Soziologische Klassiker/ Esser, Hartmut

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Esser Hartmut

  • geboren am 21. Dezember 1943 in Elend, Sachsen-Anhalt (Deutschland)


  • Eltern: Josef Esser (1914-1996), Beruf: Berufsberater; Gertrud Esser (geboren 1918), Hausfrau
  • Geschwister: Ursula Elstner (geboren 1941), Beruf: Apothekerin; Zwillingsbruder Reinhard Esser, Beruf: Elektroingenieur
  • Ehe: Iris Esser (geb. Jaswetz) 1.Ehe: 1978- 1998, geschieden, 2.Ehe: 1999 wieder verheiratet
  • Kinder: keine


Werdegang:

  • 1965-1979: Studium der Volkswirtschaftslehre und Soziologie in Köln. (Kurze Zeit nach dem Abitur, bei der Bundeswehr, wuchs das Interesse an Geschichte, Philosophie und Mathematik. Esser bemerkt, dass dies genau die Soziologie als Fach ausmacht. Auch der Ärger über die vielen theologischen, philosophischen und intellektuellen Spekulationen und Irreführungen, bewegt ihn schließlich zum Studium der empirisch-analytischen Soziologie.)
  • 1970-1974: Vertreter der Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten am Seminar für Soziologie der Universität Köln
  • 1970-1974: Lehraufträge an der RWTH Aachen und an der Evangelischen Fachhochschule für Religions- und Sozialpädagogik in Düsseldorf
  • 1971: Diplom (Volkswirt sozialwissenschaftlicher Richtung) in Köln
  • 1974: Promotion in Köln (Dr.rer.pol.)
Titel der Dissertation: Soziale Regelmäßigkeiten des Befragtenverhaltens
Referenten: Prof. Dr. Rene König und Prof. Dr. Renate Mayntz
  • 1981: Habilitation in Bochum
Titel der Habilitationsschrift: Assimilation und Integration. Eine handlungstheoretische Analyse des Eingliederungsprozesses von Wanderern.
  • 1974-1978: Tätigkeit als Akademischer Rat Ruhruniversität Bochum
  • 1978-1982: Tätigkeit als Wissenschaftlicher Rat und Professor Universität Duisburg GHS
  • 1982-1987: Tätigkeit als ordentlicher (o.) Professor für Empirische Sozialforschung Universität Essen GHS
  • 1985-1987: Geschäftsführender Direktor des ZUMA, Mannheim
  • 1987-1991: o. Professor für Soziologie Universität zu Köln
  • seit 1991: o. Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.
  • 1993: Ablehnung einer Professur an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln


  • Andere Tätigkeiten:

Autor von Büchern und Artikeln; Mitarbeiter des Mannheimer Zentrums für Sozialforschung. Tätigkeitsbereiche und Forschungsinteressen: Probleme der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften, Familien-Soziologie, Migration, interethnische Beziehungen, ethnische Konflikte, Soziologische Handlungstheorien


  • Laufende Projekte:

Network of Excellence "Wirtschaftlicher Wandel, Lebensqualität und das soziale Band" (EQUALSOC), Soziale Einbettung und Paarbeziehungen, Bildungsaspirationen und Bezugsgruppen, Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien


  • Geplante Projekte:

Strukturelle Assimilation und Migrationsbiographien


  • Beendete Projekte:

Europäisches Forschungsnetzwerk: Ökonomischer Wandel, ungleiche Lebenschancen und Lebensqualität, Ethnische Grenzziehung und soziale Kontexte, Integration von Einwanderern in den EU-Ländern, Partizipation von Zuwanderern, Soziales Kapital und (Ketten-)Migration, Determinanten der Ehescheidung, Migrationspotentiale, Partizipation in ethnischen Vereinigungen, Immigranten als politische Akteure, Bildungsentscheidungen von Arbeitsmigranten, Determinanten ehelicher Stabilität: Erstellung eines Adressenpools Geschiedener in den fünf neuen Bundesländern


  • Ehrungen:

2000: René-König-Lehrbuchpreis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

2001: Wahl zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina

2001: Wahl zum Mitglied der European Academy of Sociology

2003: Wahl zum Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Großen Einfluss auf Essers Werk nahm sein Lehrer René König in Köln. Hartmut Esser entdeckte die bunte Vielfalt der Soziologie und erkannte die Notwendigkeit eines integrativen Rahmens, was auch sein Motiv für die sechs bzw. sieben Bände „Soziologie“ war.

Esser beschäftigt sich speziell mit der Erklärenden Soziologie. Das Konzept der erklärenden Soziologie ist an einer Kooperation verschiedener Disziplinen (v.a. Psychologie) interessiert, und basiert auf Arbeiten von z.B. Boudon, Coleman, Lindenberg. Weitere Vertreter in Deutschland sind z.B. Diekmann, Friedrichs, Opp, Mainz u.a. Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht das Individuum, daher gilt Esser als Vertreter des individualistischen Ansatzes, wobei er sich intensiv mit dem Rational-Choice-Ansatz beschäftigt und diesen weiter entwickelt. Essers Abhandlung kann zugleich als Makrosoziologische Analyse gesehen werden, da es sich mit Makroprozessen beschäftigt. Da die Soziologie versucht, Handlungen zu verstehen und nachzuvollziehen, bemüht sich Esser, wie viele bekannte Vertreter der Rational-Choice Theorie, um die Suche nach allgemeinen Gesetzen.

Werke[Bearbeiten]

  • Studien zum Interview. Meisenheim 1973
  • Soziale Regelmäßigkeiten. Meisenheim 1975
  • Wissenschaftstheorie. Stuttgart 1977
  • Arbeitsmigration und Integration, sozialwissenschaftliche Grundlagen. Königstein 1979
  • Aspekte der Wanderungssoziologie: Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Darmstadt 1980
  • Die fremden Mitbürger. Möglichkeiten und Grenzen der Integration von Ausländern. Düsseldorf 1983
  • Fehler in der Datenerhebung. Hagen 1984
  • Mikrozensus im Wandel. Untersuchungen und Empfehlungen zur inhaltlichen und methodischen Gestaltung. Stuttgart 1989
  • Generation und Identität. Theoretische und empirische Beiträge zur Migrationssoziologie. Opladen 1990.
  • Modellierung sozialer Prozesse, Alltagshandeln und Verstehen. Zum Verhältnis von erklärender und verstehender Soziologie am Beispiel von Alfred Schütz und "Rational Choice". Tübingen 1991
  • Soziologie: Allgemeine Grundlagen. Frankfurt / New York 1993
  • Soziologie: Spezielle Grundlagen. Wiesbaden 1999-2001
- Band 1: Situationslogik und Handeln
- Band 2: Die Konstruktion der Gesellschaft
- Band 3: Soziales Handeln
- Band 4: Opportunitäten und Restriktionen
- Band 5: Der Wandel nach der Wende
- Band 6: Sinn und Kultur
  • Wie funktioniert eine moderne Gesellschaft ? Hagen 2003
  • Soziologische Anstöße. Frankfurt / New York 2004
  • Sprache und Integration. Berlin 2006


Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

  • Modellierung sozialer Prozesse, Alltagshandeln und Verstehen. Zum Verhältnis von erklärender und verstehender Soziologie am Beispiel von Alfred Schütz und "Rational Choice". Tübingen 1991

Als Vertreter der Rational Choice Theorie sieht Esser Makro-Phänomene als unbeabsichtigte Folgen individuellen, rationalen Handelns. Menschliches Handeln stellt das Ergebnis der Wahl zwischen Alternativen dar und ist situationsabhängig. Dabei spielen Kreativität, Reflexion und Empathie sowie die Knappheit und (Opportunitäts-) Kosten des Handelns eine wesentliche Rolle. Esser erweitert diese Vorstellung mit der Wahrnehmungstheorie.

  • Wahrnehmungstheorie:
Neben der Annahme, dass Menschen bloß reagieren und rational Handeln, berücksichtigt die Wahrnehmungstheorie auch Erwartungen, Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten und Wahlentscheidungen von den Akteuren.
Beispiel nach Esser anhand von Zuwanderern:
Die Gruppe der Zuwanderer haben 2 Handlungsalternativen:
1) Assimilation (Eingliederung, Angleichung an die Aufnahmegesellschaft)
2) Segmentation (Abspaltung, Rückzug in die ethnische Gemeinschaft).
Der Ansatz geht also davon aus, dass nicht nur die Umgebung die Menschen ausschließt, sondern, dass auch die Mitglieder diskriminierter Gruppen diese Wahlmöglichkeit haben.


Esser beschreibt weiters ein allgemeines Erklärungsmodell sozialer Phänomene auf der Grundlage des Rational-Choice Ansatzes. Ziel der Soziologie ist es, kollektive Tatsachen zu erklären, was nur mithilfe der Gesetze des individuellen Handelns gelingt.

Das Modell verbindet vier Elemente miteinander:

--> die soziale Situation (Makro)
--> das Individuum vor der Handlung (Mikro)
--> das Individuum nach der Handlung (Mikro)
--> kollektive Effekte, neue soziale Situation (Makro)

Soziale Strukturen ergeben sich demnach aus strukturierten menschlichen Handlungen, die wiederum von vorherigen sozialen Strukturen beeinflusst wurden. Die verwendete Methode zur Erklärung erfolgt aufgrund der sogenannten Brückenhypothese, die eine Verbindung zwischen den sozialen Bedingungen des Handelns und der allgemeinen Theorie des Problemlösungsverhalten herstellt.

Die Erklärung des Prozesses setzt jeweils zwischen den Elementen an, besteht daher also aus drei Schritten. (siehe Grafik)


1) Die Logik der Situation:
Es erfolgt eine Beschreibung der Situation des Handelnden bezüglich seiner verfügbaren Handlungsalternativen, Restriktionen, Regeln die die Auswahl beschränken und die Bewertung der Konsequenzen, die als Ergebnis der Handlung zu erwarten sind.
2) Die Logik der Selektion:
Aufgrund der Bedingungen die sich aus der Situation heraus ergeben, wählt das Individuum unter den Handlungsalternativen eine geeignete aus (Handlungstheorie: z.B. Wert-Erwartungstheorie/"Subjective Expected Utility"-Ansatz: Akteure wählen die Handlungsalternative, die den höchsten subjektiven Erwartungen und Evaluation der Handlungskonsequenz entspricht).
3) Die Logik der Aggregation:
Individuelle Handlungen können als Vorbedingung für die Erklärung kollektiver Handlungen gesehen werden. Denn aus diesen individuellen Handlungen entstehen neue Situationen. Die Aggregation erfolgt nach Transformationsregeln - logischen Argumenten, und berücksichtigt dabei die individuellen Effekte des Handelns bzw. die Rahmenbedingungen der Situation.

Die Grafik stellt die sogenannte "Colemannsche Badewanne" dar, die für Esser als Basismodell für weitere Überlegungen dient. Er merkt an, dass dieses Modell auch horizontal (z.B. aufgrund exogener Einflüsse auf das System) bzw. vertikal erweitert werden kann.


Das Menschenbild der erklärenden Soziologie geht davon aus, dass der „homo sociologicus“ und „homo oeconomicus“ nicht ausreichen und zu einseitig sind. Der neue Vorschlag von Lindenberg, auf den Esser sich beruft, ist das RREEMM-Modell des Menschen, welches fünf menschliche Charakteristika umfaßt: „the resourceful, restricted, expecting, evaluating, maximizing man“. Damit meint Esser, dass Akteure bei Handlungsselektionen auch ihren eigenen Intentionen folgen (nicht nur Normen), eingeschränkt aber durch deren vorhandenen (bzw. nicht vorhandenen) Ressourcen, und auch im Hinblick auf das Ziel maximierende Erwartungen haben. Er beteuert aber, dass nicht nur einseitig egoistische Orientierungen im Vordergrund stehen (müssen). (zu RREEMM-Modell: vgl. "Bounded Rationality" - eingeschränkte Rationalität nach Herbert SIMON)


Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Hartmut Esser hat durch seine modernere Auslegung des Rational-Choice-Ansatzes versucht, eine allgemein gültige umfassende Erklärung der Handlungstheorie zu geben. Er hat bestehende Theorien (Rational-Choice) flexibler gemacht und weiterentwickelt. So können z.B. subjektive, kognitive und interpretative Prozesse mit in die Erklärung einbezogen werden. Durch das integrierende Modell der 3 Schritte (Logik der Situation, Selektion, Aggregation) auf der Mikro-Makroebene ist es ihm gelungen, eine Annäherung dieser Ebenen zu erreichen.


Literatur[Bearbeiten]

  • Treibel, Annette (2000):
    "Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. Auflage"
    Opladen
  • Greshoff, Rainer / Schimank, Uwe (2005):
    "Hartmut Esser. - in: Aktuelle Theorien der Soziologie. Von Shmuel N. Eisenstadt bis zur Postmoderne. Herausgegeben von Dirk Kaesler"
    München, S. 231-249.
  • Esser, Hartmut (1999):
    "Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 1 Situationslogik und Handeln"
    Frankfurt am Main

Internetquellen[Bearbeiten]