Benutzer:Methodios/ Dresden in der Wende/ 1968
Am 30. Januar 1968 kam es zu einer Demonstration von Studenten vom Teatr Wielki (Warschauer Nationaltheater) zum Adam-Mickiewicz-Denkmal. Hintergrund war die Absetzung der Stücks Dziady (Totenfeier oder Ahnenfeier) des polnischen Dichterfürsten der Romantik, Adam Mickiewicz (1798 bis 1855). Adam Mickiewicz gilt nicht nur als polnischer Nationaldichter, sondern als der bedeutendste Wieszcz (Prophet, Seher) aus der Zeit der Unterdrückung des polnischen Nationalstaates durch Rußland, Preußen und Österreich. Das Drama Dziady gilt in der polnischen Literaturgeschichte als die Einleitung der polnischen Romantik und ist demzufolge eines der bedeutendsten Werke der polnischen Literatur.
Hintergrund der Absetzung des Dramas Dziady von Adam Mickiewicz war der vorauseilende Gehorsam der damals vorgeblich sozialistischen polnischen Behörden gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht. Angeblich hätte der sowjetische Botschafter in Warschau, Awerki Borissowitsch Aristow (19ß3 bis 1973) die Absetzung des Stückes gefordert.
Tatsächlich jedoch war Awerki Borissowitsch Aristow schon 1961 in der Sowjetunion in Ungnade gefallen.
Er war als Vollmitglied des Präsidiums des ZK der KPdSU vom 29. Juni 1957 bis zum 20. Januar 1961 Stellvertretender Vorsitzender des Büros des ZK der KPdSU für die RSFSR und wurde zum Bauernopfer Chrustschows für dessen fehlgeschlagenes Rjasanskoje Tschudo (Рязанское чудо = Rjasaner Wunder). Von 1957 bis 1960 sollte mit der Bewegung "(Amerika) einholen und übertreffen" (Догнать и перегнать) die Produktion von Fleisch, Milch und Butter verdreifacht werden, was von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Da sich die Sowjetunion in der Industrie und Wissenschaft jedoch damals mit den USA durchaus messen konnte und in Teilbereichen wie der Weltraumfahrt, Atomkraftwerken und nuklearbetriebenen Eisbrechern sogar vorn lag, konnte Chrustschow mit Erfolg darauf verweisen.
Er war vom 12. Juli 1955 bis zum 4. Mai 1960 (erneut) Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU und von 1957 bis 1961 (erneut) Vollmitglied des Präsidiums und verlor durch den XXII. Parteikongress der KPdSU am 31. Oktober 1961 auch noch endgültig seine Mitgliedschaft im Präsidium des ZK.
Zwischendurch hatten die Sowjet-Granden ihn bereits im Februar 1961 als Botschafter nach Polen abgeschoben und damit kaltgestellt.
Die von Chrustschow ebenfalls 1957 initiierte Kukurusnaja Kampanija (Кукурузная кампания = Maiskampagne, besser bekannt als das Maisfieber) wurde erst 1962 zum Fiasko, als die Ernte in fast allen zusätzlich befohlenen Anbaugebieten außer den traditionellen ausfiel. Nur zwei Jahre darauf kam es 1964 zur offenen Aufstand der sowjetischen Nomenklatura und zur Entmachtung Chrustschows.
Das Teatr Wielki (Großes Theater) war nach den Kriegszerstörungen erst am 19. November 1965 wieder eingeweiht worden. Es umfaßte über 1.800 Sitzplätze und mit einer Gesamtfläche von 1.150 m² und einer Höhe von 35 m eine der größten Opernbühnen der Welt.
Nach der letzten, 11. Aufführung kam es zu einer Demonstration von Studenten, die riefen
- „Unabhängigkeit ohne Zensur“, erfunden von Karol Modzelewski , sowie
- „Wir wollen Kultur ohne Zensur!“,
- „Wir fordern die Abschaffung der Zensur“,
- „Mickiewicz – Dejmek“
Die Demonstranten hatten die Absetzung des Dramas als einen Akt polnischer Selbstgleichschaltung begriffen.
Sie legten weiße und rote Blumen und ein Banner mit der Aufschrift „Wir fordern weitere Aufführungen“ am Adam- Mickiewicz- Denkmal nieder.
Der Protest wurde von Abordnungen und Studenten der Staatlichen Theaterschule vorbereitet.
Die Miliz griff kurz nach dem Ende des Marsches ein, zerstreute die Menge mit Schlagstöcken und verhaftete 35 Demonstranten, von denen neun vor dem Straf- und Verwaltungskollegium vor Gericht gestellt und mit einer Geldstrafe von 500 bis 3.000 PLN belegt wurden.
Unter den Bestraften waren Andrzej Seweryn und Jan Lityński.
In der DDR wurde die Entwicklung in Polen mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt - denn wenn Polen aus dem Ostblock herausfiel, gab es auch für das sowjetisch besetzte Ostdeutschland neue Hoffnungen. Polen lag genau zwischen der DDR und der Sowjetunion.