Soziologische Klassiker/ Geschlechterforschung/ Dieter Otten

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Dieter Otten[Bearbeiten]

Moral[Bearbeiten]

Otten beschäftigt sich in einer Studie mit geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Vorstellungen und Einstellungen über Moral und Ethik. Er stellt sich die Frage, ob Frauen den Männern moralisch überlegen sind. Ziel dieser Studie war es, mit Hilfe sensibler Fragen welche Moral, Ethik, Religion, Wertvorstellungen, Normen und Sexualität betreffen, eine Struktur männlicher und weiblicher Alltagsauffassungen herzuleiten. Durch eine Moralskala (Bewertung von Mogeln beim Kartenspiel, Betrug, Diebstahl, Körperverletzung, Tötungsdelikt) wird deutlich, dass Frauen den “amoralischen Charakter der Sätze sofort” [1] erkennen.

Auffallend ist dabei, dass Frauen bei Anstieg der Schwere eines Delikts dazu neigen, diese Verhaltensweise nicht einmal gelegentlich durchgehen zu lassen. Gewalthandlungen werden von den meisten Frauen komplett abgelehnt. Im Gegensatz dazu lässt sie moralische Flexibilität bei Männern am häufigsten beim Karten spielen erkennen. Der Mann verbindet mit Mogeln kein moralisch verwerfliches Handeln. Betrachtet man die männliche Bereitschaft und Akzeptanz amoralischer Verhaltensweisen bei “wahren Delikten”, so kann man den Schluss ziehen, dass ein wesentlich größerer Teil dazu neigt Eigentumsdelikte, körperliche Gewalt und sogar Tötung in Kauf zu nehmen. Welches Delikt mit welchen moralisch verwerflichen Vorstellungen verbunden wird, kann kulturell variabel sein. Auch die Schulbildung zeigt, dass sich ein ähnlich deckungsgleiches Muster einstellt, wenn es um ethische und moralische Verhaltensweisen geht. Ottens Ergebnisse zeigen: “Bis zu einem Drittel der erwachsenen Männer halten es durchaus für in Ordnung, moralisch verwerfliche, deviante (außerhalb der Norm liegend) oder kriminelle Akte zu begehen. Fast 74 Prozent halten Lügen für eine normale Alltagsstrategie, mehr als die Hälfte würde um des eigenen Vorteils willen betrügen, und noch gut ein Viertel ist bereit, Gewalt anzuwenden, wenn es dem eigenen Vorteil entspricht.”[2] Ähnliche und fast schon erschreckend gleiche Ergebnisse erhält die amerikanische Geschlechterforscherin Carol Gilligan, die im Besonderen auf die verschiedene Herangehensweise an moralische Problemstellungen eingeht. “Gilligan vertritt die Ansicht, dass Männer dazu neigen, ethische Fragen nach den Prinzipien zu lösen, nach denen sie beim Spielen Regeln anwenden.” [3] Frauen hingegen verhalten sich im Konflikt interessenorientiert und versuchen einen Ausgleich der verschiedenen Interessen zu erreichen. Diese geschlechtspezifisch unterschiedliche Herangehensweise an Konflikte, erklärt sich Gilligan, durch eine unterschiedlich ausgeprägte männliche und weibliche Auffassung von moralischen Werten. Beide Geschlechter haben unterschiedliche Bezugsrahmen und Horizonte. Dennoch lehnt sie die Behauptung ab, Frauen seinen moralischer, weil sie aufgrund von Angst keine Regeln brechen wollen und eher konform sind. Vielmehr unterscheiden sich beide Geschlechter, weil sie unterschiedliche Systeme bevorzugen moralischen Fragen gegenüber zu treten. Männer orientieren sich dabei an Regelwerken, die es einzuhalten gilt. Diese werden auch als Zwang und Pflicht wahrgenommen, selbst wenn eine Regel als eher ungeeignet erscheint, um eine Problematik anzugehen, verhält sich der Mann regelloyal und verfolgt einen abstrakten Befehl(das würde auch erklären, warum Männer bereit sind auf Befehl einer Regel zu töten). Frauen folgen anderen Regeln, ihnen geht es meist um den Menschen, dem gegenüber sie sich verpflichtet fühlen.

In der Philosophie erhält die Moral einen hohen Stellenwert und unterscheidet sich strikt von dem Begriff der Ethik. “Unter Moral wird mehr die gesellschaftliche Praxis des richtigen Handelns verstanden: Sie kann, muss aber nicht aus einem Regelwerk abgeleitet werden.” [4] Ethik dagegen steht für ein Regelwerk oder ein System des richtigen Handelns.

Ergebnis (auch in Gilligans Studie) ist, dass die Frauen in den Tests im Prinzip moralisch urteilen, Männer hingegen eher dazu tendieren, dann unmoralisch über Werte und Einstellungen zu urteilen, wenn es ihr Regelsystem ihnen befiehlt. Zu moralischen Urteilen kommen sie dann, wenn ihr Regelwerk Verhaltensweisen darlegt, an denen sie sich richten können. Im Näheren geht Otten auf die unterschiedliche Orientierung an männlichen und weiblichen Werten in der Praxis ein. Dabei lehnt er die Bewertung von moralischem (weiblichen) und unmoralischem (männlichen) Verhalten ab, sondern will aufzeigen in welcher unterschiedlichen Weise sie zu moralisch vertretbaren oder moralisch verwerflichen Mechanismen greifen. Deutlich verweist er auf das Vorhandensein eines Regelwerkes und die dazugehörige Moralauffassung, an dem sich der Mann orientiert. Daher sieht ein Mann die Bejahung von moralisch fragwürdigen Notsituationen, wie z.B. das Töten eines Menschen nicht unbedingt als moralisch verwerflich, solange es von seinem Regelwerk verlangt wird. Das weibliche Moralverständnis würde selbst in einer Notsituation die Lebensinteressen der betroffenen Person berücksichtigen und käme demnach zu einem anderen Handlungsergebnis. “Das heißt nicht unbedingt, dass die moralische Strategie”, die der Frau zugeschrieben wird, “der ethischen”, welcher der Mann eher neigt zu folgen, “überlegen sein muss. Es bedeutet nur, dass männliche Ethik unter bestimmten sozialen Umständen in die Katastrophe führen kann, weibliche Moral wohl kaum. ” [5]

Der Wertewandel ist weiblich[Bearbeiten]

Das Allensbacher Meinungsforschungsinstitut von Elisabeth Noelle - Neumann beobachtet seit den 50er Jahren des 20.Jahrhunderts den Wandel von Denkmustern und Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft. Otten erweitert die Ergebnisse des Wertewandels, welche aus verschiedenen Studien aus den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren stammen, durch die Aufarbeitung der Trennung der Befragten nach Geschlecht und kommt zu erstaunlichen geschlechtsspezifischen Komponenten, die sich aus dem Wertewandel ablesen und erkennen lassen.

75 Prozent der Männer orientieren sich weiterhin an einer materiellen Grundhaltung, der Hauptakzent liegt auf dem Anstreben finanziellen Erfolges durch schnelles Geld, das sich Leisten können von Statussymbolen und dem Streben nach sexueller Befriedigung. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit im Beruf spielen dabei nur bei einer Minderheit eine gewichtige Rolle.

Die Frauen setzten sich ganz andere Ziele in ihrem Leben. Sie sind besonders stark an der eigenen persönlichen Entwicklung interessiert, die Selbstbestimmung in ihrem beruflichen und privaten Bereich hat einen extrem hohen Stellenwert angenommen. Auch die Vereinbarkeit von der Karriere und mütterlichen Bedürfnissen lassen sich kombinieren, wobei die Punktsetzung nicht auf materiellen Erfolg beruht.

Kommunikation[Bearbeiten]

Otten stellt sich die Frage, ob eine Kommunikation zwischen den Geschlechtern aufgrund verschiedener Strategien und Herangehensweise überhaupt möglich ist. Dabei lehnt er sich an die Studie von Deborah Tannen an, die 1990 kommunikationssoziologische Untersuchungen durch führte, um bestimmte geschlechtsspezifische Problemlösungsverfahren genauerer Analyse zu unterwerfen. Dabei stehen weibliche und männliche Strategien des Alltags im Vordergrund.

Die zwei gängigsten Varianten Alltagsproblemen entgegenzutreten betreffen die Strategie der Netzwerke oder der Hierarchie. Die Strategie der Netzwerke umfasst das Verbinden und Anordnen von Elementen auf einer Ebene, alles was in diesem Netzwerk existiert überliegt einer allgemeinen Verknüpfung. Die andere Strategie beinhaltet das Über- und Unterordnen innerhalb eines Systems, alles Elemente werden hierarchisch angeordnet. Das hierarchische System wird mit der idealen Ordnung eines System in Verbindung gebracht, wohingegen der Netzwerkstrategie diese Akzeptanz nicht entgegengebracht wird. Die unterschiedliche Informationsverarbeitung in männlichen und weiblichen Gehirnen führt zu einer differenzierten Auswahl der angesprochenen Strategiemöglichkeiten. Tannen geht davon aus, dass der Mann “jede, aber auch jede Kommunikation geradezu zwanghaft als Rangordnungssituation” [6] versteht. Mit Rangordnung soll hierbei die Schaffung einer hierarchischen Ordnung gleichgesetzt werden, die im Strategiesystem der Hierarchie zu finden ist. Wie hoch ein Rang ist, desto höher ist auch die Kompetenz dessen, der diesen Rang besetzt. Die Bedeutung der unterschiedlichen Ränge bringt bestimmte Möglichkeiten mit sich, sich als Mann in diesem Hierarchiesystem zu bewegen. Die Kommunikation macht dabei deutlich welchen Rang ein Mensch innehat, dieser steht in engen Zusammenhang mit Über- und Unterordnung. Frauen hingegen nehmen Kommunikation im Sinne von Austausch und eine gemeinsam erfahrbaren Grundlage wahr. Carol Gilligan hat die unterschiedlichen Blickwinkel herangezogen, um männliche und weibliche Wahrnehmung klar voneinander abzugrenzen und damit das Bevorzugen von geschlechtstypischen Strategiemuster zu belegen. Dabei beleuchtet sie die weibliche und männliche Wahrnehmung in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen. Mädchen und Frauen sehen in solchen Beziehungen wie Freundschaft und Familie ein Netzwerks, welches aufgrund von bestimmten Bedingungen zusammengehalten wird. Jungen und Männer sehen gerade in Bezug auf das eigene Geschlecht eine hierarchisch angelegte Pyramide, wobei einzelne Ränge stets geprüft werden. “Frauen neigen dazu, sagt sie, gemeinsame Grundlagen und Übereinstimmungen mit anderen zu suchen; Männer hingegen haben die Tendenz, mit anderen zu wetteifern und sich an ihnen zu messen.”[7] Alltagsstrategien werden unter diesem Aspekt von zwei unterschiedlichen Warten aus angegangen. Mann und Frau treffen sich irgendwo in der Mitte. Gilligan verweist auch auf Wahrnehmung jedes Geschlechts auf sich selbst. Frauen nehmen stärker als Männer ihr soziales Umfeld und deren Bedürfnisse wahr, oftmals mangelt es dabei an einem zielgerichtet Blick auf sie selbst, der bei anderen ernster genommen wird. Männer dagegen nehmen in erster Linie sich selbst innerhalb eines Systems wahr. Ergebnis dabei ist, dass es zwei Möglichkeiten gibt zu kommunizieren, entweder hierarchisch orientiert oder vernetzt. Otten verwendet für das netzwerkartige kommunizieren den Begriff der Symplegmie (Griechisch: Symplegma = Ordnung unter Gleichen). Um in der Hierarchie Rangordnungen bilden zu können, bedarf es der Kommunikation, welche auf einem riesigen Rapportwesen basiert. Die Kompetenzzuteilung jedes Ranges erfolgt der Anordnung innerhalb der hierarchisch angelegten Pyramide, je höher ein Rang der Spitze nahekommt, desto breiter ist das Informationsangebot und desto größer ist auch die Kompetenz. Otten verweist dabei auf eine mögliche Anwendung des hierarchischen Prinzips, der Bürokratie. Dagegen beruht die vernetze und symplektische Kommunikation auf einen anderen Konzept, welches daran interessiert ist, eine Gesprächsordnung herzustellen und ihren Akzent auf die gleichberechtigte Weitergabe der erhaltenen Informationen. Kommunikationsstile und Zukunftsfähigkeit Die zwei vorhin angesprochenen Kommunikationsstile können auch als unterschiedliche Bewältigungsstrategien in kritischen Alltagssituationen gesehen werden. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile und erweisen sich in bestimmten Situationen als vielversprechend und wirkungsvoll.


Literatur[Bearbeiten]

  • Dieter Otten (2000)
    Männerversagen: Über das Verhältnis der Geschlechter im 21.Jahrhundert'
    Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Vgl. Otten 2000, Seite 80
  2. Vgl. Otten 2000, Seite 80 - 81
  3. Vgl. Otten 2000, Seite 81
  4. Vgl. Otten 2000, Seite 82
  5. Vgl. Otten 2000, Seite 83
  6. Vgl. Otten 2000, Seite 106
  7. Vgl. Otten 2000, Seite 107