Zweideutigkeit als System - Thomas Manns Forderung an die Kunst: Thomas Manns Sprachkunst
- Gesittete Verwegenheit - Thomas Manns Sprachkunst
Zitat: „daß diese Sprache allerdings immer bis zum Äußersten geht, aber sie tut es auf einer mittleren Linie, mit Gesetztheit, mit vollkommener Artigkeit, ihre Kühnheit ist discret, ihre Gewagtheit meisterlich, ihr poetischer Takt unfehlbar. […] Es ist da alles in mittlerer Stimmlage und Stärke gesprochen, mäßig durchaus, durchaus prosaisch, […] aufs angenehmste gebunden, moduliert aufs gefälligste, voll kindlich klugen Zaubers, trägt es sich vor in gesitteter Verwegenheit.“ [1]
Ein Selbstkommentar Thomas Manns ist das nicht. Oder doch, auf den zweiten Blick. Mit diesen Wendungen bewundert Doktor Riemer in Lotte in Weimar (1939) Goethes Sprachvermögen. Renè Schickele hatte die verdeckte Selbstdarstellung erkannt. [2] Meisterliche Gewagtheit gilt auch für Ton und Ausdruck Thomas Manns.
Wenn Thomas Mann über einen Künstler schreibt, stellt er häufig Persönlichkeitszüge heraus, die er auch bei sich findet. Die bekanntesten Selbstporträts sind, kaum verfremdet, Tonio Kröger und Gustav von Aschenbach. Der fiktive Komponist Adrian Leverkühn in Doktor Faustus (1947) trägt ebenfalls Persönlichkeitszüge Thomas Manns. Über seinen Stil heißt es: Das Element eines zum Äußersten gehenden Ausdruckswillen war immer herrschend in ihm.
Als Sprachkünstler und von problematischer Persönlichkeit beschreibt Thomas Mann die Wirklichkeit, indem er sie problematisiert.[3] Seine verschachtelte Syntax will alles umgreifen, auch am Rande liegendes. So entsteht Manieriertheit, - doch nicht im abschätzigen Sinn, sondern als ein eigener, unverkennbarer Stil. Hat man sich eingelesen, wird aus Klang und Rhythmus ein polyphones Musizieren mit Sprache, bei dem - hoch reflektiert - Inhalte aus dem Fundus des kulturellen Gedächtnes vermittelt werden. Neben dem Lesevergnügen erweitert Thomas Mann den Bildungshorizont des Lesers, - seinem Professoren-Titel gerecht werdend.
Da er Plakatives und Eindimensionales für unkünstlerisch hält, spiegelt Thomas Mann die Komplexität der Erscheinungen ab. Sein eigenstes Mittel hierfür ist Ironie. Vordergründig ein humoristisches Geltenlassen und häufig so interpretiert, bedeutet sie ihm jedoch Objektivität und künstlerische Unverbindlichkeit.
Dazu mischt Thomas Mann divergierende Sprachebenen. Poetisches wird kontrastiert mit Wendungen aus der Amtssprache, Mundartliches trifft auf Literatursprache und dergleichen Brüche mehr. Auch der Sprachrhythmus kann abrupt wechseln. Um der pointierten Wirkung willen folgt nicht selten auf eine weit ausschwingende, durchgeformte Konstruktion ein kurzer, sehr direkter Satz, - ein trockener Paukenschlag, der die narrative Periode abschließt.
Wenn möglich, hat Thomas Mann die einzelnen Kapitel oder Bände mit einer Pointe enden lassen. Dem jungen Autor von Buddenbrooks (1901) war hier auch Derbheit recht:
"Geh zum Deifi, Sauludr´s dreckats!" So schloß Tony Buddenbrooks zweite Ehe. Und Band I der Familiengeschichte im Erstdruck. - Tonys Stolz und Dünkel waren von Kindheit an, den "ersten Kreisen" Lübecks anzugehören.
- ↑ Mann, Thomas: Lotte in Weimar. Stockholm: Bermann-Fischer 1939, S. 85
- ↑ Renè Schickele am 24.11.1937an Thomas Mann: „In gesitteter Verwegenheit“ - als ich das gelesen hatte, war ich versucht zu sagen: „Sie sprechen vortrefflich, Professor Mann!“ Aber wie sollten Sie anders sprechen!
- ↑ Frizen, Werner: Thomas Manns Sprache. In: Koopmann, H.: Thomas-Mann-Handbuch. Stuttgart: Kröner 2001, S.854