Examensrepetitorium Jura: StGB AT: Rechtswidrigkeit

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Die Rechtswidrigkeit einer Tat entfällt, wenn das Handeln des Täters durch jedenfalls einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Folglich bilden Rechtfertigungsgründe als Erlaubnisnormen das rechtstechnische Gegenstück zu den Tatbeständen im Besonderen Teil des StGB, die nämlich Verbote statuieren. Derartige Erlaubnisnormen sind nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht auf das Strafrecht beschränkt (vgl. §§ 228, 904 BGB) und können sogar dem Gewohnheitsrecht entnommen werden.

Allgemeines[Bearbeiten]

Ausführungen zur Rechtswidrigkeit folgen im System des herrschenden dreistufigen Deliktsaufbaus der Tatbestandsebene als zweiter Prüfungsschritt nach und sind nach der gesetzlichen Differenzierung (etwa im Notstandsrecht) von der Schuldebene abzugrenzen. Als Kriterium hierfür dient die Unrechtsqualifikation des Täterverhaltens, an der Entschuldigungsgründe im Gegensatz zu Rechtfertigungsgründen nichts zu ändern vermögen.

Parallel zu Tatbestandsmerkmalen zerfallen auch Rechtfertigungselemente in objektive und subjektive Komponenten. Das objektive Rechtfertigungselement lässt hierbei den Erfolgsunwert einer Tat entfallen, wohingegen das Vorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements den Handlungsunwert beseitigt. Fehlt letztere Komponente, wird daher angesichts des reduzierten Unrechtsgehalts überwiegend von einer Versuchsstrafbarkeit ausgegangen (vgl. § 23 II StGB).

Notwehr (§ 32 StGB)[Bearbeiten]

Hinter der Regelung in § 32 II StGB, welche die weitreichendste individuelle Eingriffsbefugnis im Strafgesetzbuch normiert, stehen nach h.M. zwei teleologische Erwägungen (Dualismus des Notwehrrechts) - gewissermaßen ruht die Notwehr auf zwei "Säulen":

  1. Individualschutzprinzip: Die Rechtsgüter des Angegriffenen sind vor Eingriffen prinzipiell geschützt, ihm wird insofern in Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols eine legitime Verteidigungsmöglichkeit gegen den Angreifer zugestanden.
  2. Rechtsbewährungspinzip: § 32 II StGB ist Ausdruck einer Verschmelzung von spezial- und generalpräventiven Gedankengut. Letzteres meint, dass die Rechtsordnung bestimmte Rechtspositionen an sich mit den Mitteln des Strafrechts stärkt, also "das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht".[1]

Notwehrlage (objektiv)[Bearbeiten]

Eine Rechtfertigung gem. § 32 II StGB setzt zunächst einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut voraus.

  • Von einem Angriff spricht man, wenn die Verletzung eines rechtlich geschützten Individualinteresses durch menschliches Verhalten droht. Der Kreis der in diesem Zusammenhang geschützten Individualrechtsgüter ist weit zu verstehen, Übergriffe in die Privatrechtsordnung (insb. in das Persönlichkeitsrecht) sprengen hierbei den Rahmen des StGB. Ausgenommen werden einzig (Bagatell-) Angriffe, welche etwa die allgemeine Handlungsfreiheit, das Hausrecht oder zivilrechtliche Forderungen betreffen. [2]

Nachstehend einige zentrale Gegenüberstellungen zur Angriffsdogmatik:

Angriff (+) Angriff (-)
Tatsächliche Bedrohungslage ex post Scheinangriff
Individualgüter bedroht Allgemeininteressen bedroht (Verbot der Staatsnothilfe) [3]
veranlasster Tierangriff (Bsp. "Fass!") reiner (instinktbedingter)Tierangriff
Schuldunfähigkeit des Angreifenden keine Handlungsqualität (insb. juristische Personen)
  • Gegenwärtig ist jeder Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert.
    • Unmittelbares Bevorstehen ist gegeben, wenn das Täterverhalten ohne weitere Zwischenschritte in die Verletzungshandlung umzuschlagen droht (Bsp.: Griff des Täters nach einer sichtbaren Pistole). Abzugrenzen ist dies von der sog. Präventivnotwehr, bei der bloße Dauergefahren oder künftig zu erwartende Beeinträchtigungen keinen notwehrbegründenden Charakter aufweisen. In diesem Kontext als Unterausnahme zu beachten sind allerdings die Fälle der antizipierten Notwehr (Bsp. Selbstsschussanlagen).
    • Das Moment des Fortdauerns bemisst sich danach, ob der Schaden noch abgewendet werden kann. Das ist nicht mehr der Fall bei einem finalen Schadenseintritt (Bsp. Ehrverletzung mit Ausspruch der Beleidigung) sowie bei aufgegebener oder fehlgeschlagener Tatausführung. Zeitlich überdehnt wird das Merkmal der Abwendbarkeit bei Dauerdelikten sowie bei erpresserischen Angriffen auf die Willensentschließungsfreiheit, und zwar bis zur Beendigung des jeweiligen Zustands. [4][5]

Prüfungstaktischer Hinweis: Liegen die Voraussetzungen der Gegenwärtigkeit nicht vor, so ist - vornehmlich bei sog. Dauergefahren - eine Rechtfertigung/Entschuldigung nach Notstandsrecht (§§ 34,35 StGB) zu prüfen!

  • Rechtswidrigkeit haftet einem Angriff an, sofern er im objektiven Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung steht, d.h. seinerseits nicht durch Rechtfertigungsgründe gedeckt ist (Keine Notwehr gegen Notwehr). Nach der h.M. ist dabei einerseits ein schuldhaftes Handeln nicht erforderlich (ratio: keine Privilegierung schuldunfähiger Angreifer), andererseits muss sich die Rechtswidrigkeit notwendigerweise in einem Pflichtwidrigkeitsurteil (= Normverstoß) über die bloße Rechtsgutbedrohung hinaus äußern. [6][7]
Streitfrage - Angriff durch Unterlassen?
Problem Lösungsansatz
Angriff durch Untätigbleiben möglich?
  • e.A.: nein, begrifflich erfolgt ein Angriff nur durch aktives Tun, § 32 StGB daher nur analog anwendbar
  • h.M.: ja, § 32 StGB ist ein umfassendes Schutzrecht, bei dem Tun und Unterlassen sich entsprechen (vgl. § 13 I StGB).
Qualifikation des Unterlassens
  • e.A.: Verstoß gegen Gefahrabwendungspflichten, deren Verletzung jedenfalls als OWi geahndet wird
  • a.A.: Verstoß gegen Garantenpflichten (Sphärengedanke, vgl. § 13 I StGB)
  • h.M.: Verstoß gegen beliebige Hilfspflicht als Ausfluss des Individualrechtsgüterschutzes [8]
Erstreckung auf echtes Unterlassen?
  • e.A.: nein, es kommt isoliert zu keiner fassbaren, notwehrfähigen Rechtsgutverletzung
  • h.M.: ja, die faktische Rechtsgutsgefährdung durch unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) reicht aus [9]

Notwehrhandlung (objektiv)[Bearbeiten]

Der Notwehrlage muss der Betroffene ausweislich des § 32 II StGB ferner durch Vornahme einer zulässigen Notwehrhandlung begegnen. In Tatbestandsmerkmale gegossen führt dies zur Prüfung einer geeigneten, erforderliche und gebotenen Verteidigungsmaßnahme.

  • Verteidigungsmaßnahme [10]
  • Geeignet
  • Erforderlich
  • Geboten

Verteidigungswille (subjektiv)[Bearbeiten]

Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)[Bearbeiten]

Notstandslage[Bearbeiten]

Notstandshandlung[Bearbeiten]

Wesentlich überwiegendes Interesse am Schutzgut (Abwägung)[Bearbeiten]

Rettungswille[Bearbeiten]

Zivilrechtliche Notstandsregelungen[Bearbeiten]

Defensivnotstand nach § 228 BGB[Bearbeiten]

Offensivnotstand nach § 904 BGB[Bearbeiten]

Das Jedermann-Festnahmerecht (§ 127 I 1 StPO)[Bearbeiten]

Rechtfertigende Einwilligung[Bearbeiten]

Mutmaßliche Einwilligung[Bearbeiten]

Inkurs: Hypothetische Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff[Bearbeiten]

Rechtfertigende Pflichtenkollision[Bearbeiten]

Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB)[Bearbeiten]

Nachweise aus Schrifttum und Rechtsprechung[Bearbeiten]

  1. Kindhäuser/Neumann/Päffgen-Urs Kindhäuser, Strafgesetzbuch (Nomos), 4. Aufl. 2013, StGB § 32 Rn. 9-12 (zit. NK-StGB-Bearbeiter).
  2. Beck'scher Online-Kommentar StGB-Carsten Momsen (C.H. Beck), 31. Edition 06/2016, StGB § 32 Rn. 17-19 (zit. BeckOK StGB-Bearbeiter).
  3. Abl. etwa zu Störungen der öffentlichen Ordnung, gegen die zulässigerweise keine Notwehr in Form von Nötigung geübt werden kann: BGHSt 5,245.
  4. Walter Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil (Springer), 4. Aufl. 2015, § 5 Rn. 145 (zit. Gropp AT).
  5. Schönke/Schröder-Walter Perron, Strafgesetzbuch. Kommentar (C.H. Beck), 29. Aufl. 2014, StGB § 32 Rn. 14-18a (zit. Sch/Sch-Bearbeiter) mit Hinweisen zur Erforderlichkeit.
  6. BeckOK StGB-Carsten Momsen, StGB § 32 Rn. 21.
  7. Patrick Stemler, ZJS 2010, 347/9.
  8. Leipziger Kommentar StGB Online-Rönnau/Hohn, Bd. 2 (De Gruyter), 12. Aufl. 2006, StGB § 32 Rn. 101-103 (zit. LK-StGB-Bearbeiter).
  9. NK-StGB-Urs Kindhäuser, StGB § 32 Rn. 35.
  10. Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch-Volker Erb, Bd. I (C.H. Beck), 2. Aufl. 2001, StGB § 32 Rn. 119-127 (zit. MüKo StGB-Bearbeiter).