Meisterhaft – Musterhaft Georg Bötticher/ Tapetenmuster für den europäischen Markt/ 1888 Leipzig lockt – Neues auf's Tapet
»1888 löste sich auch das letzte feste Verhältnis, das mich mit der Firma August Schütz verband: das Ko lorieren der Karte ward von da an von Carl Schütz selbst wieder in die Hand genommen. Damit fiel für mich das letzte Hindernis, das kleine, allzuwenig An regung bietende Wurzen mit der Großstadt Leipzig zu tauschen, und ich siedelte noch im selben Jahr nach Leipzig, wo alle meine Freunde lebten und wohin es mich längst gezogen hatte.«
Hier angekommen, machte ihm die Tapetenfabrik Flammersheim & Steinmann in Köln das Angebot, alljährlich ihre Karte zu kolorieren. Muster hatte er bereits seit Jahren nach Köln geliefert. Die Firma Carl Flammersheim, später Flammersheim & Steinmann, Köln, hatte 1859 als eine der ersten deutschen Be triebe eine englische Tapetendruckmaschine, was die Produktion enorm verbilligte und den Umsatz ebenso steigerte. Dennoch behielt man auch die Handdruckrollen-Produktion bei, denn die sog. feine Gesellschaft zahlte die nach wie vor bessere Qualität mit 1 Taler pro Rolle, während die neuen, weniger betuchten Kunden die Maschinendruckrollen mit einem Groschen pro Rolle kauften.
Diesen Aufschwung erlebte Wilhelm Flammersheim noch mit, bevor er 1865 starb. Der Sohn Carl führte das Unternehmen weiter. Im Gürzenich wurden die Zeichen der Zeit nicht nur auf technischem Gebiet er kannt. Durch die gotischen und neogotischen Bauten in Köln hatte man eher den Zugang zum englischen Jugendstil-Tapeten-Dessin eines William Morris ge funden. Auch für diese Firma arbeitete Bötticher bis zum Schluss.
»Ich habe dann auch bis zum Jahr 1905 zu diesem Zweck jährlich 2-3 auch 4 Monate in Köln zugebracht, in der übrigen Zeit in meinem Leipziger Atelier mit Hilfe junger Leute Muster für die verschiedenartigs ten Gebiete des Kunstgewerbes und der Kunstindus trie hauptsächlich aber doch für Tapete angefertigt.« Bötticher arbeitete mehr als »ein halbes Menschen alter« für die Firma und entwarf für sie Muster im Stil der Renaissance um 1875.
Die Kölner Tapetenfabrik war eine der größten Deutschlands, die bis nach 1905 noch bestanden haben muss, und wurde geführt von Arnold und Stein mann, in Fachkreisen durch die Tapetenzeitung bestens bekannt.
Deren kollegiales Verhältnis ermöglichte Bötticher beispielsweise zudem, seiner schriftstellerischen Arbeit nachzukommen. In dieser Zeit entstanden für Leipzig u. a. grafische Einbände Böttichers, vorzugsweise für den Verleger Liebeskind.
In Leipzig wohnte und arbeitete Bötticher zuerst in der Straße An der alten Elster, zog dann nach Gohlis; dann wohnte er zeitweise in der Gottschedstraße mit Blick auf Synagoge und Thomaskirche.
Das durch Handel groß gewordene Leipzig hatte sich nach 1871 zum wichtigsten mitteldeutschen Industrie zentrum entwickelt. Bis zur Jahrhundertwende war es angewachsen zu einer Halbmillionenstadt. Große Firmen bauten sich palastartige Verwaltungs gebäude, die Handelgesellschaften moderne Messe paläste und die Stadtväter ein burgartiges Neues Rat haus. Hier gab es ebenfalls eine Fülle an Arbeit. 1891 ging Bötticher, im Anschluss an die Kölner Kolorierzeit, nach Schweden, genauer nach Göteborg in die Firma J. Dahlander & Co., um für einen Monat deren Karten zu kolorieren. Während Stadt und Umgebung ihm gefielen, machte ihm die Verständigung zu schaffen. Bötticher meisterte seine Kolorierarbeit mit einem Wörterbuch Deutsch-Schwedisch, etwas Englisch und Französisch, denn der einzige, der deutsch sprach, war der in Deutschland ausgebildete Firmenchef.
Der Pariser Fabrikant Paul Balin war in der Stoffimitation der Papiertapete unüberbietbar. Eine Rolle konnte jedoch bis zu 120 Francs kosten. Auch die deutschen Fabrikanten, ungleich günstigen, versuchten mit technischen Mitteln der Papiertapete den Charakter von Stoff zu geben: Wollstaublagen, Pressungen, Überdruck.
Was Stil und Muster anbetraf, gab es parallel strenge mittelalterliche Formgebungen, eine Zeitlang waren Fabeltiere en vogue: »Haben Sie Drachen« war unter Tapetenfabrikanten ein geflügeltes Wort. Daneben verwendete man freie Renaissance-, Barock- und Rokokoformen, immer aber in starker Anlehnung gewebter Stoffmuster.
Dank der Engländer, die der Tapete den Papierduktus wiedergaben, verschwanden allzu theaterhafte Dekorationen. Das Überladene, etwa das Gold, zumal es auf Dauer oxidierte und schwarz wurde, verschwand.
Die Künstlergruppe Eckmann-Leistikow löste sich ganz von der Gewebeform, setzte »kecke, scheinbar willkürliche hingekleckste Farbflecken« bis hin zu Unis, Tapeten fast ohne Muster, die getünchte Wand nachahmten und nur durch winziges jeu de fond unterbrochen wurden.
Diese Mode war bereits nicht mehr nach Böttichers Geschmack. Sehr tolerant und interessiert verfolgte er die weitere Entwicklung. Kollegen, denen es ähnlich ging wie ihm, lehrten an den Kunstakademien und hielten sich so auf der Höhe der Zeit. Nachdem er 1905 die Arbeit in Köln aufgegeben hatte, war für ihn keine wirkliche Entwicklung mehr erkennbar. Nach Ansicht Böttichers schien es deutschlandweit einen stilistischen Stillstand oder gar einen Rückschritt zu geben.
Konsequent beendete der 57-Jährige seine Tätigkeit als Zeichner, gab 1906 sein Leipziger Atelier auf und widmete sich fortan ausschließlich der schriftstellerischen Arbeit.