Astronomische Berechnungen für Amateure/ Himmelsmechanik/ Planeten VSOP87

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1982 veröffentlichte Pierre Bretagnon (1943 – 2002)[1] die Theorie VSOP82[2]: eine Reihenentwicklung für die Bahnelemente der acht grossen Planeten Merkur bis Neptun. Genau genommen waren es nicht die klassischen Bahnelemente, sondern die sechs Grössen a (grosse Halbachse), L (mittlere Länge des Planeten), h = e ∙ sin ϖ, k = e ∙ cos ϖ, p = sin(½ i ) ∙ sin Ω und q = sin(½ i ) ∙ cos Ω. Sind diese Grössen berechnet, so findet man daraus leicht die klassischen Bahnelemente. Die Theorie wies allerdings aus Sicht der Amateure zwei grosse Nachteile auf:

  • Die Theorie war im zitierten Artikel in »Astronomy and Astrophysics« zwar beschrieben, aber die eigentlichen Daten – die Koeffizienten und Argumente der Reihenentwicklung – konnten nicht publiziert werden. Es waren schlicht zu viele Daten. Sie waren ausschliesslich auf Magnetband erhältlich.
  • Die Speicherkapazität und die Rechengeschwindigkeit der damaligen PC's und Kleincomputer liess (aus heutiger Sicht!) sehr zu wünschen übrig. Es wäre darum wichtig gewesen zu wissen, bis zu welchem Reihenglied man rechnen soll, wenn man sich mit einer kleineren als der maximal möglichen Genauigkeit begnügen möchte (um Speicherplatz und Rechenzeit zu sparen).

Sechs Jahre später liessen Pierre Bretagnon und Gérard Francou die verbesserte Theorie VSOP87[3] folgen. Sie behob zwar den zweiten Nachteil, aber auch sie war anfänglich nur auf Magnetband verfügbar. Zu Beginn der 90-er Jahre veröffentlichte J. Meeus in seinem Buch »Astronomische Algorithmen«[4] zum ersten Mal einen Teil der Koeffizienten, so dass sie von da an auch für Amateure zugänglich waren – zumindest für Rechnungen, die eine vernünftige, aber eingeschränkte Genauigkeit der Rechnungen ermöglichten. Heute sind die vollständigen Daten im Internet verfügbar und können heruntergeladen werden[5]. In der Zwischenzeit sind Weiterentwicklungen der VSOP-Theorie publiziert worden[6], die aber im Gegensatz zur VSOP87-Theorie nicht über das Internet zugänglich sind. Für die Belange des rechnenden Amateurs genügt aber die Genauigkeit der VSOP87-Theorie in den allermeisten Fällen.

Die Theorie besteht für jeden der acht Planeten aus sechs Dateien, wobei für die Erde teilweise die Erde selber, teilweise das Baryzentrum des Erd-Mond-Systems genommen wurde:

  • Acht Dateien mit Namen VSOP87.xxx (xxx: MER[cury], VEN[us], E[arth-]M[oon-]B[arycenter], MAR[s], JUP[iter], SAT[urn], URA[nus] und NEP[tun]) enthalten die Bahnelemente zu Äquinoktium und Ekliptik der Standardepoche J2000.0 – sie stellen die eigentliche VSOP87-Theorie und in dieser Form eine Verbesserung der VSOP82-Theorie dar.
  • Neun Dateien mit Namen VSOP87A.xxx (zusätzlich zu den acht bereits erwähnten Abkürzungen kommt noch EAR[th] für die Erde) enthalten die Koeffizienten zur Berechnung heliozentrischer kartesischer Koordinaten (X, Y, Z) zu Äquinoktium und Ekliptik der Standardepoche J2000.0
  • Acht Dateien mit Namen VSOP87B.xxx (nur für die Erde) enthalten die Koeffizienten zur Berechnung heliozentrischer sphärischer Koordinaten (r, l, b) zu Äquinoktium und Ekliptik der Standardepoche J2000.0
  • Acht Dateien mit Namen VSOP87C.xxx (nur für die Erde) enthalten die Koeffizienten zur Berechnung heliozentrischer kartesischer Koordinaten (X, Y, Z) zu Äquinoktium und Ekliptik des Datums
  • Acht Dateien mit Namen VSOP87D.xxx (nur für die Erde) enthalten die Koeffizienten zur Berechnung heliozentrischer sphärischer Koordinaten (r, l, b) zu Äquinoktium und Ekliptik des Datums
  • Neun Dateien mit Namen VSOP87E.xxx (für die Erde und zusätzlich für die Sonne) enthalten die Koeffizienten zur Berechnung baryzentrischer kartesischer Koordinaten (X, Y, Z) zu Äquinoktium und Ekliptik der Standardepoche J2000.0 (Schwerpunkt des Sonnensystems)

Jede dieser Dateien ist gleich aufgebaut: da es sich um eine Reihenentwicklung für die Lösung handelt, haben alle Glieder der Entwicklung entweder die Form

oder

In diesen Formeln bedeuten:

  • τ die Anzahl julianischer Jahrtausende bezogen auf die Epoche J2000.0, JD0 = 2 451 545.0; ist JDE das julianische Datum in Ephemeridenzeit für den Zeitpunkt, zu dem eine VSOP-Grösse berechnet werden soll, dann ist also



  • Der Exponent α ist eine ganze Zahl aus [0, 1, 2, 3, 4, 5]; zur Erinnerung: τ0 = 1
  • S, K, A, B und C sind die Koeffizienten der VSOP-Theorie
  • φ ist die Summe aus bestimmten, ganzzahligen Vielfachen ai der mittleren Längen der acht Planeten und der Delaunay-Argumente L9 = D, L10 = F, L11 = L und L12 = Lm für den Mond; φ hat also die Form


Die mittleren Längen und die Delaunay-Argumente sind Winkel im Bogenmass und werden mit den folgenden Formeln berechnet[7]:



Der Aufbau der Dateien VSOP87y.xxx werde am Beispiel VSOP87D.VEN erläutert:

  • Die erste Zeile der Datei lautet:
  VSOP87 VERSION D4 VENUS VARIABLE 1 (LBR)  *T**0 367 TERMS HELIOCENTRIC DYNAMICAL ECLIPTIC AND EQUINOX OF THE DATE  
Zu lesen: Es handelt sich um eine VSOP87-Datei: „VSOP87“, und zwar um die Version D oder gleichbedeutend um die Nummer 4: „D4“. Es betrifft den Planeten Venus: „VENUS“. Es folgen Reihenglieder für die erste der drei Variablen L (ekliptikale Länge), B (ekliptikale Breite) und R (Abstand von der Sonne): „VARIABLE 1 (LBR)“. Die Terme sind mit τ0 = 1 zu multiplizieren: „*T**0“[8]. Insgesamt gibt es 367 Terme: „367 TERMS“. Zur Präzisierung: es handelt sich um „HELIOCENTRIC DYNAMICAL ECLIPTIC AND EQUINOX OF THE DATE“.
  • Danach folgen zeilenweise die 367 Koeffizienten zur Berechnung von L0.
  • Eine weitere Zeile ähnlich der ersten leitet den zweiten Block ein. Der Unterschied besteht in zwei Positionen: „*T**1“ bedeutet, dass die Summe am Schluss mit τ1 zu multiplizieren ist. Und es sind „nur“ noch 215 Terme zur Berechnung von L1 nötig.
  • Danach folgt die Überschriftszeile für jene 70 Terme, die addiert L2 ergeben und die mit τ2 zu multiplizieren sind.
  • Die nächste Überschriftszeile leitet den Abschnitt für jene 9 Terme ein, die addiert L3 ergeben und die mit τ3 zu multiplizieren sind.
  • Die letzten beiden Überschriftszeilen stehen über Abschnitten von je 5 Termen, die L4 bzw. L5 ergeben, und die mit τ4 bzw. τ5 zu multiplizieren sind.
  • Sind alle diese Rechnungen durchgeführt, dann findet man die ekliptikale Länge der Venus, bezogen auf Ekliptik und Äquinoktium des Datums:
  • Nach den Koeffizienten für L folgen die Terme für B, wiederum gegliedert für B0 (210 Terme), B1 (133 Terme), B2 (59 Terme), B3 (15 Terme), B4 (5 Terme) und schliesslich B5 (4 Terme) – jeder Block eingeleitet mit einer Überschriftenzeile wie oben erläutert.
  • Am Schluss der Datei folgen die Terme für die Berechnung von R, wiederum aufgespalten in Blöcke für R0, R1, R2, R3, R4 und R5.
  • Eine einzelne Zeile hat folgende Gestalt (zur Illustration willkürlich herausgegriffen: Zeilen 11 und 12 aus dem Block 4223):
 4223   11  0  1 -2  0  0  0  0  0  0  0  0  0  0.00000000017    -0.00000000003     0.00000000017 2.05293621864    2352.86615377180 
 4223   12  0  2  0 -3  0  0  0  0  0  0  0  0  0.00000000009    -0.00000000007     0.00000000011 4.33056892256   10404.73381232260

Die Blocknummer 4223 bedeutet: Version 4 (D) von Planet 2 („VENUS“) der Variablen 2 („B“) des dritten Teilsummanden („B3“), gleichbedeutend mit dem Exponenten von τ. Danach folgen die Nummern der Zeile, gleichzeitig die Nummer der Teilsummanden. Dann folgen die 12 Koeffizienten ai zur Berechnung von φ – in der Regel sind die meisten von ihnen Null. Danach folgen die Koeffizienten S, K, A, B und C in dieser Reihenfolge. Zeile 11 ist also wie folgt zu lesen (alle Koeffizienten ai ausser a2 = 1 und a3 = –2 sind Null):



Man muss sich vorgängig entscheiden, ob man die erste Fassung (1. Zeile: Argument, 2. Zeile: Summand) oder die zweite Fassung (3. Zeile) wählt, und dann alle Terme nach diesem Verfahren berechnen. Die Berechnung erfordert einigen Aufwand: allein zur Berechnung von B der Venus sind insgesamt 426 Summanden zu berechnen.

Siehe auch[Bearbeiten]


Nachweise:

  1. Bretagnon war Mitarbeiter des Service de Mécanique Céleste im Bureau des Longitudes in Paris.
  2. Pierre Bretagnon: Théorie du mouvement de l'ensemble des planètes. Solution VSOP82. In: Astronomy and Astrophysics 114 (1982). o.V., S. 278–288
  3. P. Bretagnon, G. Francou: Planetary theories in rectangular and spherical variables. VSOP87 solutions. In: Astronomy and Astrophysics 202 (1988). o.V., S. 309–315
  4. Astronomische Algorithmen; Jean Meeus; 1992, Verlag Johann Ambrosius Barth, Leipzig/Berlin/ Heidelberg; ISBN 3-335-00318-7
  5. Eine von verschiedenen Quellen ist der ftp-Server des IMCCE Institut de mécanique céleste et de calcul des éphémérides in Paris: ftp://ftp.imcce.fr/pub/ephem/planets/vsop87/
  6. X. Moisson and P. Bretagnon, Analytical Planetary Solution VSOP2000; Celestial Mechanics and Dynamical Astronomy 80 (2001), p. 205 – 213; A. Fienga, J. Laskar, J.L. Simon, H. Manche, M. Gastineau, IMCCE Planetary Ephemerides: Present and Future; Proceedings of the Gaia Symposium "The Three-Dimensional Universe with Gaia" (ESA SP-576). Held at the Observatoire de Paris-Meudon, 4-7 October 2004.
  7. Nach Bretagnon, Francou, a.a.O.
  8. In wissenschaftlichen Kreisen ist die Programmiersprache FORTRAN weit verbreitet. In dieser Sprache wird eine Potenz durch den Operator „**“ dargestellt.