Lehren, Lernen und Bildung metaphorisch verstehen/ Denkwerkzeuge/ Bildungstheorien/ Transformatorische Bildungstheorie

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Einleitung[Bearbeiten]

Die Ansätze transformatorischer Bildungstheorie sind ein vielfältig aufgegriffener Punkt in bildungswissenschaflticher Literatur. Um einige zentrale Autoren kurz zu nennen: Rainer Kokemohr, Winfried Marotzki, Hans-Christoph Koller und Arnd-Michael Nohl.

Die Herkunft des Bildungsbegriffs ist auf das 19. Jahrhundert datiert (Koller 2011: 109). Mit der transformatorischen Bildungstheorie ist ein weiterer Ansatz geschaffen, den Begriff der Bildung zu erklären. Im Folgenden soll die Arbeit Kollers aus 2011 als Leitfaden dienen. Die Theorie nach Koller stellt eine Weiterentwicklung des Begriffs “Bildung” dar, die eine Antwort auf Kritik am klassischen Bildungsbegriff aus den 1960er Jahren, der so genannten geisteswissenschaftlichen Pädagogik geben soll (ebd.).

Gegenstandsbereich[Bearbeiten]

Laut Koller dient die transformatorische Bildungstheorie der „Reformulierung des Bildungsbegriffs“, die durch Kritik am klassischen Bildungsgedanken von 1800 hervorgerufen wurde (Koller 2011: 109). Bei der Neubestimmung dieses Begriffs sollte besonders die gegenwärtige Gesellschaft berücksichtigt, empirische Untersuchungen ermöglicht und weiterhin das kritische Potential des Bildungsbegriffs beibehalten werden (ebd.).
Diese Theorie analysiert die Verhältnisse von Selbst- und Welt; sowie der Subjekte untereinander und zu sich selbst auf. Zusätzlich versucht diese Theorie zu beschreiben, wie Bildungsprozesse ablaufen und wodurch sie hervorgerufen werden.

Analytische Dimension[Bearbeiten]

Zum besseren Verständnis grenzt Koller, in Bezugnahme auf diese Unterscheidung bei Marotzki (1990), Bildungsprozesse von Lernprozessen ab. Bildung geht seiner Auffassung nach einen Schritt weiter als „Lernen“, was nicht nur zu einem Kompetenzerwerb, sondern vielmehr zu einer grundlegenden Veränderung der gesamten Person führt (Koller 2011: 109). Der Anlass von Bildungsprozessen wird durch krisenhaftes Geschehen beschrieben, da die Reaktion auf diese Ereignisse ein Anpassen an „neuartige Problemlagen“ hervorruft (ebd.), wodurch das bisherige Welt- und Selbstverhältnis in Frage gestellt wird (Koller 2011: 110).
Es gibt drei Fragen, die den Inhalt der Theorie von transformatorischen Bildungsprozessen eingrenzen:

  1. Was wird in transformatorischen Bildungsprozessen einer Veränderung unterzogen?
  2. Wie lassen sich Krisenerfahrungen (Anlass für Bildungsprozesse) genauer bestimmen?
  3. Wie sind Prozesse und ihre Bedingungen von der Transformation von Welt- und Selbstverständnissen näher zu beschreiben? (Koller 2011: 110).

Zur Klärung der drei Fragen, die die transformatorische Bildungstheorie beantworten muss, wurde ein Schaubild entwickelt, das sich mit den drei Bestandteilen transformatorischer Bildungsprozesse befasst (Abb. 1).

Abb.1: Drei Bestandteile transformatorischer Bildungsprozesse

Begonnen wird mit dem Gegenstand transformatorischer Bildungsprozesse, d.h. mit Frage eins: Was wird Veränderungen unterzogen? Zur Beantwortung dieser Frage zieht Koller Bourdieu zu Rate, indem er das Konzept des Habitus nutzt, um das „Verhalten eines Subjekts zur Welt, zu anderen und zu sich selber“ zu erfassen (Koller 2011: 111). Damit begrenzt er die Welt- und Selbstverhältnisse auf die gesellschaftliche Komponente.
Fortführend werden die Krisenerfahrungen untersucht, die den Anlass für eine Transformation von Welt- und Selbstverhältnis darstellen. Allgemein formuliert sind Krisenerfahrungen Anlässe, die die Bedingungen eines einst erworbenen Welt- und Selbstverhältnisses ändern und dadurch eine Transformation derselben hervorrufen (Koller 2011: 113). Diese Krisenerfahrungen können alterstypischer Art sein, z.B. Entwicklungsphasen des Menschen (Adoleszenz, usw.), in denen körperliche Veränderungen die Bedingungen für das bisherige Welt- und Selbstverhältnis ändern. Dadurch wird eine Transformation, d.h. Aktualisierung, des bisherigen Welt- und Selbstverhältnisses notwendig, was als Bildungsprozess bezeichnet wird (ebd.). Laut Bourdieu passt sich der Habitus im Normalfall an die Lebensbedingungen und - umstände eines Individuums an (Bourdieu 1987: 117). Jedoch gibt es Ausnahmen, wie z.B. Migranten, die unter anderen Bedingungen leben, als unter denen sie aufgewachsen sind (Koller 2002).
Der letzte Punkt („Prozesse und Bedingungen“) der Abbildung beschäftigt sich mit der dritten Frage: Wie sind Prozesse und ihre Bedingungen von der Transformation von Welt- und Selbstverständnissen näher zu beschreiben? Dazu entwickelte Oevermann einen Erklärungsversuch, indem er den Vorgang der Transformation in zwei Schritte aufteilt: Im ersten Schritt werden innere Bilder dargestellt, die im zweiten Schritt in konkrete Handlungsanweisungen übersetzt werden, um krisenhaftem Geschehen entgegenzuwirken. Zusätzlich spricht Oevermann die Freud’sche Traumtheorie an, die für die Bewältigung von Krisen behilflich sein kann (Oevermann 1991: 316ff).

Normative Dimension[Bearbeiten]

Für das Individuum bedeutet Bildung ein Anpassen des bisherigen Welt- und Selbstverständnisses, um auf Veränderungen der Lebensbedingungen zu reagieren. Als gebildet gilt das Individuum, wenn es über den Kompetenzerwerb hinaus, die Veränderung bis auf die eigene Person auszuweiten vermag (Koller 2011: 109). Das Ziel dieses Konzepts ist, Anlässe für den Bildungsprozess zu verstehen und die Verhältnisse von Individuum zur Welt, zu anderen und zu sich selbst erklären zu können. In anderen Worten: Wieso verändert sich die Persönlichkeit eines Menschen? Und in welcher Art und Weise verändert sie sich? (Koller 2011: 108).

Kritik[Bearbeiten]

Zur Beschreibung der drei Bestandteile transformatorischer Bildungsprozesse wird vielfach - z.B. von Rosenberg - Bourdieus Konzept des Habitus genannt (Koller 2011: 111ff), das jedoch, in der Lesart von Koller - Schwächen im Bezug zu dieser Bildungstheorie aufweist:
Demnach thematisiert Bourdieus Konzept des Habitus eher das Bestehen sozialer Verhältnisse als deren Wandel (Koller 2011: 111). Dagegen geht Koller von einem dynamischen Prozess aus, der der Darstellung Bourdieus ein Stück weit widerspricht (ebd.). Des Weiteren liefert Bourdieu keine konkrete Beschreibung der Situation, in der die Übereinstimmung von Habitus und Lebensbedingungen in Frage gestellt wird (Koller 2011: 113).

Literaturverzeichnis[Bearbeiten]

  • Bourdieu, Pierre (1987): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Koller, Hans-Christoph (2002): Bildung und kulturelle Differenz. Zur Erforschung biographischer Bildungsprozesse von MigrantInnen. In: Kraul, Margret / Marotzki, Winfried (Hrsg.): Biographische Arbeit. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung. Opladen: Leske und Budrich, 92-116.
  • Koller, Hans-Christoph (2011): Anders werden. Zur Erforschung transformatorischer Bildungsprozesse. In: Breinbauer, Ines Maria / Weiß, Gabriele (Hrsg.): Orte des Empirischen in der Bildungstheorie. Einsätze theoretischer Erziehungswissenschaft II. Würzburg: Königshausen & Neumann, 108-123.
  • Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders Denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Oevermann, Ulrich (1991): Genetischer Strukturalismus und das sozialwissenschaftliche Problem der Erklärung der Entstehung des Neuen. In: Müller-Dohm, Stefan (Hrsg.): Jenseits der Utopie. Theoriekritik in der Gegenwart. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 267-336.
  • Rosenberg, Florian von (2011): Bildung und Habitustransformation. Empirische Rekonstruktionen und bildungstheoretische Reflexionen. Bielefeld: Transcript