Öffentliches Recht/ Assex/ Hessen/ Klausurentaktik
Arbeitsphasen in der Klausur
[Bearbeiten]Nachdem wir einige Essentialia geklärt haben, nun zur Sache: was mache ich mit der Klausur?
Sachverhalt
[Bearbeiten]Die Klausur zäumt man von hinten auf: Das Zauberwort heißt Bearbeitervermerk und diesen sollte man nicht nur ein-, sondern besser zwei- oder dreimal lesen.
Lesen
[Bearbeiten]Da stelle'ma uns janz dumm ...
[Bearbeiten]Beim ersten Lesen sollte man versuchten, nicht juristisch zu denken, sondern nur bestimmte Besonderheiten des Sachverhalts zu markieren; ob mit Farbe oder durch spezielle Zeichen am Textrand ist Geschmackssache. Wichtig ist bei letzterem allein, dass man Zeichen für sich eine bestimmte feste Bedeutung zuweist; denkbar sind z.B. Unterstreichen vs. Unterringeln, Ausrufe- vs. Fragezeichen und Kreuze am Rand... Unterscheiden kann man z.B. wichtigen Tatsachenvortrag von Rechtmeinungen. Wichtig ist aber nur
- Ort?
- Handlung?
- Beteiligte?
So sehr man sich auch bemüht, nicht juristische zu denken, es wird einem aufgrund der déformation professionnelle nicht völlig gelingen. Wenn sich schon Gedanken aufdrängen, sollte man sie auch festhalten. Das ist dann am einfachsten, wenn man einen Notizzettel daneben legt, auf dem man Fragen, Probleme und sonstige Eingebungen aller Art notiert. Da hat man dann schon mal was auf dem Papier stehen.
Gerade im Öffentlichen Recht geht es in der Regel nicht darum, eine einheitliche Leistung wie aus einem Guss und in einem Stück (wie beim Aktenvortrag im Zivilrecht) abzuliefern, denn die durchschnittliche Ö-Rechtsklausur besteht nicht aus einem Stück. Tatsächlich werden die Klausuren zusammengebastelt und künstlich angedickt. Solche Abschnitte sollte man nun im zweiten Schritt suchen.
Sachverhalt bauen
[Bearbeiten]Immer daran denken: wir sind nicht in Bayern, sondern schreiben ein anpruchsvolles Examen. Dies ist keine Bayernschelte, sondern weist darauf hin, dass das Erstellen eines Tatbestandes in der Regel nicht erlassen ist (so aber zumeist in Bayern). Es geht ab jetzt darum, den Sachverhalt zu schreiben, welcher der Klausur zugrunde liegt (und der damit auch der Lösung zugrunde liegen sollte).
- Was sagen mir Daten?
- Gibt es Angaben zu Geldbeträgen?
- Welche Auffälligkeiten gibt es (ab damit auf den Notizzettel!)?
- Bewusst Nebensächliches?
- Rechtsmeinungen?
Alles hier sollte man als Geschenke des Klausurenstellers begreifen.
Daten
[Bearbeiten]- Widerspruchsfrist
- Klagefrist
- Frist zur Widereinsetzung
- Frist für §§ 48, 49 VwVfG
- vereinbarte Fristen (z.B. aus ö-r Vereinbarung?)
Werte
[Bearbeiten]- Schadenshöhe bei Leistungsklage
- Höhe einer Forderung (Aufrechnung?)
Nebensächliche
[Bearbeiten]Nebensächliches kommt aus zwei Gründen in den Sachverhalt:
- Es dient dazu auszutesten, ob der Verfasser in der Lage ist, Unwichtiges aus dem Tatbestand herauszuhalten. Dann ist es wirklich nebensächlich, oder
- es ist nur scheinbar nebensächlich und enthält in Wahrheit einen Stecknadelkopf, der zu einem versteckten Problem führt. Dann ist die Information gerade nicht nebensächlich.
Wann welcher Fall vorliegt, ist schwer zu entscheiden. Hier ein Beispiel:
Der Satz enthält wirklich Nebensächliches und nur scheinbar Nebensächliches. Dass die Gebissene früher einmal Richterin am VGH war, wird für den Sachverhalt mit einiger Sicherheit nebensächlich sein (aber evtl. wegen Schutzwürdigkeit und Notwendigkeit eines Rechtsbeistandes im Vorverfahren im Kopf behalten!). Auch der Name des Wuffis wird wohl nicht von Belang sein (außer z.B. die Identität des Hundes wird streitig). Wichtig, und somit nur scheinbar nebensächlich, ist die Information, dass es sich bei dem Hund um einen "Staffordshire Bullterrier" handelt. Wer nämlich jetzt nicht auf den Aufhänger (Kampf-)Hundeverordnung kommt und sich über § 11 HSOG hangelt, könnte an der Klausur vorbeischreiben.
Im Zweifel ist Nebensächliches nicht wirklich nebensächlich. Egal, ob man den Stecknadelkopf jetzt gesehen hat oder nicht, im Zweifel ist es wichtig und gehört in den Tatbestand.
Rechtsmeinungen
[Bearbeiten]Die Rechtsmeinung der Beteiligten mag von vornherein Quatsch sein. Der Meinung, dem Kasseler Polizisten fehle die örtliche Zuständigkeit für den Verwaltungsakt gegen einen schweizer Staatsbürger, der vor dem Fridericianum volksverhetzende Flugblätter verteilt (und dies insbesondere, weil die Schweiz nicht EU-Mitglied ist), ist Unsinn; ihr steht die Dämlichkeit geradezu auf die Stirn geschrieben.
Trotzdem sind Rechtsmeinungen immer ein Geschenk, denn
- sie enthalten meisten Hinweise auf den Lösungsweg ...
- ... oder auch nur auf ein streithebliches Gesetz ...
- ... und enthalten Stoff zum Argumentieren.
Sie gehören also immer in die Klausur und sei es nur durch verneinenden Nebensatz ("Die Zuständigkeit ist entgegen der Auffassung des Klägers auch gegeben, weil ..."). Sinn und Zweck von Rechtsmeinungen kann nämlich auch sein, dem Verfasser Gelegenheit zu geben, abseitiges Wissen zu präsentieren oder ihn Probleme erörtern zu lassen, die sonst im Rahmen der Klausur nicht unterzubringen sind. Ein Beispiel für eine rettende Rechtsansicht wäre folgender Fall:
Der Kläger rügt, der Widerspruchsbescheid sei von einer unzuständigen Behörde, nämlich dem Abfallzweckverband Lahn-Dill-Oberhessen, erlassen worden. Die Abfallentsorgung sei eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe und somit sei die Gemeinde Dillenburg sowohl Ausgangs- als auch Widerspruchsbehörde.
Das alleine ist zutreffend. Man glaubt nun, dass das nicht sein kann (denn dann wäre die Prüfung vorbei), findet aber partouts keine entsprechende Norm.
Zwei Schriftsätze weiter hinten meint die Gemeinde Dillenburg, dass sei schon in Ordnung mit der Zuständigkeit; schließlich habe man das mal so vereinbart. Im Bereich der Kommunalen Gemeinschaftsarbeit sei das gang und gäbe und entspräche der geltenden Satzungslage. Wenn man aufmerksam liest, fällt einem dann das Wort "Gemeinschaftsarbeit" auf und ein Blick in den Fuhr/Pfeil enthüllt, dass es dazu ein Gesetz gibt, nämlich das Kommunale Gemeinschaftsarbeits-Gesetz. In §§ 1, 2 und 8 findet man dann auch alles entsprechende.
Fall bauen
[Bearbeiten]In der öffentlich-rechtichen Klausur gibt es zwar die rasierklingenhafte Relationstechnik nicht in dem selben Maße wie im Zivilrecht, aber trotzdem gilt im Wesentlichen auch hier die Kaisersche Regel zum erstellen des Falls (s.u.):
Fall wird ...
- das Unstreitige (§ 138 ZPO),
- das Bewiesene und
- Wovon auszugehen ist (Beweislast, Vermutung, Anscheinsbeweis)
Unverzichtbar auch für das Ö-Recht ist die Lektüre des "Kaisers" (Kaiser, H./Kaiser, J./Kaiser, T.: Die Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen).