Soziologische Klassiker/ Firth, Raymond

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Firth Raymond

  • geboren am 25.März 1901, in Auckland (Neuseeland)
  • gestorben am 22.Februar 2002 in London


  • neuseeländischer Ethnologe
  • verheiratet mit Rosemary Upcott


Studium[Bearbeiten]

  • Studium der Volkswirtschaft
  • 1942 Besuch der London School of Economics (Abschluss des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums)
  • Inspiration im Bereich der Ethnologie durch Bronisław Malinowski
  • Studium der Anthropologie
  • 1927 Dissertation: „The Primitive Economics of the New Zealan Maori“


Forschung[Bearbeiten]

  • 1928/1929: zwölfmonatige Feldforschung in Tikopia (polynesische Enklave)
  • 1952/1966/1972: weitere Reisen nach Tikopia


Lehre[Bearbeiten]

  • von Tikopia nach Australien: Raymond Firth übernimmt das Anthropologie-Departement von Radcliffe-Brown in Sydney
  • 1932: Rückkehr zur London School of Economics
  • 1932-1935: Lehrbeauftragter und Assistent von Bronsilaw Malinowski (polnischer Sozialanthropologe)
  • 1935-1944: Dozent und schließlich Professor
  • 1968: Emeritierung


Historischer Kontext[Bearbeiten]

Krieg[Bearbeiten]

Als Firth mit seiner Frau Rosemary Upcott die Reise zur Feldfoschung nach China beginnen wollte, wurden zunächst alle Pläne durch den Angriff von Seiten Japans zunichte gemacht. So verweilten sie 1939 in einem Fischerdorf auf einer malaiischen Halbinsel, wurden allerdings auch hier durch die japanische Invasion vertrieben. Während der Zeit des Krieges war Firth beim Geheimdienst der britischen Marine und schrieb vier Handbücher über pazifische Halbinseln. Außerdem war er Mitwirkender bei der Entstehung der Colonial Social Science Research Council.


Nachkriegszeit[Bearbeiten]

Im Jahr 1944 übernahm Raymond Firth nach Malinowskis Tod den Anthropologielehrstuhl an der London School of Economics.

Zu seinen bekanntesten Schülern zählen Fredrik Barth, Ernest Gellner und Edmund Leach.


Forschungsgebiet Tikopia[Bearbeiten]

In den Jahren 1928/1929 begann Raymond Firth eine zwölfmonatige Feldforschung auf Tikopia, eine kleine Salomonen-Insel und polynesische Enklave. Weitere Reisen nach Tikopia folgten 1952, 1966 und 1972. Aus seinen Feldstudien entstanden schlussendlich neun Bücher, darunter der ethnografische Klassiker We the Tikopia: A Sociological Study of Kinship in Primitive Polynesia (1936) und Tikopia Songs: Poetic and Musical Art of a Polynesian People of the Solomon Islands (1990).
We the Tikopia umfasst etwa 600 Seiten und soll geringe Schwächen enthalten, bleibt allerdings laut der Einstufung zahlreicher Experten die beste sozialanthropoligische Monografie, die je verfasst wurde. Bedeutend ist auch die Porträtierung einzelner Tikipia, welche so in ihrer gesamten Persönlichkeit und Individualität erkennbar werden.


Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Grundsätzlich vertrat Raymond Firth den Funktionalismus seines Lehrers Malinowski. Aufgrund einer Reihe von Vorlesungen an der Universität Birmingham (1947) wurde schließlich Elements of Social Organization (Raymond Firth, London 1951) veröffentlicht. Firth prägte den Begriff Sozialorganisation, welcher das soziale Handeln von Individuen in den Vordergrund stellt. Damit distanziert sich Firth vom Sozialstrukturalismus Radcliffe-Browns, welcher strukturale Beziehungen als konstituierend versteht. Weiters war Firth ein Schüler Malinowskis und ein Anhänger der action theory. Firth befasste sich außerdem mit der Möglichkeit der persönlichen Wahl und der sozialen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Einzelnen im alltäglichem Leben.


Werke[Bearbeiten]

  • 1939: Primitive Polynesian Economy
  • 1967: Themes in Economic Anthropology (Hg.)


Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Firth entwickelte eine Economic Anthropology in Beachtung der Axiome der neoklassischen Theorie. Dabei achtete er besonders auf das Maximierungsprinzips bei der Allokation knapper Ressourcen auf menschliche Bedürfnisse und das Prinzip der Entscheidung zwischen unterschiedlichen Nutzengrößen.


Das Werk Primitive Polynesian Economy (1939) gilt als ethnografischer Klassiker der Ökonomischen Anthropologie und ist ebenso ein bedeutendes Werk der formalistischen Theorie. Primitive Polynesian Economy umfasst detaillierte Darstellungen und Angaben über die polynesische Wirtschaft. Firth verband den methodologischen Individualismus in neoklassischer Tradition aus seinem Ökonomiestudium mit der Anthropologie, was sich auf das gesamte Werk auswirkte. Firth erstellte Porträts von einzelnen Bewohnern Tikopias und zeigte so deren Persönlichkeit und Individualität, die Flexibilität des Einzelnen. Auch verwieß er auf die individuellen Wahlmöglichkeiten.


In dem Sammelband Themes in Economic Anthropology (1967) werden die Anschauungen und Positionen der Formalisten zusammengefasst und der Unterschied zu den Substantivisten verdeutlicht. Firth muss jedoch die Eigenheiten und das Besondere von einzelnen Kulturen akzeptieren und so unterscheidet er in seinem Werk in uneingeschränkt geltende formal propositions und kulturspezifische substantial propositions.


Spezifische ökonomische Systeme und allgemeine Gesetzmäßigkeiten[Bearbeiten]

Formal propositions[Bearbeiten]

formal propositions = generelle Gesetzmäßigkeiten


"On the basic principles of choice in the use of resources and perceptions of relative worth in an exchange, there is a continuum of behaviour over the whole range of human economic systems." (Firth)


Die formal propositions sind generelle Gesetzmäßigkeiten, deren Geltung weltweit und uneingeschränkt ist. Nach Firths Darstellung umfasst diese formal propositions vor allem das Motivationsprinzip jedes einzelnen Individuums, sich im Fall einer Entscheidungssituation mit unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten an der eigenen Nutzenmaximierung zu orientieren. Beim Kula-Tauschring (Tauschsystem auf 14 Inselgruppen vor Ost-Papua Neuguinea) wird beispielsweise versucht Kula-Gegenstände nach dem größtmöglichen Nutzen zu tauschen. Die Seltenheit eines schönen Armreifens oder einer Halskette steigert das Ansehen. Somit ergibt sich durch einen günstigen Tausch die Verbesserung der sozialen Beziehung zum Tauschpartner. Und wer auf den Potlatch-Festen mehr verschenken kann als andere erwidern können, steigt in der Hierarchie auf. Dabei tritt im Kapitalismus die Profitmaximierung an erste Stelle.


Substantial propositions[Bearbeiten]

Substantial propositions = institutionelle Gegebenheiten


"To an anthropologist the recognition that any specific economic system has a corresponding set of moral values is taken for granted." (Firth)


Bei den substantial propositions handelt es sich um kulturspezifische, institutionelle Gegebenheiten, welche in jeder Gesellschaft unterschiedlich sein können. Ein Beispiel dafür: In einem marktwirtschaftlichen System kaufen die Kunden ihre Ware dort, wo sie diese am günstigsten erwerben können. In einem nicht-marktwirtschaftlichen System hingegen werden von den Kunden auch die sozialen Beziehungen miteinbezogen. So nehmen diese in Kauf, ihre Ware auch teurer zu erwerben, wenn dabei eine Nutzensteigerung durch die soziale Komponente entsteht, sprich die Beziehung zu einem wichtigen Bündnispartner oder Verwandten bestärkt wird. Die institutionellen Gegebenheiten, also das was eine Gesellschaft als das Nützlichste wertet, sind demnach von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden. Nur der Grundsatz der Nutzenmaximierung gilt als eine universelle Gesetzmäßigkeit. Raymond Firth sieht die Differenz der einzelnen Wirtschaftssysteme allerdings, wie alle Formalisten, nur in ihrem Grad, also „große und kleine Äpfel“ und nicht „Äpfel und Birnen“.


Internetquellen[Bearbeiten]