Äußere Maße, Messbarkeit, Satz von Caratheodory, Fortsetzungssatz – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

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In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der Frage, wann eine Fortsetzung einer Mengenfunktion zu einem Maß existiert und überlegen uns, wie eine solche konstruiert werden kann. Wir lernen -Subadditivität und äußere Maße kennen und leiten den Satz von Carathéodory und den Maßfortsetzungssatz her.

Vorüberlegungen[Bearbeiten]

Unter welchen Voraussetzungen kann eine auf einem beliebigen Mengensystem definierte Mengenfunktion zu einem Maß auf der von erzeugten -Algebra fortgesetzt werden? Die Antwort auf diese Frage wollen wir uns in diesem Kapitel Schritt für Schritt überlegen.

Wir werden gleich an einem einfachen Beispiel sehen, dass die ganze Sache komplizierter ist, als man im ersten Moment vermuten könnte. Denn müsste es nicht intuitiv ausreichen, dass auf dem Definitionsbereich die Maßeigenschaften besitzt, um daraus (irgendwie) eine Fortsetzung zu einem Maß auf der erzeugten -Algebra zu konstruieren? Die Mengenfunktion besitzt die Maßeigenschaften, wenn und -Additivität gilt, mit anderen Worten, wenn ein Prämaß auf ist. Dass diese Bedingung notwendig ist, ist klar: Wenn kein Prämaß auf dem Mengensystem ist, dann kann insbesondere keine Fortsetzung von ein Prämaß sein. Damit ist es aber ausgeschlossen, dass es eine Fortsetzung von zu einem Maß gibt, da jedes Maß ein Prämaß mit einer -Algebra als Definitionsbereich ist.

Es muss also ein Prämaß auf sein, damit eine Fortsetzung zu einem Maß existieren kann. Aber leider ist das nicht hinreichend, denn diese Eigenschaft sagt im Allgemeinen nicht genug über aus: Das Problem ist, dass wir nichts über die Struktur des Mengensystems wissen. Insbesondere kann die Eigenschaft der (-)Additivität trivialerweise erfüllt sein, einfach weil es in keine disjunkten Mengen gibt. Dennoch kann Eigenschaften haben, die es direkt ausschließen, daraus einen Inhalt oder ein Maß zu machen, etwa weil die Monotonie verletzt ist. Ein Beispiel dafür haben wir schon ganz zu Beginn im Artikel Inhalte auf Ringen gesehen:

Beispiel (eine -additive, aber nicht monotone Mengenfunktion)

mit

Deshalb gehen wir zunächst ein paar Schritte zurück und erinnern uns an unsere allerersten Überlegungen zu Messfunktionen.

Subadditive Mengenfunktionen[Bearbeiten]

Im Artikel Inhalte auf Ringen haben wir Messfunktionen als extensive Größen aufgefasst. Das sind Größen, die sich mit der Größe des zugrundeliegenden Systems ändern (z.B. Volumen, Masse, Energie, etc.). Dabei haben wir als zentrale Gemeinsamkeit aller extensiven Messfunktionen die Monotonie beobachtet, d.h. die Eigenschaft, dass ein Vergrößern der gemessenen Menge auch zur Vergrößerung der Messgröße führt. Die Monotonie haben wir konkretisiert zur Subadditivität, aus welcher man die Monotonie folgern kann. Die Subadditivität besagt, dass sich der gemessene Wert auch dann vergrößern soll, wenn die Obermenge durch Zusammenlegen endlich vieler einzelner Mengen entsteht. Wenn wir nun mit ein allgemeines Mengensystem haben, dann ist es also angebracht, auch diese allgemeine Eigenschaft extensiver Größen zu fordern: die Subadditivität. Zur Erinnerung die Definition:

Definition (Subadditivität einer Mengenfunktion)

Eine Mengenfunktion heißt (endlich) subadditiv, falls für alle und mit gilt:

Erst später haben wir diese extensive Eigenschaft ergänzt durch die "exakte" Eigenschaft der Additivität und in dem Zusammenhang den Mengenring als möglichen Definitionsbereich von Messfunktionen beschrieben. Auf Mengenringen war es ausreichend, nur die Additivität zu fordern, um daraus auch Subadditivität und Monotonie zu folgern. Aber im Allgemeinen folgen diese beiden Eigenschaften einer Mengenfunktion nicht aus der Additivität, wenn der Definitionsbereich keine weitere Struktur besitzt, wie das Beispiel oben gezeigt hat. Deswegen wird unser erstes Ziel sein, eine subadditive Fortsetzung von zu konstruieren, die auf einem möglichst großen Mengensystem definiert ist.

Konstruktion eines äußeren Inhalts[Bearbeiten]

Eine subadditive Mengenfunktion lässt sich als eine äußere Approximation interpretieren: Wird eine Menge von Mengen überdeckt, dann ist ihr Volumen auf jeden Fall kleiner oder gleich dem Volumen der überdeckenden Mengen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Mengen disjunkt zur Menge zusammensetzen oder ob sie nur "grob" überdecken:

Unter Umständen ist die Summe der Volumina einer disjunkten Zerlegung echt größer als die Vereinigung, aber das macht nichts: Eine Approximation von außen lässt Abweichungen des Volumens nach oben zu. Deshalb ist die Subadditivität bei der Fortsetzung leichter zu handhaben als die Additivität, und es ist sogar eine subadditive Fortsetzung auf ganz möglich. Beachte, dass wir dagegen von einer additiven Mengenfunktion im Allgemeinen nicht erwarten können, sie auf der gesamten Potenzmenge zu definieren, wie wir am Beispiel von Banach-Tarski gesehen haben. Anschaulich besagt das, dass nicht jede Teilmenge der Grundmenge exakt messbar ist. Von außen approximieren lässt sich dagegen jede beliebige Menge .

Nutzen wir also diesen Zusammenhang zwischen Subadditivität und der Approximation von Mengen durch Überdeckungen bei der Konstruktion der subadditiven Fortsetzung. Sei eine auf dem Mengensystem definierte subadditive Mengenfunktion. Natürlich muss auch gelten. Deshalb können wir ohne Einschränkung annehmen, indem wir festlegen (selbst, wenn sein sollte). Mithilfe von approximierenden Überdeckungen konstruieren wir nun eine auf der Potenzmenge definierte subadditive Fortsetzung : Für eine Menge , die von Mengen überdeckt wird (d.h. ), definieren wir

Problem: Der Wert von hängt von der gewählten Überdeckung ab!

Beispiel

Betrachte das Mengensystem und die Mengenfunktion . Für die Menge ist sowohl als auch eine Überdeckung mit Mengen aus . Der Wert für ist dann entsprechend bzw. . Intuitiv ist die zweite Variante besser als die erste, weil sie genauer approximiert.

Damit also wohldefiniert ist, müssen wir unter allen möglichen Überdeckungen mit Mengen aus auswählen. Wir wählen für jede Menge den Wert für , der zu der Überdeckung gehört, die am genauesten von außen approximiert. Weil wir von außen approximieren, ist das gerade diejenige Überdeckung, die den kleinsten Wert für liefert. Es gibt unter Umständen unendlich viele mögliche Überdeckungen, deshalb bilden wir das Infimum:

Hinweis

Das Infimum der leeren Menge ist definiert durch (die leere Menge besitzt keine größte untere Schranke). Das entspricht dem Fall, dass zu "groß" ist und es keine Überdeckung mit Mengen aus gibt.

Evtl. gibt es keine Überdeckung, die genau den Wert liefert, aber nach Definition des Infimums kann man dem Wert beliebig nahekommen.

Nach Konstruktion mit dem Infimum gilt für jedes und jede beliebige Überdeckung mit Mengen :

Bei der Abschätzung nach oben wurde benutzt, dass die in der Menge der Überdeckungen von enthalten sind, über die das Infimum gebildet wird.

Diese Ungleichung ist schon sehr ähnlich zur Subadditivität, die unser Ziel ist. Allerdings steht links der Ungleichung , rechts . Deshalb müssen wir die Subadditivität noch extra beweisen.

Satz

Sei ein Mengensystem mit und eine Mengenfunktion mit . Dann ist die auf der Potenzmenge definierte Mengenfunktion

subadditiv und es gilt .

Beweis

Wir zeigen zuerst .

Da eine Überdeckung der leeren Menge mit Mengen aus ist, gilt . Da außerdem gilt für alle , ist auch und es folgt .

Nun zur Subadditivität. Seien beliebig mit . Wir müssen zeigen, dass gilt.

Sei ohne Einschränkung für alle , denn andernfalls gilt die Ungleichung sowieso. Die Idee ist nun, die Überdeckung von auf eine Überdeckung mit Mengen aus zurückzuführen. Für diese können wir ausnutzen, dass sie in der Menge der Überdeckungen enthalten ist, über die das Infimum gebildet wird, und erhalten so eine Abschätzung nach oben. Dafür wählen wir für jedes einzelne eine Überdeckung mit Mengen aus (die existiert, weil ist). Dann ist

eine Überdeckung von . Nach Konstruktion von gilt somit

Bei der zweiten Ungleichung geht ein, dass, wie in der Summe davor, über die Mengen aus summiert wird, mit dem Unterschied, dass einige Mengen möglicherweise doppelt gezählt werden. (Hier benutzten wir, dass nichtnegativ ist!)

Nun wollen wir aber etwas von der Form

erreichen. Dafür müssen wir die Überdeckungen der wieder auf die zurückführen und dabei die Ungleichung beibehalten. Mit anderen Worten, wir brauchen

Die Konstruktion von garantiert aber nur

Da wir aber den Wert des Infimums in der definierenden Gleichung von beliebig genau approximieren können, können wir die Überdeckungen so wählen, dass sie nur wenig größer sind als . Sei also . Zu jedem wählen wir so, dass gilt:

Dann erhalten wir aus obiger Abschätzung

und da beliebig war, folgt

Hinweis

Beachte, dass wir im Satz nicht die Subadditivität von gefordert haben. Damit subadditiv ist, muss nicht selbst subadditiv sein. Um den Satz zu zeigen, reicht es, dass eine nichtnegative Mengenfunktion mit ist. Die Subadditivität von werden wir dennoch gleich brauchen, damit tatsächlich eine Fortsetzung von ist.

Wir haben nun eine auf ganz subadditive Mengenfunktion mit konstruiert. In Anlehnung an die Überlegungen zur äußeren Approximation nennen wir eine auf der Potenzmenge definierte Mengenfunktion mit diesen Eigenschaften einen äußeren Inhalt.

Definition (Äußerer Inhalt)

Eine Mengenfunktion heißt äußerer Inhalt, falls gilt:

  1. ,
  2. ist subadditiv.

Warnung

Dieser Begriff wird nicht in der Literatur verwendet.

Beachte auch: Was wir hier als äußeren Inhalt bezeichnen, ist kein Inhalt im eigentlichen Sinne, denn er ist im Allgemeinen nicht additiv.

Es bleibt noch die Frage, ob durch fortgesetzt wird, d.h. ob für alle gilt. Das ist nicht so klar: wir wissen bisher nur, ist, denn ist eine mögliche Überdeckung von . Aber nichts garantiert, dass es keine "bessere" Approximation gibt und das Infimum über alle möglichen Überdeckungen nicht doch einen kleineren Wert liefert. Wir wollen also auch die umgekehrte Ungleichung: für alle . Das ist der Fall, wenn für alle endlichen Überdeckungen von mit Mengen gilt, dass ist. Mit anderen Worten, wir brauchen zusätzlich die Subadditivität von auf .

Satz

Sei ein Mengensystem mit , sei eine subadditive Mengenfunktion mit und sei definiert wie oben. Dann ist eine Fortsetzung von .

Beweis

Wir müssen zeigen, dass für alle ist. Da von überdeckt wird, gilt nach Definition von als Infimum über alle Überdeckungen. Umgekehrt gilt für beliebige mit wegen Subadditivität von auch . Da dies für alle Überdeckungen von erfüllt ist, gilt die Ungleichung auch für das Infimum über alle möglichen Überdeckungen und es folgt .

Um den wie oben definierten äußeren Inhalt als Fortsetzung von zu kennzeichnen, schreiben wir dafür. Zusammengefasst haben wir bewiesen:

Satz (von der Konstruktion des äußeren Inhalts)

Seien ein Mengensystem mit und eine subadditive Mengenfunktion mit . Dann ist

ein äußerer Inhalt, der fortsetzt.

Warnung

Im Allgemeinen ist die im Satz definierte Mengenfunktion eine mögliche Fortsetzung von zu einem äußeren Inhalt. Neben dieser kanonischen Definition kann es weitere geben. Mit der Frage nach der Eindeutigkeit einer Fortsetzung beschäftigen wir uns später.

Abschließend betrachten wir noch ein kurzes Beispiel. Der äußere Jordan-Inhalt wird ausgehend vom elementargeometrischen Inhalt im definiert.

Beispiel (äußerer Jordan-Inhalt)

Eine (halboffene) Quaderfigur ist eine endliche Vereinigung halboffener Quader der Form .

durch Überlappung verringert sich das Volumen
durch Überlappung verringert sich das Volumen

Wir betrachten das Mengensystem

der Quaderfiguren im . Dieses Mengensystem ist ein Ring. Auf dem Ring der Quaderfiguren betrachten wir den elementargeometrischen Inhalt . Dieser ordnet einem Quader sein Volumen

zu. Jede Quaderfigur lässt sich auch als disjunkte Vereinigung endlich vieler Quader schreiben, und ihr Volumen ist die Summe der einzelnen Quadervolumina. (Mache Dir klar, dass es immer möglich ist, als disjunkte Vereinigung von halboffenen Quadern zu schreiben, und dass der Wert nicht von der Wahl der Zerlegung abhängt!) Die so definierte Mengenfunktion heißt Jordan-Inhalt. Man kann zeigen, dass auf dem Mengensystem tatsächlich additiv, also ein Inhalt ist. Insbesondere gilt und da ein Ring ist, folgt aus der Additivität von auch die Subadditivität.

Wir können den äußeren Jordan-Inhalt konstruieren, indem wir für eine beliebige Teilmenge definieren:

Nach dem eben Bewiesenen ist tatsächlich ein äußerer Inhalt (subadditiv) und setzt fort. Anschaulich wird damit das Volumen beliebiger Teilmengen des approximiert, indem diese durch Überdeckungen mit Quaderfiguren angenähert werden.

Überdeckung eines Kreises mit Rechtecken
Überdeckung eines Kreises mit Rechtecken

Vom äußeren Inhalt zum Inhalt[Bearbeiten]

Wir haben im vorherigen Abschnitt die Subadditivität als wesentliche Eigenschaft erkannt und sie zum Mittelpunkt der Konstruktion der Fortsetzung gemacht. Führen uns unsere Überlegungen zur Subadditivität aber überhaupt zum Ziel und wenn ja, wie können wir es erreichen? Denn nach wie vor sind wir ja an einer "exakten" (additiven) bzw. zusätzlich stetigen (-additiven) Mengenfunktion auf einem möglichst großen Definitionsbereich interessiert. Eine subadditive Fortsetzung unserer Mengenfunktion auf die ganze Potenzmenge ist natürlich gut und schön, aber uns interessiert, auf welchen Mengen diese Fortsetzung additiv bzw. -additiv ist. Gehen wir Schritt für Schritt vor und kümmern wir uns erstmal um die Additivität. Wenn wir die Mengen herausfinden können, auf denen sich eine subadditive Mengenfunktion additiv verhält, ist schon viel gewonnen: Durch einfaches Einschränken des Definitionsbereiches erhalten wir schon einen Inhalt, und von dort ist es nicht mehr weit (hoffentlich nur ein Grenzübergang , aber das werden wir noch sehen) bis zu einem Maß.

Das Ziel ist nun also, den Definitionsbereich geschickt einzuschränken und damit zu erreichen, dass darauf (endlich) additiv, also ein Inhalt wird. Wie können wir herausfinden, auf welchen Mengen "exakt", d.h. additiv ist?

Die Messbarkeitsbedingung von Carathéodory[Bearbeiten]

Gesucht sind diejenigen , für die gilt:

Das sind aber zwei gesuchte Größen ( und ) in einem Ausdruck. Damit ist schwierig umzugehen, deshalb halten wir nur als die gesuchte Größe fest und betrachten (und damit auch ) als beliebig. Auf der linken Seite der Gleichung können wir nichts mehr vereinfachen. Versuchen wir also, auf der rechten Seite alle Ausdrücke mit durch und auszudrücken:

Da wir über nichts wissen, müssen wir für alle Mengen mit zulassen. Für die Mengen , auf denen additiv ist, soll also gelten:

Erinnern wir uns an die Überlegungen zur Approximation mit Überdeckungen und an die Additivität als Eigenschaft, "exakt" messbar zu sein. Dann sind intuitiv die Mengen , für welche die Bedingung erfüllt ist, approximierbar. Approximierbarkeit einer Menge kann man als Eigenschaft interpretieren, dass Approximation von Außen und von Innen dasselbe Ergebnis liefern, so wie bei integrierbaren Funktionen die Werte für Ober- und Untersumme im Grenzwert gleich sein sollen. Fassen wir die innere Approximation einer Menge als äußere Approximation des Komplements auf (siehe Bild), so folgt aus dieser Überlegung, dass mit einer Menge stets auch ihr Komplement messbar sein soll.

Diese Äquivalenz kommt in der obigen Formel schon zum Ausdruck, denn wegen ist sie symmetrisch in und :

Nun haben wir aber das Erfülltsein der Gleichung nur für diejenigen mit gefordert. Ist eine Menge messbar, so können wir wegen noch nicht die Messbarkeit des Komplements folgern. Um die gewünschte Symmetrie zwischen der Approximierbarkeit einer Menge und ihrem Komplement herzustellen, muss die definierende Gleichung der Messbarkeit für jedes beliebige erfüllt sein. Die Mengen , für welche die Gleichung für alle gilt, sind die durch exakt approximierten Mengen, deswegen werden diese auch -messbare Mengen genannt. Diese Bedingung der Messbarkeit wurde von dem Mathematiker Constantin Carathéodory eingeführt.

Definition (Messbarkeitsbedingung nach C. Carathéodory)

Sei ein äußerer Inhalt. Eine Menge heißt -messbar, falls für alle gilt:

Die Menge ist die Menge der -messbaren Mengen.

Hinweis

Oft wird die Gleichung in der Messbarkeitsbedingung äquivalent formuliert:

Außerdem findet man manchmal "" statt "", d.h.

denn wegen Subadditivität gilt ja "" sowieso.

Warnung

In der Literatur findet man die Messbarkeitsbedingung für sogenannte äußere Maße anstelle von äußeren Inhalten definiert. Äußere Maße werden wir noch kennenlernen, und unsere Definition der Messbarkeit überträgt sich unverändert darauf.

Anwendung der Messbarkeitsbedingung[Bearbeiten]

Wir haben uns eine Bedingung überlegt, um die Mengen zu finden, auf denen ein äußerer Inhalt additiv ist. In der Tat funktioniert sie, und der Beweis ist nicht schwer:

Satz

Sei ein äußerer Inhalt. Dann ist additiv auf .

Beweis

Wir zeigen die Aussage für zwei disjunkte Mengen, die Additivität für beliebig endlich viele paarweise disjunkte Mengen folgt induktiv.

Seien disjunkt. Es gilt wegen der Messbarkeit von :

Genauso gut kann man natürlich mit der Messbarkeit von argumentieren.

Wir können sogar schon etwas über die Struktur von sagen:

Satz

Sei ein äußerer Inhalt. Dann gilt:

Beweis

Die ersten beiden Eigenschaften folgen fast unmittelbar aus der Messbarkeitsdefinition:

Sei beliebig. Wegen und gilt:

Sei nun . Verwendet man die äquivalente Messbarkeitsbedingung , so sieht man, dass aus Symmetriegründen gilt.

Seien schließlich und beliebig. Mehrfache Anwendung der Eigenschaft -messbarer Teilmengen ergibt:

Wir haben also schon eine -Algebra ohne "": Alles, was fehlt, ist die Abgeschlossenheit gegenüber abzählbar unendlichen Vereinigungen. Ein solches Mengensystem heißt dementsprechend Algebra.

Algebra verhält sich zu -Algebra, wie Ring zu -Ring: das "" steht für "abzählbar unendlich statt nur endlich viele Operationen"

Definition (Algebra)

Ein Mengensystem heißt Algebra, falls gilt:

Induktiv folgt aus natürlich die Abgeschlossenheit gegenüber beliebigen endlichen Vereinigungen. Jede Algebra ist ein Ring; jeder Ring mit ist eine Algebra.

Zusammengefasst haben wir in diesem Abschnitt herausgefunden:

Satz (Zwischenresultat)

Sei ein äußerer Inhalt. Dann ist eine Algebra und endlich additiv, also ein Inhalt darauf.

-Subadditivität und äußere Maße[Bearbeiten]

Jetzt haben wir schon ziemlich viel erreicht, es fehlt nur noch die -Additivität und Abgeschlossenheit gegenüber abzählbaren Vereinigungen. Es ist verlockend, einfach zum Grenzwert über zu gehen und das so auch für abzählbar unendlich viele Mengen zu folgern. Aber es ist nicht klar, ob die Subadditivität (als verallgemeinerte Monotonie) auch beim Übergang zu Grenzwerten erhalten bleibt!

Beispiel (Äußerer Jordan-Inhalt)

Sei der äußere Jordan-Inhalt auf , der uns in allgemeinerer Form für schon oben in einem Beispiel begegnet ist. Das dort betrachtete Mengensystem der Quaderfiguren im entspricht hier der Menge aller endlichen Vereinigungen von halboffenen Intervallen der Form . Aus obigem Beispiel wissen wir, dass tatsächlich ein äußerer Inhalt, also endlich subadditiv ist. Betrachtet man außerdem Mengen der Form als approximierende Überdeckungen für Ein-Punkt-Mengen , so sieht man, dass

gilt. Daraus folgt, dass nicht nur den halboffenen, sondern auch beliebigen Intervallen gerade ihre elementargeometrische Länge zuordnet (denn die Randpunkte spielen keine Rolle). Wir betrachten nun die Menge .

Da subadditiv ist (vgl. das Beispiel oben), gilt für jede endliche Überdeckung von mit Mengen :

Allerdings gilt diese Ungleichung nicht mehr, wenn man zu abzählbar unendlichen Überdeckungen übergeht.

Es leuchtet ein, dass jede endliche Überdeckung von mit Mengen ganz überdecken muss, da dicht in liegt. Die genauestmögliche Überdeckung von ist also offenbar das Intervall selbst, und damit gilt . Sei nun eine Aufzählung der Elemente von (diese Menge ist abzählbar). Dann ist , aber es gilt

Die Subadditivität bleibt also nicht beim Übergang zu unendlichen Überdeckungen erhalten!

Historische Notiz: Bei der Definition des äußeren Jordan-Inhalts statt endlicher Überdeckungen abzählbar unendliche zu betrachten, war die entscheidende Idee bei der Entwicklung der Integrationstheorie nach Lebesgue. Wir werden gleich sehen, warum.

Die Argumentation, die wir im vorherigen Abschnitt für die endliche Additivität benutzt haben, funktioniert also unter Umständen nicht, wenn wir die Additivität für unendlich viele disjunkte Mengen wollen. Denn damit wir daraus auch die -Additivität und Stabilität unter abzählbaren Vereinigungen folgern können, ist erforderlich, dass sich die Subadditivität auch unter Grenzwerten erhält. Mit anderen Worten, die Ungleichung in der Definition der Subadditivität soll auch für Überdeckungen mit (abzählbar) unendlich vielen Mengen gelten. Das Beispiel zeigt, dass das im Allgemeinen nicht klar ist und extra gefordert werden muss. Wir erweitern also den Begriff der Subadditivität auf Überdeckungen mit abzählbar vielen Mengen und bezeichnen diese Eigenschaft entsprechend als -Subadditivität:

Definition (-Subadditivität einer Mengenfunktion)

Eine Mengenfunktion heißt -subadditiv, falls für alle mit gilt:

Bevor wir untersuchen, ob wir mit dieser Eigenschaft unser Ziel einer auf -additiven Mengenfunktion erreichen, führen wir für äußere Inhalte mit dieser Eigenschaft noch eine neue Bezeichnung ein. Wir haben auf der Potenzmenge definierte subadditive Mengenfunktionen mit vorhin als äußeren Inhalt bezeichnet, da liegt es nahe, für -subadditive Mengenfunktionen mit eine daran angelehnte Bezeichnung zu wählen: äußeres Maß. Das ist ein für die Maßfortsetzung sehr zentraler Begriff.

Definition (Äußeres Maß)

Eine Mengenfunktion heißt äußeres Maß, falls gilt:

  1. ,
  2. ist -subadditiv.

Warnung

Auch hier gilt: Ein äußeres Maß ist kein Maß im eigentlichen Sinne, denn es ist im Allgemeinen nicht -additiv auf .

Wegen ist jedes äußere Maß auch endlich subadditiv (und damit monoton): wähle als überdeckende Mengen.

Konstruktion eines äußeren Maßes[Bearbeiten]

Um ausgehend von einer auf einem beliebigen Mengensystem mit definierten Mengenfunktion mit einen äußeren Inhalt zu konstruieren, haben wir mit endlichen Überdeckungen gearbeitet und beliebige mit Mengen aus approximiert:

Die dadurch definierte Mengenfunktion ist tatsächlich subadditiv auf der gesamten Potenzmenge mit , ist also ein äußerer Inhalt. Wir haben gesehen, dass sie fortsetzt, also mit auf dem Mengensystem übereinstimmt, wenn ebenfalls die Eigenschaften eines äußeren Inhalts hat, also zusätzlich zu noch subadditiv auf ist.

Nun wollen wir eine auf der Potenzmenge definierte -subadditive Mengenfunktion mit konstruieren. Eine Mengenfunktion mit diesen Eigenschaften bezeichnen wir als äußeres Maß. Es soll also auch für abzählbar unendliche Überdeckungen einer Menge , gelten, dass

Beim Nachweis des Subadditivität des wie oben konstruierten äußeren Inhalts haben wir ausgenutzt, dass der Wert über das Infimum über alle möglichen endlichen Überdeckungen einer Menge gebildet wird. Aus der Definition folgte unmittelbar die zur Subadditivität sehr ähnliche Ungleichung

für eine von Mengen überdeckte Menge . Wir können aber von obiger Definition nicht erwarten, dass die damit konstruierte Mengenfunktion auch -subadditiv ist: Weil das Infimum nur über endliche Überdeckungen gebildet wird, ist nicht garantiert, dass die Ungleichung auch beim Übergang zu abzählbar unendlichen Überdeckungen erhalten bleibt. Mit dem Jordan-Inhalt auf und der Menge haben wir schon ein Beispiel dafür gesehen.

Um also die -Subadditivität von folgern zu können und die Ungleichung auch für unendliche Überdeckungen zu erhalten, bilden wir das Infimum auch über diese und verbessern die Definition zu:

Beachte, dass wir wegen auch endliche Überdeckungen darin eingeschlossen haben: wähle . Die so konstruierte Mengenfunktion ist tatsächlich -subadditiv, und der Beweis ist analog zum Nachweis der Subadditivität des oben konstruierten äußeren Inhalts:

Satz

Sei ein Mengensystem mit und eine Mengenfunktion mit . Dann ist die auf der Potenzmenge definierte Mengenfunktion

ein äußeres Maß.

Beweis

Wir zeigen die beiden Eigenschaften eines äußeren Maßes, zuerst dass ist und dann die -Subadditivität. Dafür halten wir zunächst Folgendes fest: Sei eine Überdeckung von , d.h. es gelte . Dann gilt wegen

gemäß der Definition von , dass

Da außerdem wegen der Nichtnegativität von für beliebige alle Elemente in nichtnegativ sind, ist auch immer .

Indem wir die Überdeckung von betrachten, folgt mit diesen zwei Aussagen direkt

Jetzt zeigen wir die -Subadditivität. Sei dafür eine beliebige Mengenfolge, . Wir werden zeigen, dass .

O.B.d.A. sei für alle . Denn ist für ein , so folgt wegen auch , sodass gilt

Sei nun beliebig.

Aus der Definition von mithilfe des Infimums folgt für jedes : Es gibt eine Überdeckung von mit Mengen , sodass

Da jede einzelne der Folgen die Menge überdeckt, ist

Das heißt, ist eine abzählbare Überdeckung von , bestehend aus Mengen aus . Daraus folgt

Da diese Ungleichung für alle gilt, folgt durch einen Grenzübergang die Behauptung

Aus denselben Gründen wie bei der Konstruktion eines äußeren Inhalts muss auch hier die Eigenschaften eines äußeren Maßes auf aufweisen, um durch fortgesetzt zu werden:

Satz

Sei ein Mengensystem mit , sei eine -subadditive Mengenfunktion mit und sei definiert wie oben. Dann ist eine Fortsetzung von .

Beweis

Sei . Wir zeigen nun . Da von überdeckt wird, gilt .

Wir zeigen die andere Ungleichung. Sei dazu eine beliebige Überdeckung von . Dann gilt wegen der -Subadditivität von , dass

Da dies für alle solche Überdeckungen gilt, gilt auch

Um das oben definierte äußere Maß als Fortsetzung von zu kennzeichnen, schreiben wir wieder dafür. Zusammengefasst haben wir bewiesen:

Satz (von der Konstruktion des äußeren Maßes)

Seien ein Mengensystem mit und eine -subadditive Mengenfunktion mit . Dann ist

ein äußeres Maß, das fortsetzt.

Warnung

Auch hier gilt: Die im Satz konstruierte Mengenfunktion ist eine mögliche Fortsetzung von zu einem äußeren Maß. Es muss aber nicht die einzig mögliche sein.

Vom äußeren Maß zum Maß[Bearbeiten]

Mit der zusätzlichen Eigenschaft der -Additivität ausgestattet, können wir nun auch zeigen, dass eine -Algebra ist und sogar -additiv darauf ist. Der Beweis beruht tatsächlich auf der Idee, ausgehend vom Zwischenresultat zur endlichen Additivität einen Grenzübergang zu machen:

Satz

Sei ein äußeres Maß. Dann ist eine -Algebra.

Beweis

Da jedes äußere Maß insbesondere ein äußerer Inhalt ist, gilt das oben bewiesene Zwischenresultat und wir wissen schon, dass eine Algebra ist. Wir müssen also nur noch die Abgeschlossenheit von gegenüber abzählbar unendlichen Vereinigungen beweisen, d.h. dass Vereinigungen messbarer Mengen wieder messbar sind. Es soll also für alle und alle gelten:

Die Hauptarbeit besteht darin, "" nachzuweisen, denn wegen endlicher Subadditivität gilt "" ja sowieso. Wir zeigen die Aussage zuerst für unendliche Vereinigungen paarweise disjunkter Mengen aus . Seien also paarweise disjunkt. Es gilt für alle :

Dabei haben wir in den ersten beiden Gleichheiten benutzt, dass endliche Vereinigungen von Mengen aus wieder in liegen und dass sich auf endlich additiv verhält. Die letzte Abschätzung kommt aufgrund der Monotonie von zustande, denn es gilt

Da die oben gezeigte Abschätzung für alle gilt, bleibt die Ungleichung auch beim Grenzübergang erhalten und wir haben

Beachte, dass es wirklich notwendig war, vor dem Grenzübergang die endliche Additivität auszunutzen, damit klar ist, dass die Abschätzung erhalten bleibt! Es ist nun ein äußeres Maß, also -subadditiv, und wir erhalten aus einer weiteren Abschätzung des ersten Summanden

wobei die letzte Ungleichung aus der endlichen Subadditivität folgt. Es gilt also überall Gleichheit und wir haben die Messbarkeit von für paarweise disjunkte gezeigt.

Überlappende Mengen werden durch "herausschneiden" in disjunkte Mengen überführt

Um die Aussage für beliebige abzählbar unendliche Vereinigungen zu erhalten, nutzen wir wiederum das schon bewiesene Zwischenresultat, nach dem eine Algebra ist. Um eine Vereinigung "künstlich" disjunkt zu machen, nehmen wir aus jeder Menge den Teil heraus, der bereits in der Vereinigung der ersten Mengen enthalten ist.

Dafür benutzen wir den Zusammenhang . Es gilt also wegen Schnitt-, Vereinigungs- und Komplementstabilität der Algebra:

Dann ist eine Vereinigung paarweiser disjunkter Mengen aus und liegt nach dem oben Gezeigten ebenfalls in . Wir haben also auch für nicht-disjunkte , dass

und sind fertig.

Aus der oben gemachten Abschätzung folgt durch geeignete Wahl von direkt die -Additivität von auf :

Satz

Sei ein äußeres Maß. Dann ist -additiv auf .

Beweis

Seien paarweise disjunkt. Im oberen Beweis haben wir mithilfe der -Subadditivität für disjunkte Mengen die folgende Abschätzung erreicht:

Es gilt also überall Gleichheit und es folgt

für alle . Die Wahl von liefert die Behauptung.

Zusammengefasst haben wir also den folgenden Satz bewiesen, der nach dem Mathematiker Constantin Carathéodory benannt ist:

Satz (von C. Carathéodory, 1914)

Sei ein äußeres Maß. Dann ist eine -Algebra und ein Maß darauf.

Zwischenresultat[Bearbeiten]

Wir fassen die bisherigen Definitionen und Ergebnisse kurz zusammen.

Konstruktion eines äußeren Maßes[Bearbeiten]

Wir haben die Eigenschaft der -Subadditivität kennengelernt. Sie verallgemeinert die Subadditivität auf Überdeckungen (Approximationen) einer Menge mit abzählbar unendlich vielen Mengen und kann aufgefasst werden als eine Form der Subadditivität, die beim Übergang zu Grenzwerten erhalten bleibt.

Definition (-Subadditivität einer Mengenfunktion)

Eine Mengenfunktion heißt -subadditiv, falls für alle mit gilt:

Ein äußeres Maß ist eine auf der gesamten Potenzmenge definierte -subadditive Mengenfunktion. Es kann interpretiert werden als Approximation des Volumens der Teilmengen von , ist aber im Allgemeinen kein Maß (nicht -additiv) auf der Potenzmenge.

Definition (Äußeres Maß)

Eine Mengenfunktion heißt äußeres Maß, falls gilt:

  1. ,
  2. ist -subadditiv.

Mit fast jeder auf einem Mengensystem definierten Mengenfunktion kann man ein äußeres Maß konstruieren. Die Idee der Konstruktion ist die Eigenschaft eines äußeren Maßes als äußere Approximation durch möglichst genaue Überdeckungen. Hat selbst die Eigenschaften eines äußeren Maßes (-Subadditivität), so ist das damit konstruierte äußere Maß eine Fortsetzung von .

Satz (Von der Konstruktion eines äußeren Maßes)

Sei ein Mengensystem mit und eine Mengenfunktion mit . Dann ist die auf der Potenzmenge definierte Mengenfunktion

ein äußeres Maß. Ist zusätzlich -subadditiv auf , so ist das so definierte äußere Maß eine Fortsetzung von und wir schreiben auch dafür.

Satz von Carathéodory[Bearbeiten]

Mithilfe der Messbarkeitsbedingung von Carathéodory kann man diejenigen Mengen finden, auf denen sich ein äußeres Maß additiv verhält. Die Mengen, für welche die Bedingung erfüllt ist, können aufgefasst werden als exakt durch das äußere Maß approximierbare oder messbare Mengen.

Definition (Messbarkeitsbedingung nach C. Carathéodory)

Sei ein äußeres Maß. Eine Menge heißt -messbar, falls für alle gilt:

Die Menge ist die Menge der -messbaren Mengen.

Die Menge der bzgl. eines äußeren Maßes messbaren Mengen ist eine -Algebra. Weiter ist ein äußeres Maß auf der Menge der messbaren Mengen ein Maß: Nach Definition der Messbarkeitsbedingung verhält sich eine subadditive Mengenfunktion auf den messbaren Mengen additiv. Bleibt die Subadditivität auch im Übergang zum Grenzwert erhalten, gilt also -Subadditivität, so kann aus der Additivität mithilfe eines Grenzübergangs die -Additivität gefolgert werden.

Satz (von C. Carathéodory, 1914)

Sei ein äußeres Maß. Dann ist eine -Algebra und ein Maß darauf.

Der Fortsetzungssatz[Bearbeiten]

Wir wissen nun: Ist eine auf einem beliebigen Mengensystem mit definierte -subadditive Mengenfunktion mit , dann können wir damit ein äußeres Maß auf der Potenzmenge konstruieren, das fortsetzt. Dafür definieren wir für beliebige

Wir können die bezüglich eines äußeren Maßes messbaren Mengen definieren. Diese bilden eine -Algebra und das äußere Maß ist -additiv (ein Maß) darauf. Im Folgenden behalten wir die Bezeichnungen , und bei und verwenden sie im eben gebrauchten Sinn.

Das Ziel ist jetzt, diese Resultate anzuwenden, um die Fortsetzung zu konstruieren. Dafür wollen wir auf die von erzeugte -Algebra einschränken und so ein Maß auf bekommen. Noch sind wir aber nicht ganz fertig! Es ist noch nicht klar, ob das Mengensystem , auf dem die fortzusetzende Mengenfunktion definiert ist, in der -Algebra der messbaren Mengen enthalten ist. Ist das nicht der Fall, gilt also , so ist natürlich auch . Dann können wir auch nicht geeignet einschränken. Umgekehrt folgt aus den Eigenschaften des -Operators, ( ist eine -Algebra): Ist , so ist auch . Was wir also zusätzlich brauchen, ist die Messbarkeit der Mengen aus . Mit anderen Worten: Es soll

für alle und alle gelten. Wenn das erfüllt ist, haben wir unser Ziel einer Fortsetzung von zu einem Maß auf erreicht.

Anstatt einfach die Gültigkeit der obigen Gleichung als Voraussetzung zur Konstruktion einer Fortsetzung aufzunehmen, benutzen wir eine etwas schwächere Bedingung der Messbarkeit der Mengen aus . Dafür approximieren wir die beliebige Menge durch Mengen . Dann genügt es für die Messbarkeit einer Menge , wenn die obige Gleichheit nur für alle Mengen gilt, anstatt für beliebige . Um das einzusehen, benutzen wir jetzt diese abgeschwächte Messbarkeitsbedingung, um daraus die Messbarkeit der Mengen aus zu folgern.

Sei also die Menge, deren Messbarkeit wir zeigen wollen. Sei ferner beliebig und seien , sodass

Das Ziel ist,

zu zeigen, indem wir ausnutzen, dass die Gleichung für die an Stelle von erfüllt ist. Es gilt wegen der Subadditivität und -Subadditivität des äußeren Maßes :

Nun haben wir angenommen, dass die Gleichung der Messbarkeit für Mengen aus erfüllt ist. Nach dieser Annahme gilt für alle , da die aus sind:

Die letzte Gleichheit gilt, da das äußere Maß als Fortsetzung von konstruiert wurde (siehe oben) und auf mit übereinstimmt. Es folgt

Nun beachte, dass wir nach Definition von durch geeignete Wahl von Überdeckungen von den Wert beliebig genau approximieren können. Sei also und seien so gewählt, dass

gilt. Es folgt zusammen mit den oben gemachten Abschätzungen

und der Grenzübergang zeigt die Messbarkeit von .

Damit haben wir dieses Resultat zur Messbarkeit der Mengen aus gezeigt:

Satz

Sei eine Mengenfunktion, die durch ,

zu einem äußeren Maß fortgesetzt wird. Ist für jedes die Gleichung

für beliebige erfüllt, dann sind die Mengen aus -messbar.

Eine geeignete Bedingung für die Messbarkeit der Mengen aus zu finden, war der letzte Schritt zur Konstruktion einer Fortsetzung von zu einem Maß auf der von dem Mengensystem erzeugten -Algebra . Wir können jetzt alle Ergebnisse über die Maßfortsetzung in einem Satz zusammenfassen:

Satz (Fortsetzungssatz)

Sei ein Mengensystem mit und eine -subadditive Funktion darauf mit . Sei ferner

die kanonische Fortsetzung von zu einem äußeren Maß. Ist für jedes die Gleichung

für beliebige erfüllt, dann ist eingeschränkt auf die erzeugte -Algebra ein Maß, das fortsetzt.

Alternative Versionen des Fortsetzungssatzes[Bearbeiten]

Oft sieht man den Fortsetzungssatz in der Literatur auch in anderen als in der von uns formulierten Versionen. Häufig wird nicht von einem beliebigen Mengensystem (mit ) ausgegangen, sondern es wird zusätzlich eine gewisse Struktur vorausgesetzt. Das ist vor allem im Hinblick auf die Eindeutigkeit einer Fortsetzung sinnvoll, denn nur für hinreichend "große" Mengensysteme ist das Maß, das eine Mengenfunktion fortsetzt, schon durch die Werte auf eindeutig bestimmt. Diese Frage wird uns im nächsten Kapitel im Detail beschäftigen. Hier wollen wir nur kurz auf alternative Formulierungen des Fortsetzungssatzes eingehen.

Wenn das Mengensystem differenzstabil ist, dann ist die von uns im Fortsetzungssatz formulierte Bedingung für die Messbarkeit der Mengen aus äquivalent dazu, dass (und damit auch ) sich auf additiv verhält. Das ist der Inhalt des folgenden kleinen Satzes.

Satz

Sei ein differenzstabiles Mengensystem (z.B. ein Ring). Wie zuvor bezeichne eine auf definierte Mengenfunktion und die Fortsetzung von zu einem Maß. Dann sind äquivalent:

  • ist additiv auf

Beweis

Zuerst "": Sei additiv auf und seien beliebig. Da auf mit übereinstimmt, ist auch auf additiv und es gilt:

Nun zu "". Diese Richtung folgt unmittelbar aus der Messbarkeitsbedingung als Charakterisierung der Additivität. Seien disjunkt. Setze . Dann gilt nach Annahme:

Wenn wir also voraussetzen, dass ein Ring ist, können wir in unserer Version des Fortsetzungssatzes die etwas sperrige Bedingung für die Messbarkeit der Mengen aus ersetzen durch die Additivität. (Anstelle eines Rings kann man natürlich ein beliebiges differenzstabiles Mengensystem (z.B. eine Algebra) einsetzen.) Tatsächlich ist sogar eine gewissermaßen "eingeschränkte" Differenzstabilität ausreichend, wie sie bei Halbringen vorliegt. Halbringe sind Mengensysteme, welche etwas weniger Struktur aufweisen als Ringe. Insbesondere liegt die Differenz zweier Mengen nicht notwendigerweise wieder im Halbring, lässt sich aber stets als disjunkte Vereinigung endlich vieler Mengen aus dem Mengensystem schreiben.

Beispiel (Halbring)

Die Menge der halboffenen Quader ist ein Halbring auf dem .

half open rectangle
half open rectangle

Von diesem Halbring wird der Ring der Quaderfiguren erzeugt, den uns oben schon in einem Beispiel begegnet ist. Dieser enthält alle aus endlich vielen halboffenen Quadern zusammengesetzten Figuren.

durch Überlappung verringert sich das Volumen
durch Überlappung verringert sich das Volumen

Man kann zeigen, dass die Fortsetzung einer (-)additiven Mengenfunktion von einem Halbring auf den davon erzeugten Ring unter Beibehaltung der (-)Additivität immer möglich ist. Das rechtfertigt die folgende Variante des Fortsetzungssatzes:

Satz (Fortsetzungssatz, alternative Version)

Sei ein Halbring und eine additive, -subadditive Mengenfunktion mit . Dann existiert eine Fortsetzung von zu einem Maß auf .

(Diese Version findet man beispielsweise in Achim Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2., korrigierte Auflage.)

Man kann außerdem zeigen, dass ein Inhalt auf einem Ring genau dann -subadditiv ist, wenn er -additiv (ein Prämaß) ist. Ist also ein Ring (oder eine Algebra, denn jede Algebra ist ein Ring), dann können wir Additivität und -Subadditivität in unserer Version des Fortsetzungssatzes wie folgt zusammenfassen:

Satz (Fortsetzungssatz, alternative Version)

Sei ein Ring/eine Algebra und ein Prämaß. Dann existiert eine Fortsetzung von zu einem Maß auf .

Die hier gemachten Voraussetzungen sind allerdings relativ stark. Mengenringe können groß sein (beispielsweise der Ring der Quaderfiguren), sodass es unter Umständen schwierig ist, alle Werte eines Prämaßes darauf vorzuschreiben. Hier hilft die folgende, auch oft benutzte Variante des Fortsetzungssatzes, die mit etwas schwächeren Voraussetzungen auskommt. Auch hier liegt der Grund darin, dass eine Fortsetzung von einem Halbring auf den darauf erzeugten Ring unter Beibehaltung der -Additivität möglich ist.

Satz (Fortsetzungssatz, alternative Version)

Sei ein Halbring und ein Prämaß. Dann existiert eine Fortsetzung von zu einem Maß auf .

(Diese Variante wird benutzt in Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 8. Auflage.)