Organisationales Lernen im Digitalen Zeitalter/ Status quo Corporate Learning 2017

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Im Folgenden wird beschrieben, wie Corporate Learning aktuell im Jahr 2017 aufgestellt ist.

Der Schwerpunkt von Corporate Learning liegt auf der Organisation (Planung, Einkauf, Entwicklung, Administration, Verteilung) formaler Bildungsangebote.

Nur wenige Unternehmen besitzen eine ausformulierte Lernstrategie. In den meisten Unternehmen wird klassische Personalentwicklung praktiziert. Das bedeutet, Präsenztrainings und klassische Web Based Trainings (WBTs) dominieren, und die Kursphilosophie bestimmt das Bild. Gesetzlich vorgeschriebene und unternehmensintern verpflichtende Trainings binden die Ressourcen in der Weiterbildung. Das Lernmanagementsystem (LMS) und Autorentools bilden das Herzstück der Lerninfrastruktur, in der standardisierte Prozesse – von der Bedarfserhebung bis zur Durchführung von Bildungsmaßnahmen – turnusmäßig abgearbeitet werden. Der traditionelle Schulungsraum ist nach wie vor der primäre Lernort. Der Einsatz von Online-Formaten wie zum Beispiel dem virtuellen Klassenzimmer (virtual classroom) orientieren sich oft noch unmittelbar am Präsenztraining. Nur wenige Unternehmen haben dagegen die Bedeutung des informellen Lernens erkannt und ihre Bildungsarbeit entsprechend ausgerichtet.

Die neuen Anforderungen des lebenslangen, selbstorganisierten Lernens sind bei Mitarbeitern, Führungskräften und Bildungsexperten noch nicht angekommen.

Die traditionellen Verantwortlichkeiten, Rollenbilder und Prozesse funktionieren in vielen Unternehmen. Mitarbeitende/ Lernende verharren in der „Konsumentenhaltung“. Das betrifft sowohl die Initiative, einen Lernprozess aufzunehmen, als auch die Haltung, die im Lernprozess eingenommen wird. Verantwortlich für die Weiterbildung ist der Arbeitgeber bzw. die Führungskraft, die sagt, was man braucht. Learning & Development (L&D) liefert die entsprechenden Angebote. Eigeninitiative, die neue Mitarbeiter in der Ausbildung oder nach einem Wechsel mitbringen, wird schnell ausgebremst.

Führungskräfte wiederum sehen zwar den Wert der Weiterbildung, ordnen sie aber dem Tagesgeschäft unter. Häufige Argumente, an denen eine zielgerichtete und kontinuierliche Weiterbildung im Arbeitsalltag scheitert, lauten zum Beispiel: „Wenn sich meine Mitarbeiter weiterbilden und dann die Abteilung verlassen, war ja alles umsonst. Das Risiko gehe ich nicht ein.“ Oder: „Vertrieb und Kunden gehen immer vor. Ich kann doch wichtige Projekte nicht liegen lassen, nur weil jemand lernen will.“

Learning & Development ist heute für das klassische Trainingsportfolio verantwortlich: von der Entwicklung bis zum Rollout der Maßnahmen, von der Lerninfrastruktur bis zu Fragen der Qualitätssicherung. Der Wandel, mit dem neue und andere Rollen und Aufgaben verbunden sind, ist bei den Akteuren noch nicht angekommen.

Corporate Learning ist im Auf- und Umbruch: Es gibt in vielen Unternehmen eine Reihe von Initiativen, auf neuen Wegen von- und miteinander zu lernen.

Aktuell fehlt es insbesondere am Bewusstsein, wann und wo überall Lernen am Arbeitsplatz stattfindet. Die 70:20:10-Formel dient vielen Unternehmen als Richtschnur für Veränderungen in Corporate Learning. Die Formel unterstreicht die Bedeutung des informellen Lernens, d. h. das Lernen von und mit anderen, sowie des Lernens im Arbeitsprozess. Beispiele für Methoden, die das informelle Lernen stärken, sind Working out Loud (WOL) und Design Thinking. Daneben wird das informelle Lernen auch durch neue kollaborative und kommunikative Plattformen unterstützt. Hier ist an erster Stelle das Enterprise Social Network (ESN) zu nennen.

Darüber hinaus wächst die Palette der unternehmensintern eingesetzten Online-Instrumente und -Formate, die das vernetzte Lernen unterstützen.

„Parallel dazu entwickelt sich eine neue Form des Lernens durch "unabhängige" Lernrebellen. Unterstützt von neuen Austauschmöglichkeiten entstehen insuläre Kreativinitiativen, die sich als attraktive Ergänzung (nicht Alternative) entwickeln.“ (Helmut Hönsch)

Gefordert werden immer mehr kurzfristige und kreative Lern-Lösungen, die mit einem sich dynamisch verändernden Umfeld Schritt halten. Routinen, die wir in der Nutzung des Internets und der Medienkommunikation entwickeln, werden zunehmend von Mitarbeitern auch im Unternehmenskontext gefordert. Die Rede ist von Aufmerksamkeitsspannen, die sich verkürzen. Wiederkehrende Stichworte in diesem Zusammenhang sind „on-demand“ und „kurz“. Es werden Hilfen und Lösungen gesucht, die sofort im Arbeitsprozess genutzt werden können. Offen ist die Frage nach der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der neuen Formate.

„Waren früher betriebliche Bildungsprozesse langfristig planbar und klar an den Unternehmensstrategien ausgerichtet - eine professionelle Bildungsplanung vorausgesetzt - müssen heute viel häufiger kurzfristig und unmittelbar gelernt werden. … Es reicht nicht mehr aus, Mitarbeiter zum Zeitpunkt eines Bildungsbedarfs auf ein Präsenzseminar in sechs Monaten zu vertrösten.“ (Alexander Preiss)

Corporate Learning ist nicht gleich Corporate Learning.

Aktuell herrschen große Unterschiede, was die Bedeutung von Corporate Learning in den einzelnen Unternehmen betrifft. Die beiden zentralen Faktoren sind dabei Unternehmensgröße und Branche bzw. Art der Tätigkeit.

In großen Unternehmen gibt es eigene L&D-Abteilungen, die für das Thema Lernen im Unternehmen gerade eine Vielzahl von modernen Medien, Methoden und Formaten etablieren und entwickeln. Hier ist die Notwendigkeit des Themas oftmals erkannt und Initiativen, wie z. B. das Formulieren einer klaren Lernstrategie oder die Anerkennung des informellen Lernens, gestartet.

In KMUs dagegen fehlt häufig das Verständnis für die strategische Bedeutung von Lernen. Es mangelt an Entwicklungsplänen, Bildungsangeboten und Lernräumen. Gelernt wird vorrangig in Arbeitsprozessen, ohne eine bewusste Steuerung und Reflexion der Lernprozesse.

„Die Lücke zwischen den meisten KMU und Lern-Vorbildern wie Bosch / Audi / Conti ist riesig! Hier ist in den Kategorien “Nix” und “Standard” noch viel Basisarbeit zu leisten, um überhaupt ein Verständnis für die Notwendigkeit zu schaffen! Für uns Coaches & Lern-Berater heißt das: Raus aus der Filterblase, rein in die Basisarbeit, um möglichst viele mitnehmen zu können!“ (Rainer Bartl)

Weitere Kriterien, die den unterschiedlichen Entwicklungsstand von Corporate Learning beeinflussen, sind zum Beispiel: die wirtschaftliche Situation, die Branche, der Standort, die Unternehmensgeschichte („Traditions- und Familienunternehmen“) und -kultur, die Struktur der Mitarbeiter, der Grad der Technisierung (Digitalisierung, Automation).