenziell bezogen sind. Lernen bzw. Vermittlung kann deshalb nicht als ein Prozess verstanden werden, in dem Informationen von außen nach innen transportiert werden, sondern vielmehr als ein Prozess der Restrukturierung innerhalb eines geschlossenen Systems. (Vgl. Arnold 2007, S. 64) .

„Wissenserwerb kann als ein aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess betrachtet werden. Die aktive Beteiligung des Lernenden wird durch seine Motivation und sein Interesse am Prozess oder an dem Gegenstand des Wissenserwerbs charakterisiert. Der Wissenserwerb wird dabei bis zu einem gewissen Grad vom Lernenden selbst gesteuert und kontrolliert. Jeder Wissenserwerbsprozess ist konstruktiv, da die verschiedenen Formen des Wissens nur dann erworben und genutzt werden können, wenn sie in bestehende Wissensstrukturen eingebaut und vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen des Einzelnen interpretiert werden. Der Erwerb des Wissens ist situativ, weil er an einen spezifischen Kontext gebunden ist, der sich aus den kontextuellen Bezügen des Wissens ergibt. Aus der Eingebundenheit des Einzelnen in eine Gemeinschaft resultiert auch Wissen, das aus sozialen Aushandlungsprozessen erwachsen ist“. (Vgl. Kösel 2002, S. 105 f.).

Normative Dimension[Bearbeiten]

Der konstruktivistischen Grundannahmen zu folge, existiert im Konstruktivismus das Ergebnis subjektiver Konstruktion und Interpretation. (Vgl. De Witt/ Czerwionka 2007, S. 60). Damit Lernen funktioniert, müssen im Idealfall Situationen geschaffen werden in denen sich die Lernenden eigenständig mit dem vorhandenen Lerngegenstand auseinandersetzen können. Im Zentrum stehen also die Lernenden und vor allem die in ihnen ablaufenden Prozesse. (Vgl. De Witt/ Czerwionka 2007, S. 60).

Grundfehler des Konstruktivismus[Bearbeiten]

Das Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“ von dem Physiker Werner Schrödinger ist ein berühmter Grundfehler der Theorie des Konstruktivismus. Kersten Reich greift hier den Grundfehler des Verständnisses des Konstruktivismus auf.

In seinem Gedankenexperiment stellt Schrödinger die Frage, ob eine Katze, die in eine luftdichte Kiste verschlossen wird anschließend lebendig oder tot sei. Aus wahrscheinlichen Gründen wäre die Antwort auf die oben gestellte Frage, dass die Katze es nicht überleben könnte, eindeutig. Demgegenüber ist die Antwort auf die Frage laut Schrödinger; dass die Katze weder lebendig noch tot ist, solange die Kiste verschlossen bleibt. In vielen wissenschaftlichen Bereichen werden eben solche Kisten ignoriert es sei denn man ist verpflichtet, in etliche genauer hinein zu schauen. Diesen Grundfehler kann man ebenso auf den Konstruktivismus projizieren: Man konstruiert eine Wirklichkeit, wie es einem persönlich oder bestimmten Machtinteressen gefällt und vergisst dabei, dass es eine tatsächliche und prüfbare Wirklichkeit gibt. Laut Kritiker stirbt die Katze in der luftdichten Kiste auch wenn der Konstruktivismus das anders betrachtet. Denn dieses Gedankenexperiment ist ein Tatsachenurteil. (Vgl. Reich 2002, S. 92 f.).

Fazit[Bearbeiten]

„Personen, Menschen, lernen dann, wenn sie mit dem, was als zu Lernendes ansteht – entscheidend ist, was sie selbst als dieses ansetzen, nicht was andere als solches zu setzen versuchen – eigene Interessen verbinden“ (vgl. Faulstich/Grell 2003, S. 8).

Wie bereits im Zitat betont, sollte der Lernende selbst die Interessen formulieren und sie keinesfalls von einem Dritten, z.B. einem Lehrer oder Dozenten, vorschreiben lassen. Erwachsene bringen also bereits Erfahrungen in den Lernprozess mit ein, die sie in ihrem Leben gemacht haben. Ihr Interesse ist es, auf diesen bereits gewonnenen Erfahrungen aufzubauen und diese zu erweitern. Daher macht es wenig Sinn bei Erwachsenen (aber auch ganz allgemein bei Menschen aller Altersklassen) zu versuchen, den Lernprozess unter Zwang voranzutreiben. Das zu Lernende muss in einem größeren Zusammenhang der eigenen Lebens- und Erfahrungswelt des Lernenden stehen. Den Grund und den Sinn hinter den Lernanstrengungen und den zu lernenden Inhalten sollte man verstehen und nachvollziehen können. Das Gelernte muss also in Bezug zu der Lebenswelt des Lernenden stehen, sonst ist es nicht nachhaltig. Deshalb ist es bedeutsam, den Prozess, durch den der Lernende zum Ergebnis gelangt, den Vorrang zu geben und nicht dem Ergebnis selbst. Damit resultiert auch, dass nicht nur der eine „richtige“ Weg zum Ergebnis führt, sondern dass es viele Lösungswege geben kann. (Vgl. Faulstich/Grell 2003, S. 8).

Wie in der analytischen Dimension Arnold bereits erwähnt, dass der Konstruktivismus als ein Prozess der Restrukturierung zu verstehen ist und nicht von außen nach innen transportiert werden kann, so vertreten Grell und Faulstrich ebenso die Meinung, dass der Lernende selbst auf seine Interessen aufbauen soll und diese ihm nicht von Dritten vorgeschrieben werden.

Literaturverzeichnis[Bearbeiten]

  • Arnold, Rolf: Ich lerne, also bin ich. Eine systematisch-konstruktivistische Didaktik. Heildelberg: Carl-Auer Verlag 2007.
  • De Haan, Gerhard/ Rülcker, Tobias: Der Konstruktivismus als Grundlage für die Pädagogik. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2009.
  • De Witt, Claudi/Czerwionka, Thomas: Mediendidaktik. Studientexte für Erwachsenbildung. Bielefeld: Bertelsmann Verlag, 2007. URL: http://www.die-bonn.de/doks/2007-mediendidaktik-01.pdf (letzter Aufruf: 10.06.15).
  • Faulstich, Peter/ Grell, Petra: Lernwiderstände aufdecken - Selbstbestimmtes Lernen stärken. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Bonn 2002. URL: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2003/faulstich03_01.pdf (letzter Aufruf: 10.06.2015).
  • Hollstein-Brinkmann, Heino: Soziale Arbeit und Systemtheorie. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag 1993. URL: http://www.pedocs.de/volltexte/2011/4530/pdf/ZfE_1999_04_Rustemeyer_Konstruktivismus_ D_A.pdf (letzter Aufruf 10.06.2015).
  • Jank, Werner/ Meyer Hilbert: Didaktische Modelle. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH 2014.
  • Kösel, E./ Scherer.H.: Konstruktionen über Wissenserwerb und Lernwege bei Lernenden. In: Reinhard Voß (Hrsg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherung an Schule und Pädagogik. Neuwied: Luchterhand Verlag 2002.
  • Reich, Kersten: Grundfehler des Konstruktivismus. Eine Einführung in das konstruktivistische Denken unter Aufnahme von 10 häufig gehörten kritischen Einwänden. In: Josef Fragner/ Ulrike Greiner/
  • Markus Vorauer (Hrsg.): Menschenbilder. Zur Auslöschung der anthropologischen Differenz. Linz: Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes Oberösterreich (Bd.15) 2002.