Diskussion:Psychologie: Persönlichkeitstheorien: Psychoanalyse nach Sigmund Freud

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Einige Einsichten zu den freudschen Fallgeschichten Dora, Hans, Rattenmann, Wolfsmann[Bearbeiten]

Ich habe die letzten paar Jahre damit verbracht, die wichtigsten Werke Freuds zu lesen. Unabweisbar wurden dabei die Fragen: Wie kann er das alles wissen? Worauf gründen seine zahlreichen und komplexen theoretischen Behauptungen? Diese Fragen führten mich dazu, die berühmten Fallgeschichten genau zu lesen und wiederzulesen. Das Ergebnis war ein Buch mit überraschenden Einsichten. Es ist eben erschienen, doch ich nenne seinen Titel nicht, weil ich an dieser Stelle keine Werbung für mein Buch machen will. Dessen Vorbemerkung gibt eine Andeutung davon, welcher Art die Ergebnisse sind, und ich setze sie hierher. Wenn es interessiert, will ich gern an dieser Stelle eingehender beschreiben, wie ich zu jenen Einsichten gekommen bin.

»Noch im hohen Alter besteht Freud darauf, seine Psychoanalyse sei eine Wissenschaft wie zum Beispiel die Physik. Ihre Einsichten seien in mühsamer klinischer Arbeit an vielen Patienten gewonnen. In allen seinen Schriften pocht er auf seine Erfahrungen und Beobachtungen.

Die meisten Schriften Freuds sind theoretischer Art. Sie führen seine Theorie als fait accompli vor. Nur seine Fallberichte könnten sie in statu nascendi zeigen. An sie muss man sich halten, wenn man Freud vor Ort zusehen will, wie er die klinischen Erfahrungen gewinnt, aus denen, darauf beharrt er, seine Theorie erwachsen sei. So muss man sich in seine fünf ausführlichen Berichte über seine Arbeit mit fünf Patienten vertiefen. Unter Kennern sind diese Texte mit den Kürzeln Dora, Hans, Rattenmann, Wolfsmann und Präsident Schreber geläufig; sie wurden gar der Pentateuch der Psychoanalyse genannt, gelten also als kanonische, vorbildhafte Verlautbarungen des Meisters.

Es sind recht unübersichtliche, mäandernde Texte, beim ersten Lesen nicht leicht zugänglich. Ich habe vier von ihnen genau gelesen und wiedergelesen; den fünften habe ich im Folgenden nicht weiter berücksichtigt, weil Freud diesen Patienten, den Senatspräsidenten Daniel Schreber, nie gesehen hat, sondern nur ein Buch analysierte, Schrebers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken.

Die Lektüre der übrigen vier Texte brachte reichen Gewinn. Sie zeigen in der Tat Freud bei seiner klinischen Arbeit und lassen aufs vielfältigste nachvollziehen, wie er auf seine eigentümliche Weise denkt, deutet, seine Schlüsse zieht, wie er mit seinen Patienten umgeht, wie gewinnend und brillant er formulieren kann. Jedoch auch, wie er Unlogik zu verschleiern weiß und schlichtweg als allgemeingültige Wahrheit ausgibt, was er sich am Schreibtisch ausgedacht hat.

Im wesentlichen Punkt enttäuschen diese Texte. Aus ihnen kann man nicht lernen, wie die theoretischen Bausteine der Psychoanalyse Freuds aus seiner angeblich induktiven, also strikt wissenschaftlichen klinischen Arbeit hervorgegangen sind. Das Gegenteil erweist sich als richtig. Die Fallberichte sind komplizierte Versuche, seine von vornherein feststehenden theoretischen Behauptungen durch seine klinische Arbeit bestätigt erscheinen zu lassen. Das erweist sich als Prokrustes-Unternehmen. Freud zwängt Aussagen und Verhalten der Patienten in seine vorab formulierte Theorie. Er stutzt seine Beobachtungen zurecht und manipuliert sie, um sie seinen Erwartungen einzupassen. Er arbeitet also deduktiv. Obendrein sucht Freud den Leser mit vielerlei rhetorischen Mitteln dafür zu gewinnen, in der Wirklichkeit etwas zu gewahren, das nur in seinem Kopf vorhanden ist.

Dadurch wird mein zunächst lediglich philologisch orientiertes, als genaues Prüfen der Argumentationslogik begonnenes Unternehmen zu einer neuartigen Einführung in Freud. Sie ist alles andere als unkritisch. Die zahlreichen kommentierten und sorgfältig in den Kontext eingebetteten Zitate allein belegen nicht nur das eigentümliche Denken und Deuten Freuds, sondern auch die Raffinesse seiner Überredungskunst. Diese steht im Dienst einer anderen Logik als der des common sense. Er bringt einen verblüffenden — und nicht selten unterhaltsamen — Einfallsreichtum auf, den Leser in eine Psycho-Logik hineinzuziehen, die dessen gesundem Menschenverstand fremd sein muss.

Man hat gesagt, die Fallberichte Freuds seien die Säulen der Erfahrungen, auf deren Summe der Koloss der freudschen Theorie ruhe. Beim genauen Lesen jedoch erweisen sich diese Säulen als tönerne Füße, nämlich als bloße Kunststücke der Überredung.

Glaubt man nicht mehr dem Diktum Freuds, sie seien Wissenschaft, so wird der Blick frei, diese Texte als literarische Bastarde wahrzunehmen. Dora erscheint als ein absurdes Kriminaldrama, in dem Freud die Rolle des Detektivs und zugleich die des Tribunalpräsidenten, des Staatsanwalts und des medizinischen Sachverständigen spielt; Hans liest sich als satirisches Lehrstück, wie ein Wissenschaftler Daten eben nicht erheben und auswerten darf; Rattenmann als Story, die würdig eines Walter Shandy ist, dem eine grillenhafte Hypothese durch alles bestätigt scheint, worauf auch immer sich sein Blick richtet; Wolfsmann schließlich als faustdickes Seemannsgarn. Alle vier Fallerzählungen, die als wissenschaftliche Texte aufgemacht daherkommen, erweisen sich als Phantasiestücke — in freudscher Manier.

Frivolitäten? Lügen gestraft vom Ernst und der Seriosität, mit denen der bärtige Freud aus seinen Porträts auf uns herniederblickt? Wir werden sehen.«  --Gr5959 10:48, 29. Jun. 2019 (CEST)[Beantworten]