In der Maßtheorie wollen wir Mengen ein Maß zuordnen. Bei Teilmengen aus
sind dies Längen, bei Teilmengen aus
Flächen, bei Teilmengen aus
Volumina und bei Teilmengen aus
mit
verallgemeinerte Volumina. Dabei ordnen wir nur gewissen „guten“ Mengen ein Maß zu: das sind jene Mengen die wir durch Intervalle oder Rechtecke oder Quader "gut" überdecken können.
Zuerst haben wir nur sehr primitive geometrische Figuren, wie Intervalle, Rechtecke oder (verallgemeinerte) Quader betrachtet und deren Eigenschaften zum Halbring verallgemeinert (mit
sind auch
und
ist endliche disjunkte Vereinigung von Elementen aus
). Danach haben wir endliche disjunkte Vereinigungen von Halbringelementen eingeführt und zum Ring erklärt (mit
sind auch
). Nun wollen wir explizit Flächenwerte für diese Mengensyteme angeben und die Flächenfunktion verallgemeinern zu einem Inhalt bzw. Prämaß, zuerst auf dem Halbring, dann auf dem Ring.
Zur Übersicht der ganzen Maßheorie-Herleitung geht es hier Mathe_für_Nicht-Freaks:_Buchanfang_Maßtheorie_by_Richard4321/_Allgemeine_Konstruktion_eines_Maßes
Flächeninhalt von Rechtecken und Volumina von Quadern[Bearbeiten]
Einem Intervall
ordnen wir die Länge
zu.
Ein Rechteck mit einer Seitenlänge
und der anderen Seitenlänge
hat einen naheliegenden Flächeninhalt: das Produkt
der Seitenlängen. Das wollen wir uns plausibel machen. Zwei identische Rechtecke aneinandergelegt, ergibt ein doppelt so großes Rechteck (die Fläche soll sich beim Verschieben nicht ändern) und die eine Seitenlänge verdoppelt sich dabei. Bei drei Rechtecken verdreifacht sie sich, bei vieren vervierfacht sie sich und man erhält in diesem Fall als Gesamtfläche
. Legt man zwei Rechtecke an der anderen Seite aneinander, verdoppelt sich die Fläche zu
d.h. die Formel der Flächenbestimmung muss für jede Seite multiplikativ sein. Das ist im einfachsten Fall das Produkt
der Seitenlängen
.
Für (verallgemeinerte) Quader - im Bild im Dreidimensionalen - ergibt sich ebenfalls das (verallgemeinerte) Volumen als Produkt der Seitenlängen.
Inhalte auf Halbringen[Bearbeiten]
Die Fläche von Rechtecken und das (verallgemeinerte) Volumen von Quadern hatten wir als Produkt der Seitenlängen erkannt. Diese Flächen- oder Volumenfunktion wollen wir verallgemeinern. Um mathematisch sicher zu gehen, verallgemeinern wir in einem ersten kleinen Schritt für den Halbring.
Wir führen dazu den Inhalt auf einem Halbring ein, das ist einfach eine nicht-negative, additive Funktion
, die der leeren Menge die Null zuordnet und zudem gilt: Wenn wir ein Element des Halbringes (in unserer Intuition ein Rechteck) in endlich viele disjunkte Elemente des Halbringes zerlegen
, ist der Inhalt additiv:
Entscheidend ist dabei, dass die disjunkte Vereinigung
ein Element des Halbringes ist (in unserer Intuition ein Rechteck). Mit etwas Anderem kann die Inhaltsfunktion gar nicht umgehen, da sie auf dem Halbring operiert, siehe das folgende Bild
Die Inhaltsfunktion ordnet automatisch der leeren Menge den Wert Null zu. Das geht gar nicht anders, da wir zu jeder Menge die leere Menge disjunkt vereinigen können
Den Inhalt angewendet auf beide Seiten ergibt mit der Additivität
Wäre z.B.
und
endlich, so könnte man auf beiden Seiten
abziehen und es ergäbe sich der Widerspruch
. Daher muss der leeren Menge der Wert Null zugeordnet werden, damit der Inhalt definiert ist.
Unsere Flächen- bzw. Volumenfunktion ist ein Inhalt[Bearbeiten]
Satz (Die Flächen- bzw. Volumenfunktion ist ein Inhalt)
Unsere Flächen- bzw Volumenfunktion auf dem Halbring
bzw.
ist ein Inhalt.
Beweis (Die Flächen- bzw. Volumenfunktion ist ein Inhalt)
Wir müssen die Additivität zeigen. Wir wissen, dass wir das Rechteck in endlich vielen Schritten unterteilt haben. Also verwenden wir Induktion nach der Anzahl
der Unterteilungen, um die Inhaltseigenschaft zu zeigen.
Induktionsanfang
: Wenn genau eine Unterteilung in zwei Rechtecke (oder verallgemeinerte Quader) vorliegt, dann wird genau eines der
Intervalle geteilt, d.h.
und man erhält aus
die zwei Rechtecke (oder verallgemeinerten Quader)
Deren Fläche bzw. verallgemeinertes Volumen wollen wir berechnen.
Addiert man die beiden und rechnet weiter, erhält man genau die Fläche (das Volumen) der Ausgangsmenge
Induktionsschritt
:
Wir wissen schon, dass wir mit
Unterteilungen erreichen
Nun kommt eine weitere Unterteilung eines
hinzu. Das kennen wir schon aus dem Induktionsanfang:
Eingesetzt in die Formel folgt
Prämaße auf Halbringen[Bearbeiten]
Wir führen nun das Prämaß auf einem Halbring ein, das ist ein Inhalt, wobei: Wenn wir ein Element des Halbringes (in unserer Intuition ein Rechteck)
in abzählbar viele disjunkte Elemente des Halbringes zerlegen, ist das Prämaß abzählbar additiv:
Wir nennen diese Eigenschaft "sigma-additiv". Entscheidend ist dabei, dass
ein Element des Halbringes ist. Mit etwas Anderem kann das Prämaß gar nicht umgehen, da es auf dem Halbring operiert, angedeutet auf dem folgenden Bild
Das war die Konstruktion auf den Halbringen, d.h. in unserer Intuition auf den Rechtecksmengen.
Unsere Flächen-Volumenfunktion ist ein Prämaß[Bearbeiten]
Für den Beweis benötigen wir etwas mehr Theorie, nämlich die eindeutige Fortsetzung von Inhalt/Prämaß auf den vom Halbring erzeugten Ring. Den Beweis führen wir in einem eigenen Kapitel. Wir benötigen dafür folgenden Satz.
Fortsetzung von Inhalt und Prämaß auf den erzeugten Ring[Bearbeiten]
Wir hatten im letzten Kapitel über Ringe die eindeutige Fortsetzung eines Halbringes zu einem Ring gezeigt. Wir setzen einen Inhalt oder ein Prämaß auf dem Halbring voraus. Diese wollen wir fortsetzen auf den eindeutigen Ring der disjunkten endlichen Vereinigungen. Mit endlichen disjunkten Vereinigungen eines Ringes können der Inhalt und das Prämaß auf dem Halbring bisher nicht umgehen. Naheliegend ist, dass sie dem Ring einer endlichen disjunkten Vereinigung von Halbring-Elementen (siehe das Bild)
die Summe der Einzelmengen zuordnen. Genau das beweisen wir in einem kleinen Fortsetzungssatz.
Beweis (Fortsetzung vom Halbring auf den Ring)
1.) Eindeutigkeit: Auf dem Halbringelement sind
und
gleich, da
eine Fortsetzung von
ist. Das ergibt
Damit kann man
gar nicht anders wählen.
2.) Existenz: Unabhängigkeit von der Darstellung: Wir müssen zeigen, dass die Abbildung wohldefiniert ist, d.h. wenn ein Ringelement
anders dargestellt wird durch
(durch mehr oder weniger Unterteilungen oder durch anders gewählte Unterteilungen, siehe das Bild), darf sich der Wert der Summe nicht ändern.
Das führen wir darauf zurück, dass wir die gemeinsame Verfeinerung der Unterteilungen betrachten
und die Gleichheit der Summe dazu nachrechnen: Auf einem einzelnen Halbringelement
wenden wir das auf
additive
an und erhalten
Aufsummiert über
folgt
Ganz analog wenden wir auf das einzelne Halbringelement
das auf
(!) additive
an und erhalten
Aufsummiert über
folgt
Die rechte Seite kennen wir aber schon von oben und somit folgt
Damit ist die Summe unabhängig von der Darstellung von
wohldefiniert.
3.)
ist eine Fortsetzung
Nun, oben definiertes
angewendet auf ein Element
(das ja auch in
ist) ergibt
Damit ist
eine Fortsetzung.
4.)
ist additiv: Die Summe ist gerade so konstruiert, dass
additiv wird: Seien
disjunkt. Einsetzen in
ergibt
5.)
ist Prämaß
ist Prämaß
Wenn man
auf ein Halbringelement anwendet, das automatisch auch ein Ringelement ist, erhält man die Sigma-Additivität von
: Sei
, dann berechnet man
6.)
ist Prämaß
ist Prämaß
Wir müssen die Sigma-Additivität auf
zurückführen. Sei dazu
beliebig. Wohlgemerkt muss
ein Element aus dem Ring sein. Dann lassen sich
und alle
und
darstellen als disjunkte endliche Summe von Halbringelementen
Damit lässt sich jedes
schreiben als disjunkte abzählbare Vereinigung von Halbringelementen gemäß
Darauf können wir das Prämaß
anwenden und die Additivität von
benutzen:
Aufsummieren ergibt, da
additiv ist