Wirtschaft USA/ US-Wirtschaftsgeschichte 1860 - 1914/ Bimetallismus versus Goldstandard im letzten Drittel des 19. Jh.
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Bimetallismus versus Goldstandard. Welche Argumente und welche Interessen traten in dieser US-amerikanischen Kontroverse im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hervor?
[Bearbeiten]Hintergrund: Grundlagen Bimetallismus
[Bearbeiten]- Gold- und Silbermünzen sind gesetzliches Zahlungsmittel
- Dollar ist definiert als bestimmtes Gewicht in Gold und bestimmtes Gewicht in Silber; dadurch wird per Gesetz ein Tauschverhältnis zwischen beiden Metallen festgelegt [legal ratio]
- jeder darf Gold- oder Silbermetall in unbegrenzter Menge zur Münzprägestätte [Mint] bringen und erhält dafür gesetzliches Zahlungsmittel entsprechend dem gesetzlichen Tauschverhältnis
- Gold und Silber dienen nicht nur als Geld, sondern werden auch als Metalle auf dem Markt gehandelt – dort ergibt sich das „Tauschverhältnis“ (der Preis) aus Angebot und Nachfrage [market ratio]
- Bimetallismus funktioniert, solange legal ratio = market ratio; das ist in der Praxis quasi nie der Fall, da sich der Marktpreis viel schneller verändert, als das gesetzliche Tauschverhältnis angepasst werden kann
- sobald legal ratio ≠ market ratio wirkt das Greshamsche Gesetz [Gresham’s Law]
Hintergrund: Das Greshamsche Gesetz
[Bearbeiten]- Kurzfassung: “bad money drives out good money”
- gibt es zwei Arten von Geld und eine davon ist überbewertet, so verdrängt das überbewertet („schlechte“) Geld das unterbewertete („gute“) Geld aus dem Umlauf
- das „schlechte“ Geld wird für alle Transaktionen genutzt, während das „gute“ gehortet wird oder ins Ausland abfließt
Vorgeschichte: Frühere Gesetze und Entwicklungen
[Bearbeiten]- 1785 – Continental Congress bestimmt Dollar zur Währung der USA
- Verfassung: Bimetallismus als Währungsstandard
- 1792 Coinage Act: gesetzliches Tauschverhältnis von Silber zu Gold wird auf 15:1 festgelegt
1810 - 1834: De Facto Silberstandard
- Silberfunde in Mexiko → Gold ist mit 15:1 unterbewertet und wird durch Silber aus dem Umlauf verdrängt (Gresham’s Law)
- 1834 Anpassung an die Marktgegebenheiten = neuer Coinage Act: gesetzliches Tauschverhältnisses von Silber zu Gold jetzt 16:1
1834 - 1900: De Facto Goldstandard
- leichte Überbewertung von Gold durch den neuen Coinage Act + Verstärkung dieses Trends durch Goldfunde in Kalifornien (Goldrausch 1849!)
- Gresham’s Law: Gold verdrängt Silber
Gesetze und Entwicklung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts
[Bearbeiten]Coinage Act of 1873 - The Crime of 1873???
[Bearbeiten]- Inhalt des Gesetzes: Silberdollar wird von Liste der in den USA zu prägenden Münzen gestrichen [Demonetization of Silver]; ab sofort gibt es nur noch silberne Scheidemünzen [subsidary coins]
- Wo ist da das „Verbrechen“???
→ Sichtweise 1873: es gibt keins!
- Coinage Act war lediglich Verwaltungsakt zur Harmonisierung und Vereinfachung der bestehenden Münzgesetze
- Anerkennung bestehender Tatsachen: seit über 30 Jahren waren keine Silberdollar mehr in Umlauf (USA auf de facto Goldstandard); Prägung war nicht lohnenswert, daher wurden keine geprägt
- Gesetzesvorlage wurde lange und ohne nennenswerte Gegenstimmen in Senat und Kongress debattiert; keinerlei öffentliches Interesse
→ 1876 Agitation der Inflationisten: Coinage Act wird im Nachhinein zum Verbrechen an der Menschheit und Komplott reicher Bankiers erklärt - Weshalb???
- Silberpreis war inzwischen stark gefallen – WARUM???
- Entdeckung von Silber in Nevada
- Übergang vieler europäischer Staaten (u.a. Deutschland 1871) zum Goldstandard – warfen ihre Silbervorräte auf den Markt und schwächere Nachfrage
- über freie Prägung von Silberdollar wäre Ausweitung der Geldmenge und Ende der Deflation möglich – aber: aufgrund von Coinage Act von 1873 freie Prägung von Silber nicht mehr möglich!
Bland Allison Act 1878
[Bearbeiten]- verpflichtet Regierung zum Kauf von Silber in bestimmtem Wert (mindesten 200 000 Dollar, höchstens 400 000 Dollar monatlich) und erlaubt Prägung des Silberdollar wieder
- wird über Veto des Präsidenten (Hayes) hinweg verabschiedet; überwältigende Mehrheit dafür
- Wirkung: keine - Deflation geht weiter, Gresham’s Law greift nicht – WARUM???
- Silbermenge ist zu klein, um eine Wirkung zu zeigen
- Zeit schnellen Wirtschaftswachstums, höhere Geldmenge wird einfach absorbiert
- Regierung nutzt Haushaltsüberschüsse, um Anleihen aus dem Bürgerkrieg auszuzahlen und aus dem Umlauf zu nehmen (verringert damit gleichzeitig die Geldmenge)
- weder Inflationisten noch Kontraktionisten sind zufrieden
- Inflationisten: pro = sehen Gesetz als Schritt in die richtige Richtung, aber zu wenig (wollen keine Mengenbegrenzung)
- Kontraktionisten: kontra = wollen Abschaffung des Gesetzes; befürchten bei weiter sinkendem Silberpreis doch Inflation
Sherman Silver Purchase Act 1890
[Bearbeiten]- verpflichtet Regierung zum Kauf von mehr Silber (4,5 Mio. Unzen monatlich; praktisch die gesamt Ausbeute der Silberminen auf dem Gebiet der USA) und Ausgabe von Münzen für die gesamte Menge
- politischer Handel – konservative Republikaner stimmten zu, weil sie im Tausch dafür den McKinley Zoll durchsetzen konnten
- eingebautes „Sicherheitsventil“ – Silberkäufe sind jetzt an Menge, nicht mehr an Preis gebunden (sonst würde ein fallender Silberpreis automatisch höhere Silberkäufe = höhere Geldmenge bedeuten!)
- Wirkung: Goldreserven der Regierung schwinden; de facto Goldstandard ist bedroht
- Cleveland (überzeugter Anhänger des Goldstandard) verlangt Abschaffung des Gesetzes – 1893 wird Sherman Silver Purchase Act aufgehoben
Currency Act 1900
[Bearbeiten]- USA wechseln offiziell zum Goldstandard; Gold allein wird gesetzliches Zahlungsmittel
- trotz Goldstandard kommt es zu Umkehr des Preistrends und Ende der Deflation (von 1896 bis 1914 steigt Preislevel um 50%)
- WARUM?
- starke Erhöhung der Goldmenge durch neue Goldfunde (Südafrika, Yukon, Alaska)
- Entwicklung des Zyanidverfahrens (erlaubt effizientere Ausbeutung des Erzes; auch Erze mit geringerem Goldgehalt jetzt profitabel)
Interessengruppen: Soft Money vs. Hard Money
[Bearbeiten]Soft Money - Vertreter
[Bearbeiten]- Inflationisten wenden sich nach den Greenbacks dem Silber zu und bilden einflussreiche politische Bewegung (Silver Movement)
- Ziel: „free and unlimited coinage of silver“
- Anhänger:
- Farmer
- waren oft verschuldet (Kauf von Land, Maschine, Saatgut auf Kredit) = litten unter Deflation mit fallenden Agrarpreisen (geringere Einnahmen)
- Inflation hingegen wäre Hilfe bei Schuldendienst = Wert der Kredite ist nominal festgeschrieben, fällt der reale Wert des Geldes, verlieren die Schulden an Wert
- Besitzer von Silberminen und Industriearbeiter
- geografisch betrachtet: Westen und Süden der USA
Hard Money - Vertreter
[Bearbeiten]- Ziel: Goldstandard
- Anhänger:
- Bankiers und Geschäftsleute
- Goldstandard als nationales und internationales wirtschaftliches Stabilitäts- und Vertrauensmerkmal
- essentiell für Revitalisierung der Wirtschaft und der Aufrechterhaltung der Kreditwürdigkeit im Ausland
- geografisch betrachtet: Ostküste
Präsidentschaftswahl 1896 - Bryan vs. McKinley
[Bearbeiten]- Silberfrage ist Hauptthema im Wahlkampf; deflationärer Trend geht weiter; Preise für lawi Produkte sind noch einmal stark gefallen, erreichen ihren Tiefststand
- William Jennings Bryan – Kandidat der Demokraten
- Forderung: freie Silberprägung im Verhältnis 16:1
- das bedeutet Inflation! – Silberpreis ist weiter gesunken, Markverhältnis liegt inzwischen bei über 30:1!
- berühmte Rede Bryans: Cross-of-gold Speech (“You shall not press down upon the brow of labor this crown of thorns you shall not crucify mankind upon a cross of gold.“)
- McKinley – Kandidat der Republikaner
- Anhänger des Goldstandard – sah Bryan als Radikalen
- William McKinley gewinnt die Wahl mit den Stimmen des Nordostens; damit ist die Silberfrage entschieden
Fazit
[Bearbeiten]- formell setzten sich die Hard Money - Vertreter durch
- USA gibt Bimetallismus auf, Wechsel zum Goldstandard
- eigentliche Gewinner sind aber die Soft Money - Vertreter
- erreichen ihr Ziel = Ende der Deflation, Umkehr des Preistrends
Verwendete Quellen:
[Bearbeiten]Micheloud, Francois, The Bimetallic Standard
Micheloud, Francois, The Crime of 1873
Myers, Margaret G., A Financial History of the United States (Kapitel 9: The Struggle over the Standard), 1970, S. 197-222