Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes

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Autor:innen: Johannes Siegel

Notwendiges Vorwissen: Rechtsstaatsprinzip

Lernziel: effektiver Rechtsschutz und allgemeinen Justizgewährungsanspruch als Teil des Rechtsstaatsprinzips verstehen sowie Grundrecht aus Art. 19 IV GG abgrenzen

Recht kann nur dann Wirkung entfalten, wenn effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist. Daher ist ein Staat idealerweise derart organisiert, dass ein effektiver Zugang zur Justiz (und somit zu Recht besteht). Der Justizgewährungsanspruch beschreibt dazu Anforderung an den Staat, sodass dieser gewisse Rahmenbedingungen erfüllt. Diese sollen den Zugang zu Justiz und die Bedingungen des Zugangs sichern. Im Ergebnis wird dadurch der Rechtsstaat verwirklicht, weshalb der Justizgewährungsanspruch aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 III GG abgeleitet wird. Der Justizgewährungsanspruch zeigt sich dabei in unterschiedlichen Ausprägungen in Form des allgemeinen Justizgewährungsanspruches und der Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch[1] dient dabei der Verwirklichung des Rechtsschutzes als Gerüst für die einzelnen Komponenten, wie beispielsweise Zugang zu Rechtsschutz und einen angemessenen Zeitrahmen für eine Entscheidung.[2] Die Funktionalität der Justiz wird dagegen in der Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes konkretisiert. Dabei ist beides stark miteinander verbunden. Die strukturellen Voraussetzungen durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch sollen im Ergebnis zu einem effektiven Rechtsschutz führen.[3]

Dabei bestehen umfangreiche Überschneidungen mit dem Grundrecht der Rechtsweggarantie[4] aus Art. 19 IV GG. Dieses Kapitel beschränkt sich auf die strukturelle Komponente und den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Als Grundlage bietet es sich jedoch an als Vorwissen auch die Grundzüge des Kapitels zum Grundrecht der Rechtsweggarantie aus Art. 19 IV GG anzusehen.

A. Verfassungsrechtliche Verortung[Bearbeiten]

Die Verortung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs als Teil des Rechtsstaatsprinzips liegt nicht auf der Hand. Das Grundgesetz kennt ausdrückliche Regelungen zu Rechtsschutz und Justizgrundrechten. Art. 19 IV GG regelt konkret Rechtsschutz gegenüber Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt.[5] Art. 101 I 2 GG bestimmt den Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Art. 103 I GG gewährt den Anspruch auf rechtliches Gehör. Dennoch passen alle drei Anknüpfungsmöglichkeiten nicht für den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Während Art. 19 IV GG auf die öffentliche Gewalt beschränkt ist und somit ausdrücklich nicht allgemein gelten soll, setzen Art. 101 I 2 GG und Art. 103 I GG bereits einen Rechtsweg voraus.[6] Somit bietet sich für den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Rückgriff auf die allgemeinere Grundlage in Form des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 III GG an.[7]

Anhand dieser konkreten Ausgestaltungen im Grundgesetz zeigt sich die strukturelle Funktion des allgemeinen Justizgewährungsanspruches als Teil des Rechtsstaatsprinzips. Aus ihm sind die allgemeinen Strukturen einer Justiz abzuleiten. Allgemeine Strukturen sind vor allem der Zugang und der effektive Ablauf. Das BVerfG stellte dabei fest, dass eine nicht verfassungsrechtlich rechtfertigungsfähige Verengung des Zugangs zu Gerichten[8] oder ein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren[9] eine Verletzung von Art. 2 I GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip darstelle. Durch diese Anknüpfung an Art. 2 I GG ist es möglich, prozessual gegen solche Einschränkungen des effektiven Rechtsschutzes vorzugehen.[10] So lässt sich festhalten, dass der Zugang zu Gerichten, auch für Streitigkeiten, die über Art. 19 IV GG hinausgehen, zurecht als für den Rechtsstaat notwendig angesehen werden. Auch ohne eine ausdrückliche Benennung im Grundgesetz wird der allgemeine Justizgewährungsanspruch daher direkt aus Art. 20 III GG entnommen.[11]

B. Inhalt des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs[Bearbeiten]

Da das Grundgesetz in Art. 19 IV GG lediglich eine Regelung zum Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt trifft, besteht eine Leerstelle für den Rechtsschutz[12] in allen übrigen Fällen, wie denen des bürgerlichen Rechts. Das BVerfG erkannte daraufhin in einer seiner seltenen Plenarentscheidungen (das BVerfG entscheidet mit beiden Senaten als gesamtes Gericht), dass auch für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten ein Anspruch auf Rechtsschutz bestehe.[13] Es leitete aus dem Rechtsstaatsprinzip einen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz ab. Somit beginnt der Anwendungsbereich des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs dort, wo Art. 19 IV GG endet. Inhalt dieses Anspruchs sei grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung. Das bedeutet, dass das Gericht zum einen zu bewerten habe was tatsächlich passierte, also welcher Sachverhalt dem Rechtsstreit zu Grunde liegt und zum anderen, wie dieser Sachverhalt rechtlich zu bewerten sei. Abschließend bestehe ein Anspruch auf eine verbindliche Entscheidung des Gerichts.[14] Dieses Verfahren sei weiter innerhalb einer angemessenen Dauer abzuschließen.[15]

Folglich fordert der effektive Rechtsschutz in Form des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs die notwendige Struktur zur Erfüllung dieser jeweiligen Teilrechte zu erschaffen und zu erhalten. Es obliegt somit der Legislative dieses Gerüst zu schaffen.[16]

Klausurtaktik

Für die Klausur ist es wichtig vor allem zwischen zwei Punkten zu differenzieren. Es ist zum einen zwischen dem Rechtsschutz gemäß Art. 19 IV GG in Bezug auf öffentliche Gewalt und dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch für die übrigen Fällen zu trennen. Man kann daher auch davon sprechen, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch für den effektiven Rechtsschutz eine Auffangfunktion[17] hat. Daher sollte in der Klausur auch in dieser Reihenfolge geprüft werden, sodass das Verständnis über dieses Verhältnis auch dargestellt werden kann. Zum anderen ist die strukturelle Funktion zu beachten. Diese betrifft nicht den Einzelfall sondern beispielsweise allgemein den Zugang zu Gericht, das faire Verfahren und auch angemessene Gerichtskosten.[18]

C. Grenzen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs[Bearbeiten]

Der effektive Rechtsschutz steht in einem Spannungsverhältnis zu rechtsstaatlichen Prinzipien, wie der Rechtssicherheit in Form einer abschließenden Entscheidung zu Gunsten des Rechtsfriedens.[19] Aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch wird daher ein effektiver Rechtsschutz durch Richter:innen abgeleitet, aber nicht gegen Richter:innen.[20] Diese Unterscheidung ist elementar. Das BVerfG stellte dazu fest, dass Art. 19 IV GG eben nicht den Rechtsweg gegen richterliche Entscheidungen öffne.[21] Daran ist die Grenze des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs zu messen. In einer weiteren Plenarentscheidung erkannte das BVerfG an, dass zum Rechtsschutz gegen Richter:innen der Zugang zu Gericht erfasst sei, jedoch kein Rechtsmittelzug.[22]

Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Voßkuhle/ Kaiser, Grundwissen - Öffentliches Recht: Der allgemeine Justizgewährungsanspruch, JuS 2014, 312.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Als Teil des Rechtsstaatsprinzips muss ein allgemeiner Zugang zu Justiz durch faire Verfahren in angemessener Dauer bestehen.
  • Die strukturelle Ausprägung des allgemeinen Justizgewährungsanspruches ist von dem Grundrecht aus Art. 19 IV GG zu trennen.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVerfG v. 11.6.1980, Az: 1 PBvU 1/79, S. 291 = BVerfGE 54, 277 (291) - Ablehnung der Revision.
  2. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312 (313).
  3. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312 (313).
  4. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 28; Siehe dazu deshalb das passende Kapitel im Lehrbuch zu den Grundrechten.
  5. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 35.
  6. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2014, 312 (313).
  7. BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVefG v. 30.4.2003, Az: 1 PBvU 1/02, S. 401 = BVerfGE 107, 395 (401) - Rechtsschutz gegen den Richter I; BVerfG, Beschl. v. 9.5.1989, Az: 1 BvL 35/86 = BVerfGE 80, 103 = NJW 1989, 1985 (1985); BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992, Az.: 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673 (1673).
  8. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, Az.: 1 BvR 370/84 = BVerfGE 69, 381 = NJW 1986, 244 (244).
  9. BVerfG, Beschl. v. 26.4.1988, Az.: 1 BvR 669/87 u.a. = BVerfGE 78, 123 = NJW 1988, 2787 (2787).
  10. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20 Rn. 128.
  11. Gröpl, Staatsrecht I, 12. Aufl. 2020, Rn. 465.
  12. BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVerfG v. 30.4.2003, Az: 1 PBvU 1/02= BVerfGE 107, 395 (407) - Rechtsschutz gegen den Richter I.
  13. BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVerfG v. 11.6.1980, Az: 1 PBvU 1/79 = BVerfGE 54, 277 (291) - Ablehnung der Revision.
  14. BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992, Az.: 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673 (1673).
  15. Maurer, Staatsrecht I, 6. Augl. 2010, § 8 Rn. 28; BVerfG, Staatgebender Kammerbeschl. v. 30.7.2009, Az.: 1 BvR 2662/06, 1. LS = NJW-RR 2010, 207; BVerfG, Beschl. v. 16.12.1980, Az: 2 BvR 419/80= BVerfGE 55, 349 (369) - Hess-Entscheidung.
  16. Voßkuhle/Kaiser, JuS, 2014, 312 (312); BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVerfG v. 30.4.2003, Az.: 1 PBvU 1/02= BVerfGE 107, 395 (408).
  17. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 28
  18. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 137.
  19. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 30.
  20. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 30.
  21. BVerfG, Beschl v. 7.7.1960, Az.: 2 BvR 435/60 u.a. = BVerfGE 11, 263 = NJW 1960, 1563 (1563).
  22. BVerfG, Beschl. d. Plenums d. BVerfG v. 30.4.2003, Az: 1 PBvU 1/02= BVerfGE 107, 395 (401 f.).