Petitionsrecht - Art. 17 GG

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Autor: Stephan Gerbig

Notwendiges Vorwissen: Grundrechtsfunktionen

Lernziel: Reichweite und die Bedeutung von Petitionen als außergerichtliche Rechtsbehelfe kennenlernen

Unter Petitionen werden an zuständige staatliche Stellen gerichtete Beschwerden und Bitten verstanden. Während sich Beschwerden auf Vergangenes beziehen, sind Bitten auf die Zukunft gerichtet.

Bei dem Petitionsrecht im Sinne des Art. 17 GG handelt es sich nicht um ein Abwehrrecht, sondern um ein Leistungsrecht: Aus dem Petitionsrecht erwächst der Anspruch, dass eine Petition von der zuständigen staatlichen Stelle zur Kenntnis genommen, geprüft und beantwortet werden muss. Mit diesem Charakter als Leistungsrecht geht ein besonderer Prüfungsaufbau einher.

Zwar ist die Prüfungsrelevanz dieses Grundrechts überschaubar, gleichwohl kommt ihm in der Praxis eine extrem hohe Bedeutung zu.[1] Durch den außerförmlichen Charakter ist das Petitionsrecht ein niedrigschwelliges Instrument, mit dem Menschen ihre Anliegen zur Kenntnis staatlicher Stellen bringen können; vor diesem Hintergrund gilt das Petitionsrecht auch als „soziales Frühwarnsystem“.[2]

Petitionen können an alle staatliche Stellen gerichtet werden: Parlamente auf Landes- und Bundesebene[3], Behörden oder (insbesondere in Form von Gegenvorstellungen) Gerichte. Hierfür muss allerdings die Zuständigkeit der adressierten Stelle gegeben sein.[4]

Weiterführendes Wissen

Häufig beschränken sich Darstellungen zum Petitionsrecht auf den parlamentarischen Kontext. Tatsächlich ist der Anwendungsbereich des Petitionsrechts jedoch sehr weit und etwa auch bei Remonstrationen gegen Prüfungsbeurteilungen eröffnet. Jede Kommunikation von Bürger:innen mit staatlichen Hoheitsträger:innen ist insofern (potenziell) vor dem Hintergrund des Petitionsrechts zu betrachten.

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A. Anspruchsberechtigte[Bearbeiten]

Jede natürliche Person kann sich auf das Petitionsrecht im Sinne des Art. 17 GG berufen. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche[5]. Rechtliche Geschäfts- bzw. Prozessfähigkeit ist nicht erforderlich, es genügt, die eigenen Gedanken in Form einer Petition zum Ausdruck bringen zu können.[6] Auch ausländische Personen können sich auf das Petitionsrecht im Sinne des Art. 17 GG berufen. Dies gilt auch für im Ausland lebende ausländische Personen, soweit das Anliegen die Zuständigkeit einer innerstaatlichen Stelle betrifft.[7]

Mit Blick auf sogenannte Sonderrechtsverhältnisse[8] bestehen gewisse Beschränkungen der grundsätzlichen Anspruchsberechtigung: Art. 17a GG eröffnet weitreichende Möglichkeiten, um das Petitionsrecht von Soldat:innen einzuschränken. Im Bereich des Strafvollzugs können Gefangene aus Art. 17 GG „keinen Anspruch auf Kontaktaufnahme zu Mitgefangenen zum Zwecke der Abfassung einer gemeinschaftlichen Petition herleiten, sofern und solange solche Kontakte mit dem Haftzweck unvereinbar sind.“[9] Beamt:innen sind dazu verpflichtet, bei Anliegen, die einen dienstlichen Bezug haben, zunächst den Dienstweg einzuhalten.[10]

Auch juristische Personen können sich auf das Petitionsrecht berufen. Ihre grundrechtliche Gefährdungslage ergibt sich daraus, dass sie hoheitlicher Staatsgewalt unterworfen sind.

Das Petitionsrecht kann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen[11] geltend gemacht werden; möglich ist auch die Einreichung als sogenannte „öffentliche Petition“, sofern diese ein allgemeines Interesse bedient.[12]

Gerade online eingereichte Petitionen haben das Potenzial, eine Vielzahl von Menschen zu erreichen, die sich der Petition anschließen, und dadurch tatsächliche Veränderungsprozesse bewirken zu können.

Beispiel: Petition „Drosselung der Surfgeschwindigkeit stoppen, Netzneutralität gesetzlich festschreiben“ mit mehr als 200.000 Unterstützer:innen (2013)[13]; Petition „Verbietet #Upskirting in Deutschland!“ mit mehr als 100.000 Unterstützer:innen (2019)[14]

B. Anspruchsvoraussetzungen[Bearbeiten]

Gegenstand einer Petition kann jede Form staatlicher Hoheitsausübung, insbesondere auch ein hoheitliches Unterlassen, sein. Auch nicht formalisierte Rechtsbehelfe (wie etwa Gegenvorstellungen oder Dienstaufsichtsbeschwerden[15]) fallen unter das Petitionsrecht im Sinne des Art. 17 GG, eine explizite Kennzeichnung als „Petition“ ist nicht erforderlich. Art. 17 GG verlangt bereits dem Wortlaut nach, dass die Petition schriftlich eingebracht werden muss.[16] Nicht als Petition gelten Anliegen mit beleidigendem, erpresserischem oder vergleichbarem Charakter.[17]

C. Anspruchsinhalt[Bearbeiten]

Das Petitionsrecht verpflichtet die adressierte staatliche Stelle, den vorgebrachten Vorgang tatsächlich entgegen und inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen, sie anschließend der Sache nach zu prüfen und zu beantworten.[18] Eine bloße Empfangsbestätigung genügt nicht[19], das Petitionsrecht gibt aber keinen Anspruch darauf, dass die Beantwortung umfassend begründet sein muss.[20] Vielmehr genügt ein „sachlicher Bescheid, aus dem ersichtlich ist, wie die angegangene Stelle die Petition zu behandeln gedenkt.“[21] Mit dem Petitionsrecht ist ferner kein Anspruch auf eine Entscheidung im begehrten Sinn verbunden.[22]

Eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung des Petitionsrechts liegt beispielsweise vor, wenn eine ordnungsgemäße Petition nicht angenommen oder nicht ausreichend behandelt wird. Für eine ordnungsgemäße Bescheidung der Petition ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.[23]

Wird eine Petition, die bereits ordnungsgemäß beschieden wurde und insofern erledigt ist, mit dem gleichen Inhalt erneut erhoben, so besteht kein Anspruch auf erneute sachliche Bescheidung.[24]

D. Anspruchsgrenzen[Bearbeiten]

Das Petitionsrecht ist ein vorbehaltslos gewährleistetes Grundrecht, welches jedoch verfassungsimmanenten Schranken unterliegt.[25]

E. Europäische und internationale Bezüge[Bearbeiten]

Art. 43 und 44 GRCh gewähren Unionsbürger:innen das Recht, sich mit einer Petition an den:die Europäische:n Bürgerbeauftragte:n sowie an das Europäische Parlament zu wenden. Zudem folgt aus Art. 41 IV GRCh das Recht, sich an alle Organe der EU wenden zu können. Diese Regelungen werden jeweils in Art. 24 AEUV ergänzt beispielsweise konkretisiert.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Bitten und Beschwerden, die die Zuständigkeit staatlicher Hoheitsträger:innen betreffen, können gegenüber der Legislative, der Exekutive und der Judikative erhoben werden.
  • Aus dem Petitionsrecht folgt der Anspruch, dass die Petition ordnungsgemäß beschieden werden muss. Diesem Anspruch ist bereits genüge getan, wenn aus der Antwort ersichtlich ist, wie mit der Petition umgangen wird. Ein Anspruch auf eine umfassende Begründung besteht nicht.

Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Michael Hornig, Die Petitionsfreiheit als Element der Staatskommunikation, 2001
  • Wolfgang Graf Vitzthum, Das Grundrecht der Petitionsfreiheit, JZ 1985, S. 809 – 817

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Twitter oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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Abschnitt 1 - Allgemeine Grundrechtslehren

Abschnitt 2 - Aufbau der Prüfung eines Freiheitsgrundrechts

Abschnitt 3 - Grundrechtsschutz und Dritte

Abschnitt 4 - Verfahren, Konkurrenzen, Prüfungsschemata

Abschnitt 5 - Grundrechte im Mehrebenensystem

Abschnitt 6 - Einzelgrundrechte des Grundgesetzes

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. 2019 sind alleine beim Bundestag 13.529 Petitionen eingegangen, vgl. Deutscher Bundestag, Der Jahresbericht des Petitionsausschusses – Ausgabe 2020, 99.
  2. BT-Drucks. 6/3829, 29; vgl. Graf Vitzthum, JZ 1985, 809 (809).
  3. Auf Bundesebene sieht Art. 45c GG die Einrichtung eines Petitionsausschusses beim Bundestag vor.
  4. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 23 = BVerfGE 2, 225 (229) – Petitionsbescheid.
  5. Für staatliche Hoheitsträger:innen können bei Petitionen von Kindern und Jugendlichen besondere Sorgfaltspflichten bestehen, vgl. UN Committee on the Rights of the Child, General Comment No. 12: The right of the child to be heard, UN Dok. CRC/C/GC/12, Rn. 134. Zudem besteht in diesen Fällen die Verpflichtung, sich mit dem Anliegen in einer dem Alter und dem Entwicklungsstand des:der Petent:in entsprechenden Weise auseinanderzusetzen, vgl. ebd., Rn. 28.
  6. OVG Berlin, Urt. v. 26.8.1975 – V B 22.73, juris.
  7. BVerwG, Urt. v. 22.5.1980, Az.: 7 C 73/78, Rn. 18 – juris; in dem konkreten Fall ging es um die ausländerbehördliche Behandlung eines Petenten während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik.
  8. Dieser Begriff wurde früher verwendet, um auszudrücken, dass gewisse Personenkreise (insbesondere Beamt:innen, Soldat:innen, Gefangene, Lehrkräfte) von einem umfassenden Grundrechtsschutz ausgenommen sind. Das BVerfG hat bereits in den 1970ern festgestellt, dass auch Personen in Sonderrechtsverhältnissen Träger:innen von Grundrechten sind; aus dem Zweck des jeweiligen Sonderrechtsverhältnisses können sich jedoch rechtfertigungsbedürftige Grundrechtseinschränkungen ergeben, siehe BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972, Az.:2 BvR 41/71, Rn. 18 - BVerfGE, 33, 1 (11) – Strafgefangene.
  9. BVerfG, Beschl. v. 01.8.1978, Az.: 2 BvR 1013/77, Rn. 117 - BVerfGE 49, 24 (57) - Kontaktsperre-Gesetz.
  10. Vgl. BGH, Urt. v. 23.9.1976, Az.: III ZR 121/74, Rn. 34 – juris; siehe hierzu vertiefend Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Zur Wahrnehmung des Petitionsrechts aus Art. 17 GG durch Beamte, Az.: WD 3 -3000 -148/17, 2017.
  11. Für die Unterschiede zwischen Mehrfachpetitionen, Sammelpetitionen, Massenpetitionen und öffentlichen Petitionen siehe 2.2 der Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden (Verfahrensgrundsätze)
  12. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.9.2011, Az.: 2 BvR 1558/11, Rn.2 - juris.
  13. Die Petition hat bewirkt, dass die Deutsche Telekom geplante Drosselungen der Surfgeschwindigkeit korrigiert hat. Die Petition wurde über die Petitionsplattform change.org eingereicht.
  14. Die Petition war letztlich ursächlich für ein anschließendes Gesetzgebungsverfahren mit einer Verabschiedung einer neuen gesetzlichen Regelung (§ 184k StGB). Die Petition wurde über die Petitionsplattform change.org eingereicht.
  15. BVerwG, Beschl. v. 01.9.1976, Az.: VII B 101.75, Rn. 12 – juris; BFH, Urt. v. 22.4.1965, Az.: V 45/62 U, Rn. 9 - juris.
  16. In der Praxis wird dieses Erfordernis durch die Möglichkeit, Petitionen über Online-Formulare einreichen zu können, zunehmend relativiert.
  17. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 24 = BVerfGE 2, 225 (229) – Petitionsbescheid.
  18. BVerwG, Beschl. v. 01.9.1976, Az.: VII B 101.75, Rn. 12 – juris; BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 25 = BVerfGE 2, 225 (230) – Petitionsbescheid.
  19. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 27 = BVerfGE 2, 225 (230) – Petitionsbescheid.
  20. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 28 = BVerfGE 2, 225 (230) – Petitionsbescheid.
  21. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 28 = BVerfGE 2, 225 (230) – Petitionsbescheid.
  22. BVerwG, Beschl. v. 01.9.1976, Az.: VII B 101.75, Rn. 12 - juris.
  23. BVerfG, Beschl. v. 19.5.1988, Az.: 1 BvR 644/88, Rn. 1 – juris.
  24. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953, Az.: 1 BvR 162/51, Rn. 33 = BVerfGE 2, 225 (232) – Petitionsbescheid.
  25. BVerfG, Beschl. v. 12.12.1990, Az. 1 BvR 839/90, Rn. 20 - juris.