Benutzer:Siegfried Petry/ Die physikalische Rumpelkammer

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Der Verschiebungsstrom[Bearbeiten]

„Der Verschiebungsstrom Iv wird durch die zeitliche Änderungsrate des elektrischen Flusses bestimmt und ist nicht an die Existenz eines elektrischen Leiters gebunden. Der Verschiebungsstrom ist als ein Teil der Wirkung des elektrischen Feldes zu verstehen und drückt im Prinzip die zeitliche Änderungsrate des elektrischen Flusses aus. Dabei tritt an Stelle des Flusses von elektrischen Ladungsträgern der elektrische Fluss.“ (Aus dem Wikipedia-Artikel »Verschiebungsstrom«)

„Auch durch den Kondensator mit seinem elektrischen Wechselfeld D(t) fließt wegen seines endlichen Wechselstromwiderstandes 1/(ω C) ein Strom; keiner aus Ladungsträgern, sondern ein Wechselstrom, den man Verschiebungsstrom nennt.“ (Aus Ulrich Leute, Physik und ihre Anwendungen in Technik und Umwelt, München 1995, S. 262)

Diese beiden Zitate offenbaren (neben der Unfähigkeit ihrer Verfasser, den physikalischen Sachverhalt sachlich und sprachlich richtig zu beschreiben) das ganze Elend des Konstrukts »Verschiebungsstrom«, das auf MAXWELL zurückgeht, der es – im Gegensatz zu uns – nicht besser wissen konnte. Es basiert auf der Hypothese des Lichtäthers. Zusammen mit diesem gehört auch der Verschiebungsstrom längst in die Rumpelkammer der Physik. Durch einen Kondensator, zwischen dessen Platten sich Luft (oder im Idealfall Vakuum) befindet, fließt k e i n Strom, und das AMPERE-Durchflutungsgesetz kommt auch ohne ihn aus. (Befindet sich zwischen den Platten ein Dielektrikum mit deutlich von 1 verschiedener Dielektrizitätszahl, so fließt auch dann kein Wechselstrom d u r c h den Kondensator, sondern i n ihm. Dieser kommt durch die wechselnde Polarisation des Dielektrikums zustande und ist zusammen mit diesem Effekt zu behandeln.)

Abhilfe:

Es wird festgestellt: Ein elektrisch erzeugtes Magnetfeld kann zwei verschiedene Ursachen haben:

1. einen elektrischen Strom,

2. ein elektrisches Wechselfeld.

Die Erzeugung eines magnetischen (Wechsel-)Feldes durch ein elektrisches Wechselfeld ist ein eigenständiges Phänomen, das nicht auf andere Phänomene zurückgeführt werden kann (wie ja auch die Erzeugung eines Magnetfeldes durch einen elektrischen Strom nicht weiter erklärt werden kann).- Und schon seit jeher kommt die 1. MAXWELLsche Gleichung in der Integral- wie in der Differentialform auch ohne den Verschiebungsstrom aus.

Das Minuszeichen im Induktionsgesetz[Bearbeiten]

In einer Spule von N Windungen, die alle vom gleichen magnetischen Fluss Φ durchströmt werden, wird – so die allgemeine Auffassung – bei Änderung der Stromstärke I die elektrische Spannung

induziert, wobei L die Induktivität der Spule ist. Dabei soll das Minuszeichen an die LENZsche Regel erinnern, wonach die Spannung so gerichtet ist, dass sie ihrer Ursache – also der Änderung des magnetischen Flusses und somit der Änderung der elektrischen Stromstärke I – entgegenwirkt. Nun hat aber das Minuszeichen nur dann einen Sinn, wenn zuvor Zählpfeile für die Spannung, für den Strom und dessen Änderungsgeschwindigkeit dI/dt eingeführt wurden. Danach aber erweist sich das Minuszeichen als falsch. Das soll im Folgenden gezeigt werden. Betrachten wir einen Stromkreis mit einer Gleichspannungsquelle, einem ohmschen Widerstand R und einer Induktivität L.

Für die Zählpfeile gelten folgende Verabredungen:

1. Die Spannungszählpfeile weisen in Richtung abnehmenden Potentials, also vom Plupol zum Minuspol der Spannungsquelle,

2. Der Stromzählpfeil hat die technische Stromrichtung, zeigt also ebenfalls in Richtung abnehmenden Potentials.

Da für positive Werte von dI/dt der Strom zunimmt, muss der Zählpfeil für dI/dt dieselbe Richtung wie der Stromzählpfeil haben.

Wenn der Strom wächst, muss die induzierte Spannung, um dem entgegenzuwirken, am linken Ende der Spule ihren positiven Pol haben (genau wie die Spannung am Widerstand). Folglich hat UL dieselbe Richtung wie dI/dt, weshalb gelten muss

also ohne Minuszeichen.

Ein geschlossener Umlauf im Stromkreis ist ein geschlossener Umlauf in einem Potentialfeld, weshalb die Summe der durchlaufenen Potentialunterschiede 0 sein muss (2. KIRCHHOFF-sches Gesetz):

Die Lösung dieser Differentialgleichung für die Anfangsbedingung I(0) = 0 ist dann

Betrachten wir nun noch eine Leiterschleife in einem inhomogenen Feld. Dann ist

wobei A die von der Leiterschleife umfasste Fläche ist. Dann gilt für die induzierte Spannung

(2.1)

Auch hier hätte ein Minuszeichen noch immer keinen Sinn. Setzt man nun jedoch

(2.2)

wobei S die Umrandung der Fläche A sein soll, dann kommt die Richtung ins Spiel, in der die Leiterschleife durchlaufen wird, und das Linienintegral kann negativ sein. Verbindet man nun die beiden Gleichungen (2.1) und (2.2) und verabredet, dass der Umlaufssinn mit dem Flächenvektor dA eine Rechtsschraube bilden soll, dann muss man schreiben

weil die induzierte Feldstärke diesem Umlaufssinn entgegengesetzt gerichtet ist.

Über den Integralsatz von STOKES

gelangt man dann schließlich zur 2. MAXWELLschen Gleichung

Ruhemasse und relativistische Masse[Bearbeiten]

In dieser Ecke der physikalischen Rumpelkammer gibt es noch mehr Gerümpel ähnlicher Art: Impulsmasse, longitudinale Masse, transversale Masse, ...

Unter der Masse eines Körpers versteht man den Träger (oder die Ursache) der Eigenschaften »Schwere« und »Trägheit« des Körpers. Sie wird unmittelbar bestimmt durch die Anzahl seiner Protonen, Neutronen und Elektronen (wenn man vom Massendefizit zunächst einmal absieht). Daher fällt es schwer anzunehmen, die Masse wäre von der Geschwindigkeit des Körpers und außerdem noch von der Richtung der Beschleunigung relativ zu seiner Geschwindigkeit abhängig. (Aber das ist kein verlässliches Argument, zugegeben.) Schwerer wiegt schon die Tatsache, dass alle relativistischen Effekte durch die Struktur des vierdimensionalen pseudoeuklidischen MINKOWSKI-Raumes erklärt werden können – außer eben die Relativität der Masse. Als Grund dafür stellt sich heraus, dass es sie gar nicht gibt.

Gewiss, die Trägheit eines Körpers hängt von seiner Geschwindigkeit relativ zum Beobachter ab und hat zudem gegenüber transversaler Beschleunigung einen anderen, nämlich geringeren Wert als gegenüber longitudinaler Beschleunigung. Aber die Zunahme seiner Trägheit rührt nicht von einer Zunahme seiner Masse her, sondern von der Trägheit seiner kinetischen Energie. Das ist schon seit 1905 bekannt, aber noch immer geistern die relativistische Masse und ihre Spießgesellen in namhaften Lehrbüchern (und auch in Wikipedia-Artikeln) herum. Dabei wäre alles so einfach.

Albert Einstein hat in seiner ersten Arbeit zur Speziellen Relativitätstheorie gezeigt, dass die kinetische Energie eines Körpers der Masse m bei der Geschwindigkeit v den Größenwert

(3.1)

hat, wobei c die Vakuumlichtgeschwindigkeit und ß = v/c ist.

In seiner zweiten einschlägigen Arbeit hat Einstein bald darauf bewiesen, dass die Änderung der Energie eines Körpers mit einer Veränderung seiner Trägheit verbunden ist, sodass man der Energie E die Masse

(3.2)

zuschreiben muss. Daraus folgt mit Gleichung (3.1)

Die so genannte relativistische Masse eines Körpers ist also nichts anderes als die Summe aus seiner Masse und der Masse seiner kinetischen Energie. Dem entsprechend ist der Impuls p eines Körpers der Masse m bei der Geschwindigkeit v

Die Bewegungsgleichung F = m a der klassischen Mechanik (im SI-Maßsystem die Definitionsgleichung und die Messvorschrift für die Kraft) muss nun, da F und a nicht notwendig dieselbe Richtung haben, ersetzt werden durch

Daraus ergeben sich die Komponentengleichungen

 

Die vierdimensionale Raum-Zeit[Bearbeiten]

Seit über 100 Jahren schon geistert dieses Monster durch die Physik. Zur Welt gebracht hat es kein Geringerer als Hermann MINKOWSKI, und die »Göttinger Schule« hat es aufgepäppelt und seither wird es von zahlreichen Abschreibern gedankenlos weitergereicht. Ist es denn so schwer einzusehen, dass Minkowskis vierte Koordinate w = c t das Produkt aus der Zeit und der Vakuumlichtgeschwindigkeit und daher mitnichten eine Zeit, sondern eine Strecke ist? Oder scheuen die Gelehrten die allerdings haarsträubenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben? Wer mehr und Genaueres wissen will, dem empfehle ich http://home.vrweb.de/~si.pe/Relativistische%20Mechanik.pdf oder http://home.vrweb.de/~si.pe/Spezielle%20Relativitaetstheorie%20-%202.%20Teil.pdf

 

Totale (vollständige) und andere Differentiale in der Thermodynamik[Bearbeiten]

Die »Aufklärung«, die in der Höheren Mathematik (Abteilung Infinitesimalrechnung) hinsichtlich der Begriffe »infinitesimal«, »unendlich klein«, »verschwindend klein« und ähnliche schon vor über 100 Jahren stattgefunden und zu deren Ausrottung geführt hat, ist an der physikalischen Literatur nahezu spurlos vorübergegangen. Darüber wird in einem eigenen Artikel noch zu berichten sein. Hier geht es ganz im Gegenteil um merkwürdige Skrupel hinsichtlich der peinlich genauen Unterscheidung zwischen vollständigen und anderen Differentialen. Hier ein Beispiel, das für viele steht:

„In geschlossenen Systemen muss U (die innere Energie, S. P.) sich ändern, wenn mit der Außenwelt Arbeit (W) oder Wärme (Q) ausgetauscht wird (...). Also gilt ΔU = ΔQ + ΔW, oder, präziser 1) dU = δQ + δW.“

Fußnote: „1) Weil U Zustandsfunktion ist, ist dU totales Differential, nicht aber die Änderungen von Q und W.“ (Zitat aus Leute, Physik und ihre Anwendungen in Technik und Umwelt, München 1995, S.150)

Es soll hier davon abgesehen werden, dass geschlossene Systeme per definitionem solche sind, die keine Energie mit der Umgebung austauschen. Worauf es mir hier ankommt, ist vielmehr Folgendes:

1. Wenn mit der Umgebung die Arbeit ΔW und die Wärme ΔQ ausgetauscht wird, dann ist allerdings die Gleichung

ΔU = ΔW + ΔQ

völlig exakt und bedarf keiner Präzisierung.

2. Wohl aber wünscht man sich eine präzisere Erklärung dafür, dass aus dem ΔU plötzlich ein dU wird, was mathematisch etwas ganz Anderes ist. Zur Erinnerung: ΔU ist die Änderung des Wertes der Funktion U = U(Q, W), wenn sich die unabhängigen Variablen Q und W um ΔQ bzw. ΔW ändern. Dagegen ist das Differential dU der Anstieg der Tangentenebene des Graphen (hier: der Fläche) der Funktion U bei den Änderungen ΔQ und ΔW, die wegen der Symmetrie hier mit dQ und dW bezeichnet werden:

wobei

sind. Wegen U = Q + W ist

und daher


Aus dem Zusammenhang ist völlig klar, dass dQ und dW die Veränderungen der unabhängigen Variablen Q und W sind und dass dU das (selbstverständlich vollständige) Differential der Funktion U ist.

Das zur Begründung für die Bezeichnungen δQ und δW angeführte Argument, diese Größen seien keine vollständigen Differentiale, ist absurd, weil ohnehin kein physikalisch Gebildeter auf die Idee käme, sie wären es.


 

Die Überströmversuche von Gay-Lussac und Joule[Bearbeiten]

Der Überströmversuch von Gay-Lussac, der die Unabhängigkeit der inneren Energie des idealen Gases vom Volumen beweisen soll, geistert noch immer durch die Literatur zur Theoretischen Physik. Eine ausführliche Beschreibung entnehme ich einem älteren Lehrbuch, dem renommierten Buch von Clemens SCHAEFER; Einführung in die Theoretische Physik, 3. Auflage, aus dessen 2. Band das folgende Faksimile-Zitat stammt (S. 96 f.):

Herrn Schaefer scheint es selbst nicht recht wohl dabei gewesen zu sein, wie der letzte Satz zeigt. Zu einer klaren Distanzierung und zur Aufklärung des Trugschlusses aber hat es wohl doch nicht gereicht.

Auch das gleichfalls berühmte Lehrbuch der Theoretischen Physik von Georg JOOS (11. Auflage 1964, S. 471)) bezieht sich kritiklos auf diesen Versuch und erwähnt dabei ausdrücklich das als „Kalorimeter dienende Wasserbad“.

Da aber die Masse des Wassers um etliche Zehnerpotenzen größer ist als die Masse des Gases und dessen spezifische Wärmekapazität nur etwa ein Viertel der spezifischen Wärmekapazität von Wasser beträgt, stellt das Wasserbad kein Kalorimeter dar, sondern ein Wärmebad zur Konstanthaltung der Temperatur des Gases. Statt einer adiabatischen Zustandsänderung liegt also hier eine isotherme vor, und der Versuch könnte – mit zwei zusätzlichen Druckmessern – zur Bestätigung des Gesetzes von Boyle-Mariotte dienen.

Der Überströmversuch von Joule vermied zwar diesen krassen Fehler, indem die beiden Gaskammern so gut wie möglich wärmeisoliert wurden, wobei aber höchst fraglich bleibt, ob der Versuch wirklich hinreichend adiabatisch verlief, denn eine Wärmeaufnahme oder –abgabe durch die Wände und die unvermeidlichen Thermometer kann schwerlich vernachlässigt werden. Das Gleiche gilt für den Paradeversuch von THOMSON und JOULE, die „in einer Reihe glänzender Abhandlungen in den Jahren 1852/1854 und 1862 den Gay-Lussacschen Versuch in mustergültiger Weise wiederholt bzw. abgeändert haben.“ (Schaefer, a. a. O. S. 98.)

Wie kann die Schwierigkeit behoben werden, die für die Theorie wichtige Eigenschaft des idealen Gases zu beweisen, zumal ja nur reale Gase zur Verfügung stehen und der experimentelle Nachweis allenfalls asymptotisch erbracht werden kann?

Mein Vorschlag:

1. Das ideale Gas, dessen Moleküle kein Volumen haben und keine Kräfte auf einander ausüben, ist eine Fiktion, ähnlich der Geraden in der Geometrie. Beharren wir auf dieser Fiktion, so ist eine selbstverständliche Folge dieser Eigenschaften, dass seine innere Energie vom Volumen unabhängig ist, weil ja im Innern keine Kraftfelder existieren, bei denen Entfernungen eine Rolle spielen könnten.

2. Die für die Theorie einzig wichtige Eigenschaft des idealen Gases ist, dass seine innere Energie vom Volumen unabhängig ist. Was spricht dagegen, das ideale Gas einfach durch diese Eigenschaft zu definieren? Nichts! Und schon können wir auf die fragwürdigen Überströmversuche verzichten. Also:

Das ideale Gas ist ein (fiktives) Gas, dessen innere Energie von seinem Volumen unabhängig ist.

 

Das ohmsche Gesetz[Bearbeiten]

In zahlreichen Veröffentlichungen wird die Gleichung

noch immer als ohmsches Gesetz bezeichnet. Tatsächlich ist sie die Definitionsgleichung der abgeleiteten Größenart »elektrischer Widerstand« und zugleich die Messvorschrift dafür.

Das ohmsche Gesetz dagegen lautet:

Bei konstanter Leitertemperatur ist die Stromstärke im Leiter der Spannung proportional:

 


Die ersten beiden Newtonschen Axiome[Bearbeiten]

Lex prima: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern (Fußnote 1).

Newton benutzt in seinem ersten Gesetz einen nicht definierten Begriff, nämlich den der Kraft. Das ist nach modernen wissenschaftlichen Gepflogenheiten nicht zulässig. Es müsste also heißen: „Ein sich selbst überlassener (oder: jedem äußerem Einfluss entzogener) Körper …“ Damit wird sofort klar, dass diese Bedingung auf der Erde nicht zu erfüllen ist und dass damit die lex prima weder ein Axiom noch ein Gesetz, sondern eine geniale Extrapolation aus den Experimenten Galileis ist (von dem dieses „Gesetz“ eigentlich stammt).

 

Lex secunda: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.

Zum Verständnis ist Newtons „Erklärung 2“ nötig: Die Größe der Bewegung wird durch die Geschwindigkeit und die Menge der Materie vereint gemessen.

Eine moderne Formulierung würde etwa lauten: Der Größenwert der Bewegung (oder kurz: die Bewegung) ist das Produkt aus (den Größenwerten) der Geschwindigkeit und der Masse des Körpers. Die „Menge der Materie“ (= Masse) wird durch Newtons „Erklärung 1“ wie folgt definiert: Die Menge der Materie wird durch ihre Dichte und ihr Volumen vereint gemessen. Dies ist natürlich eine klassische Zirkeldefinition, da die Dichte nur mit Hilfe des Begriffs Masse definiert werden kann.

Außerdem enthält die lex secunda einen schwerwiegenden Fehler: Nicht die Änderung der Bewegung, sondern die Änderungsgeschwindigkeit der Bewegung (also ihre Ableitung nach der Zeit) ist der bewegenden Kraft proportional, wobei die „Bewegung“ als Produkt aus Masse und Geschwindigkeit natürlich nichts anderes ist als unser Impuls p. Damit lautet die lex secunda in mathematischer Formulierung richtig:

(1)

Allerdings gibt es auch eine andere, offenbar wenig beachtete Interpretation. Bei sorgfältiger Lektüre fällt auf, dass Newton in lex secunda nicht einfach von der „bewegenden Kraft“, sondern von der „Einwirkung der bewegenden Kraft“ spricht. Sollte er damit etwa das Produkt aus der (als konstant angenommenen) Kraft und der Einwirkungsdauer meinen? Dann wäre der Satz nämlich richtig und seine mathematische Formulierung wäre

Setzt man in Gleichung (1) p = m v, so kann man dafür schreiben

(2)

Aber: Alle Bewegungsversuche, auf denen Galileis und Newtons Folgerungen beruhten, wurden mit Körpern von konstanter Masse durchgeführt, und wir dürfen daher annehmen, dass diese Voraussetzung für Newton schlicht selbstverständlich war. Seine Formulierung war also viel eher voreilig als „prophetisch“, wie SOMMERFELD (Fußnote 2) meinte. Auch die in vielen Lehrbüchern anzutreffende Behauptung, die Gleichung (2) sei das vollständige Newtonsche Bewegungsgesetz und die übliche Formulierung „Kraft = Masse mal Beschleunigung“ sei eine unzulässige Verkürzung, ist Unsinn. Es gab vor dem Segnerschen Wasserrad, vor dem Sprengwagen, vor den Raketen und vor allem vor der Relativitätstheorie keine physikalischen Beobachtungen an Körpern veränderlicher Masse, und es gab vor allem keinerlei experimentellen Belege dafür, dass bei veränderlicher Masse die Gleichung (2) lauten müsse:

(3)

Es ist also widersinnig, den experimentell beobachteten Unterschied zwischen longitudinaler und transversaler Masse (schnell bewegter Elektronen) mit der angeblich vollständigen Formulierung des Newtonschen Bewegungsgesetzes erklären und begründen zu wollen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Beobachtungsergebnisse an schnellen Elektronen waren (verbunden mit der Erkenntnis der Trägheit der Energie) der erste experimentelle Beweis dafür, dass bei veränderlicher Masse das Newtonsche Bewegungsgesetz in der Form der Gleichung 3 zu schreiben ist.

Im Übrigen gilt Gleichung 3 nur, wenn die hinzukommende Masse vorher die Geschwindigkeit null hatte, bzw. bei negativem Massenzuwachs die abgestoßene oder verschwindende Masse nachher die Geschwindigkeit null hat. Im Allgemeinen muss die Gleichung lauten

wobei v0 die Geschwindigkeit der hinzukommenden bzw. abgestoßenen Masse vorher bzw. nachher ist. Gleichungen 2 und 3 sind also nur unter Vorbehalt gültig.


Fußnote 1: Übersetzungen nach J. Ph. Wolfers, Mathematische Principien der Naturlehre, Berlin 1872

Fußnote 2: A. Sommerfeld, Mechanik, Frankfurt/M. 1994, S. 5