Mathematik: Wahrscheinlichkeitstheorie: DW: K1: Experiment und Ergebnisraum

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K1: Experiment und Ergebnisraum

Diskrete Wahrscheinlichkeitsrechnung

1. Grundbegriffe[Bearbeiten]

1.1 Experiment und Ergebnisraum[Bearbeiten]

In der Wahrscheinlichkeitsrechnung studieren wir mathematische Modelle zur Beschreibung von Experimenten, bei denen der Zufall eine Rolle spielt. Ein Experiment kann ein Wurf mit einem Würfel oder die Messung der Lebensdauer eines bestimmten Glühbirnen-Typus sein. In solchen Fällen ist klar, was zu tun ist, um das Ergebnis eines solchen Experiments zu erhalten. Das Ergebnis selbst steht im Voraus im Allgemeinen nicht fest, sondern erst, nachdem das Experiment durchgeführt wurde. Derartige Experimente nennen wir Zufallsexperimente.

Definition 1.1.1[Bearbeiten]

Ein Zufallsexperiment ist ein Experiment, das, wenn es unter gleichen Bedingungen wiederholt wird, nicht notwendigerweise das gleiche Ergebnis liefert.

Bemerkung 1[Bearbeiten]

Im Folgenden werden wir von einem Experiment reden, wenn wir ein Zufallsexperiment meinen.

Beim Errichten eines Experimentes kann das Ergebnis von großer Bedeutung sein; man denke dabei an ein Roulettespiel mit hohem Einsatz oder an Eltern, die gerne einen Sohn haben möchten. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung aber geht es nicht um ein spezifisches Ergebnis, sondern um die möglichen Ergebnisse. Obwohl das Ergebnis eines Experiments nicht vorher feststeht, können wir trotzdem im Voraus sagen, welche konkreten Ergebnisse möglich sind. Diese möglichen Ergebnisse gehören fest zum Experiment und stehen, im Gegensatz zum tatsächlichen Ergebnis, fest, bevor oder sogar ohne dass das Experiment errichtet ist. Die Menge aller möglichen Ergebnisse nennen wir den Ergebnisraum des Experiments und deuten ihn an mit S (aus dem Englischen: Sample space).

Definition 1.1.2[Bearbeiten]

Der Ergebnisraum S eines Experiments ist die nicht leere Menge (S ≠ ∅) aller möglichen Ergebnisse des Experiments. Die Elemente des Ergebnisraums heißen Ergebnisse. Wir nennen einen Ergebnisraum diskret, wenn er endlich oder abzählbar unendlich ist.

Bemerkung 2[Bearbeiten]

In diesem Buch werden wir ausschließlich diskrete Ergebnisräume betrachten, deshalb der Titel "Diskrete Wahrscheinlichkeitsrechnung". Damit werden wir einen Überblick über den Inhalt der Wahrscheinlichkeitsrechnung und eine Basis für das weitere Studium der allgemeinen Theorie erhalten.

Ein Experiment veranlasst bestimmte Ereignisse. Beim Würfeln können wir über das Ereignis sprechen , dass die Augenzahl gerade ist, oder über das Ereignis, dass die Augenzahl größer ist als 3. Das Ereignis "Augenzahl gerade" tritt ein, wenn das Ergebnis 2, 4 oder 6 ist. Darum identifizieren wir dieses Ereignis mit der Teilmenge {2,4,6} des Ergebnisraums. Gleichfalls ist das Ereignis "Augenzahl größer 3" identisch mit der Teilmenge {4,5,6}. Allgemein werden wir Ereignisse auffassen als Teilmengen des Ergebnisraums.

Definition 1.1.3[Bearbeiten]

Ein Ereignis ist eine Teilmenge des Ergebnisraums S.

Wir deuten Ereignisse meistens an mit Großbuchstaben vom Anfang des Alphabets, also mit A, B, C usw.

Beispiel 1 (entartete Situation)[Bearbeiten]

Ein Experiment mit nur einem möglichen Ergebnis u hat einen Ergebnisraum mit nur einem Element: S = {u}. Eigentlich ist hier von Zufall nicht die Rede.

Beispiel 2 (Alternative)[Bearbeiten]

Wir werfen eine Münze. Es gibt zwei mögliche Ergebnisse K(opf) und Z(ahl). Als Ergebnisraum nehmen wir die Menge S = {K,Z}. Ein Ereignis ist z.B. {K} = "die Münze zeigt Kopf"; praktisch macht man wenig Unterschied zwischen diesem Ereignis und dem Ergebnis K selbst.

Beispiel 3 (Würfel)[Bearbeiten]

Bei einem Wurf mit einem Würfel gibt es die sechs verschiedenen Augenzahlen als Ergebnisse. Der Ergebnisraum ist also S = {1,2,3,4,5,6}. Es gibt z.B. die Ereignisse E = {2,4,6} (Augenanzahl gerade), D = {1,2} (weniger als 3) oder A = {1,6} (wir warfen 1 oder 6).

Beispiel 4 (zweimal Würfeln)[Bearbeiten]

Wir würfeln zweimal. Als Ergebnis dieses Experiments betrachten wir die zwei Augenzahlen der beiden Würfe, also das geordnete Paar der Augenzahlen des ersten und des zweiten Wurfes. Der Ergebnisraum ist S = {(1,1),...,(1,6),(2,1),...,(2,6),...,(6,6)} = {(i,j)|i = 1,2,...,6 und j = 1,2,...,6}; er enthält also 36 Ereignisse. Grafisch kann man diesen Ergebnisraum so darstellen:

Bild 1.1.1. Ergebnisraum bei zweimal Würfeln.


Ein Ereignis ist z.B. A = {(1,3),(2,2),(3,1)} ("die Summe der Augenanzahlen ist 4"); in der Grafik sind die zu A gehörenden Ergebnisse angedeutet mit "x". Das Ereignis B, dass beide Würfe die gleiche Augenzahl aufweisen, ist B = {(1,1),(2,2),...,(6,6)}.

Beispiel 5 (Stichprobe)[Bearbeiten]

Aus einer Menge von 1000 Chips wird eine Stichprobe von 10 genommen. Jeder der 10 Chips wird getestet und mit gut oder schlecht bewertet. Als Ergebnis dieses Experiments betrachten wir die Anzahl schlecht bewerteter Chips; also S = {0,1,...,10}. Ein Ereignis ist A = {0,1,2} ("es gibt höchstens zwei schlechte Chips").

Beispiel 6 (mit einem Würfel 6 werfen)[Bearbeiten]

Wir werfen einen Würfel so lange bis zum ersten Mal 6 oben liegt. Die Anzahl Würfe fassen wir auf als Ergebnis des Experiments; der Ergebnisraum ist S = {1,2,3,..}. Dieser Ergebnisraum ist nicht endlich wie in den vorherigen Beispielen, aber abzählbar unendlich. Ein Ereignis ist z.B. A = {1,2,3,4,5} ("um 6 zu werfen, brauchen wir nicht mehr als 5 Würfe").

Beispiel 7 (Lebensdauer)[Bearbeiten]

Die Lebensdauer einer Glühbirne kann man betrachten als Ergebnis eines Experiments. Weil eine Glühbirne jederzeit defekt werden kann, ist der Ergebnisraum S = [0,∞). Dieser Ergebnisraum ist nicht mehr abzählbar. Ein Ereignis ist z. B. A = (1000,∞) ("die Birne brannte länger als 1000 (Stunden)"). Mit solchen nicht-diskreten Ergebnisräumen werden wir uns in diesem Buch nicht beschäftigen.

Ereignisse[Bearbeiten]

Da Ereignisse definiert sind als Mengen, können wir verschiedenen Begriffe aus der Mengenlehre in der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine eigene Interpretation geben (es wird vorausgesetzt, dass die Begriffe bekannt sind).

  • Der Ergebnisraum S selber, in der Mengenlehre als universelle Menge angedeutet, ist auch ein Ereignis, das wir das sichere Ereignis nennen; weil jedes Ergebnis in S liegt, tritt dieses Ereignis also immer ein.
  • Auch die leere Menge ∅ ist ein Ereignis; wir nennen es das unmögliche Ereignis, weil kein einziges Ergebnis Element ist von ∅ und dieses Ereignis also nie eintritt.
  • Ein Ereignis {s} das nur ein einziges Ergebnis s enthält, ein Singleton, nennen wir ein Elementarereignis. Ein Elementarereignis {s} ist formell unterschieden vom Ergebnis s, aber praktisch gesehen gleich.
  • Das Komplement (bezüglich S) von A
      ,
    heißt Komplementärereignis von A, also das Ereignis, das eintritt, wenn A nicht eintritt.
  • Die Vereinigung A ∪ B zweier Ereignisse A und B ist das Ereignis, das eintritt, wenn A eintritt oder B eintritt.
  • Der Durchschnitt AB (= A ∩ B) zweier Ereignisse A und B ist das Ereignis, das eintritt, wenn A eintritt und B eintritt; wir nennen es Verbundereignis von A und B.
  • Wenn das Ereignis A eine Teilmenge ist vom Ereignis B (A ⊂ B), sagen wir: A impliziert B, d.h. wenn A eintritt, tritt auch B ein.

In der Wahrscheinlichkeitsrechnung spielen Ereignisse, die nicht gleichzeitig eintreten können, eine wichtige Rolle; deshalb die nächste Definition:

Definition 1.1.4a[Bearbeiten]

Wir nennen die Ereignisse A und B disjunkt (oder inkompatibel), wenn A ∩ B = ∅, d.h. A und B können nicht gleichzeitig eintreten.

Wir können diese Definition erweitern für eine abzählbare Folge von Ereignissen, entweder endlich (A1,A2,...,An) oder abzählbar unendlich (A1,A2,...). In beiden Fällen bezeichnen wir die Folge mit (Ai).

Definition 1.1.4b[Bearbeiten]

Eine disjunkte (oder inkompatible) Folge von Ereignissen ist eine Folge von Ereignissen (Ai), für die AiAj = ∅ für alle i ≠ j.


  • Für eine Folge von Ereignissen (Ai) meinen wir mit (im endlichen und im abzählbar unendlichen Fall) die Schnittmenge der Folge, also das Ereignis, das eintritt, wenn jedes der Ereignisse Ai eintritt und mit die Vereinigungsmenge der Folge, also das Ereignis, das eintritt, wenn wenigstens eins der Ereignisse Ai eintritt.


Die folgenden Eigenschaften von Mengen werden als bekannt vorausgesetzt:

Satz 1.1.1 (Eigenschaften von Ereignissen)[Bearbeiten]

(a)

(b)

(c) (De Morgansche Regeln).

Definition 1.1.5[Bearbeiten]

Die Folge disjunkter Ereignisse (Ai) nennen wir eine Partition des Ereignisses B, wenn . Eine Partition wird auch Zerlegung oder Klasseneinteilung genannt.

Beispiel 8 (Schule)[Bearbeiten]

In eine Schule mit 4 Klassen gehen 1000 Schüler, davon 600 Mädchen. Von den Schülern wird einer ausgewählt. In diesem Experiment gibt es die folgenden Ereignisse:

  • M: tritt ein, wenn ein Mädchen gewählt wird;
  • J: tritt ein, wenn ein Junge gewählt wird;
  • Ki: tritt ein, wenn ein Schüler der Klasse i gewählt wird.

Das Ergebnis des Experiments ist ein(e) Schüler(in) s und der Ergebnisraum S ist die Menge aller 1000 Schüler. M ist eine Teilmenge von S, also die Menge aller Mädchen, J die Menge aller Jungen, Ki die Menge der Schüler der Klasse i. Wir beachten:

  • J = Mc;
  • K1 ∪ K2 ist die Menge der Schüler aus den zwei untersten Klassen, also das Ereignis, dass der gewählte Schüler in einer dieser Klassen ist.
  • K1 K2 = ∅, also K1 und K2 sind inkompatibel: der gewählte Schüler kann nicht gleichzeitig in der Klasse K1 und der Klasse K2 sein; gleiches gilt für jede der beiden anderen Klassen;
  • (K1, K2, K3, K4) ist also eine disjunkte Reihe von Ereignissen;
  • K1 ∪ K2 ∪ K3 ∪ K4 = S, also die Klassen K1, K2, K3 und K4 bilden eine Partition (Klasseneinteilung) von S.
  • M ∪ J = S; auch M und J bilden eine Partition von S.
  • MK4 ist die Menge der Mädchen in Klasse K4, also das Ereignis, dass der ausgewählte Schüler ein Mädchen in der 4. Klasse ist;
  • J ∪ K4 ist die Menge der Schüler, die männlich sind oder in der 4. Klasse.