Gotisch/ Band1/ Relativsatz

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Ein Relativsatz ist ein Nebensatz, der ein Satzglied näher beschreibt, z. B. Das ist der Mann, der jeden Tag zu spät kommt. Ein Relativsatz besitzt gewöhnlich ein Relativpronomen (im Beispielsatz der), das sich auf ein Satzglied im Hauptsatz (im Beispiel der Mann) bezieht.

Relativpronomen[Bearbeiten]

Im Gotischen treten verschiedene Relativpronomen auf.

saei, soei, etc.

Das häufigste Relativpronomen wird aus dem Demonstrativpronomen + -ei gebildet. Es kann jedoch auch als nachdrückliches Demonstrativpronomen[1] gebraucht werden (vgl. auch Tit 1,5; 1. Tim 5,25):

Bsp. (saei als nachdrückliches Demonstrativpronomen)
unte ains hlaifs, ain leik þai managans sium, þaiei auk allai ainis hlaibis jah ainis stiklis brukjam. (man beachte, dass þai und þaiei Subjekte des Verbs der 1. Plural sind)
"Denn wir, die vielen, sind ein Brot, weil wir alle ein Brot und einen Becher teilen."
(1. Kor 10,17)

Als Relativpronomen wird es weitgehend wie das griechische Relativpronomen der Vorlage gebraucht. Es kann also mit einem artikelbegleitenden oder artikellosen Bezugsnomen, ebenso wie mit einem Bezugspronomen stehen. Möglich ist auch ein bezugloser Relativsatz, der dann als Satzglied des Hauptsatzes fungiert. In der Regel muss der Kasus des Relativpronomen gewählt werden, den sowohl der Hauptsatz als auch der Relativsatz fordert:

Bsp. (Bezugloser Relativsatz)
saei sandida mik, miþ mis ist
"Wer mich geschickt hat, ist bei mir."
(Joh 8,29)

Der Relativsatz wurde hier als Satzglied unterstrichen und kann hier als Subjekt aufgefasst werden. Als Subjekt des Hauptsatzes muss das Relativpronomen im Nominativ stehen; entsprechend kann saei nur das Subjekt des Relativsatzes sein. Ausnahmen sind nur dann möglich, wenn eine Wortform mehrere Kasus repräsentieren kann:

Bsp. (Bezugloser Relativsatz mit unterschiedlichen Kasus des Relativpronomens)
þannu nu þoei gawairþjis sind, laistjaima, jah þoei timreinais sind in uns misso.
"Darum lasst uns nun dem nachstreben, das zum Frieden dient, und zur Erbauung untereinander."
(Röm 14,19)

Der Relativsatz ist hier das Akkusativ-Objekt des Hauptsatzes nu (weis) þo laistjaima "wir streben denen nun nach"; das Relativpronomen steht entsprechend im Akkusativ (þo hier: Akk. Ntr. Pl.). Im Nebensatz þo gawairþjis sind "diese sind des Friedens (=dienen zum Frieden)" ist das Relativpronomen hingegen das Subjekt (þo hier: Nom. Ntr. Pl.). Möglich ist diese Konstruktion, da das Neutrum im Nominativ und Akkusativ gleichlautend ist.

sah, soh, etc.

Die Pronomen sah, soh, þatuh ist eigentlich ein Demonstrativpronomen mit der Bedeutung "eben dieser". Aufgrund dieser Bedeutung kann es vorkommen, dass das Pronomen auch griechische Relativpronomina übersetzt bzw. als solches ins Deutsche übersetzt werden kann.

Bsp. (sah als Relativpronomen)
iþ unleds sums was namin haitans Lazarus; sah atwaurpans was du daura is, banjo fulls.
"Es gab einen bestimmten Bettler namens Lazarus, der zu seinem Tor geführt wurde, voller Wunden."
(Lk 16,20)
ei

ei ist eine Relativpartikel, d. h. sie wird wie ein Relativpronomen gebraucht, aber im Gegensatz zu ihm nicht dekliniert. Die Partikel steckt auch im regulären Relativpronomen saei, soei, etc.. Als eigenes Relativum tritt es jedoch nur nach Zeit- und Modalwörtern auf.

Beispiel
jah <sai> sijais þahands jah ni magands rodjan und þana dag ei wairþai þata, ...
"Und <sieh>, du solltest schweigen und nichts sagen können bis an den Tag, an dem dies passieren möge, ..."
(Lk 1,20)
þei

þei kann wie ei eine Relativpartikel sein. Sie erscheint nach unbestimmten und sächlichen Pronomen. Einmal tritt sie auch nach einem Zeitbegriff auf (Mt 9,15).

Beispiel
aþþan jabai sijuþ in mis, jah waurda meina in izwis sind, þataƕah þei wileiþ bidjiþ, jah wairþiþ izwis.
"Wenn ihr in mir seid und meine Worte in euch sind, bittet was auch immer ihr wollt, und es wird euch widerfahren." (zu zerlegen in þataƕah ... bidjiþ "was auch immer ihr bittet" und dem Relativsatz þei wileiþ " was ihr wollt")
(Jh 15,7)
izei und sei

Formal betrachtet gehören diese Relativa zu den Relativpronomina, die sich von den Personalpronomina ableiten (ik + ei -> ikei "ich, der ..."), und können als is "er" bzw. si "sie" + -ei erklärt werden. Die beiden Wortformen haben sich allerdings zu Relativpartikel entwickelt, die nicht mehr flektiert werden, was mitunter dazu geführt hat, dass manche Germanisten die Herleitung aus Personalpronomen + -ei ablehnen.[2] Beide Partikel beziehen sich auf (meist artikellose) Nomen oder Demonastrativpronomen, die maskulin (izei) oder feminin (sei) sind. izei kann sowohl für den Singular, als auch für den Plural und gebraucht werden.

Bsp. (izei mit pluralischem Bezugswort)
akei duþþe gaarmaiþs warþ, ei in mis frumistamma ataugidedi Xristaus Iesus alla usbeisnein du frisahtai þaim ize anawairþai wesun du galaubjan imma du libainai aiweinon.
" Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben."
(1. Tim 1,16)

Gelegentlich ist das Demonstrativpronomen auch Teil des Relativsatzes, so dass als Relativpronomen sa, so, ... oder saƕazuh, ... + izei fungiert. Auf diese Weise können auch oblique Kasus angegeben werden, obgleich in der Verwendung auch hier der Nominativ überwiegt.

Bsp. (Demonstativpronomen + izei)
alla ufhnaiwida sind, bairht þatei inu þana izei ufhnaiwida uf ina þo alla.
"Alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass ausgenommen ist, wer ihm alles unterworfen hat."
(1. Kor 15,27)
ikei und þuei

Als Relativpronomen der ersten und zweiten Person dienen ikei und þuei, die mit und ohne Bezugswort auftreten können. Sie existieren nur für den Singular und treten fast nur im Nominativ auf, so ihr Status als Relativpronomen mitunter hinterfragt werden kann. Andere Kasus treten nur zweimal auf (Mk 1,11 und Gal 3,1):

Beispiel (Obliquer Kasus)
jah stibna qam us himinam: þu is sunus meins sa liuba, in þuzei waila galeikaida.
"Und vom Himmel kam eine Stimme: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." oder "..., an dir habe ich Wohlgefallen"
(Mk 1:11)

Die Wahl der Übersetzung mit einfachem Personalpronomen (hier: dir), mit Relativpronomen (hier: an dem) oder gar mit beidem (du, der) hängt letztlich vom Kontext und Stil ab. Man beachte auch, dass anstelle eines ikei/þuei gelegentlich auch ein (ik im) saei (z. B. Joh 8,18) erscheint.

Modus[Bearbeiten]

Der Modus des Verbs im Relativsatz wird ähnlich wie im Hauptsatz primär vom Satzinhalt bestimmt. Auf einige Besonderheiten sei hier dennoch hingewiesen:

Im Relativsatz kann der Optativ stehen, wenn ein negiertes Satzglied zur Betonung als Relativsatz erscheint:

jah qeþun du izai þatei ni ainshun ist in kunja þeinamma saei haitaidau þamma namin. (statt ... ni ainshun in kunja þeinamma haitada þamma namin.)
"Und sie sprachen zu ihr: Ist doch niemand in deiner Verwandtschaft, der so heißt."
(Lk 1,61)

Handelt es sich beim Nebensatz inhaltlich um einen Bedingungssatz mit zwei Bedingungen, der lediglich formal als Relativsatz ausgedrückt wird, wird nicht selten das erste Verb im Indikativ, das zweite im Optativ gestellt:

Bsp. (relativischer Bedingungssatz mit Indikativ und Optativ)
saei nu gatairiþ aina anabusne þizo minnistono jah laisjai swa mans, minnista haitada in þiudangardjai himine;
"Wer aber nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt es die Leute so, der wird der Kleinste im Himmelreich genannt;"
(Mt 5,19)

Kongruenz[Bearbeiten]

Relativsätze bestimmen das Vorhergenannte (Antezedens) näher und stimmen im Genus und Numerus mit ihm ein. Der Kasus des Relativpronomens richtet sich hingegen nach dem Relativsatz, z. B. Das ist der Junge, dem ich Geld schulde. Genus (m) und Numerus (Sg.) stimmen mit dem Antezedens überein (der), aber der Kasus (Dat.) wird vom Relativsatz bestimmt (ich schulde ihm Geld). Gelegentlich treten im gotischen Korpus auch Inkongruenz in Genus und Numerus auf (Bsp. hansa mikila "eine große Schar" f. Sg. -> þaiei m. Pl. in Lk 6,17f.). Diese erscheinen meist bei kollektiven Begriffen und sind eher als Fehler einzustufen. Eine reguläre Ausdrucksmöglichkeit ist hingegen die sog. Attraktion.

Attraktion[Bearbeiten]

Die Bezeichnung Attraktion meint ein Phänomen, in dem das Relativpronomen nicht im Kasus erscheint, welches das Verb des Relativsatzes verlangt, sondern in dem, welches das Verb des Hauptsatzes verlangt. Das Verb des Hauptsatzes zog sozusagen den Kasus an sich (daher von lat. attractio "Ansichziehen"). Im Gotischen ist eine Attraktion nur dann möglich, wenn das Relativsatz-Verb einen Nominativ oder Akkusativ verlangt und der Hauptsatz kein Bezugs-Pronomen enthält.

Bsp. (Attraktion):
andhof Iesus jah qaþ du im: þatist waurstw gudis, ei galaubjaiþ þammei insandida jains.
"Jesus antwortete und sagte ihm: Das ist das Werk Gottes, damit ihr dem glaubt, den jener gesandt hat."
(Jh 6,29)

Der Hauptsatz ist in diesem Beispiel ei galaubjaiþ imma "damit ihr ihm glaubt"; das Dativobjekt imma fehlt hier (vgl. die zweite Bedingung). Der Relativsatz müsste korrekt þanei insandida jains "den er gesandt hat" heißen; das Relativpronomen müsste also im Akkusativ stehen (vgl. die erste Bedingung). Die beiden Pronomen wurde hier sozusagen ineinander geschoben, so dass anstelle eine Personalpronomens ein Relativpronomen und anstelle eines Akkusativs ein Dativ steht. Für die Übersetzung eines solchen Satzes, muss die Attraktion wieder aufgelöst werden (vgl. Beispielübersetzung).

  1. so etwa Streitberg, Wilhelm: Gotische Syntax. Nachdruck des Syntaxteils der fünften und sechsten Auflage des Gotischen Elementarbuchs. Hrgg. von Hugo Stopp. Heidelberg 1981. S. 74
  2. so etwa Streitberg, Wilhelm: Gotische Syntax. Nachdruck des Syntaxteils der fünften und sechsten Auflage des Gotischen Elementarbuchs. Hrgg. von Hugo Stopp. Heidelberg 1981. S. 72