Zum Inhalt springen

Zweideutigkeit als System - Thomas Manns Forderung an die Kunst: Tristan

Aus Wikibooks
Novellband 1903
Entstehung: Frühjahr bis Sommer 1901.

Eine "Burleske" hat Thomas Mann die Novelle genannt.[1] Sie parodiert den amoralischen Ästhetizismus, - eine Kunstströmung, die im Ausklang des neunzehnten Jahrhunderts, also während der Anfänge Thomas Manns, in Blüte stand.

Die Protagonisten der Sanatoriums-Novelle sind eine tuberkulosekranke junge Frau und der verbummelte Schriftsteller Detlev Spinell. Der Schwärmer und Schöngeist Spinell überredet die junge Frau, am Flügel zu musizieren, obwohl ihr das seitens ihrer Ärzte strikt verboten worden ist. Die körperliche und emotionale Überforderung lösen zwei Tage später einen tödlichen Blutsturz aus. Um der ´Schönheit´ des Klavierspiels der talentierten jungen Frau willen nimmt der Ästhet Spinell ihren Tod in Kauf.

In einem der Dialoge meint Detlev Spinell, die Wirklichkeit sei von "einer fehlerhaften Tatsächlichkeit". Er halte es für plump, ihr "wirklichkeitsgierig" zu begegnen. Die Wortverbindung ´wirklichkeitsgierig´ empfindet die sensible, kunstsinnige junge Frau als "ein richtiges Schriftstellerwort. Es liegt so manches darin, […], etwas Unabhängiges und Freies, das sogar der Wirklichkeit die Achtung kündigt." [2] Sie ahnt oder erkennt, dass Kunst die Wirklichkeit übertrifft, dass Gestaltung durch Kunst eine höhere Wirklichkeit schafft. Jahrzehnte später merkt Thomas Mann in einem seiner Briefe an, dass "immer Idee und Kunst das Leben übertreffen und übertreiben." [3]

Vordergründig auf die Figur Spinell bezogen, macht Thomas Mann seine eigene Arbeitsweise publik: "Für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist, kam er jämmerlich langsam von der Stelle, und wer ihn sah, musste zu der Anschauung gelangen, dass ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten. […] Andererseits muss man zugeben, dass das, was schließlich zustande kam, den Eindruck der Glätte und Lebhaftigkeit erweckte." [4]

Thomas Mann hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihn Schreiben anstrenge. An seinen Romanen und Erzählungen hat er täglich nur zwei oder drei Vormittagsstunden geschrieben und dabei selten mehr als eine Seite zu Papier gebracht. "Das Schreiben wurde mir immer schwerer als anderen, alle Leichtigkeit ist da Schein." [5] Sein Lebenswerk hat Thomas Mann "in kleinen Tagewerken aus aberhundert Einzelinspirationen zur Größe emporgeschichtet." [6]


Q u e l l e n :

  1. Thomas Mann am 13.2.1901 an Heinrich Mann
  2. Thomas Mann: Tristan. Berlin: S. Fischer Verlag 1903, S. 41
  3. Thomas Mann am 2.6.1943 an Agnes E. Meyer
  4. Thomas Mann: Tristan. Berlin: S. Fischer 1903, S. 70
  5. Thomas Mann am 10.12.1946 an Gottfried Kölwel
  6. Thomas Mann: Der Tod in Venedig. Berlin. S. Fischer 1913, S. 23


weiter
Inhaltsverzeichnis
zurück