Soziologische Klassiker/ Allport, Gordon W.

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Allport Gordon Willard


  • geboren am 11. Nov. 1897 in Montezuma, Indiana als jüngster von vier Brüdern (Harold, Floyd, Fayette and Gordon)


  • Vater: John Edwards Allport (* 1863), Landarzt; Mutter: Nellie Edith (Wise) Allport (* 1862), Lehrerin

Allport wuchs in Glenville (Cleveland), OH auf. Er beschrieb sein Elternhaus später als gekennzeichnet durch Einfachheit, protestantischer Frömmigkeit und harte Arbeit. Er galt als eher ruhig und introvertiert und war von frühester Kindheit an hauptsächlich umgeben von Krankenschwestern und Patient/inn/en.

Sein älterer Bruder Floyd (1890 – 1978) besuchte ebenso wie Gordon die Harvard Universität und lehrte später Sozialpsychologie und politische Psychologie an der Syracuse University’s Maxwell School of Citizenship and Public Affairs. Er gilt als Mitbegründer der zeitgenössischen Sozialpsychologie. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und Gordon beschränkte sich auf zwei frühe Arbeiten in den 1920er Jahren. Ihre Zugänge zur Psychologie veränderten sich später in unterschiedliche Richtungen und sie verzichteten auf weitere gemeinsame Veröffentlichungen. Nichtsdestotrotz vertraute Gordon immer auf Floyds Rat und objektive Kritik.

1915 beendet Allport die Glenville Highschool als Zweitbester von 100 Schülern.

1915-1919 studiert er an der Universität in Harvard mit besonderem Interesse an Psychologie und Sozialethik. Während dieser Zeit betätigt er sich ehrenamtlich in der Sozialarbeit, betreibt Feldforschung im Westen Bostons und in einigen Organisationen u.a. dem Phillips Brooks House.

1919-1920 lehrt er Englisch und Soziologie am Robert College in Istanbul

1920: trifft er Sigmund Freud in Wien, bei dem Freud eine Beobachtung Allports falsch interpretiert. Diese Erfahrung führt bei Allport zu einer lebenslangen Vorsicht gegenüber zu raschen psychoanalytischen Urteilen und einer kritischen Betrachtung der Tiefenpsychologie.

1920-1922 arbeitet Allport an seiner Doktorarbeit in Psychologie. 1922 erhält er seinen Ph.D. für seine Arbeit „An Experimental Study of Traits of Personality: With Special Reference to the Problem of Social Diagnosis”

1922-1924: Allport reist für weitere Studien nach Europa: 1922 – 1923 studiert er in Berlin und Hamburg, 1923-1924 an die Cambridge University, UK. Während seiner Zeit in Deutschland erlangt Allport ein tiefes Verständnis der damaligen deutschen psychologischen Forschungen. Er schreibt später, dass Deutschland ihn von seinem (jugendlichen) Vertrauen in den Behaviorismus befreite und er dort eine Psychologie fand nach der er immer suchte, von der er aber nicht wusste, dass sie tatsächlich vorhanden war. In England beschäftigte er sich vor allem mit den zuvor in Deutschland gewonnenen Eindrücken und Erfahrungen zur Psychologie.

1925 heiratet Allport Ada Lufkin Gould. Ihr gemeinsamer Sohn, Robert, wurde später Kinderarzt.

1924–1926 arbeitet er als Dozent in Sozialethik an der Harvard Universität. 1924/1925 hält er die erste Vorlesung zum Thema „Personality: Its Psychological and Social Aspects“ in Harvard (die erste zu diesem Thema angeboten Vorlesung in den gesamten USA)

1926–1930: Assistenzprofessor der Psychologie am Dartmouth College (Einführungskurse, Sozial- und Persönlichkeitspsychologie)

1930-1967 lehrt Allport an der Universität Harvard (bis 1937 Assistentsprofessor, 1937-1942 außerordentlicher Professor, 1942–1967 Professor)

1939–1946 Vorsitzender des „Psychological Departments“ in Harvard

1937–1948 Herausgeber des „Journal of Abnormal and Social Psychology“

1939 Präsident der „American Psychological Association“ (APA)

1944 Präsident der „Society für the Psychological Study of Social Issues“ (SPSSI)

1946 Mitbegründer des “Department of Social Relations” in Harvard (ua. mit Talcott Parsons), welches die Sozial-, Persönlichkeits- und klinische Psychologie kombinierte mit Kulturanthropologie und Soziologie.

1964 erhält Allport den “Distinguished Scientific Contribution Award to Psychology” der American Psychological Association

9. Okt. 1967 stirbt Gordon W. Allport in Cambridge, MA an Lungenkrebs

Historischer Kontext[Bearbeiten]

Gordon Allport hatte eine sehr behütete und ruhige Kindheit. Sie war geprägt von dem Glauben seiner Mutter, harter Arbeit und einem medizinischen Umfeld.

In seiner Zeit als Student in Harvard arbeitet er ehrenamtlich in verschiedenen Sozialeinrichtungen. Diese Erfahrungen weckten in ihm das Interesse für Persönlichkeitswesenszüge und deren Auswirkung auf das soziale Verhalten.

Allport war Zeit seines Lebens ein religiöser Mensch. Ein besonderes Interesse für Religionspsychologie entwickelte er allerdings zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Die Ereignisse dieser Zeit in Europa weckten in Allport das Interesse an Korrelationen zwischen Antisemitismus bzw. Rassismus, Persönlichkeitsmerkmalen und Religion. In dieser Zeit entstanden auch seine Arbeiten zur Vorurteilsforschung.


Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

In seiner Zeit als Student wurde Allport vor allem von Hugo Münsterberg beeinflusst. Dieser gilt zusammen mit William Stern, Walter Dill Scott und Jean-Maurice Lahy als Gründer der Angewandten Psychologie.

Mit 22 Jahren besuchte Allport Sigmund Freud in seiner Praxis in Wien. Dieser hat Allport,wider Erwarten, mit Schweigen erwartet. Um das Eis zu brechen, erzählte Allport von einer Beobachtung eines Jungen mit Schmutzphobie, die er zuvor gemacht hatte. Freud entgegnete ihm darauf mit der Frage, ob Allport selbst dieser Junge sei. Diese Fehlinterpretation von Freud, der das Motiv für die Erzählung dieser Geschichte verkannte, brachte Allport zur Erkenntnis, dass die Tiefenpsychologie vielleicht in gewissen Bereichen „zu tief“ graben würde anstatt zuerst augenscheinliche und manifeste Motive zu erkennen. Diese Einsicht spiegelt sich später auch in Allports Konzept der „funktionellen Autonomie“ wider.

Die entscheidenden Eindrücke für seine Auffassung und Sicht der Psychologie erhielt Allport während seiner Europareise 1922 – 1924. In Hamburg lernte er William Stern kennen, in Berlin studierte er mit den Gestaltpsychologen Wertheimer, Stumpf und Köhler. Diese prägten Allports Betrachtung der Gesamtheit der Persönlichkeit. Auch Eduard Sprangers Arbeiten zu Wertvorstellungen beeinflussten den jungen Wissenschaftler. Später entwickelte Allport gemeinsam mit Philip Vernon einen Test („A Study of Values“ 1960) um Sprangers Unterscheidung in sechs verschiedene Wertebegriffe empirisch zu bestätigen. Neben der Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit lernte er in Deutschland auch eine geistige Haltung kennen, die den Menschen als selbstbestimmende Quelle von Handlungen und zielgerichteten Akteur begreift. Dieses Verständnis der Persönlichkeit geht zurück auf Leibniz und wurde von Kant und dem deutschen Idealismus wieder aufgegriffen und erweitert. Allport wurde von dieser geistigen Haltung stark beeinflusst. In Frankreich studierte er mit Frederik Barlett und Ivor A. Richards.

1924 bis 1926 lehrte Allport im Rahmen einer Dozentenstelle Sozialethik in Harvard. In dieser Zeit wurde er stark von Richard Clarke Cabot (1868 – 1939), Mediziner und Professor für Kardiologie und Sozialethik in Harvard, geprägt. Dieser begründete in Harvard eine psychologische Ausbildung für Theologen, die im Bereich der Seelsorge tätig waren. Sowohl Cabot als auch Allport vertraten die Ansicht, dass der Mensch in sich eine Sehnsucht nach einer Beziehung zu Gott tragen würde.

Darüber hinaus wurde Allport von William James, geprägt, dessen psychologische Studien u.a. Grundideen der Gestaltpsychologie vorwegnahmen und als wichtige Grundlage für die Religionspsychologie dienten. Weiters wurde Allport von William McDougall beeinflusst, der die Bedeutung des inneren Antriebs und zielorientierten Verhaltens sowie des Bewusstseins hervorgehoben hatte.


Werke[Bearbeiten]

Allport, G.W. (1937): Personality: A psychological interpretation. New York: Henry Holt.

Allport, G.W. (1942): The use of personal documents in psychological science. (Bulletin 49). New York: Social Science Research Council.

Allport, G. W. (1950): The individual and his religion. New York: Macmillan.

Allport, G. W. (1954): The nature of prejudice. Reading, MA: Addison-Wesley.

Allport, G. W. (1955): Becoming: Basic considerations for a psychology of personality. New Haven: Yale University Press.

Allport, G. W. (1960): Personality and social encounter. Boston, MA: Beacon

Allport, G. W. (1961): Pattern and growth in personality. New York: Holt, Rinehart and Winston.

Allport, G. W. (1965): Letters from Jenny. New York: Harcourt, Brace and World.

Allport, G. W. (1968): The person in psychology: Selected essays by Gordon W. Allport. Boston, MA: Beacon Press. (postum erschienen)


Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Allports Verständnis der Psychologie[Bearbeiten]

Die Psychologie Mitte des letzen Jahrhunderts war wie bereits erwähnt von vielen gegensätzlichen Ansätzen geprägt. Allport nahm aktiv an der Diskussion über Richtungen der Psychologie teil. Er sah die Vielfalt an Strömungen und Ansichten in der Psychologie grundsätzlich als positiv an. Für ihn befand sich die Psychologie im Anfangsstadium, in dem jede Wissenschaft versuchen sollte, zum Einen eine breite Basis zu schaffen, von welcher einzelne Arbeitsbereiche ausgingen und zum Anderen eine Übereinstimmung zu finden, welche Bestandteile die Psychologie haben sollte, um sich von anderen Wissenschaften abzugrenzen.

Wogegen sich Allport allerdings strikt aussprach waren Richtungen in der Psychologie die versuchten, Dogmen aufzustellen, womit sie andere Sichtweisen prinzipiell und in jedem Fall ablehnten. Diese Bestrebungen sah er vor allem in jenen Richtungen gegeben, die auf dem Empirismus und Sensualismus John Lockes und David Humes aufbauten: Behaviorismus, Reiz-Reaktions-Psychologie, Tier-Psychologie, Positivismus und logischer Empirismus.

Allports Auffassung nach verkannten jene Sichtweisen, die den Menschen als anfängliche tabula rasa, als unbeschriebene Tafel, verstanden, welche durch spätere Erfahrungen „beschrieben“ werden sollte und den Menschen lediglich als ein Opfer der Bedürfnisse des eigenen Organismus darstellten, gewisse Aspekte wie Eigenstreben, Wertorientierung, Zielsetzungen und Absicht. Sie wären somit nur unzureichend in der Lage, die Persönlichkeit in ihrer Vielschichtigkeit zu erklären.


Forschung und Methode[Bearbeiten]

Empirie

Durch die Forschung gewonnene Daten stellten für Allport „Rohmaterial“ dar, das dazu dienen sollte Hypothesen zu stützen bzw. zu verifizieren. Erst in einer Kombination von Hypothesen und empirischen Studien sah er eine Möglichkeit, die herrschende Uneinigkeit über die Persönlichkeit zu verringern und der wahrscheinlichen Wahrheit näher zu kommen. Ohne Empirie müsste man These und Gegenthese als gleichberechtigt ansehen, da einem jegliche Möglichkeit zur Festigung der These gegenüber Kritikern fehlen würde.

Trotz der Anerkennung des Stellenwertes empirischer Untersuchungen wies er aber darauf hin, dass der moderne Positivismus, welcher nur solche Begriffe in die Psychologie aufzunehmen bereit ist, auf die unmittelbar durch Untersuchungen geschlossen werden kann, als Instrument zur Erklärung der komplexen Zusammenhänge der Persönlichkeit unzureichend ist.

Allport vertrat also die Ansicht, dass weder die spekulative noch die streng empirische Methode in der Lage wäre, den bisherigen Erkenntnisstand der Psychologie fruchtbar zu erweitern. Er sprach diesen Methoden allerdings keinesfalls ab, dass sie in gewissen Bereichen durchaus ihre Berechtigung hätten, allerdings wären sie zu beschränkt um die Gesamtheit einer Persönlichkeit zu erfassen.


Nomothetischer und idiographischer Ansatz

Allport sah die Persönlichkeitsforschung in einem besonderen Spannungsfeld zwischen dem wissenschaftlichen Streben nach Erforschung allgemein gültiger Gesetze und der individuellen Komplexität menschlicher Persönlichkeit. Die Wissenschaft als nomothetische Disziplin will Gesetzmäßigkeiten erforschen, die Individualität kann wiederum nur idiographisch, durch Erfassung des Menschen in seiner Einzigartigkeit, untersucht werden.

Allport kritisierte die nomothetische Methode insofern, als sie seiner Ansicht nach,nicht in der Lage sei, die innere, einzigartige Konstellation einzelner Eigenschaften, spezifischer Abhängigkeiten und Zusammenhänge zu erfassen. Eine Beschreibung von Personen mit Hilfe allgemeiner Eigenschaften berühre allenfalls die Oberfläche. Die Persönlichkeit war für Allport auch keinesfalls eine Überschneidung einzelner quantitativer Variablen.

Doch Allport verkannte auch die Vorteile der nomothetischen Methode nicht und gestand ihr sogar in bestimmten Bereichen der Psychologie großen Nutzen zu. Er kritisierte lediglich jene Psychologen, die diesen Zugang zur Materie als einzig möglichen Weg begriffen haben.


Allports eigene Psychologie[Bearbeiten]

Allport selbst beschreibt seine Psychologie als humanistisch, insofern, als damit die uneingeschränkte Betrachtung aller Aspekte des Seins hervorgehoben wird und in der Weise als personalistisch, als es ihr Ziel ist die Entwicklung konkreter einzigartiger Personen zu begreifen und vorherzusagen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Allport für eine breite Betrachtung der Persönlichkeit aussprach, die sowohl universelle, kulturelle oder gruppenspezifische aber auch individuelle Aspekte berücksichtigt.


Arbeitsgebiete[Bearbeiten]

Persönlichkeitspsychologie[Bearbeiten]

Gordon Allports Ziel war eine Persönlichkeitstheorie die ein theoretisch entwickeltes, empirisch verifiziertes und praktisch umsetzbares Modell der Wirkung von Persönlichkeitswesenzügen auf das soziale Verhalten zum Ausdruck bringen sollte.


Das „Proprium“

Im Laufe seiner Arbeit beschäftigte sich Allport u.a. mit Strömungen der Persönlichkeitsforschung, die Menschen als reaktives Wesen verstanden und Begriffe wie Selbst, Seele oder Ich aus ihrer Psychologie verbannten. Grund für diese Verbannung war die Anfälligkeit jener Worte für überirdische, mystische Zuschreibungen. In weiterer Folge versuchte man das Streben der Menschen ohne eine innere Instanz, das Selbst, zu erklären. Bald wurde allerdings erkannt, dass dieser Ansatz nicht in der Lage war bestimmte beobachtbare Verhaltensweisen im Menschen zu erklären.

Allport kam durch seine Beschäftigung mit diesen Ansätzen zu Ansicht, dass nur durch eine Beachtung eines für das Individuum zentralen Bereiches der Persönlichkeit („Sein“, „Seele“, „Ich“) bestimmte beobachtbare Zusammenhänge verschiedener Handlungen und Verhaltensweisen zureichend erfasst werden könnten. Er war sich allerdings dem Mangel an Objektivität und Wissenschaftlichkeit der zuvor genannten Begriffe durchaus bewusst, dies veranlasste ihn zu einer Begriffsneubildung: dem „Proprium“.

Allport betont, dass das Proprium keinesfalls als überirdische Instanz zu verstehen sei, der alle Phänomene zuzuschreiben wären, die man nicht erklären kann. Er versucht dieses vielmehr als Funktion der Gesamtpersönlichkeit zu begreifen, die es dem erwachsenen Menschen erlaubt sein Leben eigenbestimmt und aktiv zu führen, auf innere und äußere Eindrücke kreativ zu reagieren, Werte zu bilden und „für die Zukunft zu planen.“

Das Proprium ist nicht von Kindesalter an voll ausgebildet, es macht eine Entwicklung durch, die Allport in sieben Prozesse unterteilt:

  1. Wahrnehmung des körperlichen Selbst: Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Körpergefühl entwickelt sich während der ersten beiden Lebensjahre.
  2. Selbst-Identität: Sie entwickelt sich ebenfalls in den ersten beiden Lebensjahren. Das Kind begreift sich als fortdauerndes und individuelles Wesen.
  3. Selbstachtung: Zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr erkennt der Mensch u.a. dass er für sich und andere einen bestimmten Wert hat.
  4. Selbstausdehnung: Während des vierten bis sechsten Lebensjahres beginnt das Kind sich mit bestimmten Dingen zu identifizieren („mein“) und erweitert so seine Wahrnehmung des Selbst.
  5. Selbstbild: Einhergehend mit der Selbstausdehnung entwickelt sich auch unser Selbstbild. Es ist die Erkenntnis darüber, wie man von anderen gesehen wird, wie man auf also auf andere wirkt.
  6. Das rationale Ich: Zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr lernt das Kind Probleme rational und effektiv zu lösen.
  7. Eigenstreben, propriates Streben: Eigenstreben entwickelt der Mensch meist ab dem zwölften Lebensjahr. Er definiert Ziele und Pläne und sucht nach dem Zweck seines Daseins. Der Höhepunkt dieses Strebens wird für Allport erreicht, sobald der Mensch sich seines Daseins und seiner Möglichkeiten vollkommen bewusst ist. Dadurch ist er in der Lage, sein Leben selbstbestimmt zu führen („Selbst als Wissender“).
    Achtung: Es ist nicht ganz klar, ob das „Selbst als Wissender“ eine weiter Entwicklungsphase darstellt, oder rein als „vollendete“ Form des Eigenstrebens zu verstehen ist.

Die Existenz eines proprialen Bereiches ist für Allport auch eine essentielle Voraussetzung für humane Handlungen, die den Menschen vom Tier abgrenzen. Diese Funktion ermöglicht ihm, sich in bestimmten Bereichen über die biologische Veranlagung hinwegzusetzen. Diese Fähigkeit nötigt den Mensch wiederum dazu, sich durch „etwas“ selbst zu bestimmen. Dieses „etwas“ nennt Allport das Proprium.


Funktionelle Autonomie

Mit dem Konzept der funktionellen Autonomie verweist Allport auf die Unabhängigkeit vieler Motive von Primärantrieben und Grundbedürfnissen. Es stellt damit einen direkten Gegenpol zum Behaviorismus und zur Tiefenpsychologie dar.

Allport bezweifelte, dass der einzelne Mensch durch einen Blick in seine Vergangenheit verstanden werden könne. Er sah dessen heutige Motive im Gegensatz zu anderen bekannten Psychologen als funktionell unabhängig von ihren Ursprüngen. Mit zunehmender Reife des Individuums werden Motive aus der Vergangenheit immer schwächer und der Grad an Autonomie der individuellen Kräfte kennzeichnet für ihn die Reife eines Menschen.

Ein Mensch kann sich in jungen Jahren zum Beispiel für einen bestimmten Beruf entscheiden, weil er mit einer besonderen Arbeitsplatzsicherheit oder hohem Verdienst verbunden ist, später bleibt er allerdings in diesem Beruf weil er ihm Spaß macht.

Ein Motiv kann seinen Ursprung zwar in den spannungsreduzierenden Motiven der Kindheit/Jugend haben, jedoch im Erwachsenenalter davon unabhängig werden. Dienten die Handlungen ursprünglich der Befriedigung eines Triebes oder eines Bedürfnisses, so dienen sie im späteren Leben sich selbst bzw. der Identität.

Allport unterscheidet zwei Arten der funktionellen Autonomie:

  • persevative funktionelle Autonomie: diese bezieht sich auf Gewohnheiten: das ursprüngliche Motiv bestimmter Verhaltensweisen ist bereits verschwunden, trotzdem werden sie beibehalten (z.B. jemand fängt aufgrund von Gruppenzwang in der Jugend an zu rauchen, er hört als Erwachsener allerdings nicht mehr damit auf. oder: Der Ausspruch „Gesundheit“ hatte früher, als Niesen noch ein Symptom für die Pest sein konnte eine andere Bedeutung als heute)
  • propriate funktionelle Autonomie: diese bezeichnet Motivsysteme die stark an die Persönlichkeit gebunden sind (zB. Werte, Interessen, Lebensstil).

Die „propriate funktionelle Autonomie“ bezeichnet Motive eines Erwachsenen, die bestimmten internalisierten Werten entspringen. Ein solcher Wert kann Motiv für eine bestimmte Zielsetzung und damit verbundene Handlungen sein. Dies hat zur Folge, dass gewisse Handlungen erst durch ein Wissen über die individuellen Wertsetzungen von Anderen plausibel begründet werden können.

Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Vernon und Lindzey entwickelte Allport aufbauend auf dem Konzept der „propriaten funktionellen Autonomie“ Tests, um Werteinstellungen (in Anlehnung an Sprangers sechs Dimensionen der Persönlichkeitswerte) empirisch erfassen zu können.

Allports Motivationstheorie unterscheidet sich zwar von anderen Theorien, die jegliche Motivation durch Triebe bedingt sehen, dennoch anerkennt er, dass dies in den ersten Lebensjahren des Kindes und auch in begrenzten Bereichen des Erwachsenenlebens durchaus Bedeutung hat. Zur Erklärung jeglicher Motivationen sieht er sie allerdings als unzureichend. Allport weißt aber auch darauf hin, dass das Motiv-System der funktionellen Autonomie nur einen Teil der menschlichen Motive betrifft und nicht die Gesamtheit einer Persönlichkeit oder ihrer Motive erklärt. Diese Art der Motivation setzt erst mit Beginn der Pubertät ein.


Persönlichkeitswesenszüge (Dispositionen, Merkmale, engl: traits)

Unter Dispositionen versteht Allport einmalige, persönliche Eigenschaften, die im Menschen veranlagt sind. Nach außen treten diese Eigenschaften in Form von bestimmten, wieder zu erkennenden Mustern in unseren Handlungen.

Allport nennt drei verschiedene Arten von Wesenzügen:

  • Zentrale Merkmale: Sie bilden das „Fundament der Persönlichkeit“ und werden von anderen verwendet, um eine Person zu beschreiben (z.B. schlau, dumm, wild, zurückhaltend). Meist vereint ein Mensch fünf bis zehn solcher Merkmale in sich.
  • Sekundäre Merkmale: Sie sind weniger offensichtlich, allgemein und konsistent als zentrale Merkmale. Vorlieben, Einstellung, situative Merkmale sind Beispiele für sekundäre Merkmale (z.B. er wird sauer wenn man ihn kitzelt).
  • Kardinalmerkmale: Sie stellen ein, eine Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit beeinflussendes Merkmal dar und kennzeichnen grundsätzlich das gesamte Leben eines Menschen (z.B. jemand strebt sein Leben lang nach Ruhm und Geld). Meist bilden Menschen nur wenige oder gar kein solches Merkmal aus.

Darüber hinaus weißt Allport auch auf die Bedeutung der jeweiligen Situation hin. In gewissen Situationen kommen gewisse Eigenschaften zum Vorschein, oder aber auch nicht. Selbst ein introvertierter Typ wird in gewissen Situationen aus sich herausgehen und auch ein Spaßvogel wird, wenn es die Situation ausdrücklich verlangt ernst sein. Um ein Verhalten adäquat zu interpretieren bedarf es also zum einen dem Konzept der Wesenzüge als auch einer Betrachtung der konkreten Situation.


Psychologische Reife

Verfügt jemand über ein gut entwickeltes Proprium und einen reichhaltigen Schatz an Dispositionen, hat er die psychologische Reife (im Sinne von Allport) erreicht. Er nennt sieben Merkmale:

  • kontinuierliche Erweiterung des Selbst (der Selbst-Erkenntnis)
  • Fähigkeit zu warmen Beziehungen (Vertrauen, Intimität, Mitgefühl)
  • emotionale Selbstbeherrschung und Sicherheit
  • Fähigkeit zur objektiven Wahrnehmung und Einschätzung
  • Fähigkeit zur Entwicklung von Problemlösungsstrategien
  • Selbstobjektivierung (Fähigkeit sein eigenes Verhalten objektiv zu beurteilen)
  • Existenz einer individuellen, stimmigen Lebensphilosophie

Der Grad der Reife, der erreichten (bzw. noch zu erreichenden) Reife variiert von Mensch zu Mensch.

Vorurteilsforschung[Bearbeiten]

Vorurteilsforschung wurde zum ersten Mal in den 1920er Jahren betrieben. Damals galt das Vorurteil als eine Art krankhafte, fehlerhafte Funktion menschlicher Entwicklung. Mitte der 1950er Jahre wurde die Betrachtung von Vorurteilen als normalen Prozess zur Entwicklung des Selbst-Bildes, der Identität, zurückgedrängt. Als herausragendes Werk zu diesem Thema gilt Allports „The Nature of Prejudice“.

Vorurteile sind laut Allport eng mit der notwendigen Kategorisierung der unmittelbaren Umwelt zu vergleichen. Aufgrund der begrenzten Kapazitäten ist es für den Menschen wichtig bestimmte Informationen zu kanalisieren und zu sortieren, sich seines Platzes im sozialen Gefüge bewusst zu werden und ein dementsprechendes Selbstbild zu formen. Durch diese Betrachtung verringerte Allport die moralische Färbung der Vorurteilsforschung hin zu einer analytischen Forschung.


Die Allport-Skala

In seinem Werk „The Nature of Prejudice“ stellt Allport eine Skala vor, die Vorurteile innerhalb einer Gesellschaft nach den Graden der Diskriminierung unterscheidet:

  1. Abschätzige Bemerkung (Verleumdung): Die Vorurteile werden gegenüber anderen (Gleichgesinnten aber auch Fremden) uneingeschränkt geäußert.
  2. Vermeidung: Der Kontakt mit der abgelehnten Gruppe wird vermieden, auch wenn dafür Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden müssen.
  3. Diskriminierung: Es gibt Bestrebungen Mitglieder der abgelehnten Gruppe von jeglichen öffentlichen Einrichtungen (z.B. Erziehungs- und Erholungseinrichtungen, soziale Einrichtungen) fernzuhalten und ihnen Zugänge zu gewissen Privilegien und Rechten, aber auch Berufen und Wohngegenden zu verwehren. Die institutionalisierte Form der Rassendiskriminierung ist die Rassentrennung.
  4. Körperliche Gewaltanwendung: Mit steigender Intensität der Emotionen steigt auch die Gewaltbereitschaft gegen die abgelehnte Gruppe (z.B. Zerstörung von Eigentum, körperliche Attacken, etc.)
  5. Vernichtung: z.B. Massenmorde und Völkermord

Ein weiteres Arbeitsgebiet Allports im Zusammenhang mit seiner Vorurteilsforschung war die Religionspsychologie. Ihn interessierte besonders die Frage, wie religiöse Einstellung und Grad der Religiosität mit Vorurteilen und Intoleranz zusammenhängen. Zu diesem Zweck entwickelte er 1967 gemeinsam mit Michael Ross die „Religious Orientation Scale“ (ROS). Diese Skala wurde aufgrund von Fehlern bei der Operationalisierung stark kritisiert und war am Ende nicht dazu geeignet, die von Allport beabsichtigten Inhalte zu überprüfen.


Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Allport kann als Gründungsvater und Wegebereiter der humanistischen Psychologie bezeichnet werden, als deren Hauptvertreter Abraham Maslow (1908 – 1970) gilt. Neben dem Konzept der funktionellen Autonomie Allports hat diese Richtung ihre Wurzeln u.a. im Existentialismus und der Phänomenologie und versteht sich als dritte Kraft neben der Tiefenpsychologie und dem Behaviorismus.

Ein Teil seiner Bedeutung für die Psychologie von heute, lässt sich aus seiner Beeinflussung zahlreicher Studenten in Harvard ableiten: zu diesen gehörten u.a. Philip Vernon, Gardner Lindzey, Hadley Cantril, Jerome Bruner, Anthony Greenwald, Stanley Milgram, Mr. Brewster Smith, Leo Postman und Thomas Pettigrew. Sein Buch “Personality: A Psychological Interpretation” galt in der Persönlichkeitspsychologie lange Zeit als Standardlektüre.

Ebenfalls von Allports Arbeiten beeinflusst, im Speziellen durch seine lexikalische Studie in Zusammenarbeit mit Oddbert, wurde das Fünf-Faktorenmodell der Persönlichkeit („Big Five“). Bei den lexikalischen Studien extrahierten Allport und Oddbert insgesamt ca. 18.000 persönlichkeitsrelevante Begriffe aus einem Wörterbuch und fassten diese in 4 Kategorien zusammen. Das spätere Fünf-Faktorenmodell (Big-Five) postuliert darauf aufbauend fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrung.

Allports Tests zu den Wertvorstellungen bildeten die Grundlage einer Vielzahl von Persönlichkeitstests. Zum Beispiel werden Abwandlungen dieser Tests heute dazu verwendet, um Kinder und Jugendliche bei Berufs- und Ausbildungsentscheidungen zu unterstützen.

Allports Arbeiten der Vorurteilsforschung gelten noch heute als richtungsweisend. Er war der erste der herausarbeitete, dass Vorurteile durch verschiedene Kategorien strukturiert sind und diese Kategorisierung massiv vom sozialen Umfeld abhängt. Diesen Erkenntnissen folgten weitreichende und anregende Diskussionen und Forschungen zu Vorurteilen und der Kontakthypothese (Kontakte wirken vorurteilsreduzierend). Auch folgende Untersuchungen zur sozialen Identität bauen auf dem Konzept der 1950er Jahre auf und gipfeln später in der „Social Identity Theory“ von Tajfel und dessen Kollegen.

Darüber hinaus bildete die vielfach kritisierte „Religious Orientation Scale“ die Basis für eine Vielzahl von darauf aufbauenden, sie modifizierenden oder zu ihr gegensätzlich stehenden Arbeiten. Nicht zuletzt erlangte die Religionspsychologie durch die bekannten und vieldiskutierten Forschungen Allports internationales Ansehen.

Im Diskurs über die Methodik der Psychologie brachte die ausdauernde Vertretung der idiographischen Methode neue Aspekte in die vorher fast ausschließlich von statistischen Methoden geprägte amerikanische Psychologie. Die idiographische Methode, heute meist als qualitative bezeichnet, ist aus der psychologischen Forschung nicht mehr wegzudenken.

Nichtsdestotrotz wurden Allports Ansätze in der Psychologie auch kritisiert. So warf man ihm vor, dass er weder für sein Konzept der funktionellen Autonomie noch für die Einzigartigkeit des Individuums empirische Nachweise liefern könne. Auch wurde bemängelt, dass Beziehungen zwischen den Annahmen seiner Theorien meist nicht nachvollziehbar bzw. sogar gegensätzlich wären. Weiters wurde kritisiert, dass Allport ein zu positives Menschenbild vertrete und zu stark auf das Vorhandensein eines, seiner christlichen Moral entsprechenden, Wertesystems vertraue.

Doch trotz dieser Kritikpunkte ist Gordon W. Allports Stellenwert in der Entwicklung der Psychologie durch die von ihm angeregten Themen und betonten Prinzipien unbestritten.

Literatur[Bearbeiten]

  • Pervin, Lawrence A. (2005):
    Persönlichkeitstheorien. 5., vollst. überarb. und erw. Auflage."
    München.
  • Heine, Susanne (2005):
    Grundlagen der Religionspsychologie: Modelle und Methoden."
    Göttingen.


Internetquellen[Bearbeiten]