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Soziologische Klassiker/ Ehrlich, Eugen

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Grundstruktur des Kapitels:


Biographie in Daten

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Ehrlich Eugen

geboren am 14. September 1862 in Czernowitz(im damaligen Herzogtum Bukowina; heute gehört es zur Ukraine)

gestorben am 2. Mai 1922: in Wien


Familie: ledig Vater: Simon Ehrlich, Advokat aus Czernowitz


Ausbildung und Karriere:

  • Studium zuerst in Lemberg
  • 1881-1883 Studium in Wien
  • 1886 Promotion zum Doktor der Rechte in Wien
  • 1895 Habilitation für römisches Recht in Wien
  • danach Privatdozent in Wien
  • ab 1897 außerordentlicher Professor an der k.u.k. Franz-Josephs-Universität Czernowitz
  • 1900 Berufung zum ordentlichen Professor
  • 1921 Forschungsurlaub in Bukarest zur Vorbereitung auf die rumänische Sprache (mit dem Ziel wieder in Czernowitz zu lehren)


Historischer Kontext

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Eugen Ehrlich musste 1914, also gleich zu Beginn des ersten Weltkriegs aus Czernowitz fliehen, denn die Stadt wurde von russischen Truppen eingenommen. Deshalb wohnte er dann in Wien und setzte sich auch von dort aus für den Erhalt der Donaumonarchie ein. Später zog er in die Schweiz. Als dann aber nach dem Krieg die Bukowina an Rumänien angeschlossen wurde, hatte er zunächst kein Interesse dorthin zurückzukehren. Da er schließlich aber nicht, wie er erhofft hatte, in Bern tätig sein konnte, plante er 1921 dennoch, nach Czernowitz zurückzukehren. Dafür musste er allerdings zuvor Forschungsurlaub nehmen, um sich auf die Vorlesungen, die in rumänischer Sprache abzuhalten waren, vorzubereiten. So zog er zunächst nach Bukarest. Aufgrund seiner plötzlichen Erkrankung an Diabetes, was damals noch unbehandelbar war, konnte Ehrlich zu guter Letzt seine Lehrtätigkeit in Czernowitz doch nicht mehr aufnehmen.


Theoriegeschichtlicher Kontext

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Gemeinsam mit Hermann Kantorowicz (1877-1940), Ernst Fuchs (1859-1929) und Hermann Isay (1873-1938) gründete Ehrlich die sogenannte Freirechtsschule und wurde zugleich zur Galionsfigur. Ehrlich schreibt u.a. in seinen Ausführungen:

"Naturrecht versus Rechtspositivismus, Sein und Sollen sowie die daraus abgeleitete Einteilung in Seins- und Sollenswissenschaften, das Verhältnis von Recht und Gesellschaft, legal isolationism uam. – Schon Platon erwähnt in seinen „Nomoi”/Die Gesetze, dass ein Gesetzgeber, der seine Sache ernst nimmt, auch gewisse natürliche Gegebenheiten und Fakten berücksichtigen müsse: Land und Klima, Binnen- oder Seelage eines Landes, Wind, Wetter, Geographie, aber auch die Charaktereigenschaften der Menschen, das Verhältnis der Geschlechter, die politischen und historischen Rahmenbedingungen (Ausformungen) von Freiheit und Gleichheit, menschliche Altersgruppen und Zustände (Alte, Schwache, Kinder, Jugendliche) etc. Heute kennen wir verschiedenste Schutznormen/-einrichtungen: etwa das Arbeitsrecht, die Adoptionsregeln, KSchG und MRG, PHG oder Sachwalterschaft, Patientenvertretung und UbG."

Während M. Rehbinder und Th. Raiser überzeugende Publikationen verfassten, wird Ehrlich in der Literatur kaum rezipiert und, zugunsten von Nussbaums wissenschaftsgeschichtlichen Texten, kaum beachtet.


Werke

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  • Die stillschweigende Willenserklärung, 1893
  • Das zwingende und nichtzwingende Recht im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899
  • Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen, 1902
  • Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft, 1903
  • Die Tatsachen des Gewohnheitsrechts, 1907
  • Die Aufgaben der Sozialpolitik im Österreichischen Osten, insbesondere in der Bukowina, 1909
  • Die Rechtsfähigkeit, 1909
  • Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913
  • Rechtssoziologie und Rechtswissenschaft, 1915
  • Die juristische Logik, 1917
  • Recht und Leben, [Hrsg] Manfred Rehbinder, 1967
  • Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, [Hrsg] Manfred Rehbinder, 1986
  • Gesetz und lebendes Recht, [Hrsg] Manfred Rehbinder, 1986
  • Politische Schriften, [Hrsg] Manfred Rehbinder, 2007


Das Werk in Themen und Thesen

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Ehrlichs Hauptwerk Grundlegung der Soziologie des Rechtes wurde 1913 veröffentlicht. Neben Max Weber (1864-1920) gilt Ehrlich als Begründer der modernen Rechtssoziologie/RS und der Rechtstatsachenforschung/RTF. Ab ca. 1903 begann Ehrlich auf die Schaffung eines Rechtssystems, bei der die Rechtswirklichkeit im Mittelpunkt stehen sollte, hinzuarbeiten. Zuvor hatte er erkannt, dass die herrschende Begriffsjurisprudenz unzureichend war. Zwar stammt der Terminus Rechtstatsachenforschung nicht direkt von Ehrlich sondern von Arthur Nussbaum(1877-1964), der als einer seiner Nachfolger gilt. Einer der Kernpunkte Ehrlichs war „lebendes Recht”, er stellte dieses dem (oft toten oder doch viel weniger bedeutsamen) Gesetzesrecht gegenüber. Veranlaßt dazu wurde er vor allem durch die Beobachtungen der Rechtswirklichkeit in Bukowina. Ehrlich spricht damals schon von „juristischen Tatsachen” („Über Lücken im Recht”). Er war damit der erste, der sich mit dieser Disziplin auseinandersetzte und leistete somit Pionierarbeit. Für Ehrlich stellte die Rechtstatsachenforschung die praktisch-empirische Seite der Rechtssoziologie dar. Mit seiner Forderung, an allen juristischen Fakultäten Lehrveranstaltungen zum Thema "Lebendes Recht", an den 31. Deutschen Juristentag, war er zu radikal und konnte sich nicht durchsetzten. Trotzdem wurde seine Forderung auch international, in erster Linie von den USA und Japan stark beachtet.


Weil der übliche Rechtsbegriff, der sich in der Regel nur auf das Gesetzesrecht bezieht, nicht ausreicht, unterscheidet Ehrlich drei Arten von Recht:

  • (1) Gesellschaftliches Recht, als die Organisationsregeln der menschlichen Verbände und deren innere Ordnung; dazu zählen Familie, Vereins- und Gesellschaftsrecht, RAO, NotO etc.
  • (2) Juristenrecht: Das sind die Entscheidungsnormen/Rechtssätze und das Verfahrensrecht nach denen die Gerichte Streitigkeiten schlichten und Anwälte und Notare etc ihre Tätigkeit orientieren.
  • (3) Staatliches Recht: Das sind die Rechtsvorschriften für Polizei, Militär, die Steuergesetze sowie die Mittel sozialer Gestaltung.

Ehrlich schätzt insgesamt die Macht des Staates, sein gesatztes Recht durchzusetzen, realistisch, gering ein. Den Juristen schreibt Ehrlich eine bedeutende gesellschaftliche Funktion zu. Ihnen Juristen obliegt es nach Ehrlich auch, zwischen den drei Arten des Rechts zu vermitteln, ihre Regeln zu verflechten und allenfalls umzuformen. Gerechte Lösungen zu schaffen ist nach Ehrlich eine hohe Kunst.

Mit folgendem Zitat gibt sich Ehrlich als Vertreter der griechischen Mesoteslehre (Solon, Platon, Aristoteles), also der Lehre von der „Mitte” zu erkennen.):

„Denn die Gerechtigkeit beruht zwar auf gesellschaftlichen Strömungen, aber sie bedarf, um wirksam zu werden, der persönlichen Tat eines Einzelnen. Sie ist darin am ehesten der Kunst vergleichbar. Auch der Künstler schöpft sein Kunstwerk, wie wir heute wissen, nicht aus seinem Innern, er vermag nur das zu formen, was ihm von der Gesellschaft geboten wird; aber ebenso wie das Kunstwerk, obwohl ein Ergebnis gesellschaftlicher Kräfte, doch erst vom Künstler mit einem Körper bekleidet werden muss, so braucht auch die Gerechtigkeit eines Propheten, der sie verkündet; und wieder gleich dem Kunstwerk, das, aus gesellschaftlichem Stoffe geformt, vom Künstler den Stempel seiner ganzen Persönlichkeit erhält, verdankt die Gerechtigkeit der Gesellschaft nur ihren rohen Inhalt, ihre individuelle Gestalt dagegen dem Gerechtigkeitskünstler, der sie gebildet hat. Wir besitzen weder eine einzige Gerechtigkeit noch eine einzige Schönheit, aber in jedem Gerechtigkeitswerk ist die Gerechtigkeit, ebenso wie aus jedem wirklichen Kunstwerk die Schönheit zur Menschheit spricht. Die Gerechtigkeit, so wie sie in Gesetzen, Richtersprüchen, literarischen Werken individuell gestaltet wird, ist in ihren höchsten Äußerungen das Ergebnis genialer Synthese der Gegensätze, wie alles Großartige, das je geschaffen worden ist.” [1]


Rezeption und Wirkung

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Ehrlich gründete bereits 1910 ein Seminar für „Lebendes Recht”, das jedoch mit keinerlei finanziellen Mitteln ausgestattet wurde. Seine Arbeitsschwerpunkte waren neben der Rechtsgeschichte, das geltende Privatrecht und die Grundlagen und Grundfragen des Rechtsdenkens und der Rechtswissenschaft.

Die praktische Wirkung von Ehrlichs Kritik an der Rechtswissenschaft seiner Zeit war beachtlich. Und sie war im nichtdeutschsprachigen Ausland noch viel größer als in Deutschland und Österreich. Nicht nur Rechtssoziologie Rechtstatsachenforschung haben ihre Wurzeln in seinen Entwürfen, sondern auch die noch heute existente und anerkannte Interessenjurisprudenz samt neueren Methodenlehren sowie auch die moderne Rechtssprechung (J. Esser, K. Larenz, W. Fikentscher).


R. Dworkins, Amerikaner, liefert vergleichbare Ansätze zu jenen von Ehrlich Eugen.


Literatur

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  • Ehrlich, Eugen (1913):
    "Grundlegung der Soziologie des Rechts"


Internetquellen

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Einzelnachweise

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  1. http://www.uibk.ac.at/zivilrecht/buch/kap18_0.xml?section=2;section-view=true#BABJADFG, abgerufen am 19. Juni 2007