Öffentliches Recht im 2. Staatsexamen: Grundfreiheiten
Dienstleistungsfreiheit
[Bearbeiten]Die Dienstleistungsfreiheit garantiert Anbietern gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher und freiberuflicher Tätigkeiten den freien Zugang zu den Märkten aller Mitgliedstaaten der EU. Sie ist in Art. 56 bis Art. 62 AEUV geregelt.
Voraussetzungen
[Bearbeiten]Auf die Dienstleistungsfreiheit können sich Staatsangehörige eines Mitgliedstaat berufen,
- die in einem Mitgliedstaat ihre Niederlassung haben,
- eine Leistung ohne Verlagerung ihrer Niederlassung (Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit) in einem anderen Mitgliedstaat erbringen,
- eine Dienstleistung erbringen (in Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit),
- selbstständig tätig sind (Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit) und
- in der Regel ein Entgelt für ihre Leistung fordern.
Aktive und passive Dienstleistungsfreiheit
[Bearbeiten]Die Dienstleistungsfreiheit gilt sowohl für den Leistenden als auch für denjenigen, der sie in Anspruch nimmt. Über den Wortlaut der Artikel 56 ff. AEUV hinaus, greift sich auch, wenn Dienstleistender und -empfänger aus demselben Mitgliedsstaat kommen, die Dienstleistung jedoch in einem anderen Mitgliedsstaat erbracht wird, da auch hier ein grenzüberschreitender Charakter vorliegt.
Eingriff
[Bearbeiten]Eingriff ist jede direkte und indirekte Diskriminierung. Darüber hinaus gilt ein allgemeines Beschränkungsverbot. Maßstab ist, ob die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedsstaaten im Ergebnis (effet utile) gegenüber der Leistung von Diensten innerhalb eines Mitgliedsstaates erschwert wird.
Rechtfertigung
[Bearbeiten]Ein Eingriff kann nur durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Wirtschaftliche Erwägungen zählen hierzu nicht.
Warenverkehrsfreiheit
[Bearbeiten]Die Warenverkehrsfreiheit garantiert den freien Verkehr innerhalb der EU für alle körperlichen Gegenstände, die Gegenstand des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs sein können und einen Handelswert darstellen. Sie ist in Art. 28 bis Art. 37 AEUV geregelt.
Die Warenverkehrsfreiheit wird erreicht durch die Zollunion (Verbot von Binnenzöllen, Art. 30 AEUV) und das - klausurrelevantere - Verbot von mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie von Maßnahmen gleicher Wirkung, Art. 34 AEUV. Nach der Dassonville-Formel des EuGH sind Maßnahmen gleicher Wirkung alle staatlichen Maßnahmen die geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern.
Rechtfertigung
[Bearbeiten]Diskriminierende Maßnahmen können nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt sein.
Bei nicht-diskriminierenden produktbezogenen Maßnahmen ist Art. 34 AEUV insofern einzuschränken, dass Regeln aufgrund zwingender Erfordernisse des Allgemeinwohls nicht unter das Verbot fallen. Zudem ist eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV möglich.
Regelt eine Maßnahme lediglich Absatz- und Verkaufsmodalitäten (vertriebsbezogene Regelung im Sinne der Keck-Entscheidung), stellt die angegriffene Regelung kein Handelshemmnis und damit keinen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit dar. Etwas anderes gilt aber wiederum nach der Gourmet-Entscheidung, wenn die vertriebsbezogene Regelung geeignet ist, den Marktzugang für Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. In diesem Fall liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung vor.
Für alle Einschränkungen gilt, dass sie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sein müssen.
Niederlassungsfreiheit
[Bearbeiten]Die Niederlassungsfreiheit garantiert Unionsbürgern und juristischen Personen mit Sitz in der EU die Möglichkeit, sich überall im Binnenmarkt niederzulassen und in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen. Sie ist in Art. 49 bis Art. 55 AEUV geregelt.
Niederlassung ist die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit. In Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, sind vom sachlichen Schutzbereich nur selbstständige Tätigkeiten umfasst.
Rechtfertigung
[Bearbeiten]Offene Diskriminierungen können nur nach Art. 52 AEUV gerechtfertigt sein. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist dabei einschränkend auszulegen und nur bei tatsächlicher und hinreichend schwerer Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft durch das persönliche Verhalten des Betroffenen einschlägig.
Verdeckte Diskriminierungen können durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.