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Examensrepetitorium Jura: Schwerpunktbereich Internationales Privatrecht: Zuständigkeit

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Die Internationale Zuständigkeit bestimmt, die Gerichte welchen Staates einen Rechtsstreit zu entscheiden haben. Sie ist allgemeine Prozessvoraussetzung und in jeder Lage des erstinstanzlichen Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.[1] Wichtigste Rechtsquellen für die internationale Zuständigkeit in Deutschland sind die EuGVVO (auch "EuGVO" oder "Brüssel Ia-VO" genannt) und die EuEheVO (auch "Brüssel IIa-VO" genannt). Nur wenn diese Verordnungen nicht anwendbar sind, kann auf das autonome deutsche Recht zur internationalen Zuständigkeit zurückgegriffen werden. Sie folgt dann der örtlichen Zuständigkeit nach den §§ 12 ff. ZPO.

Zivil- und Handelssachen: EuGVVO

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Mit Abstand am klausurrelevantesten ist dabei die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Verordnung - die EuGVVO.

Anwendbarkeit

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Die EuGVVO ist anwendbar, wenn ihr sachlicher, räumlich-persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich eröffnet ist.

Sachliche Anwendbarkeit

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Sachlich ist der Anwendungsbereich eröffnet, wenn nach Art. 1 Abs. 1 EuGVVO eine Zivil- oder Handelssache vorliegt. Was eine Zivil- und Handelssache ist, ist nicht nach der lex fori, sondern verordnungsautonom zu bestimmen, damit die Anwendung der Verordnung europaweit einheitlich ist. Die Ausnahmen von der Anwendbarkeit sind in Art. 1 Abs. 2 EuGVVO aufgelistet.

Zeitliche Anwendbarkeit

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Zeitlich ist die Verordnung für alle Klagen anwendbar, die nach dem 1. März 2002 erhoben wurden (Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVVO). In heute gestellten Klausuren dürfte dieser Aspekt nur noch in den seltensten Fällen Thema sein. Relevant ist aber dennoch wegen des Beitritts neuer Mitgliedsstaaten, ab wann eine Klage nach der EuGVO als erhoben gilt. Die früher herrschende Meinung wendete hierauf das autonome nationale Recht an, in Deutschland also § 253 ZPO.[2] Die neuere Gegenansicht wendet Art. 30 EuGVVO analog an.[3]

Für ab dem 10. Januar 2015 erhobene Klagen gilt die EuGVVO in der reformierten Fassung von 2012[4], Art. 66 EuGVVO n.F.

Räumlich-persönliche Anwendbarkeit

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Aus den Art. 2 bis Art. 4 EuGVVO folgt, dass Voraussetzung der räumlich-persönlichen Anwendbarkeit ist, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU gem. Art. 355 AEUV hat. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es nicht an. Für juristische Personen gilt als Wohnsitz nach Art. 63 EuGVVO ihr satzungsmäßiger Sitz, hilfsweise der Sitz ihrer Hauptverwaltung.

Lässt sich der Wohnsitz eines Unionsbürgers in einem Mitgliedsstaat nicht sicher feststellen, ist die EuGVO trotz Art. 4 anwendbar.[5]

In Verbrauchersachen wird durch Art. 15 Abs. 2 EuGVVO der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Verordnung ausgedehnt, wenn der Beklagte zwar keinen Sitz, aber eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat und die Streitigkeit aus dem Betrieb gerade dieser Niederlassung stammt. Der Begriff der Verbrauchersache wird in Art. 15 Abs. 1 EuGVVO definiert: Sachlich werden sämtlich gewerblichen Tätigkeiten (Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO) erfasst, in persönlicher Hinsicht muss jemand zu nicht-gewerblichen Zwecken ein Geschäft mit einem Unternehmer abgeschlossen haben.

Niederlassung im Sinne der EuGVVO ist

  1. ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit,
  2. der als Außenstelle ihres ausländischen Stammhauses nach außen hervortritt
  3. und über eine ausreichende Ausstattung verfügt, um Geschäfte mit Dritten zu betreiben

Das bloße Betreiben einer Website durch einen Gewerbetreibenden genügt noch nicht zur Geltung der Zuständigkeitsregeln der EuGVVO, die dem Schutz der Verbraucher anderer Mitgliedstaaten dienen.[6]

Grenzüberschreitender Bezug

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Ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung der EuGVVO ist ein grenzüberschreitender Bezug des zu entscheidenden Falles, da EU-Recht sonst nicht anwendbar ist.[7] Ein Berührungspunkt zu einem anderen Mitgliedsstaat als dem Forumsstaat (und nicht nur zu einem Nichtmitgliedsstaat, sog. "Drittstaatenproblematik") ist hingegen nicht erforderlich, wie Erwägungsgrund 13 zeigt.[8]

Allgemeiner Gerichtsstand

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Der Grundsatz actor sequitur forum rei gilt auch in den europäischen Zuständigkeitsregeln. Abgesehen von Ausnahmen durch ausschließliche Kompetenzen kann gem. Art. 2 stets am Wohnsitz des Beklagten geklagt werden. Wer Beklagter ist, bestimmt sich rein nach der Parteistellung im Prozess, die materielle Schuldnerschaft spielt keine Rolle.[9] Bei natürlichen Personen verweist Art. 59 auf die lex fori (in Deutschland §§ 7 ff. BGB), bei juristischen Personen bestimmt die Verordnung selbst in Art. 60, dass es sich beim Sitz um den Ort des satzungsmäßigen Sitzes, der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung handeln kann.

Ausreichend ist, dass die internationale Zuständigkeit nach Art. 2 im Laufe des Rechtsstreits eintritt, anschließend bleibt sie nach dem Grundsatz der perpetuatio fori erhalten, auch wenn ihre Voraussetzungen wieder entfallen.[10]

Welches Gericht innerstaatlich örtlich zuständig ist, überlässt Art. 2 - anders als Art. 5 Nr. 1 EuGVVO - dem nationalen Verfahrensrecht, in Deutschland also den §§ 12 ff. ZPO.

Besondere Gerichtsstände

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Aus den Art. 5-7 ergeben sich weitere Zuständigkeiten für Fälle, in denen der Wohnsitzgerichtsstand die prozessualen Interessen des Klägers nicht adäquat berücksichtigt. Die besonderen Gerichtsstände der EuGVVO sind als Ausnahmen zu Art. 2 eng auszulegen.[11] Sind dem Kläger mehrere Gerichtsstände eröffnet, kann er frei zwischen ihnen wählen.

Besondere Zuständigkeiten nach Art. 5

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Besonderheit der Zuständigkeiten nach Art. 5 ist, dass mit Ausnahme der Nr. 6 nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit festgelegt wird.[12]

Vertragsgerichtsstand
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Art. 5 Nr. 1 EuGVVO stellt Vertragspartnern einen Gerichtsstand am Erfüllungsort zur Verfügung. So wird verhindert, dass der Beklagte die Anspruchsdurchsetzung erschwert, indem er seinen Wohnsitz in eine ihm genehme Jurisdiktion verlagert.

Was ein vertraglicher Anspruch im Sinne der Norm ist, muss verordnungsautonom, also ohne Rückgriff auf die nationale dogmatische Einordnung der lex fori ermittelt werden. Der EuGH verlangt keinen Vertrag, sondern lediglich eine freiwillig eingegangene Verpflichtung.[13] Ausgeschlossen ist damit insbesondere die cic.[14] Es genügt die schlüssige Darlegung eines vertraglichen Anspruchs, der Vertragsgerichtsstand ist also auch eröffnet, wenn der Abschluss des Vertrages gerade streitig ist.

Der Vertragsgerichtsstand ist auch bei Klagen aus abgetretenem Recht einschlägig.[15]

Für den Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen bestimmt Art. 5 Nr. 1 b) den Erfüllungsort selbst ohne Rücksicht auf das Vertragsstatut.[16] Die Gerichtsstände nach Buchstabe b) gelten für alle Ansprüche aus dem Vertrag, also z.B. sowohl für die Zahlungsverpflichtung des Käufers als auch die Lieferpflicht des Verkäufers.[17]

Auch was eine Dienstleistung ist, bestimmt sich verordnungsautonom; der Begriff wird vom EuGH eng ausgelegt.[18] Voraussetzung ist eine entgeltliche Tätigkeit[19], bei gemischten Verträgen ist nach dem Schwerpunkt zu suchen.[20]

Buchstabe b) ist nach seinem Wortlaut nur anwendbar, wenn das danach berufene Gericht in einem Mitgliedsstaat sitzt. Scheidet seine Anwendung danach aus, oder liegt kein Dienstleistungs- oder Kaufvertrag über bewegliche Sachen vor, bestimmt sich der Gerichtsstand gemäß c) nach Buchstabe a). Dort ist der Erfüllungsort nach dem Vertragsstatut zu bestimmen.[21] Auf die vertragscharakteristische Leistung kommt es hier nicht an, für jeden Einzelanspruch muss der Erfüllungsort selbstständig festgestellt werden.[22] Das gilt jedoch nur für vertragliche Hauptpflichten. Nebenpflichten und Sekundäransprüche z.B. wegen Leistungsstörung knüpfen akzessorisch an die Hauptpflicht an.

Unerlaubte Handlung
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Bei unerlaubter Handlung ist nach Art. 5 Nr. 3 ein Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses eröffnet. Hintergrund ist, dass bei unerlaubten Handlungen der Wohnsitz des Schädigers oft weit vom Tatort oder dem Wohnsitz des Geschädigten entfernt sein kann.

Der Begriff der unerlaubten Handlung ist wiederum autonom[23] und eng[24] auszulegen. Er umfasst alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag nach Art. 5 Nr. 1 anknüpft.[25] Dazu zählen neben klassischen Delikten auch Gefährdungstatbestände und die c.i.c.

Ort des schädigenden Ereignisses ist bei sog. Distanzdelikten, bei denen Handlungs- und Erfolgsort auseinander fallen, sowohl der eine als auch der andere Ort, der Kläger hat ein Wahlrecht.[26]

Anders als gem § 17 Abs. 2 GVG im nationalen Recht können am Deliktsgerichtsstand nach der EuGVO nur deliktische Ansprüche eingeklagt werden, aber keine konkurrierenden vertraglichen Ansprüche.[27]

Gerichtsstand der Niederlassung
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Ein Unternehmen kann nach Art. 5 Nr. 5 auch am Sitz seiner Niederlassung verklagt werden, wenn die Streitigkeit aus deren Betrieb folgt. Niederlassung ist ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses auftritt und die nötige Ausstattung für Geschäfte mit Dritten aufweist.[28] Ein selbstständiger Handelsvertreter fällt nicht unter den Begriff.[29]

Aus dem Betrieb der Niederlassung folgt eine Streitigkeit, wenn die betreffende Niederlassung den Vertrag ausgehandelt und im Namen der Muttergesellschaft abgeschlossen hat.

Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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Art. 6 Nr. 1 gewährt einen besonderen Gerichtsstand für Fälle der subjektiven Klagenhäufung. Er ist auf Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen nach den Art. 18-21 nicht anwendbar.[30]

Art. 6 Nr. 3 eröffnet einen Gerichtsstand am Ort der Klage für die Widerklage. Der Begriff der Widerklage ist verordnungsautonom auszulegen und enger als der des § 33 ZPO, der lediglich einen Zusammenhang beider Klagen verlangt.[31]

Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge

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Ein Großteil der Regelungen der Verordnung über die internationale Zuständigkeit dient dem Schutz des typischerweise schwächeren Vertragsteils. Die Bestimmungen der Art. 8-21 verdrängen, mit Ausnahme der Niederlassungsregel, die allgemeinen Zuständigkeiten der Art. 2-7 und lassen abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen nur ausnahmsweise zu.

Versicherungsnehmer und Verbraucher haben die Möglichkeit ihren Vertragspartner nicht nur an deren, sondern auch an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen. Sie selbst können dagegen nur an ihrem Wohnsitz verklagt werden. Für Arbeitnehmer gilt auf der Beklagtenseite dasselbe, klagen können sie außer am Sitz des Arbeitgebers auch am Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit.

Ausschließliche Zuständigkeiten

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Art. 22 EuGVVO begründet einige Zuständigkeiten, die alle anderen an sich möglichen Gerichtsstände verdrängen. Abweichende Vereinbarungen der Parteien sind nicht zulässig. Ausschließliche Gerichtsbarkeit besteht in folgenden Fällen:

  • Dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie Miet- und Pachtverträge über unbewegliche Sachen
  • organisationsrechtliche Fragen juristischer Personen
  • Eintragungen in öffentliche Register
  • Eintragungen und Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen

Ist einer dieser Gerichtsstände einschlägig, haben sich alle anderen Gerichte von Amts wegen für unzuständig erklären, wenn sie angerufen werden.

Gerichtsstandsvereinbarungen

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Ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarungen

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Die internationale Zuständigkeit kann gem. Art. 23 EuGVVO grundsätzlich auch durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (sog. Prorogation) begründet werden. Voraussetzung ist, dass die Parteivereinbarung bestimmten formalen Anforderungen entspricht. Art. 23 Abs. 1 akzeptiert dafür die Schriftform, mündliche Vereinbarungen mit schriftlicher Bestätigung, Vereinbarungen entsprechend der Gepflogenheiten der Parteien sowie entsprechend internationaler Handelsbräuche.

Materielle Grenzen ergeben sich aus den ausschließlichen Zuständigkeiten und den Regelungen zum Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern.

Art. 23 ist nicht anwendbar, wenn das festgelegte Gericht sich nicht in einem Mitgliedsstaat befindet. Dass ein Fall außer der Prorogation zu einem Gericht eines Mitgliedsstaates und dem Sitz einer der Parteien in einem Mitgliedsstaat sonst keinen Bezug zu einem anderen Mitgliedsstaat, ist hingegen nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm unschädlich.

Rügelose Einlassung

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Nach Art. 26 EuGVVO kann ein Gerichtsstand auch konkludent durch rügelose Einlassung vereinbart werden. Dazu genügt jede Einlassung des Beklagten, die unmittelbar auf Klageabweisung gerichtet ist. Damit reichen bereits Ausführungen des Beklagten zum Verfahren, auch ohne materielle Einlassung. Das gilt selbst dann, wenn eigentlich eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten eines anderen Gerichts vorliegt. Eine mit der Rüge verbundene hilfsweise Einlassung ist jedoch unschädlich.[32] Dem Beklagten sei nicht zuzumuten, das Risiko eines Versäumnisurteils einzugehen, wenn er erfolglos nur die Zuständigkeit rügt.

Entgegenstehende Rechtshängigkeit und zusammenhängende Verfahren

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Eine an sich nach den Art. 2 oder 5-7 gegebene Zuständigkeit ist gem. Art. 27 EuGVVO ausgeschlossen, wenn zwischen denselben Parteien über den selben Anspruch bereits ein Prozess in einem anderen Mitgliedsstaat anhängig ist. Der Begriff des "selben Anspruchs" entspricht nicht dem deutschen Begriff des Stretgegenstands, sondern wird vom EuGH autonom und weit ausgelegt. Abzustellen ist darauf, ob der Kernpunkt der beiden Rechtsstreitigkeiten identisch ist.[33] Wann ein Verfahren anhängig ist, bestimmt sich autonom nach Art. 30 EuGVVO.

Bei Prozessen, die sich zwar nicht auf denselben Gegenstand beziehen, aber miteinander zusammenhängen, haben die Gerichte nach Art. 28 EuGVVO die Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen. In erstinstanzlichen Verfahren können sie sich unter bestimmten Voraussetzungen auch für unzuständig erklären.

Prozessuales

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Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte muss nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO von Amts wegen geprüft werden, wenn der Beklagte am Verfahren nicht teilnimmt. Tut er es, gilt sein Verhandeln als rügelose Einlassung, Art. 26 EuGVVO.

Ausreichend für die Begründung der internationalen Zuständigkeit ist schlüssiger Sachvortrag des Klägers.[34]

Die fehlende internationale Zuständigkeit ist anders als das Fehlen der örtlichen oder sachlichen Zuständigkei Berufungsgrund.[35]

Familiensachen: EuEheVO

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Die EuGVO wird im Bereich des Ehe- und Kindschaftsrecht durch die EuEheVO[36] (auch Brüssel-IIa-Verordnung) ergänzt.

Anwendbarkeit

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Sachlich

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Nach Art. 1 Abs. 1 EuEheVO ist sie anwendbar auf

a) Ehesachen, was behördliche und gerichtliche Verfahren, nicht aber private Scheidungsverfahren und kirchliche Verfahren betrifft. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind nicht erfasst, für sie gilt § 103 FamFG. Scheidungsfolgen sind mit Ausnahme des Sorgerechts nicht geregelt.
b) Elterliche Verantwortung, näher definiert in Art. 2 Nr. 7 EuEheVO

Zeitlich

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Gemäß Art. 72 Abs. 2, 64 Abs. 1 EuEheVO ist die Verordnung anwendbar auf alle nach dem 1. März 2005 eingeleiteten gerichtlichen und diesen gleichgestellten Verfahren und aufgenommenen öffentlichen Urkunden.

Räumlich

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Mit Ausnahme von Dänemark[37] gilt die Verordnung unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten der EU gem. Art. 355 AEUV.

Persönlich

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Persönlich anwendbar ist die EuEheVO auf alle Ehepartner, Eltern und Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat haben, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit. Sie ist außerdem anwendbar auf alle Personen, die einem Mitgliedsstaat angehören, unabhängig von ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt.[38]

Internationale Zuständigkeit für Ehesachen

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Art. 3 EuEheVO enthält eine Reihe von internationalen Zuständigkeiten, zwischen denen der Antragsteller die freie Wahl hat. "Gewöhnlicher Aufenthalt" ist dabei der Ort, an dem eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld erkennbar ist.[39] Sollten mehrere Gerichte in derselben Sache angerufen werden, findet die Klärung der Zuständigkeit nach Art. 19 EuEheVO statt.

Wie im deutschen Zivilprozessrecht gilt die perpetuatio fori. Nach Rechtshängigkeit bleibt ein einmal gegebener Gerichtsstand bestehen, auch wenn sich die Anknüpfungstatsachen (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt) ändern.

Autonomes deutsches Recht

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Das autonome deutsche Recht greift in erster Linie, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat hat und die EuGVO damit nach Art. 2 Abs. 1 nicht anwendbar ist (mit den Ausnahmen der Art. 22 und 23).

Allgemeine Zivilsachen

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Im deutschen Prozessrecht sind die Regeln zur örtlichen Zuständigkeit doppelfunktional und bestimmen gleichzeitig die internationale Zuständigkeit. Wo sich der Wohnsitz des Beklagten für die Anwendung der §§ 12 und 13 ZPO befindet, bestimmt sich nach den §§ 7-11 BGB, nicht nach dem Personalstatut des Beklagten. Grund ist die generelle Regel, nach der die Tatbestandsmerkmale prozessualer Normen nach der lex fori auszulegen sind.

Vermögensgerichtsstand, § 23 ZPO

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Besondere Fragen wirft der Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO auf. Danach kann gegen Personen ohne Wohnsitz im Inland vor jedem Gericht geklagt werden, in dessen Bezirk der Beklagte Vermögen hat. Darunter fällt jeder geldwerte Gegenstand, unabhängig davon, ob die Klageforderung damit (auch nur annähernd) gedeckt werden kann.[40]

Die Norm ist eigentlich als Schutzvorschrift für Inländer gedacht[41], gilt aber auch, wenn der Kläger Ausländer ist.[42] Der Gerichtsstand ist international unüblich und wird als exorbitant empfunden wird.[43] Der Kritik kommt die Rechtsprechung entgegen, indem sie die ungeschriebene Voraussetzung eines hinreichenden Inlandsbezug für seine Anwendung fordert.[44] Begründet wird das mit dem historischen Sinn und Zweck der Norm und der Notwendigkeit völkerrechtsfreundlicher Auslegung.[45]

Gerichtsstand des Erfüllungsorts, § 29 ZPO

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Anders als nach Art. 5 EuGVVO bestimmt sich der Erfüllungsort nach § 29 ZPO nach dem vom IPR berufenen Vertragsstatut.[46]

Gerichtsstandsvereinbarung, § 38 ZPO

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Das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt sich nach dem auf die Vereinbarung selbst anwendbaren Vertragsrecht. Der BGH knüpft akzessorisch an das Statut des Hauptvertrags an. In der Literatur wird hingegen teilweise eine selbstständige Bestimmung des Schwerpunkts der Gerichtsstandsvereinbarung vorgeschlagen, die regelmäßig zur Anwendung der lex fori des prorogierten Gerichts führen würde.

Die prozessuale Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und deren Wirkungen richten sich nach der lex fori[47], in Deutschland also nach den §§ 38-40 ZPO.

Familiensachen

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Unvereinheitlicht sind noch folgende Bereiche:

  • Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften (§ 103 FamFG)
  • Güterrechtliche Fragen (§ 98 Abs. 2 FamFG)

Aktuelle Rechtsprechung

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EuGH v. 3.4.2014 - C-438/12, EuZW 2014, 469:

  • Der Gerichtsstand nach Art. 22 EuGVVO gilt auch bei Klage auf Feststellung der Ungültigkeit der Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrechts
  • Ein später angerufenes Gericht muss das Verfahren nicht wegen Rechtshängigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat aussetzen, wenn es nach Art. 22 EuGVVO ausschließlich zuständig ist.

EuGH vom 13.3.2014 - C 548/12, EuZW 2014, 383:

  • Klagen wegen deliktsrechtlicher Ansprüche zwischen Vertragspartnern knüpfen trotzdem an einen "Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" iSv Art. 5 Nr. 1 lit. a) EuGVVO an, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann.

EuGH vom 16.1.2014 - C-45/13, EuZW 2014, 232:

  • Handlungsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist bei Produkthaftungsfällen der Ort, an dem das betreffende Produkt hergestellt wurde.

EuGH vom 14.11.2013 - C-478/12, EuZW 2014, 33:

  • Bedient sich ein Reiseveranstalter zur Vertragsvermittlung eines Reisebüros im Ausland, besteht ein hinreichender Auslandsbezug zur Anwendung der EuGVVO auch, wenn Reiseveranstalter und Kunde ihren Sitz im selben Land haben.

Fußnoten

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  1. BGHZ 160, 332
  2. Thomas/Putzo, 34. Aufl. 2013, Art. 66 EuGVO Rn. 2
  3. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 66 EuGVO Rn. 2 unter Verweis auf BGH NJW 2013, 2597
  4. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
  5. EuGH EuZW 2012, 381
  6. EuGH, 07.12.2010 - C-585/08; C-144/09, NJW 2011, 505
  7. EuGH NJW 2012, 1199, Hüßstege in Thomas/Putzo, 34. Aufl. 2013, EuGVVO Vorbem. Rn. 11; a.A. Geimer in Zöller, Art. 2 EuGVVO Rn. 14
  8. Hüßstege in Thomas/Putzo, 34. Aufl. 2013, EuGVVO Vorbem. Rn. 12
  9. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2011, Az. KZR 8/10, ZIP 2011, 975
  10. BGH, Urteil vom 1. März 2011, Az. XI ZR 48/10, NJW 2011, 2515
  11. EuGH EuZW 2008, 369
  12. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 1
  13. EuGH EuZW 2013, 703
  14. Hüßtege/Ganz, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2012 S. 44
  15. BGH, Urteil vom 22. April 2009 - VIII ZR 156/07
  16. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 4
  17. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 10
  18. EuGH NJW 2009, 1865
  19. EuGH EuZW 2014, 181
  20. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 8
  21. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 11
  22. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 11
  23. EuGH NJW 2013, 287
  24. EuGH NJW 2013, 2099
  25. EuGH EuZW 2013, 703
  26. EuGH NJW 2009, 3501; EuGH NJW 2013, 287
  27. EuGH NJW 2013, 2099
  28. Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, Art. 5 EuGVO Rn. 22
  29. EuGH NJW 1982, 507
  30. EuGH NJW-RR 2008, 1658
  31. Thomas/Putzo, 34. Aufl. 2013, Art. 6 EuGVO Rn. 5
  32. BGH NJW 2009, 148
  33. BGH NJW 2002, 2795
  34. BGH, Urt. v. 29. 11. 2011 − XI ZR 172/11, NJW 2012, 455
  35. BGH NJW 2004, 1456
  36. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000; Jayme/Hausmann Nr. 162
  37. Erwägungsgrund (31) der EuEheVO
  38. Hüßtege/Ganz, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2012 S. 68
  39. EuGH, FamRZ 2011, 617
  40. Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl. 2014, § 23 Rn. 6; eine Ausnahme gilt nur, wenn das Vermögen noch nicht einmal die Zwangsvollstreckungskosten deckt, OLG Frankfurt ZIP 2013, 277 oder unpfändbar ist
  41. BGH vom 02.07.1991 - XI ZR 206/90; BGHZ 115, 90
  42. Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl. 2014, § 23 Rn. 2
  43. Vergleiche die Erwähnung in der Aufzählung nicht anzuerkennender exorbitanter nationaler Gerichtsstände in Art. 3 Abs. 2 EuGVVO i.V.m. Anhang I
  44. BGH vom 02.07.1991 - XI ZR 206/90; BGHZ 115, 90
  45. Siehe zu letzterem Mark/Ziegenhain, Der Gerichtsstand des Vermögens im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und deutschem internationalen Prozeßrecht, NJW 1992, 3062
  46. h.M., Thomas/Putzo, 35. Aufl. 2014, § 29 Rn. 2 m.w.N.
  47. BGH NJW-RR 2005, 929
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Literatur

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  • Haimo Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl 2014, ISBN 978-3-406-66101-3.
  • Ansgar Staudinger / Björn Steinrötter, Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht: Alles „Brüssel“, oder was?, JA 2012, 421 (PDF).
  • Thomas Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht: Brüssel I-VO, LugÜbk 2007, 2010, ISBN 978-3-86653-088-1.
  • Thomas Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht: EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EG-ZustellVO 2007, EG-BewVO, EG-InsVO, 2010, ISBN 978-3-86653-090-4.
  • Thomas Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht: Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, EG-ErbVO-E, HUntStProt 2007, 2010, ISBN ISBN 978-3-86653-089-8.
  • Reinhold Geimer, Rolf A. Schütze, Ewald Geimer: Europäisches Zivilverfahrensrecht. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3406510151..
  • Peter F. Schlosser: EU-Zivilprozessrecht. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3406565366..