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Ligandenfeldtheorie und die Vereinheitlichung molekularen Verhaltens

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Die Ligandenfeldtheorie ist eine semi-empirische Theorie der Komplexverbindungen, deren quantenmechanisch begründeter Formalismus seit Mitte der 1950er Jahre ausgearbeitet vorliegt.

Die Beziehung der Ligandenfeldtheorie zu anderen Theorien der Komplexverbindungen wird jedoch sehr unterschiedlich gesehen. Das gilt besonders für das Verhältnis zur Kristallfeldtheorie. In vielen wissenschaftlichen Arbeiten sind beide Theorien schwer zu unterscheiden und oft werden die Begriffe „Kristallfeldtheorie“ und „Ligandenfeldtheorie“ austauschbar benutzt. Eine vereinheitlichende Systematik der Theorien molekularen Verhaltens dient hier als Orientierungshilfe. Vereinheitlichung im Sinne der Quantenmechanik bedeutet nicht, dass Unterschiede verschwinden, sondern dass sie in beliebiger Genauigkeit erfasst werden können.

Aus der Sicht des quantenmechanischen Verständnisses molekularen Verhaltens erweisen sich die Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie als klar unterscheidbare aber komplementäre Theorien:

Die Kristallfeldtheorie ist eine semi-klassische Theorie zum vereinfachenden, qualitativen Verständnis von Komplexverbindungen. wie z.B. deren Bindung, Farbe und Magnetismus. Die bei Ionenkristallen gültige klassische elektrostatische Bindung wird dabei auf Komplexverbindungen übertragen und durch quantenmechanische Betrachtungen ergänzt.

Die semi-empirische Ligandenfeldtheorie geht demgegenüber unmittelbar von einem einfachen, quantenmechanisch begründeten elektrostatischen Modell aus und ermöglicht detaillierte quantitative Voraussagen über das komplizierte spektroskopische Verhalten von Komplexverbindungen sowie über die realen Bindungsverhältnisse einschliesslich dem kovalenten Anteil.

Zum vollständigen Verständnis von Komplexverbindungen sind noch andere Theorien erforderlich wie die MO-Theorie oder die Valenzbindungstheorie

Die für Komplexverbindungen typische koordinative Bindungsstruktur findet sich auf allen Ebenen molekularer Organisation wieder, von der Kristallbildung über die Struktur von Flüssigkeiten und Lösungen (Solvatation) bis hin zu reaktionskinetisch-katalytischen, supramolekularen und kollektiv-kohärenten selbst-organisierten Strukturen. Die Theorien der Koordinations-Chemie bilden deshalb einen Ausgangspunkt für ein Verständnis molekularen Verhaltens durch ein einheitliches, selbst-wechselwirkendes Feld

Die wichtigsten Komplextheorien

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Hermann Hartmann, der Begründer der Ligandenfeldtheorie, weist bereits 1977 in einem Vortrag mit dem Titel „25 Jahre Ligandenfeldtheorie“ auf eine ganze Reihe von irreführenden Interpretationen der Ligandenfeldtheorie hin:

  • Die Ligandenfeldtheorie wird oft mit der Kristallfeldtheorie gleichgesetzt. Bei genauer Betrachtung unterscheidet sich aber der Ansatz von Van Vleck`s Kristallfeldtheorie grundlegend von der Ligandenfeldtheorie.
  • Die Ligandenfeldtheorie wird vielfach als Molekülorbital(MO)-Theorie der Komplexe eingeordnet. Das ist ebenfalls irreführend, denn typisch für eine MO-Theorie ist, dass die Valenzelektronen aller Bindungspartner als ein System angesehen werden. Das ist aber nicht der Ansatz der Ligandenfeldtheorie, die Zentralatom und Liganden als zwei verschiedene Systeme behandelt.

H. Hartmann nennt noch einige weitere willkürliche Interpretationen der Ligandefeldtheorie, die sich auf mathematische Details beziehen.

Notwendigkeit eines Unterscheidungskriteriums:  Willkürliche Deutungen von Theorien lassen sich vermeiden und die Beziehungen zwischen verschiedenen Theorien kann zweifelsfrei angeben werden. Anfang der 1980er Jahre wurde dazu unabhängig voneinander von H. Primas der ETH, Zürich, und von dem Hartmann-Schüler B. Zeiger an der MERU, Schweiz, ein quantenmechanisch begründetes Strukturprinzip für molekulare Theorien ausgearbeitet. Dabei geht es nicht darum, eine Rangordnung zwischen Theorien aufzustellen, sondern um die Bestimmung der charakteristischen Merkmale einer Theorie durch Einordnung in eine quantenmechanisch begründete universelle Muttertheorie. Dieses Einordnungsprinzip wird hier benutzt, um die Besonderheit der Ligandenfeldtheorie und ihre Beziehung zur Kristallfeldtheorie darzustellen. Als Orientierungs- bzw. Navigationshilfe erleichtert es das Verständnis sogar der Details des Formalismus der Ligandenfeldtheorie.

Eigenständigkeit der Ligandenfeldtheorie:  Die eigenständige Bedeutung der Ligandenfeldtheorie sowie ihr Unterschied zur Kristallfeldtheorie wird hier auf vier verschiedene Weisen begründet:

  • über die historische Entwicklung der Komplextheorien,
  • aus der systematischen Einordnung der Ligandenfeldtheorie in den Gesamtbereich der Komplextheorien,
  • aus der Einzeldarstellung der Ligandenfeldtheorie gemäß dem ursprünglichen Ansatz von H. Hartmann,
  • über die mathematische Behandlung der Komplexe, wie sie sich im Rahmen der Quantenmechanik entwickelt hat.

Diese vier Zugänge zur Ligandenfeldtheorie ergeben eine zunehmend detaillierte Darstellung dieser Theorie.

Struktur der Komplexverbindungen

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An Komplexverbindungen kann sowohl empirisch als auch theoretisch die ganze Bandbreite des molekularen Verhaltens studiert werden. Das liegt an der besonderen Struktur dieser Verbindungen. Geometrisch haben Komplexverbindungen folgende Drei-Komponenten-Struktur:

  • Komplexzentrum:

energetisch begünstigt sind dabei die Atome und Ionen der Übergangsmetalle (abgekürzt ÜM, englisch TM = transition metal). Hauptgruppenelemente bilden in angeregten Zuständen Komplexzentren.

  • Ligandensphäre:

das sind neutrale Moleküle oder Säurereste in der unmittelbaren Umgebung des Komplexzentrums, die zusammen mit dem Zentrum den Komplex bilden; das Ligandensystem wird als innere oder erste Koordinationssphäre bezeichnet

  • Äussere Sphäre:

Ionen oder Molekülgruppen, die an den Komplex als Ganzes gebunden sind. Das ist zweite Koordinationssphäre. Aufgrund ihrer großen Variabilität kann die äußere Komplexsphäre klar von der Komplexbindung der inneren Sphäre unterschieden werden.

Wegen der Vielschichtigkeit der Komplexstruktur und der Beteiligung mehrerer unterschiedlicher Bindungstypen, sind zum vollständigen Verständnis der Komplexverbindungen verschiedene theoretische Ansätze erforderlich.

Unterscheidung von Komplex und Koordination:  Auf Alfred Werner, Pionier der Komplexchemie am Anfang des 20. Jahrhunderts, geht die damals revolutionäre Erkenntnis der besonderen Rolle der inneren Sphäre eines Komplexes zurück als eine auf einen „Kern“, z.B. auf ein Zentralatom bezogene Struktur. Ein Komplex ist aus dieser Sicht das Ergebnis der Koordination oder koordinativen Bindung zwischen dem Zentralatom und den unmittelbar benachbarten Liganden und das Komplexverhalten und die Komplexeigenschaften werden überwiegend durch diese „Kernstruktur“ bestimmt.

Komplexe als Strukturen höherer Ordnung:  Aus Sicht der Quantenchemie wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ausgearbeitet wurde, bedeutet die Kernstruktur bei Komplexen, dass ein Komplex eine bestimmte natürliche Entfaltung der Struktur eines Atoms ist, wobei die zentrale Rolle des Atomkerns von einem atomaren oder molekularen Gebilde übernommen wird. Diese Art der Entfaltung wurde ursprünglich auch als „Verbindung höherer Ordnung“ bezeichnet.

Ligandensphäre = innere Koordinationssphäre

Zwei Eigenschaften kennzeichnen den Charakter der Koordination bzw. koordinativen Bindung: Komplexgeometrie und Kovalenz.

Die Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie setzen die Kenntnis der Komplexgeometrie voraus während der kovalente Charakter der Koordination durch den quantenmechanischen Ansatz automatisch berücksichtigt wird.

Historische Entwicklung der Komplextheorien

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Das Verständnis der Komplexverbindungen entwickelte sich etwa in sieben Schritten:

  • Ausgangspunkt der Theorie der Komplexverbindungen bildete die Pionierleistung von A. Werner um 1900.wonach die maximale Zahl der Liganden in einem Komplex vom verfügbaren Raum um das Zentralatom und der Grösse der Liganden abhängen. Diese Zahl nannte er die Koordinationszahl. A. Werner erhielt 1914 für seine Koordinationslehre den Nobelpreis.
  • Werner Kossel, 1916, und Albert Magnus, 1922, entwickelten eine rein elektrostatische Theorie der Komplexverbindungen. Diese für Ionenkomplexe gültige Theorie lieferte einer quantitativen Beziehung zwischen Koordinationszahl und Ladung des Zentralions.
  • 1923 formulierte N.V. Sidgwick die 18 Elektronenregel , die erstmals den kovalenten Charakter von Komplexverbindungen zu verstehen erlaubte. Das dabei noch offen gebliebene Verständnis der magnetischen Eigenschaft ermöglichte dann die von Linus Pauling zwischen 1927 und 1930 entwickelte Theorie der Valenzbindung(VB). Dadurch etablierte sich die Vorstellung vom kovalenten Charakter der koordinativen Bindung vor allem bei den sogenannten Durchdringungskomplexen.
  • Ab 1925 etablierte sich ausgehend von Erkenntnissen Eugen Wigner`s die Bedeutung der Gruppentheorie in der Quantenmechanik. Eine Grundsatzarbeit zur Anwendung der Gruppentheorie bei der Bestimmung der energetischen Struktur von Atomen und Ionen unter dem Einfluss eines elektrostatischen Feldes veröffentlichte Hans Bethe 1929. Diese Arbeit übte einen grossen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Komplextheorien aus.
  • Die rein quantenmechanische Molekülorbital(MO)-Theorie entstand ab 1930 ausgehend von Arbeiten von Friedrich Hund, R.S. Mulliken und G. Herzberg.
  • Zwischen 1932 - 1940 entwickelte John H. Van Vleck im Rahmen seiner Untersuchungen über die magnetischer Eigenschaften der Materie, für die er 1977 den Nobelpreis erhielt, zusammen mit seinen Mitarbeitern die Grundlagen der Kristallfeldtheorie. Die Bezeichnung „Kristallfeld“ für den elektrostatischen Einfluss der Liganden auf das Komplexzentrum drückt aus, dass bei der Wirkung der Liganden entsprechend wie beim klassischen Verständnis eines Kristall nur der Einfluss der nächsten Nachbarn untersucht wird. Die Komplexeigenschaften werden dabei aus dem Einfluss abgeschätzt, den das Kristallfeld auf das quantenmechanische Komplexzentrum hat. Das entspricht einer prinzipiellen Erweiterung der Sichtweise vom Klassischen zum Quantenmechanischen.
  • Die von Hermann Hartmann und F.-E. Ilse um 1945 entwickelte und 1951 publizierte Ligandenfeldtheorie geht von dem damals vorherrschende quantenmechanische Komplexverständnis aus und vereinfacht es durch ein elektrostatisches Potential für das Ligandensystem. Dieses Modell-Potential wird unter Verwendung empirischer Messgrössen wie Dipolmoment, Polarisierbarkeit und Feldstärke sowie durch Berücksichtigung der Komplexgeometrie an die reale Situation angepasst. Auf diese Weise können genaue Voraussagen über die spektroskopischen Komplex-Eigenschaften abgeleitet werden.
Geschichte der Theorie der Komplexverbindungen ( 1900 - 1950 )
Jahr Name Theorie Betrachtungsweise
1900 ff A. Werner Koordinationslehre Koordinative Bindung
1916 ff W. Kossel, A. Magnus elektrostatische Komplextheorie klassische Sicht der Komplexe
1923 ff N.V. Sidgwick; L. Pauling Valenz-Bindung(VB)-Theorie quantenmechanische Sicht der koordinativen Bindung
1925 ff E. Wigner; H. Bethe Gruppentheorie in der Quantenmechanik geometrische Symmetrie der koordinativen Bindung
1930 ff F.Hund, R. Mulliken, G. Herzberg Molekül-Orbital(MO)-Theorie quantenmechanische Sicht der Komplexe
1932 ff J.M.Van Vleck Kristallfeldtheorie semi-klassische Sicht der Komplexe
1944 ff H. Hartmann Ligandenfeldtheorie semi-empirische Sicht der Komplexe

Die Kristallfeldtheorie und die Ligandenfeldtheorie nehmen beide eine Zwischenstellung zwischen klassischer und quantenmechanischer Theorie ein. Die Ligandenfeldtheorie ist semi-empirisch während die Kristallfeldtheorie semi-klassisch ist.

Wechselseitige Beeinflussung der Theorien:   Die weitere Entwicklung im Verständnis der Komplexverbindungen ist durch eine gegenseitige Befruchtung der verschieden theoretischen Ansätze geprägt.

Entwicklungen in der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie: 1950 - 1975
Jahr Name Theorie
1954 ff Y. Tanabe; S. Sugano Term-Korrelations-Diagramme
1958 ff C.K. Jörgensen, C.E. Schäffer Nephelauxetische Reihen
1965 ff C.K. Jörgensen,C.E. Schäffer, H.B. Schmidtke Ligandenfeld-Angular Overlap Model
1971 ff M. Kibler Äquivalenz zwischen elektrostatischem Ligandenfeld und Angular Overlap Model

Bedeutung der MO-Theorie:  Ab ca. 1975 begann eine Phase zunehmender Vereinheitlichung in der Theorie der Komplexverbindungen . Grundlage der Vereinheitlichung war die Vervollkommnung der MO-Theorie in den 1960er Jahren. Geht man von der MO-Theorie als der grundlegenden Theorie aus, so erscheint die Ligandenfeldtheorie als Grenzfall. Die quantenmechanisch bedingte, automatische Berücksichtigung kovalenten Verhaltens durch die Ligandenfeldtheorie hat den Eindruck entstehen lassen, es handelt sich dabei um eine MO-Theorie. Eine solche Einordnung verwischt jedoch die eigenständige Sichtweise der Ligandenfeldtheorie

Systematik der Komplextheorien

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Die Entwicklung der Komplextheorien ist Ausdruck der grundlegenden Erweiterung im Naturverständnis, die Anfang des 20. Jahrhunderts zur Entdeckung der quantenmechanischen Wirklichkeit führte. Ausgangspunkt für die quantenmechanische Behandlung der Komplexe sind zwei klassische Erkenntnisse:

  • Die von A. Werner (1905) phänomenologisch begründete Bindungsstruktur in Komplexen, die zum Konzept einer Koordination bzw. koordinativen Bindung zwischen Zentralteilchen und Liganden führte. Eine Vorstellung, die eng mit den Raumverhältnissen in unmittelbarer Umgebung des Komplexzentrums verknüpft ist.
  • Die zuerst von W. Kossel (1916) auf die Komplexverbindung übertragene elektrostatische Deutung der bindenden Kräfte. Die Berücksichtigung der elektrischen Ladung gab der Komplexphänomenologie eine dynamische Grundlage.

Die eigenständige Natur der Koordinationssphäre

Das durch die räumliche Nachbarschaftsbeziehungen charakterisierte Bindungsphänomen der Komplexe erhält durch die Einbeziehung der Quantenmechanik eine hierarchische Struktur bestehend aus den wechselwirkenden Teilchen, dem übergeordneten Feld sowie einem Teilchen und Feld koordinierenden Rückkopplungssystem (Lücke, Gap).

Realität der Lücke:  Beim hierarchischen Verständnis der Moleküle wird die klassische Horizontalstruktur wechselwirkender Teilchen durch die quantenmechanische Vertikalstruktur der beteiligten Kräfte ergänzt. Die Koordinationssphäre erhält so eine eigenständige dynamische Bedeutung als Übergangsbereich oder Lücke zwischen klassischer und quantenmechanischer Realität bzw. zwischen Teilchen und Feldverhalten.

Drei Sichtweisen der Koordination:   Die Natur des Koordinationsbereiches kann eigenständig wie es A. Werner getan hat aber auch aus klassischer bzw. quantenmechanischer Sicht beschrieben werden. Für die innere Koordinationssphäre gibt es also hauptsächlich drei Beschreibungsweisen:

1. eigenständige Betrachtung der Koordination, mittels der räumlich-geometrisch bedingten Koordinationszahl; häufigste Koordinationszahl 6 (A. Werner, ab 1900);

2. klassische Sicht der Koordination, was über die geometrische Symmetrie zur Systematik aller stabilen Komplex-Strukturen führt (E. Wigner, H. Bethe ab 1925).

3. quantenmechanische Sicht der Koordination, die zum tieferen Verständnis der Bindungsdynamik führt: VB-Theorie (L. Pauling, ab 1927), Nephelauxetischer Effekt( C.K. Jörgensen, ab 1955), Angular Orbital Modell.

Vereinheitlichende Funktion der Koordination:   Insgesamt bringt die explizite Berücksichtigung der Lücke zwischen klassischer und quantenmechanischer Realität die vereinheitlichende Funktion von Geometrie und Kovalenz in Spiel. Mehr dazu im Abschnitt: „Koordinative Bindung- Geometrie und Kovalenz“.

Vier dynamische Theorien der Komplexstruktur

In der klassischen Physik sind Geometrie und Dynamik voneinander getrennte aber parallel. Durch die Quantenmechanik verschmelzen Geometrie und Dynamik. In der quantenmechanischen Betrachtung wird der Komplex zum primären Gegenstand der Betrachtung während das Phänomen der Bindung als sekundär angesehen wird.

Elektrostatisches Potentialfeld:  Aus dynamischer Sicht gehen alle zwischen 1915 und 1950 entstandenen Ansätze zum Verständnis der Komplexverbindungen vom elektrostatischen Coulomb-Potential aus, das wegen seiner mathematischen Übereinstimmung mit dem Kepler-Potentials der Himmelsmechanik auch als Kepler-Coulomb-Potential bezeichnet wird. Dieses Potential dominiert das Verhalten im atomaren und molekularen Bereich und erlaubt eine systematische Einbeziehung andere Aspekte des elektromagnetischen Feldes wie Strahlungsfeld und Magnetismus.

Klassische und quantenmechanische Realität:  Das elektrostatische Potential hat prinzipiell eine klassische, Punktteilchen-bezogene Seite und eine quantenmechanische, Feld-bezogene Seite. Zwischen beiden Realitäten besteht eine charakteristische Asymmetrie: Die quantenmechanische Realität schliesst die klassische als Möglichkeit mit ein, während die klassische Realität um quantenmechanisch zu sein, einen Grenzüberganges bzw. Vorgang des Transzendierens(Überschreitens) erordert.

Klassische und quantenmechanische Sichtweise:  Die klassische und auch die quantenmechanische Wirklichkeit des molekularen Verhaltens kann wiederum sowohl klassisch als auch quantenmechanisch untersucht werden. Damit ergeben sich insgesamt vier Betrachtungsweisen (Sprachebenen), die letztlich für den gesamten Bereich molekularen Verhaltens gelten.

4. Klassische Realität klassisch gesehen,

5. Klassische Realität quantenmechanisch gesehen,

6. Quantenmechanische Realität klassisch gesehen,

7. Quantenmechanische Realität quantenmechanisch gesehen.

Komplexstruktur und Beschreibungsweise:

Unter Berücksichtigung der besonderen Struktur der Komplexverbindungen lassen sich die verschiedenen Komplex-Theorien folgendermassen einordnen. Diese Einordnung ergibt sich aus der Beziehung zwischen Struktur und Beschreibungsweise:

Vier Theorien der Komplexverbindungen
Beziehung zwischen Struktur und Beschreibungsweise
Theorie Beschreibungsweise Sichtweise
4 Klassische elektrostatische Komplextheorie
A. Magnus
Zentralatom und Liganden werden alle als punktförmige Teilchen angesehen, die in klassischer elektrostatischer Wechselwirkung stehen klassische Realität klassisch gesehen
5 Kristallfeldtheorie
J. H. van Vleck
Alle Liganden werden als klassisch-elektrostatische Punktladungen aufgefasst, die mit den quantenmechanischen Grundzustand des Elektronensystems des Zentralatoms in Wechselwirkung treten. klassische Realität quantenmechanisch gesehen
6 Ligandenfeldtheorie
H. Hartmann
Das Komplexverhalten ist Ausdruck aller quantenmechanischen Zustände des Zentralatoms unter dem Einfluss des semi-empirischen Ligandenfeldes. quantenmechanische Realität klassisch gesehen
7 MO-Theorie
F.Hund, R. Mullikan, G. Herzberg
Zentralatom und Liganden bilden durch das gemeinsames Elektronensystem eine quantenmechanische Einheit quantenmechanische Realität quantenmechanisch gesehen

Sieben Sprach-Ebenen der Komplextheorien

Die Unterscheidung von Koordination(Geometrie) und Komplex(Dynamik) führt insgesamt auf zwei Gruppen von Theorien:

  • Die Betrachtung der Koordinationssphäre als Lücke zwischen quantenmechanischer und klassischer Realität ergibt drei unterschiedliche Betrachtungsweisen.
  • Vier dynamische Komplextheorien beziehen sich auf den gesamten Komplex als eine durch Koordination von Liganden und Komplexzentrum entstandene Einheit.

Vereinheitlichende Sicht:
Für ein vollständiges Verständnis der Komplexbildung sind aus vereinheitlichender Sicht mindestens sieben theoretische Ansätze erforderlich.

Vereinheitlichung bedeutet nicht, dass die eigenständige Bedeutung der Theorien aufgehoben wird, sondern vielmehr deutlicher hervortritt.

So wird die sich gegenseitig ergänzende Funktion der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie erst durch eine vereinheitlichende Betrachtung sichtbar.

Notwendigkeit vieler Standpunkte:   Alle genannten Betrachtungsweisen haben ihre Berechtigung, abhängig von der Ausgangssituation und der Aufgabenstellung.

Systematisch vs. historisch:   Die Systematik der Komplextheorien verdeutlicht, dass immer verschiedene Beschreibungsweisen erforderlich sind, um einen Phänomenbereich molekularen Verhaltens angemessen zu erfassen. Zum selben Ergebnis kommt man auch durch Betrachtung des historischen Entstehungsprozesses der Komplextheorien.

Unterscheidung von semi-klassisch und semi-empirisch

Die Systematik der Komplextheorien

  • ordnet die Kristallfeldtheorie als induktive semi-klassische Vorgehensweise ein, die die Wirkung eines klassisch elektrostatischen Feldes auf das quantenmechanische Komplexzentrum qualitativ abschätzt,
  • während die Ligandenfeldtheorie eine semi-empirische Methode ist, die das bei spektroskopischen Untersuchungen beobachtete Komplex-Verhalten durch quantenmechanisch begründete Vereinfachungen formal-deduktiv ableitet.

Die Kristallfeldtheorie als semi-klassische Näherung macht also eine klare Trennung zwischen dem klassischen elektrostatischen Feld der Liganden und der quantenmechanischen Natur des Zentralatoms.

Die Ligandenfeldtheorie als semi-empirische Methode geht von der quantenmechanischen Behandlung des gesamten Komplexes aus und vereinfacht sie durch ein elektrostatisches Ligandenfeld mit empirischen Parametern.

Der sich aus der Systematik der Komplextheorien ableitende Unterschied zwischen Kristallfeldtheorie- und Ligandenfeldtheorie ergibt sich auch unmittelbar aus den ursprünglichen Ansätzen beider Theorien, wenn diese auf den wesentlichen Kern reduziert werden. Das zeigen die folgenden Einzeldarstellungen der beiden Theorien.

Einzeldarstellung und Vergleich von Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie

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Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie entstanden unabhängig voneinander und beruhen auf unterschiedlichen Denkansätzen:

Die Kristallfeldtheorie stellt dem klassisch-elektrostatischen Kristallfeld der Liganden ein quantenmechanisches Komplexzentrum gegenüber und führt die Komplexeigenschaften auf die im quantenmechanischen Grundzustand des Komplexzentrums induzierte Veränderungen zurück. Das entspricht einer prinzipiellen Erweiterung der Sichtweise vom Klassischen zum Quantenmechanischen.

Die Ligandenfeldtheorie vereinfacht die ganzheitliche, quantenmechanische Betrachtung eines Komplexes auf den elektrostatischen Teilaspekt ohne aber den Bereich der Quantenmechanik zu verlassen. Durch Berücksichtigung empirisch gewonnener Grössen (Parameter) wie Dipolmonente, Polarisierbarkeit und Feldstärke erfolgt die Feinabstimmung an die beobachtet Wirklichkeit der Komplexverbindungen. Das ist innerhalb der Quantenmechanik möglich, weil die quantenmechanische Realität die klassische einschliesst aber nicht umgekehrt. Die Ligandenfeldtheorie berücksichtigt vom Ansatz her alle Anregungszustände des Komplexzentrums.

Kristallfeldtheorie

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1930 – 1940 war die Ausgangssituation für J.M. Van Vleck bei der Formulierung der Kristallfeldtheorie zum Verständnis der magnetischen Eigenschaften von Komplexverbindungen einerseits der Erfolg der elektrostatischen Betrachtungsweise beim Verständnis der Eigenschaften ionischer Festkörper und andererseits eine richtungweisende Arbeit von H. Bethe (1929), die den Einfluss der geometrischen Symmetrie eines effektiven elektrostatischen Feldes auf die Elektronenstruktur eines Metallions untersucht.

Typisch für die klassische elektrostatische Theorie der Ionenkristalle ist, dass nicht das Kristall als Ganzes betrachtet wird, sondern ein elektrisch positives Ion (Kation) herausgegriffen und nur der Einfluss der nächsten Nachbarn untersucht wird. Diesen Ansatz hat Van Vleck auf die Komplexstruktur übertragen und führte zum Konzept des Kristallfeldes (crystal field = CF). Das Kristallfeld ist das elektrostatische Feld von Punktladungen, dem ein Komplexzentrum durch die umgebenden Atome, Ionen oder Moleküle ausgesetzt ist. Das quantenmechanische Komplexzentrum „sieht“ das elektrostatische Feld der umgebenden Atome. Diese Situation wird auch als "innerkomplexer Stark-Effekt" bezeichnet. Die parallele Situation bei Anwesenheit eines äußeren Magnetfeldes heißt Zeeman-Effekt.


  • Grundgedanke der Kristallfeldtheorie ist, dass der Hamilton-Operator für Komplexe eine zum Stark-Effekt analoge Struktur besitzt:

    Kristallfeldtheorie:           Stark-Effekt:  

    

darin ist       die Abschirmfeldnäherung.

  • Kristallfeld:'           =   Ladung des k-ten Liganden
    beschreibt die Wirkung der Liganden k = 1, ...,L als Punktladungen q bei Berücksichtigung ihrer geometrischen Anordnung, z.B. dass sich L = 6 gleiche Punktladungen an den Ecken eines regulären Oktaeders befinden. Bei der störungstheoretischen Bestimmung der Feldaufspaltung spielt das Kristallfeld die Rolle des Störpotentials. 
  • Störungstheorie und Feldaufspaltung: Die mathematische Vorgehensweise der Kristallfeldtheorie besteht im Wesentlichen darin, mittels einer Störungstheorie den Einfluss des Kristallfeldes auf die Elektronenstruktur des Komplexzentrums abzuschätzen. Die Elektronenstruktur des Komplexzentrums wird dabei quantenmechanisch beschrieben und das Kristallfeld als kleine Störung aufgefasst. Die beobachten Eigenschaften eines Komplexes sind dann die Antwort des quantenmechanischen Zentralatoms auf die Anwesenheit des klassischen elektrostatischen Störfeldes. Die häufig in den Lehrbüchern zu findenden schematischen Darstellungen der Aufspaltung entarteter d-Elektronenzustände des Zentralatoms durch ein Kristallfeld und die daraus sich ergebene qualitative Begründung der Komplexeigenschaften gehören zu den Erfolgen der Kristallfeldtheorie.

Ligandenfeldtheorie

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1944 war die Ausgangssituation von H. Hartmann und F.E. Ilse bei der Formulierung der Ligandenfeldtheorie zum einen die auf N.V. Sidgwick und L. Pauling zurückgehende Überzeugung, dass Komplexverbindungen eine quantenmechanische Beschreibung erfordern, und zum anderen die allgemeine Verfügbarkeit quantenmechanischer Methoden wie das Variationssprinzip und die Darstellungstheorie von Symmetriegruppen.

Der erste Schritt der Ligandenfeldtheorie besteht in der Aufstellung eines einfachen elektrostatischen Modells, das letztlich durch das Variationsprinzip der Quantenmechanik begründet ist. Dazu wurde die Annahme einer kovalenten Komplexbindung aufgegeben und stattdessen ein Ansatz benutzt, der den Effekt der Liganden über das elektrostatische Potential in das Elektronensystem des Komplexzentrums integriert.


  • Grundgedanke der Ligandenfeldtheorie ist folgende Modell-Betrachtung (Ersetzungsvorschrift):

     

     Ergänzend zum Zentralfeld in einem Atom bestimmt das Ligandenfeld als elektrostatische Feld der Liganden die Bewegung
     der Elektronen des Komplexzentrums(Z* = Ladung des Zentralatomrumpfes und = Ladungsverteilung der Liganden):

elektrostatisches Potentialfeld

     

  • Ligandenfeld:                = Ladungsverteilung der Liganden

     beschreibt die elektrostatische Wechselwirkung zwischen Elektron i und sämtlichen Liganden. Das Ligandenfeld ist also nicht anderes als eine Verallgemeinerung des Zentralkraftpotentials eines Atoms. Die Struktur eines Komplexes ist in dieser Sichtweise eine natürliche Entfaltung der Struktur des Atoms und damit letztlich des Wasserstoffatoms.

  • Störungstheorie und Feldaufspaltung: Durch Anwendung der für die Quantenmechanik charakteristischen gruppentheoretischen Methode in Verbindung mit der Störungstheorie wird von der Ligandenfeldtheorie die genaue Änderung in der energetischen Struktur des Elektronensystems bestimmt. Der von der Ligandenfeldtheorie benutzte Störoperator hat insgesamt drei Glieder: die elektrostatische Elektronenwechselwirkung im Komplexzentrum, das Ligandenfeld und die Spin-Bahn-Wechselwirkung:

Drei Fälle werden dabei unterschieden:

  • Schwaches Ligandenfeld:

  • Starkes Ligandenfeld:
  • Starke Spin-Bahn Kopplung:

Die Spin-Bahn-Kopplung spielt vorallem bei den Komplexen der Lanthaniden (seltene Erden) eine Rolle.


Insgesamt ist die Ligandenfeldtheorie eine in ihrer mathematischen Struktur einfache und durchsichtige Theorie, aber detailliert genug, um eine nicht nur qualitative sondern auch halb-quantitative Ordnung der empirischen insbesondere der spektroskopischen Tatsachen zu ermöglichen.

Die Entwicklung des Formalismus der Ligandenfeldtheorie war mit den von Y. Tanabe und S. Sugano, 1954, eingeführten Korrelations-Diagramme abgeschlossen.

Vergleich von Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie

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Gemeinsam ist bei Kristallfeld- und der Ligandenfeldtheorie die elektrostatische Beschreibung der Wechselbeziehungen zwischen den Komplexbestandteilen. Diese Beschreibung wird in der Ligandenfeldtheorie in den quantenmechanischen Formalismus integriert, weshalb man von einem quantenmechanisches Modell spricht. Demgegenüber benutzt die Kristallfeldtheorie das mittlere elektrostatische Feld der Liganden als ein eigenes klassisches System, das im quantenmechanische Zentralatom charakteristische Veränderungen hervorruft. Der unterschiedliche Ansatz beider Theorien kann auch so ausgedrückt werden:

  • In der Kristallfeldtheorie ist das Klassische die Umgebung für das Quantenmechanische, d.h. das klassische elektrostatische Feld der Liganden, die als Punktladungen einer bestimmten geometrischen Anordnung aufgefasst werden, ist die Umgebung für das quantenmechanische Zentralatom.
  • in der Ligandenfeldtheorie ist das Quantenmechanische die Umgebung für das Klassische, d.h. die klassische Geometrie des Komplexes wird über das elektrostatische Potential der Liganden in die quantenmechanische Realität des Zentralatom-Elektronensystems integriert.

Da die Kristallfeldtheorie sich auf das klassische elektrostatische Ligandenfeld aus Punktladungen beschränkt , versagt sie bei „nicht klassischen“ Komplexeigenschaften, liefert jedoch für die klassischen Eigenschaften zuverlässige Aussagen. Die Ligandenfeldtheorie schliesst als quantenmechanische Theorie kovalente Verhaltensmuster zum gewissen Grad mit ein, was detaillierte Untersuchungen und Anwendungen der Theorie zwischen 1950 und 1970 bestätigten. Die Ligandenfeldtheorie ist aber keine MO-Theorie, denn diese basiert auf einem gemeinsamen Elektronensystem von Zentralatom und Liganden.

Vergleich der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie
Kristallfeldtheorie (J.M. Van Vleck) Ligandenfeldtheorie (H. Hartmann)
klassisches quantenmechanisch gesehen quantenmechanisches klassisch gesehen
semi-klassisch semi-empirisch
induktiv deduktiv
reduktionistisch holistisch
qualitativ qualitativ und halb-quantitativ
Erklärung der klassischen Komplexeigenschaften Erklärung der klassischen und teilweise der quantenmechanischen Komplexeigenschaften
vereinfachende Betrachtungsweise (Grundzustand) detaillierte Betrachtungsweise (auch die angeregten Zustände werden erfasst)

Der sich aus der Systematik aller Komplextheorien sowie den Einzeldarstellungen der Theorien ergebende Unterschied zwischen Kristallfeldtheorie- und Ligandenfeldtheorie lässt sich bis in die einzelnen Formeln und Diagramme nachweisen, wie im folgenden Abschnitt ausführlich begründet wird.

Komplementarität von Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie

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Kristallfeldtheorie und Ligandenfeldtheorie sind komplementär zueinander, weil sie die quantenmechanische Realität des Komplexzentrum als gemeinsamen Bezugsbereich haben. Da sich beide Theorien auf die quantenmechanische Realität des Komplexzentrums beziehen ergänzen sie sich gegenseitig.

Die Komplementarität besteht darin, dass die Kristallfeldtheorie den quantenmechanischen Grundzustand des Komplexzentrum als Ursprung aller Komplexeigenschaften ansieht, während die Ligandenfeldtheorie alle Verhaltensmöglichkeiten des quantenmechanischen Komplexzentrums ausschöpft. Die Komplex-Liganden werden von beiden Theorien als klassisches, elektrostatisches System behandelt, aber von unterschiedlichen Blickrichtungen aus untersucht: In der Kristallfeldtheorie „sieht“ das quantenmechanische Komplexzentrum die klassischen Liganden. In der Ligandenfeldtheorie ist es umgekehrt: die ligandenbezogenen empirischen Eigenschaften geben der quantenmechanischen Realität eine klassische Bedeutung.

Dass Kristallfeldtheorie- und Ligandenfeldtheorie durch das elektrostatische Potential zu einem Verständnis der Komplexeigenschaften gelangen, bedeutet jedoch nicht, dass die Komplex-Bindung (koordinative Bindung) eine ionische Bindung ist.

Quantenmechanisches Komplexzentrum

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Die quantenmechanische Struktur eines atomaren Systems und damit auch des Komplexzentrums basiert auf zwei Prinzipien:

  • Zentralkraftpotentiale der elektrostatischen Wechselwirkung - verantwortlich für die Schichten- oder Schalenstruktur und
  • Dynamik des Elektronensystems - verantwortlich für das Verhalten.



Schichtenstruktur

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Die energetische Schichtenstruktur (Schalen) des Komplexzentrum wird durch das effektive elektrostatische Feld des Atomkerns bestimmt (Abschirmfeldnäherung).

Wasserstoffatom als Bezugssystem:  Die quantenmechanische Beschreibung des Komplexzentrums beruht in der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie auf dem quantenmechanischen Verständnis der Atome, das am Wasserstoffatom dem einfachsten und mathematisch-exakt lösbaren atomaren System entwickelt wurde. Der Zustand des negativ geladen Elektrons im elektrostatischen Feld des positiv geladenen Wasserstoffkerns wird durch vier Arten von Quantenzahlen vollständig beschrieben: Energie, Bahndrehimpuls, magnetische Bahnorientierung und Spin (Eigendrehimpuls).

Einelektronennäherung für Mehrelektronensysteme:  Atomare Mehrelektronensysteme werden in Näherung durch unabhängige Quasi-Elektronen (Orbitale) beschrieben, die sich in einem durch die Abschirmfeldnäherung definierten Zentralkraftpotential befinden. Dieses Modell basiert auf der von Born-Oppenheimer eingeführten Separation von Kernbewegung und Elektronenbewegung.

Schichtenstruktur atomarer Mehrelektronensystme:  Im Zentralfeldmodell eines Mehrelektronensystems wird die Energie der einzelnen Elektronen allein durch die beiden Quantenzahlen der Energie und des Bahndrehimpulses festgelegt. Das führt zu einer energetischen Schichtenstruktur aus Schalen und Unterschalen. Die Schalen werden durch die Energiequantenzahl n = 0, 1,... geordnet und die Unterschalen durch die Bahndrehimpulsquantenzahlen s, p, d, f, unterschieden.

Entartungsgrad: In der Schichtenstruktur des Elektronensystems bestimmen die magnetische und die Spin-Quantenzahl die Zahl der möglichen Elektronenzustände in den einzelnen Schalen bzw. Unterschalen, d.h. deren Entartungsgrad.

Valenzschalen: Valenz-Schalen unterscheiden sich von den abgeschlossenen inneren Schalen durch höhere Energie aber kleinere Energieunterschiede.

Elektronenkonfiguration

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Die von Elektronen besetzten bzw. zugänglichen Valenz-Schalen des Komplexzentrums bestimmen das Verhalten des Komplexes.

Elektronenkonfiguration:  Die Besetzung der Schichtenstruktur der Atome mit Elektronen wird als Elektronenkonfiguration bezeichnet. Für das Komplexverhalten spielen dabei vorwiegend nur die äusseren oder Valenz-Schalen eine Rolle. Die Valenz-Elektronenkonfiguration des Zentralatoms eines Komplexes bildet die dynamische Grundlage für die Geometrie des Ligandensystems.

Aufbauprinzip und Hund`sche Regeln:  Den Grundzustand eines Elektronensystems erhält man durch sukzessives Auffullen der Schalen bzw. Unterschalen mit Elektronen wobei man von der jeweils energetisch am tiefsten liegenden ausgeht (Aufbauprinzip) und die Hund`schen Regeln einschliesslich dem Pauli-Prinzip berücksichtigt.

Rolle der Elektronenkonfiguration: Aufgrund der Elektronenkonfiguration unterscheidet sich

  • der Grundzustand des Elektronensystems von angeregten Zuständen.
  • ein neutrales Atom von seinen Ionen (Anion oder Kation)
  • ein Hauptgruppenelement von den Übergangsgruppenelementen(ÜM).

ÜM-Grundzustand:  Atome oder Ionen der Übergangselemente habe im Grundzustand unbesetzte d-Zustände, die sich an der Wechselwirkung mit anderen Atomen oder Molekülen beteiligen, was leicht zu Komplexverbindungen führt.
Übergangsmetalle haben in der höchsten Schale n die Elektronenkonfiguration
 

18-Elektronenregel von Sidgwick: In Komplexen ist die maximale Elektronenzahl in der höchsten Schale (Valenzschale) gleich 18.

Komplexe der Hauptgruppenelemente: Hauptgruppenelemente bilden Komplexverbindungen durch Einbeziehung der energetisch höher gelegenen unbesetzten Zustände, die durch Anregung zugänglich sind.

Kopplung von Komplexzentrum und Liganden

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Im Komplexzentrum wirken vorallem zwei Zentralkraftpotentiale zusammen:

  • die elektrostatische Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektronensystem des Komplexzentrums;
  • die elektrostatische Wechselwirkung zwischen den Valenz-Elektronen des Komplexzentrums und allen Liganden (Ligandenpotential).
  • Die Kopplung der beiden Zentralkraftsysteme wird durch Reihenentwicklung des Ligandenpotentials nach Kugelflächenfunktionen des Komplexzentrums erreicht.

Das Ligandenpotential wird nach Kugelflächenfunktionen des Komplexzentrums entwickelt, dadurch koppelt die Geometrie des Ligandensystems an das Elektronensystem des Komplexzentrums. Valenzelektronen-Dynamik und Liganden-Geometrie wirken auf diese Weise zusammen.



Kugelflächenfunktionen des Zentralatoms

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Durch die elektrostatische Wechselwirkung beschriebene Zentralkräfte sind kugelsymmetrisch, d.h. sie hängen nur vom radialen Abstand zum Zentrum ab. Bei Systemen mit sphärischer Symmetrie kann mit Hilfe der Kugelkoordinaten (sphärische Polarkoordinaten) das radiale Verhalten vom Richtungsverhalten getrennt werden. Die quantenmechanische Behandlung atomarer Systeme orientiert sich am Wasserstoffatom mit dem elektrostatischen Potential als Zentralfeld. Die Zustandsfunktion des Elektrons im Wasserstoffatom hat in Kugelkoordinaten einen Radial-, Winkel- und Spinanteil:    n = Energie, l = Drehimpuls, m = magnetische Orientierung, s = Spin  ).
Bei Mehrelektronensystemen erhält man mit der Born-Oppenheimer-Näherung, der Abschirmfeldnäherung und der Beschreibung des Elektronensystems als Produkt von Einelektronenfunktionen für jedes einzelne Elektron dieselbe formale Zustandsbeschreibung wie beim Wasserstoffatom. Die winkelabhängigen Funktionen werden sinngemäss als Kugelflächenfunktionen bezeichnet.

  • Kugelflächenfunktionen sind ein universell einsetzbares und wirkungsvolles mathematisches Werkzeug, um eine 3D-Struktur(Sphäre) durch ein topographische 2D-Muster zu ordnen. Salopp ausgedrückt: Kugelflächenfunktionen sind das Schweizer Messer ( swiss army knife ) der mathematischen Naturwissenschaft.
  • Kugelflächenfunktionen erfassen die Richtungs- bzw. Orientierungsinformation der sphärischen Geometrie (polarer bzw. Winkel-Anteil). D.h.:
  • Kugelflächenfunktionen sind Eigenfunktionen des Drehimpuls-Quadrates bzw. der z-Komponente des Drehimpulses, wobei die Drehimpulseigenwerte und die Eigenwerte der z-Komponente Drehimpulses bezeichnen.
  • Die Kugelflächenfunktionen spielen dann eine Rolle, wenn es darum geht, Systemzustände durch symmetrieangepasste Funktionen darzustellen.
  • Kugelflächenfunktionen liegen tabelliert vor.

9   reelle symmetrieangepasste Kugelflächenfunktionen(SALC):Werden nur d-Elektronen betrachtet gibt es insgesamt 9 Kugelflächenfunktionen. Zur Charakterisierung des Grundzustandes der Übergangsmetallatome werden die zugehörigen neun reellen symmetrieangepassente Linearkombinationen(SALC) der Kugelflächenfunktionen gebildet, die folgendermassen bezeichnet werden 

Zentralfeld-Näherung für das elektrostatische Ligandenpotential

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Das Kristallfeld und das Ligandenfeld enthalten als elektrostatische Potentialfelder den reziproken Abstand zwischen R (dem Vektor vom Atomkern des Komplexzentrum zum Ligandenzentrum) und r (dem Vektor zu einem Elektron des Komplexzentrums):     Der reziproke Abstand kann wie jede sphärische Funktion als unendliche Summe von Kugelflächenfunktionen multipliziert mit Radialfunktionen dargestellt werden;:

Ligandenpotential für d-Valenzelektronen: Für Kristallfeld- und die Ligandenfeldtheorie gleichermassen gültige Voraussetzungen vereinfachen die Reihenentwicklung des elektrostatischen Ligandenpotentials nach Kugelflächenfunktionen wesentlich:

  • Durch die räumliche Lokalisierung der Komplexbindungs-Elektronen auf das Zentralatom sind Elektronensystem und Ligandensystem geometrische klar getrennt.
  • Werden nur die für Übergangsmetalle bedeutsamen d-Valenzelektronen betrachtet, bricht die Reihe nach dem vierten Glied ab.
  • Die in der Störungsrechnung auftretenden Einelektronenintegrale sind nur für die geraden Potenzen der Elektronenradien von Null verschieden, d.h. ungerade Potenzen können in der Reihenentwicklung weggelassen werden.

Insgesamt ergibt sich folgende Zentralfeldnäherung für das elektrostatische Ligandenpotential des d-Elektronensystem eines Zentralatoms[1] :



Dieses Ligandenpotential berücksichtigt, dass die Struktur des Ligandenpotentials durch das Elektronensystem bestimmt wird, unterscheidet aber noch nicht zwischen Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie.

Geometrische Symmetrie des Ligandensystems:  Das allgemeine Ligandenpotential für d-Elektronen kann durch Berücksichtigung der vorgegebenen Symmetrie des Ligandensystems weiter vereinfacht werden. Für potentialerzeugende Ligandensysteme mit kubischer Symmetrie ( Symmetriegruppe Oh), die sowohl den Oktaeder als auch den Würfel umfasst, gilt:


Komplexgeometrie und energetische Struktur der Valenzelektronen des Komplexzentrum bilden im Ligandenpotential eine Einheit. Die Sichtweisen von Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie kommen durch unterschiedliche Ansätze für die Koeffizienten A0,0 und A4,0 ins Spiel.

Kristallfeld und Ligandenfeld: Zwei klassische Ligandenpotentiale

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Die Reihenentwicklung des elektrostatischen Ligandenpotentials nach Kugelflächenfunktionen ermöglicht es über die Natur der Koeffizienten den Unterschied zwischen Kristallfeld(CF) und Ligandenfeld(LF) präzise zu fassen:



Klassische Struktur des Kristallfeldes

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Vereinfachung ist das Merkmal der Kristallfeldtheorie. Die wesentliche Vereinfachung der Kristallfeldtheorie ist es, die Liganden als punktförmige Ladungen bzw. Punktdipole anzusehen. Durch die elementaren klassischen Eigenschaften wie Abstand der Liganden vom Zentralatom und Ladung bzw. Dipolmoment erhalten die Koeffizienten der Entwicklung nach Kugelflächenfunktionen eine einfache Form, d.h. die elementaren klassischen Eigenschaften werden quantenmechanisch gesehen.

Haben alle als punktförmig angenommenen Liganden die gleiche Ladung -q und den gleichen Abstand R vom Kern des Zentralatoms, ist die Sichtweise der Kristallfeldtheorie besonders einfach zu erkennen:

Semi-klassische Sichtweise der Kristallfeldtheorie
( am Beispiel der oktaedrischen Anordung gleicher Liganden der Ladungen -q im Abstand R vom Komplexzentrum )
Quantenmechanische Struktur quantenmechanische Sicht klassische Struktur
. -------------------->

-------------------->

Diese Sichtweise führt bei einem oktaedrisches Kristallfeld zu der folgenden Reihenentwicklung, durch die die elementaren klassischen Eigenschaften von Abstand und Ladung in die quantenmechanischen Struktur integriert werden. Deshalb ist die Kristallfeldtheorie semi-klassisch:

Wegen ihrer vereinfachenden das Klassische mit dem Quantenmechanischen verbindende Vorgehensweise hat die Kristallfeldtheorie den quantenmechanischen Grundzustand des Elektronensystems im Komplexzentrum als Bezugspunkt und vernachlässigt Details wie die Elektronenwechselwirkung und angeregte Zustände.

Empirische Struktur des Ligandenfeldes

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Umfassende und detaillierte Betrachtung des Valenz-Elektronensystems des Komplexzentrums ist das Merkmal der Ligandenfeldtheorie. Da die Werte der elementare Grössen wie Abstände, Ladungen und Dipolmomente bei Komplexen experimentell nur unsicher angegeben werden können, sind diese Grössen in der Ligandenfeldtheorie adjustierbare Parameter ebenso die in der Entwicklung des Ligandenfeldes nach Kugelflächenfunktion auftretenden Koeffizienten, die als Niveau-Verschiebung bzw. Niveau-Aufspaltung empirisch aus den Spektren bestimmt werden. Deshalb ist die Ligandenfeldtheorie eine semi-empirische Theorie.

Semi-empirische Sichtweise der Ligandenfeldtheorie
( am Beispiel der Energieverschiebung und Feldaufspaltung durch ein oktaedrisches Ligandenfeld )
Empirische Grössen klassische Sicht quantenmechanische Struktur
Energieniveau Verschiebung -------------------->

Feldaufspaltung -------------------->

Diese Sichtweise führt auf eine parametrisierte Form des Ligandenfeldes, in der die Koeffizienten   und   der Reihenentwickliung nach Kugelflächenfunktenen durch die Parameter   bzw.    ausgedrückt werden, d.h. die quantenmechanische Struktur wird klassisch gesehen:



Der Ligandenfeldtheorie berechnet die genauen Einzelheiten des Komplexverhaltens (Spektren, Magnetismus), in dem quantenmechanisch definierte Grössen, als empirische Parameter gedeutet werden. Auf diese Weise bleiben alle rechnerischen und begrifflichen Vorteile der Kristallfeldtheorie erhalten, während gleichzeitig quantenmechanische Details (wie z.B. Elektronendelokalisierung) vom Formalismus automatisch berücksichtigt werden. [2]

Im Unterschied zur Kristallfeldtheorie, die sich auf den quantenmechanischen Grundzustand des Komplexzentrums bezieht, werden in der Ligandenfeldtheorie alle nur denkbaren Anregungen erfasst.

Feldaufspaltung: Energie-Lücken Struktur der Komplexe

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Die energetische Schichtenstruktur der quantenmechanischen Realität des Komplexzentrums macht die Energieunterschiede zwischen den mit Elektronen besetzten bzw. für Elektronen zugänglichen Energiezuständen zu den verhaltensbestimmenden Grössen. Da es sich bei Energieunterschieden bzw. Energie-Lücken immer um Differenzen handelt, werden sie bei Komplexen durch den Buchstaben  D  bzw. durch das griechische Delta-Symbol     bezeichnet.

Kristallfeld-und Ligandenfeldtheorie benutzen zur Charakterisierung der Energie-Lücken dieselben rechnerischen und gruppentheoretischen Hilfsmitteln: Störungsrechnung und Darstellungstheorie von Symmetriegruppen.

Rolle der Energie-Lücken

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Regulationsfunktion der Energie-Lücken:  Komplex-Verhalten und Komplex-Eigenschaften werden durch die Energie-Lücken im Bereich der Valenzelektronen bestimmt:

  • Grosse Energie-Lücke bedeutet Stabilität gegenüber äusseren Einflüssen. Ein Komplex ist um so stabiler, je niedriger die Energie der Valenzelektronen des Komplexzentrums ist.

Diese Energie-Lückenfunktion wird als Kristallfeldstabilisierungsenergie(KFSE, engl. CFSE) bzw. Ligandenfeldstabilisierungsenergie(LFSE) bezeichnet.

  • Kleine Energie-Lücke bedeutet leichte Beeinflussbarkeit durch äussere Einflüsse. Z.B. ist ein Komplex deshalb farbig, weil er leicht durch sichtbares Licht angeregt wird

Charakterisierung der Energie-Lücken: Die Energie-Lücken Struktur der Valenzelektronen eines Komplexes wird durch die Geometrie des Ligandensystems bestimmt. Das wird Feldaufspaltung genannt, weil die Energie-Lücken zwischen Valenzelektronenzuständen von der Kristallfeld und Ligandenfeldteorie störungstheoretisch als Aufspaltung vorher entarteter Zustände ermittelt werden. Zur genauen Beschreibung der Komplexsymmetrie, der möglichen Zustände und ihrer Besetzung werden vier verschiedene symbolische Notationen benutzt,
das ABC der Kristallfeld- bzw. Ligandenfeldtheorie:

Symbolische Notationen zur Energie-Lücken Charakterisierung in Komplexen
Komplex-Charakterisierung Kristallfeldtheorie Ligandenfeldtheorie
Geometrische Symmetrie: Schönflies-Symbole für Punktgruppen
zur Beschreibung der Symmetrie bzw. Symmetrieverminderung
Schönflies-Symbole für Punktgruppen
zur Beschreibung der Symmetrie bzw. Symmetrieverminderung
Valenzelektronen-Zustände:
Kennzeichung der hochsymmetrischen Ausgangssituation ohne Ligandeneinfluss
Einelektronenzustände - kleine Buchstaben: s, p, d, f
SALC
Mehrelektronenzustände: - grosse Buchstaben:
S, P, D, F,...
Terme
Ligandenbezogene Darstellungen der geometrischen Symmetrie:
Zustände der Valenzelektronen unter Ligandeneinfluss d.h. nach der symmetrievermindernden Störung
Mulliken-Symbole aus indizierten kleinen Buchstaben:
a, b nicht entartet;
e zweifach entartet;
t dreifach entartet
Mulliken-Symbole aus indizierten grossen Buchstaben:
A, B nicht entartet;
E zweifach entartet;
T dreifach entartet
[3]



Elektronenkonfigurationen nach Symmetrieverminderung: Mulliken-Symbole mit der Elektrontronenzahl als Exponent
kleine Buchstaben
Mulliken-Symbole mit der Elektrontronenzahl als Exponent
kleine Buchstaben
Elektronenwechselwirkung:
u.a. auch Konfigurationswechselwirkungen
Racah-Parameter A, B und C:
Abkürzungen für die Slater`schen Elektronenwechselwirkungsintegrale (Coulombintegrale, Austauschintegrale, Abstossungsintegrale)

Störungstheorie und Feldaufspaltung:  Die störungstheoretische Untersuchung der Rolle der Liganden in einem Komplex geht davon aus, dass

  • zunächst höchstmögliche Symmetrie für den Komplex angenommen wird (im allgemeinen Oktaeder-Symmetrie)
  • und dann der Effekt der Liganden als symmetrievermindernde Störung aufgefasst wird.

Das geschieht gruppentheoretisch durch

  • Bestimmung der symmetrieadaptierten Kugelfunktionen (SALC) für den idealisierte Komplex einerseits, und
  • schrittweise Untersuchung der irreduziblen Darstellungen der Untergruppen der jeweiligen Symmetriegruppe zur Erfassung der Störung durch das Ligandensystem andererseits.

Die Aufspaltung der symmetrieangepassten Zustände durch eine symmetrievermindernde Störung wird durch die irreduziblen Darstellungen der jeweiligen Untergruppe erfasst.

Irreduzible zustandsbezogene Darstellungen werden mittels einer von R.S. Mulliken eingeführten und aus indizierten Buchstaben bestehenden Symbolik beschrieben. Der Effekt der Symmetrieerniedrigung kann Korrelationstabellen entnommen werden:

Irreduzible Darstellungen einiger Untergruppen des Oktaeders( Oh )

Symmetrieverminderung
SALC Oh Td D3 D2h C2v C2v
s (l=0) A1g A1 A1 A1g A1 A1
p (l=1) T1u T2 A2+E A2u+Eu A1+E A1+B1+B2
d (l=2) Eg
T2g
E
T2
E
A1+Eg
A1g+B1g
B2g+Eg
A1+B1
B2 +E
2A1
A2+B1+B2

Z.B. induziert die d-Elektronenbasis für l=2 mit m = -2,-1,0,+1,+2 die Darstellung der Oktaeder-Symmetrie Oh aus zwei irreduziblen Darstellungen Eg und T2g. Bei Symmetrieerniedrigung entstehen neue Darstellungen, so geht z.B. beim Übergang von der vollen Oktaedersymmetrie Oh zur Untergruppe C2v die Darstellung Eg in zwei Darstellungen A1 über und die Darstellung T2g in die drei Darstellungen A2 + B1 + B2. Solche Zuordnungen der symmetrieangepassten Basisfunktionen zu irreduziblen Darstellungen liegen tabelliert vor und bilden die gruppentheoretische Grundlage für die typischen Aufspaltungsdiagramme der Kristallfeld- und der Ligandenfeldtheorie.

Ligandenbezogene Energie-Lücken

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Drei Arten von Energie-Lücken im Komplexzentrums kontrollieren das Komplexverhalten. Der reguläre Oktaeder spielt dabei die Rolle der Referenz-Geometrie.

Ligandenbestimmte Energie-Lücken im Komplexzentrum

Kristallfeldtheorie   |  Ligandenfeldtheorie

Feldstärke Dq
der Kristallfeldtheorie
Feldaufspaltung(Stör-Energie) Feldstärkeparameter
der Ligandenfeldtheorie
klassisch-rechnerisch definiert störungstheoretisch berechnet empirisch-spektroskopisch bestimmt



Am Beispiel der d2  Konfiguration:  


...




...


Methode des schwachen Feldes:
1. Elektronenwechselwirkung im freiem Zentralion



2. schwaches Ligandenfeld





3. Termwechselwirkung



Am Beispiel der d2  Konfiguration:  







...

...


Methode des starken Feldes:





1. starkes Ligandenfeld







2. Elektronen- wechselwirkung






3. Konfigurations- wechselwirkung

Die Tabelle zeigt u.a:

  • die viel detailliertere Betrachtungsweise der Ligandenfeldtheorie im Vergleich zur Kristallfeldtheorie und
  • dass sich die zwei Vorgehensweisen der Ligandenfeldtheorie - "Elektronenwechselwirkung im freien Zentralatom + schwaches Feld + Termwechselwirkung" und "starkes Feld + Elektonenwechselwirkung + Konfigurtationswechselwirkung" - bei genauer Betrachtung der Wurzelglieder als identisch erweisen:

Gesetzmässigkeiten für Energie-Lücken

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Die wichtigsten Gesetzmässigkeiten für Energie-Lücken betreffen den Effekt der unterschiedlichen Geometrien des Ligandensystems.

Regeln für ligandenbestimmte Energie-Lücken
Art der Energie-Lücke Regeln und Gesetzmässigkeiten Begründung
Dq (6 + 4) Dq(Oktaeder) = 10 Dq(Oktaeder)

Dq(Tetraeder)  D q(Oktaeder)
Kristallfeldtheorie

Angular Overlap Modell (AOM)

Ligandenfeldtheorie
Spinpaarungsenergie P : P > → high-spin und P < → low-spin



Spektroskopische Reihe(Energie-Lücken Vergrösserung durch Liganden):
(CN-) < (NH3)< (H2O)< (OH-)< (F-)< (Cl-)<(Br-)< (J-)
Ligandenfeldtheorie


MO-Theorie

Diagrammatisches Unterscheidungskriterium

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Die zu unterschiedlichen Komplexgeometrien gehörenden Aufspaltungsmuster werden in der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie durch charakteristische Diagramme dargestellt, die sich aufgrund der verschiedenen Sichtweisen beider Theorien deutlich voneinander unterscheiden.

  • In der Kristallfeldtheorie wird die Niveauverschiebung und Niveauaufspaltung Dq aufgrund der vereinfachenden klassischen Struktur des Kristallfeldes mathematisch bestimmt. Solche Rechnungen wurden zurerst von H. Bethe (1929) veröffentlicht. Die Resultate solcher Rechnungen haben jedoch nur qualitative Bedeutung und werden graphisch in den für die Kristallfeldtheorie typischen schematischen Digramme dargestellt.
  • Die Ligandenfeldtheorie versucht nicht die Dq-Werte zu berechnen, sondern entnimmt sie den Absorptionsspektren, daher ist sie eine semi-empirische Theorie. Was die Ligandenfeldtheorie berechnet sind die Mehrelektronen-Energiezustände (Terme)in Abhängigkeit von dem Feldstärkeparameter Dq bzw.    =  10 Dq und unter Berücksichtigung der Elektronenwechselwirkung(Racah-B-Parameter). Die Ergebnisse dieser Berechnungen werden in Tanabe-Sugano-Korrelationsdiagrammen zusammgefasst

Der deutliche Unterschied zwischen den d-Orbital-Aufspaltungsdiagrammen der Kristallfeldtheorie und den Tanabe-Sugano-Diagrammen der Ligandenfeldtheorie ist ein notwendiges Kriterium zur Unterscheidung beider Sichtweisen.

Formale Unterschiede zwischen Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie
Formale Struktur Kristallfeldtheorie Ligandenfeldtheorie
Zentralfeld → Zentralpotential des Komplexzentrums
+ klassisches Kristallfeld
Ligandenfeld
Geometrie-bedingte Aufspaltung → d-Orbitale der Klassen: a, e, t Terme der Klassen: A (nicht-entartet), E (einfach entartet, T (dreifach entartet)
Diagramme → d-Orbital-Diagramme (Reihenfolge der d-Orbitalenergien) Term-Diagramme von Tanabe und Sugano

Da in vielen wissenschaftlichen Arbeiten die Begriffe „Kristallfeldtheorie“ und „Ligandenfeldtheorie“ austauschbar verwendet werden, steht mit der unterschiedlichen Beschreibung der Feldaufspaltung in beiden Theorien ein formales Kriterium zur Verfügung, um zu entscheiden, welche der beiden Sichtweisen tatsächlich verwendet wird.

Diagramme der d-Orbital-Aufspaltung im Kristallfeld

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Das Ergebnis der störungstheoretischen Auswertung der Kristallfeldwirkung auf das Komplexzentrum sind typische Aufspaltungsdiagramme für die d-Elektronen im Grundzustand. Die vereinfachenden Rechnungen der Kristallfeldtheorie führen schematisch zu folgenden Niveauverschiebungen() bzw. Niveauaufspaltungen (Dq), die für verschiedenen kubischen Symmetrien unterschiedlich ist:

Deutung der Komplexeigenschaften:
Aus der Art und Grösse der Aufspaltung lässt sich das Bindungsverhalten, das Verhalten gegenüber dem elektromagnetischen Strahlungsfeld (Licht) und das magnetische Verhalten qualitativ deuten:

  • Bindungsverhalten:   Die Komplexbindung ist um so stärker, je gösser die Aufspaltung der Energiezustände ist, was eine Abschätzung der thermodynamischen Komplexstabiltät ermöglicht aber auch der kinetischen Barriere bei Ligandenaustauschreaktionen.
  • Verhalten gegenüber Licht:   Der Energieunterschied bei der Aufspaltung liegt bei vielen Übergangsmetallen im Bereich der Wellenlänge sichtbaren Lichtes. Durch die Absorption von Licht einer bestimmten Wellenlängen erscheinen dieser Komplexe farbig (Komplementärfarbe).
  • magnetisches Verhalten:   Ist die Aufspaltung gering, sind die Zustände näherungsweise entartet und sie werden gemäss den Hund`schen Regeln zunächst einfach besetzt d.h. Elektronen bleiben ungepaart und der Paramagnetismus ist hoch (High-Spin-Komplexe). Ist die Aufspaltung groß, gilt das Aufbauprinzip und es werden zunächst die energieärmeren Orbitale doppelt besetzt (Low-Spin-Komplexe).
  • Jahn-Teller-Verzerrung der Geometrie:   Auch die Verzerrung der Komplexgeometrie aufgrund des Jahn-Teller Theorems lässt sich als Aufspaltung von Elektronenzuständen durch Symmetrieerniedrigung verstehen.

Geometriebedingte Aufspaltungsmuster:

Geometrie und Kristallfeld-Aufspaltung
Kennzeichen Kugelsphäre Oktaeder Isokaeder Dodekaeder Tetraeder Hexaeder
Schönflies-Symbolik: Oh Ih Th Oh
angehobene Orbitale: dz2 dx2y2 dxy, dyz, dxz dxy, dyz, dxz
abgesenkte Orbitale: dxy, dyz, dxz dz2, dx2-y2 dz2, dx2-y2
Aufspaltungsmuster: keine Aufspaltung 2–3 keine Aufspaltung 3–2 3-2

Tanabe-Sugano-Diagramme der Ligandenfeldtheorie

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Das Ligandenfeld hat eine semi-empirische Struktur, die durch die Ligandenfeld-Parameter charakterisiert wird. Alle Elektronenzustände des Komplex-Zentrums (ausgenommen die abgeschlossenen Unterschalen) werden durch das Ligandenfeld beeinflusst. Deshalb werden zur Deutung von Spektren und zur Ermittlung der Feldaufspaltung die sehr detaillierten Term-Korrelationsdiagramme herangezogen.

Term-Symbolik: Ein Term repräsentiert alle Zustande zu einem gegebenen Werte des Gesamtspins und des Gesamtbahndrehimpulses. Den Wert der Spinentartung (Multiplett, magnetisches Verhalten) setzt man links an das Symbol für den Gesamtbahndrehimpuls Z.B. ist ³P der Triplett Zustand des Gesamtdrehimpulszustandes P. Die Komponenten der Terme ergeben sich bei Berücksichtigung der Elektronenkonfiguration und der Spin-Bahn Kopplung ( rechts am Symbol für den Gesamtbahndrehimpuls).

                    Terme aller dN Konfigurationen[4]
Konfiguration Terme
0  &  d 10
1  &  d 9
2  &  d 8
3  &  d 7
4  &  d 6        
5        

Term-Diagramme: Zu jeder dN Konfiguration gehören typische Ligandenfeld-Diagramme, die zuerst von Y. Tanabe und S. Sugano 1954 benutzt wurden. Die Tanabe-Sugano-Diagramme beschreiben die Veränderung der Terme unter dem Einfluss eines Ligandenfeldes gegebener Symmetrie. Durch die Diagramme wird die Energie der angeregten Zustände E (relativ zum Grundzustand) mit der Feldaufspaltung Dq korrelliert. Die beiden Koordinatenachsen sind in Einheiten des Racah-B-Parameters eingeteilt, der die Abstossung der Elektronen gleichen Spins erfasst.

Term-Diagramm der d2 Konfiguration: Ein Tanabe-Sugano-Diagramm für d²-Komplexe (oktaedrische Symmetrie) sieht beispielsweise so aus, wenn nur die Triplett-Terme berücksichtigt werden und damit die spinerlaubten Übergänge:

Das Beispiel-Diagramm enthält folgende Informationen:

  • Terme des Zentralatoms (vor der Feldaufspaltung):

Die Termsymbole ³F und ³P geben die Zahl entarteter Zustände des Zentralatoms vor der Feldaufspaltung an (drei bei F, drei bei P). Ein dreifach entarteter P-Term spaltet im Oktaederfeld wie drei p-Orbitale auf und ein dreifach entarteter F-Term wie drei f-Orbitale.

  • Term-Entartung (nach der Feldaufspaltung):

"E" bezeichnet einen einfach entarteten, "T" einen dreifach entarten und "A" einen nicht-entarteten Term.

  • Zahl der Absorptionsbanden:

Ausgehend vom Grundterm ³T1g. können drei Zustände angeregt werden: ³T2g, ³T1g(P) und ³A2g .

  • Zahl der angeregten Elektronen:

Der ³T2g-Ast (Steigung ca. 1) beschreibt einen 1-Elektronenübergang (t2g1 eg1 ) und der ³A2g-Ast (Steigung ca. 2) einen 2-Elektronen-Übergang (t2g2 eg0 ).

  • Terme mit starker Elektronen-Abstossung:

Der ³T1g-Term der t2g1 eg1-Konfiguration stellt die Anregung eines Elektrons in einen Zustand dar, bei dem sowohl 10 Dq als auch eine vermehrte Abstossung zwischen den Elektronen überwunden werden muss.

MO-Diagramme der Zentralatom-Liganden-Kopplung

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Die MO-Theorie der Komplexe benutzt eine andere Art von Diagrammen typisch für die völlig andere Sichtweise dieser Theorie.

Die Kristallfeld- und die Ligandenfeldtheorie basieren auf der Vorstellung, dass das Elektronensystem auf das Komplexzentrum bzw. auf die Liganden lokalisiert ist. D.h. die Elektronen bewegen sich so, dass sie die einzelnen Komplexbestandteile nicht verlassen.

Die Theorie der Molekülzustände(MO-Theorie)löst sich von dieser Vorstellung und betrachtet die Valenzelektronen als über den ganzen Komplex beweglich. Typisch für diese Betrachtungsweise sind Diagramme, die die Kopplung zwischen Zentralatomzuständen und den Ligandenzuständen beschreiben.

Koordinative Bindung – Geometrie und Kovalenz

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Eine Komplexverbindung ist das Ergebnis der koordinativen Bindung oder kurz der Koordination.

Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie gehen die Frage nach Natur der koordinativen Bindung nicht direkt an sondern mittelbar über die Reaktion des quantenmechanischen Komplexzentrums auf die geometrische Struktur des Ligandensystems. Der Charakter der koordinativen Bindung wie z.B. ihre Kovalenz drückt sich in den geometriebestimmten Energielücken aus.

Zur vollständigen Charakterisierung der koordinativen Bindung sind Denkansätze erforderlich, die den Bereich der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie überschreiten. Diese weiterführenden Denkansätze werden in diesem Abschnitt kurz dargestellt.

Klassische Sicht der Koordination - Geometrie

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In Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie werden die Kenntnis der Komplexgeometrie und damit die Beschreibung der Geometrie durch Symmetrieoperationen vorausgesetzt. Zum genaueren Verständnis der Beziehung zwischen Elektronensystem und geometrischer Symmetrie sind Erkenntnisse erforderlich, die ausserhalb der Kristall- und Ligandenfeldtheorie liegen und die letztlich ihre Grundlagen in der Allgemeinen Relativitätstheorie haben.

Komplexgeometrie:

Zur Beschreibung der Komplexgeometrien gibt es prinzipiell zwei komplementäre Betrachtungsweisen: die innere räumliche Ordnung was zu den 7 Kristallgittern bzw. 32 Punktgruppen und die äussere Gestalt aus Vielecken was zu den 5 Platonischen Körpern führt.

  • Der inneren räumlichen Ordnung von realen Kristallen oder Molekülen, wenn sie als Anordnung von Punkten dargestellt werden können, entsprechen Symmetrieoperationen, die mindestens einen Punkt unverändert lassen. Es gibt dann nur zwei Arten von Operationen: Drehung und Spieglung. Zusammen mit den Achsen, Ebenen und Punkten, d.h. den Symmetrieelementen, die bei den Operationen unverändert bleiben, ergibt das die Drehungen um eine Symmetrieachse, Spiegelungen an einer Symmetrieebene, Drehspiegelungen und Inversionen einem Punkt. Aus diesen Punktsymmetrieoperationen werden die 32 möglichen Punktsymmetriegruppen gebildet.
  • Die Oberflächengestalt von Kristallen oder Molekülen basiert auf der Euler`schen Polyederformel, die den Zusammenhang zwischen den drei geometrischen Grundformen - Flächen, Ecken und Kanten - beschreibt. Gemäss diesem allgemeinen synergetischen Prinzip gibt es nur fünf ideale geometrische Formen, die Platonischen Körper: Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder, Pentagondodekaeder und Ikosaeder. Sie sind auch die Grundformen von Kristallen, lassen sich aber nicht alle aus den Kristallgittern ableiten. So finden sich zwar in der Natur Pentagondodekaeder und Ikosaeder aber sie ergeben sich nicht wie die anderen Platonischen Köper aus dem kubischen Gitter.
Koordinationszahl und Platonische Körper
Koordinationszahl Komplex Ionenradius
Expansionsfaktor
Platonische Körper Merkmale
4 [ML4] 0,95 Tetraeder Selbst-Dualität
6 - 8 [ML6] 1,00 - 1,03 Oktaeder & Würfel Dualität
8 - 12 [ML12] Dodekaeder & Ikosaeder Dualität

Die bei anorganischen Komplexverbindungen häufigsten Koordinationszahlen sind 6 und 4. Dabei ist die zur Koordinationszahl 6 gehörende Oktaedersymmetrie am wichtigsten, weil daraus auf die Tetraedersymmetrie der Koordinationszahl 4 geschlossen werden kann und der Oktaeder in einer Dualitätsbeziehung zum Hexaeder(Würfel) steht. Die von Schönflies eingeführte Bezeichnung für Punktgruppen unterscheidet nicht zwischen regulärem Oktaeder und Würfel. Die Oktaedergruppe umfasst die Mehrheit aller Komplexstrukturen und ist damit die wichtigsten Symmetrien der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie.

Oktaedergruppen: Alle Untergruppen der Gruppe Oh
mit den Schönflies-Bezeichnungen für Punktgruppen
Gruppen-Ordnung Oktaeder/Hexaeder Tetraeder Dieder zyklische Symmetrie Dehspiegelung Inversion Identität
48 Oh
24 O Th, Td
16 D4h
12 T D3d
8 D4, D2h, D2d C4h,C4v
6 D3 C3v C3i
4 D2 C4, C2h,C2v S4
3 C3
2 C2 Cs Ci
1 C1 E

27 Symmetrie-adaptierte Funktionen der Koordinationssphäre:

Die dynamische Grundlage der Komplexsymmetrie liegt im Bereich der Koordinationssphäre, die eine eigene Realität darstellt. Die theoretische Begründung der Komplexgeometrie benutzt notwendigerweise Konzepte der MO-Theorie wie das bei den symmetrie-angepassten Basisfunktionen (SAF) geschieht, die durch Linearkombination von Ligandenfunktionen gebildet werden. Die Voraussetzung der Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie, dass die Valenzelektronen auf das Zentralatom und die Liganden beschränkt sind, wird dabei fallengelassen.

Bei einem oktaedrischen Übergangsmetall-Komplex mit sechs gleichen Liganden (Symmetrie Oh) führt das zusammen mit den 9 reellen symmetrieangepassten Funktionen des Komplexzentrums zu insgesamt 27 symmetrie-adaptierten Funktionen. Die 3 x 6 =18 ursprünglichen Einelektronen-Funktionen der Liganden (in der Tabelle mit x,y,z bezeichnet) kombinieren dabei entweder zu Bindungen vom sigma-Typ (rotationssymmetrisch um die Verbindungslinie Zentralatom-Ligand) oder pi-Typ ( Knotenebene in der Bindungsachse).

Durch Lineararkombination der 27 symmetrieangepassten Funktionen ergeben sich dann die Zustandsfunktionen des Komplexes.

27 symmetrieangepasste Funktionen eines oktaedrischen ÜM-Komplexes der Symmetrie Oh
(nach H.L. Schläfer; G. Gliemann,1967 )
Lfd. Nr. symmetrieadaptierte Funktion Typ Rasse
1 s ÜM-Zentrum A1g
2 sigma A1g
3 px ÜM-Zentrum T1u
4 py
5 pz
6 sigma
7
8
9 pi
10
11
12 dx2y2 ÜM-Zentrum Eg
13 dz2
14 sigma
15
16 dxy ÜM-Zentrum T2g
17 dxz
18 dyz
19 pi
20
21
22 pi T2u
23
24
25 pi T1g
26
27

Die 27 symmetrieangepassten Funktionen sind die Basis-Zustände(Stadien) des für die Komplex-Koordination verantwortlichen Elektronenensystems und legen die Ligandenkonstellationen fest. Die 27 Funktionen ergeben sich aus Überlegungen, die die Kristallfeld- und die Ligandenfeldtheorie durch Vorstellungen der MO-Theorie erweitern (sigma- und pi-Bindung). Die dabei erfasste dynamische Beziehung zwischen Elektronensystem und Komplexgeometrie erlaubt die Klassifikation der Zustände des Elektronensystems (Entartungsgrad), die Formulierung von Auswahlregeln, die Charakterisierung gekoppelter Systeme. sowie eine Erklärung der spektroskopischer Reihen.

Spektrochemische Reihen:

Die Größe der Aufspaltung entarteter Zustände hängt neben der Geometrie von der Natur des zentralen Atoms (Kations) und von der Natur der umgebenden Liganden (Anionen) ab. Die natürliche „Stärke“ der Anionen und Kationen werden empirisch aus den Spektren bestimmt und relativ zueinander in der Spektrochemischen Reihe für Zentralionen bzw. Liganden festgehalten. Die Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie geben keine befriedigende Begründung für die spektroskopischen Reihen wohl aber die Berücksichtigung symmetrieangepasster Funktionen der MO-Theorie und damit die Unterscheidung von pi-Akzeptoren und pi-Donatoren.[5]

Quantenmechanische Sicht der Koordination - Kovalenz

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Bei der Untersuchung der Kovalenz in Komplexverbindungen wird eine weitere eigenständige Betrachtungsweise zur dynamischen Sichtweise hinzugefügt. Diese zusätzliche Betrachtungsweise bezieht sich auf die Richtungen im Verhaltensraum, die quantenmechanisch durch das Wechselspiel von Lokalisierung und Delokalisierung erfasst werden.

Von der Delokalisierung zur Lokalisierung

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Lewis Donor-Akzeptor-Schema:

1923 gab N.V. Sidgwick die erste theoretische Beschreibung der Komplexbindung auf quantenmechanischer Grundlage. Er benutzte dazu den von G.N. Lewis entwickelten allgemeinen Säure-Base-Begriff:
Eine Säure im Sinne von Lewis ist ein Molekül, das in einer unvollständig besetzte äussere Elektronenschale ein Elektronenpaar aufnehmen kann, während eine Base das entsprechende Elektronenpaar zur Verfügung stellt.

Das Zusammenwirken von Elektronenpaar-Donatoren und /Akzeptoren kann auf die Komplexbindung übertragen werden und führt zur Kennzeichnung der koordinativen Bindung als eine dative kovalente Bindung, bei der Elektronenpaare von dem einen Koordinations-Partner zur Verfügung gestellt und von dem anderen eingebaut werden. Aus dieser Sichtweise sind

  • Liganden = "Lewis-Basen" = Elektronenpaar-Donatoren und die
  • Metallatome im Komplexzentrum = Lewis-Säuren = Elektronenpaar-Akzeptoren.

Eine koordinative Bindung ist aus dieser Sicht eine spezielle Form der kovalenten Bindung, bei der vom Donor-Atom Bindungselektronenpaare zur Verfügung gestellt werden und nicht nur ein Elektron wie der gewöhnlichen kovalenten Bindung. Dieses Konzept wurde dann von Linus Pauling durch die Valenzbindungs-Theorie genauer gefasst.

Valenzbindungs-Theorie(VB-Theorie):

Die Hybridisierungsnäherung von Linus Pauling (ab 1930) war ein erster erfolgreicher Ansatz aus der quantenmechanischen Struktur des Zentralatoms die geometrische Anordnungen der Liganden abzuleiten. Die Valenz-Bindungs-Theorie für Komplexverbindungen setzt die Kenntnis der Koordinationszahl sowie Typ und Anzahl der leeren Zentralatomfunktionen voraus. Die räumliche Anordnung der Liganden ergibt sich dann durch geeignete Bildung von orthonormierten Linearkombinationen (Hybridfunktionen) der Zentralatomfunktionen. Diejenige geometrische Anordnung ist bevorzugt wo der Überlappungswinkel einer Hypbridfunktion mit der Verbindungslinie Zentralatom-Ligand maximal ist. Die Hybridisierungsnäherung genügt jedoch nicht, um den Beitrag der ungerichteten elektrostatischen Abstossung zu erfassen, deshalb wird in der VB-Theorie ein zusätzliches Postulat benötigt: das Elektroneutralitätsprinzip.[6]

Von der Lokalisierung zur Delokalisierung

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Da die Kristallfeldtheorie- und die Ligandenfeldtheorie von einem lokalisierenden, elektrostatischen Ansatz ausgehen, stellt sich umgekehrt die Frage, inwieweit diese Theorien den delokalisierenden kovalenten Anteil erfassen. Diese Frage beantworten der Nephelauxetische Effekt und das Angular-Overlap-Model(AOM):

Nephelauxetischer Effekt:

Geht man von einem elektrostatischen Ansatz aus behandelt diesen aber im Rahmen der Quantenmechanik wie es in der Ligandenfeldtheorie geschieht so wird auf diese Weise auch ein kovalenter Bindungsanteil erfasst. Diese Erkenntnis wird als Nephelauxetischer Effekt bezeichnet (nephelauxetisch = Expansion der Elektronenwolke = cloud expansion)und folgendermassen begründet:

Die Wechselwirkung zwischen Elektronen wird quantenmechanisch durch Coulomb- und Austausch-Integrale beschrieben. Wie G. Racah (1942) entdeckt hat lassen sich alle interelektronischen Beziehungen immer durch drei Kombinationen dieser Integrale ausdrücken. Die drei Integrale werden in der Lindenfeldtheorie als Racah-Parameter mit A, B, C bezeichnet. Besonders aussagekräftig ist der Parameter B, der die Abstossung zwischen den Elektronen erfasst.

Wird das Verhältnis zwischen dem Racah-B-Parameter für das frei Zentralatom und dem Racah-B-Parameter für das Zentral-Atom im Komplex gebildet, so ist es immer kleiner als Eins. Dies wird so gedeutet, dass der im Komplex den Elektronen verfügbare Raum grösser ist. D.h. die Elektronenwolke ist im Komplex delokalisiert. Für die möglichen Liganden eines Zentralatoms lassen sich nephelauxetische Reihen zunehmender Delokalisierung aufstellen wie z.B.:

F < H2O < NH3 < Cl < [CN] < Br < I

Auch für Zentralatome gibt es nephelauxetische Reihen z.B.:

Mn(II) < Ni(II) ≈ Co(II) < Fe(III) < Co(III) < Mn(IV)

Die Delokalisierung tritt von den Liganden zum Übergangsmetall in den niedrig gelegenen, doppelt besetzten Niveaus auf sowie vom Übergangsmetall mit teilweise besetzten Unterschalen zum Liganden. Diese Elektronendelokalisierung ist eine zentrale Erkenntnis der Ligandenfeldtheorie und beschreibt den Kovalenz-Anteil an der Komplexbindung.

Angular-Overlap-Modell(AOM):

Um der Elektronen Delokalisierung eine geometrische Deutung zu geben, wurde das Angular-Overlap-Modell entwickelt. Die Deutung der Zentralatom-Liganden Beziehungen erfolgt in diesem Modell vom MO-Bild aus:

Die Wechselwirkung in den einzelnen linearen Metall-Ligand-Teilsystemen kann vom sigma, pi oder delta-Typ sein. Durch Drehungen des Metallkoordinatensystems um drei Euler-Winkel kann die für diese Bindungen erforderlich Standardorientierung immer erreicht werden. Die Stärke der einzelnen Bindung zwischen Zentralatom und einem der Liganden ergibt sich dann aus dem Überlappungsgrad der beteiligten Atomorbitale. Die Ergebnisse des Modells werden durch nicht-empirische SCF-MO Berechnungen reproduziert.

Die Voraussetzungen des AOM bezüglich der einzelnen linearen Ligand-Zentralatom Bindungen lassen sich auch in Begriffen der Ligandenfeldtheorie formulieren so dass sich beide Ansätze als mathematisch äquivalent erweisen (M. Kibler, 1971).

Vereinheitlichende Funktion der Koordination

Alfred Werner, der um 1900 die Bezeichnung Koordinationsverbindungen für Komplexe prägte, erkannte bereits, dass die koordinative Bindung eng mit den Raumverhältnissen in unmittelbarer Umgebung das Zentralteilchen verknüpft ist. Die explizite Berücksichtigung der Lücke zwischen klassischer und quantenmechanischer Realität bringt den Raum und die Raumrichtungen als vereinheitlichendes dynamisches Element in Spiel. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines Einheitlichen Feldes der chemischen Bindung der eng verbunden ist mit der Entwicklung der MO-Theorie, die als rein quantenmechanische Theorie, der Ursprung aller anderen Theorien molekularen Verhaltens ist.

Vereinheitlichung in der Theorie der Komplexverbindungen

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Da in Komplexen natürlicherweise die unterschiedlichsten Bindungstypen zu einer Einheit integriert sind, steht die Vereinheitlichung der Theorien der Komplexverbindung in enger Beziehung zu wichtigen Strömen der Vereinheitlichung in der theoretischen Chemie.

Vereinheitlichung bedeutet nicht, dass die eigenständige Bedeutung der Theorien aufgehoben wird, sondern sich diese vielmehr noch verstärkt, indem sie in ein kohärentes Gesamtmuster eingeordnet werden.

  • Quantenchemie: Grundlage für die erste Phase der Vereinheitlichung ist die MO-Theorie. Typisch sind die 1981 veröffentlichte Arbeit von M. Kibler über die Vereinheitlichung von Kristallfeld und Ligandenfeldtheorie sowie die Arbeit von P.J. Steenkamp (1984) über die Vereinheitlichung elektrostatischer und kovalenter Effekte durch die MO-Theorie.
  • Allgemeine Quantenmechanik: Eine zweite Phase der Vereinheitlichung ist geprägt durch Grundsatzüberlegungen von Hans Primas, Zürich. der die Beziehung zwischen klassischer und quantenmechanischer Realität von einem allgemeinen Standpunkt aus untersucht. Das Ergebnis seiner Untersuchungen fasst er 1981 folgendermassen zusammen: Es gibt klassische Systeme in einer klassischen und in einer quantenmechanischen Umgebung und es gibt quantenmechanische Systeme in einer klassischen Umgebung aber es gibt kein quantenmechanisches System in einer quantenmechanischen Umgebung. Diese Logik benutzte B. Zeiger (1983) als Grundlage zu einer Systematisierung der Kinetik molekularen Verhaltens durch sieben Sichtweisen, die auch die Lücke zwischen quantenmechanischer und klassischer Realität berücksichtigen.
  • Quantenelektrodynamik: Die dritte Phase der Vereinheitlichung ist gekennzeichnet durch Einbeziehung des elektromagnetischen Strahlungsfeldes, das an jedes elektrostatische System gekoppelt ist (Coulomb-Eichung). Grundsatzüberlegungen dazu stammen von G. Preparata (1996) und C.P. Enz (1998). Erst durch die Berücksichtigung des elektromagnetischen Strahlungsfeldes kann die optische Isomerie (Chiralität, Helizität) aber auch die Selbstorganisation in der supramolekularen Koordinationschemie verstanden werden.
  • Allgemeine Relativität:In der vierten Phase wird die quantenelektrodynamische(QED) Einheit von Molekül und Strahlungsfeld mit der Allgemeinen Relativitätstheorie Einstein`s verknüpft. Entsprechende Grundsatzüberlegungen stammen von Ulf Leonhardt und Thomas G. Philbin (2006).

Diese vereinheitlichende Entwicklung erlaubt es in immer genauere Details der koordinativen Bindung und der sie beschreibenden Theorien einzudringen wie z.B. dem relativistischen Nephelauxetischen Effekt.

Der besondere Status der Komplexverbindungen im Gesamtbereich der Chemie liegt darin begründet, dass bei Komplexen die Rolle des Raumes als Schaltstelle für den inneren Zusammenhang des molekularen Systems deutlich sichtbar wird. Der Raumbegriff erhält dabei eine topologische d.h. die elementaren Nachbarschaftsbeziehungen betreffende Bedeutung. Eigenschaften wie Abstände oder Winkel, die sich auf die Metrik des Raumes beziehen und die gewöhnlich auch zur Geometrie gezählt werden, sind dann eine Folge der Dynamik Diese Sichtweise des Raumes stimmt mit Einstein`s Allgemeiner Relatrivitätstheorie überein.

Auch in anderen Bereiche der Chemie gewinnt diese verallgemeinerte Bedeutung des Raumes zunehmend an Bedeutung, nämlich bei grossen Molekülen der Molekularbiologie, in der Theorie der Lösungen, in der Übergangszustandstheorie der chemischen Kinetik und in der Katalyse.

Literatur

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Ballhausen, C.J.: Introduction to ligand field theory. McGraw-Hill, London-New York (1962) http://www.quantum-chemistry-history.com/Ball_Dat/WhatsCFT.htm

Hartmann,H.: Die Bedeutung quantentheoretischer Modelle für die Chemie. F.Steiner, Wiesbaden (1965)

Schläfer,H.L.; Gliemann, G.: Einführung in die Ligandenfeldtheorie. Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt (1967)

Hartmann,H.: 25 years of ligand-field-theory. Pure & Applied Chem. 49, 827 - 837 (1977) http://media.iupac.org/publications/pac/1977/pdf/4906x0827.pdf

Van Vleck, J.M: Quantum mechanics the key to understanding magnetism. Nobel Lecture (1977) http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1977/vleck-lecture.pdf

Atkins, P.W.; Overton,T.; Rourke,J.: Weller,M.; Armstrong,F.: Inorganic Chemistry. Oxford University Press, (2006) ISBN 0-19-926463-5

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Einzelnachweise

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  1. Principles of Inorganic Chemistry II. Lecture 25: Central Field Approximation. Massachusetts Institute of Technology: MIT OpenCouseWare), http://ocw.mit.edu (2004). [1]
  2. F.A.Cotton, G.Wilkinson: Anorganische Chemie, Verlag Chemie, Weinheim (1968): Seite 652
  3. Zusammenfassung zweier Arbeiten von Mulliken[2]
  4. CENTRE OF MULTIFUNCTIONAL MATERIALS AND NEW PROCESSES WITH ENVIRONMENTAL IMPACT,Bulgarian Academy of Sciences,Bulgarien(2006)Lecture 2: Energy levels in metal complexes: ligand field theory, spin-orbit coupling, zero-field-splitting, magnetic susceptibility [3]
  5. H. M. Marques: Lecture Notes - Inorganic Chemistry Part 6. School of Chemistry, University of the Witwatersrand, Johannesburg. Klare Erklärung der spektroskopischen Reihe durch symmetrieangepasste Funktionen. Schönheitsfehler: die Ligandenfeldtheorie wird als MO-Theorie eingeordnet. [4]
  6. A, Mezzetti:Anorganische Chemie I,ETH Zürich [5]

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