Materialwirtschaft: Beschaffung: Arten der Bedarfsdeckung: Vorratsbeschaffung: Bestellpunktverfahren

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System des Bestellpunktverfahrens[Bearbeiten]

Das Bestellpunktverfahren (oder auch Bestellpunktsystem) ist ein Verfahren, welches die zu erwartende Lieferzeit von Waren an das Lager zu berücksichtigen versucht um damit die Lieferbereitschaft des Lagers sicherzustellen und so Fehlmengenkosten zu minimieren. Dazu wird ein Sicherheitsbestand, ein Meldebestand und ein Höchstbestand festgelegt. Wird der Meldebestand erreicht, geht eine Bestellung an den Lieferanten heraus (Bestellpunkt), welche das Lager nach einer gewissen Beschaffungszeit (Bestelldisposition, Lieferzeit, Zeit zur Warenannahme, -prüfung und -einlagerung) wieder auf den Höchstbestand aufstockt. Der Sicherheitsbestand dient als Puffer für unregelmäßigen Verbrauch und Lieferverzögerungen. Bei Störungen auf Seiten der Lieferanten ist dabei beispielsweise an Streiks und Höhere Gewalt gedacht.

Da dies zunächst sehr theoretisch klingt, wollen wir das System des Bestellpunktverfahrens an einem praktischen Beispiel einmal genauer untersuchen:


Beispiel


Die Queja AG lagert unter anderem Platinen, von denen täglich etwa 100 Stück in der Produktion verbraucht werden. Um die maximalen Vertriebskonditionen des zuverlässigen Lieferanten auszunutzen und gleichzeitig Lagerkosten zu minimieren wird in regelmäßigen Abständen folgende Bestellung getätigt:

  • Bestellmenge: 4000
  • Beschaffungszeit: 5 Tage

Um möglichen Lieferproblemen entgegenzuwirken ist ein Sicherheitsbestand von 3 Tagen eingelagert.



Sicherheitsbestand[Bearbeiten]

Der Sicherheitsbestand, auch Eiserner Bestand oder Mindestbestand genannt, ist die Stückmenge, welche immer im Lager vorrätig gehalten werden muss. Er dient als Puffer für Unsicherheiten

  • in der Bedarfsermittlung (schlechte Planung, höherer Ausschuss, Produktionsprobleme)
  • in der Beschaffungszeit (höhere Zeit in der Bestelldisposition wegen Krankheitsausfall, Lieferverzögerungen, Qualitätsproblemen)
  • in der Lagerhaltung aufgrund von geringerem Bestand als berechnet (wegen Rechnungsfehlern, Diebstahl, Unfällen)

In seiner Eigenschaft als Puffer ist er ein Bestand, der nicht zur Produktionsplanung eingesetzt werden darf. Jede Firma bestimmt den Sicherheitsbestand je Produkt auf Basis von Durchschnitts- und Erfahrungswerten selbst.


Beispiel

Der Sicherheitsbestand ist mit „3 Tagen“ angegeben, also dem konstanten Verbrauch in 3 Tagen:


Meldebestand und Bestellpunkt[Bearbeiten]

Der Meldebestand oder auch Bestellpunkt ist der Punkt, an dem eine Bestellung an den Lieferanten ausgelöst wird. Der restliche Lagerbestand abzüglich des Sicherheitsbestandes soll an diesem Punkt immer noch ausreichen, um den täglichen Bedarf während der Beschaffungszeit (Bestelldisposition, Lieferzeit, Zeit zur Warenannahme, -prüfung und -einlagerung) zu decken.

Also:


Beispiel

Die Beschaffungszeit beträgt 5 Tage. Geht man also davon aus, dass am 6. Tag das Lager wieder befüllt wird, benötigt man einen Meldebestand in der Höhe von

.

In diesem Beispiel beträgt der Meldebestand also:


Höchstbestand[Bearbeiten]

Der Höchstbestand ist - wie der Name bereits ausdrückt - der höchste Bestand, den das Lager an einem bestimmten Gut planmäßig annimmt. Mathematisch ausgedrückt also nichts anderes als:


Beispiel

Der Sicherheitsbestand beträgt 300 Stück, die reguläre Bestellmenge 4000 Stück. Also beträgt der Höchstbestand:


Bestellintervall[Bearbeiten]

Das Bestellintervall ist das Intervall, welches bei gleichmäßigem, also konstantem Verbrauch zwischen den einzelnen Bestellpunkten liegt. Es lässt sich einfach ermitteln:

Im konkreten Fall also:


Beispiel

Das Bestellintervall beträgt 40 Tage.


Verfahren bei konstantem Verbrauch[Bearbeiten]

Bei konstantem Verbrauch eines Gutes ist das Verfahren wie oben demonstriert sehr einfach, da der Bestand gleichmäßig abnimmt.Man setzt die Prämisse eines linearen Lagerabbaues. Der einzig verbleibende Unsicherheitsfaktor ist die Einhaltung der Beschaffungszeit. Wird diese überschritten und damit der Sicherheitsbestand angegriffen, erreicht das Lager durch die Lieferung nicht den Höchstbestand. Dies kann man jedoch durch 2 Möglichkeiten kompensieren:

  • Das Bestellintervall für die nächste Bestellung wird um die überzogene Zeit gekürzt
  • Die Bestellmenge für die nächste Lieferung wird um die Fehlmenge im Sicherheitsbestand erhöht, wobei man jedoch den Sicherheitsbestand ein weiteres Mal belastet.

Beide Möglichkeiten, sowie der reguläre Bestandsverlauf bei konstantem Verbrauch lassen sich an folgender Grafik ablesen:

Verfahren bei unregelmäßigem Verbrauch[Bearbeiten]

Wie man sieht, ist regelmäßiger Verbrauch also recht unkompliziert. Nur leider ist ein solcher regelmäßiger Verbrauch eher die Ausnahme als die Regel: Die meisten Güter werden unregelmäßig verbraucht.

In diesem Fall ergeben sich jedoch (neben den schon bekannten Lieferverzögerungen) auch folgende Unsicherheitsfaktoren:

Meldebestand

Da der Tagesverbrauch unregelmäßig ist, kann man nicht durch einfache Multiplikation des Verbrauchs mit der Beschaffungszeit den Meldebestand errechnen.

Der Tagesverbrauch muss in diesem Fall also

  • mittels statistischen Methoden (siehe Kapitel: Bedarfsarten und Bedarfsermittlung) prognostiziert werden, was jedoch zu Ungenauigkeiten führt und den Sicherheitsbestand angreift, wodurch im schlimmsten Fall Fehlmengenkosten entstehen können.
  • mittels Spitzenwerten berechnet werden (höchster Verbrauch = Tagesverbrauch), wodurch jedoch in der Regel zuviel beschafft und der Höchstbestand überschritten wird. Dies kann problematisch werden, wenn das Lager nicht über entsprechende Kapazitäten verfügt und erzeugt darüber hinaus hohe Kapitalbindung und Lagerkosten.

Bestellintervall

Durch den unregelmäßigen Verbrauch kann nicht von einem festen Bestellintervall ausgegangen werden. Stattdessen ist es notwendig, durch Bestandskontrollen - meist mittels Lagerhaltungssoftware wie beispielsweise  SAP - den Lagerbestand ständig zu überprüfen und bei Erreichen des Meldebestands die Bestellung zu veranlassen.

Sicherheitsbestand

Da zumeist auf statistische Methoden zur Ermittlung des Meldebestandes zurückgegriffen wird und diese inhärente Unsicherheiten beinhalten, muss der Sicherheitsbestand dementsprechend aufgestockt werden um Fehlmengenkosten zu vermeiden. Hierbei ist es jedoch auch wichtig, keinen zu großen Sicherheitsbestand festzulegen, dessen Lagerkosten und Kapitalbindung mögliche Fehlmengenkosten wiederum übersteigen.

Übungsaufgaben[Bearbeiten]

 

Übung 1


Ein USB-Stick gehört zu dem Lieferumfang jedes regulär verkauften Laptopmodells der Queja-AG, weshalb diese gemäß der Vorratsbeschaffung gelagert werden. Es werden täglich 50 Endgeräte hergestellt, von denen im Verhältnis 12:13 über den Fachmarkt verkauft werden. Die restlichen werden im Build-To-Order-Verfahren hergestellt und beinhalten kein Zubehör. Für den Fall von Lieferverzögerungen lagert die Queja AG 60 Sticks als Sicherheitsbestand ein.

Berechnen Sie den Höchstbestand, wenn das Bestellintervall 20 Tage beträgt.


Übung 2


Aufgrund des hohen Wertverlusts von USB-Sticks wird der Höchstbestand nunmehr herabgesetzt. Der Sicherheitsbestand bleibt unverändert.

Berechnen Sie die maximale reguläre Beschaffungszeit bei einem Meldebestand von 140 Stück.


Übung 3


Der Lieferant meldet Lieferprobleme an.

Wie viele Tage kann die Queja über die reguläre Beschaffungszeit hinaus produzieren, bevor mit Fehlmengenkosten zu rechnen ist?