Soziologische Klassiker/ de Saint-Simon, Henri

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Claude Henri de Rouvroy, Comte de Saint Simon

  • geboren 1760 in Paris


  • ab 1773: Saint- Simon verweigert die Kommunion. Er tritt den Freiheitskämpfern, die für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten kämpfen, bei.
  • ca. 1792: 11 Monate Gefängnis wegen finanzieller Verbindungen zu Graf von Redern
  • 1793: großer Reichtum und Leben im Überfluss
  • 1805: Saint- Simon steht vor dem finanziellen Ruin
  • 1806: Blutsturz wegen Überarbeitung
  • 1807: sein Werk „Einführung in die wissenschaftlichen Arbeiten des 19. Jahrhunderts“ entsteht
  • 1810: Tod seines Freundes Diard
  • 1817: „Die Industrie“ wird herausgegeben
  • 1819: „Der Organisator“ erscheint und ist ein großer Erfolg
  • 22. Mai 1825: Henri de Saint- Simon stirbt in den Armen seine Freundes Olinde Rodrigues in Paris


Historischer Kontext[Bearbeiten]

1760 wird Claude Henri de Rouvroy, Comte de Saint Simon in Paris geboren. Der Philosoph D’Alembert führt ihn in die Methoden des Denkens ein. Mit 13 Jahren verweigert Claude Henry den Kommunionempfang.

Saint- Simon definiert die Aufklärung als Theorie der Revolution. Er ist begeistertes Mitglied der geistigen Freiheitsbewegung. Deshalb schließt er sich dem Freiheitstrupp an, um für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zu kämpfen. Von diesem Kampf erhofft er sich die "industrielle Freiheit".

Nach Beendigung des Feldzugs unterbreitet er dem Vizekönig von Mexico den Gedanken eines interozeanischen Kanals, seine Idee sollte jedoch erst im 20sten Jahrhundert in die Tat umgesetzt werden.

Nach seiner Heimkehr gibt Saint-Simon seine militärische Karriere auf, um sich ganz und gar der Wissenschaft zu widmen. Er reist nach Spanien um dort einen weiteren Kanal von Madrid bis zum Meer zu planen und zu entwerfen.

Als die Revolution ausbricht, verzichtet Saint- Simon auf Rang und Titel und fordert die Abschaffung aller adeligen und geistlichen Standesvorrechte. Er begrüßt die Revolution und ist einer ihrer stärksten Anhänger und Verfechter.

Nach Ende der Revolution ( 1793) lebt Saint- Simon gleichsam wie "wie die Götter auf Erden", im Überfluss. Er verwendet all sein Geld um teure "Gesellschaften" auszurichten. Nur die bekanntesten und gelehrtesten Leute Frankreichs werden dazu geladen. So baut er sich einen erstaunlichen Bekanntenkreis auf und fördert mit seinem Geld große Talente und Werke.

Mit 40 beginnt Saint-Simon an der Polytechnischen Schule Mathematik und an der Medizinischen Fakultät Physiologie zu studieren. Er lernt bei den größten Gelehrten seiner Zeit, die zu seinen ständigen Gästen werden.

1805 steht Saint- Simon vor dem finanziellen Ruin. Mit diesem Einschnitt beginnt seine geistige Produktivität. Er besucht nach wie vor Vorlesungen, nimmt eine Stelle als Kopist an und investiert viel Zeit in seine persönlichen Studien.

1806 kommt es wegen Überarbeitung zu einem Blutsturz. Sein alter vermögender Diener Diard gibt ihm in dieser Zeit der Krankheit Unterkunft.

1807 entsteht sein Werk „Einführung in die wissenschaftlichen Arbeiten des 19. Jahrhunderts“.

1810 stirbt Henris Freund Diard, was wiederum eine Periode des Elends einleitet. Saint-Simons Familie bietet ihm schlussendlich eine kleine Rente an. Im Gegenzug dazu muss er jedoch auf seine Erbrechte verzichten. Saint Simon nimmt eine Anstellung als Beamter an der Nationalbibliothek an.

1813 vollendet er „ Die Denkschrift über die Wissenschaft des Menschen“ , die er an einflussreiche Personen versendet um von ihnen Unterstützung zu bekommen.

1817 entsteht „Die Industrie“ , finanziert durch die bedeutendsten Industriellen und Bankiers Frankreichs. Aufgrund der negativen Ankündigungen eines kommenden Zusammenbruchs der alten Moral, die Saint-Simon im dritten Band schildert, entfernen sich jedoch seine Gönner, aus Angst.

1819 erscheint „Der Organisator“ und ist ein großer Erfolg. Keiner glaubte an den „Verrückten“, Saint-Simon. Doch der Dichter Béranger, der die Musik als Mittel der Volksbelehrung einzusetzen versteht, feiert ihn nun und wird zu seinem Freund und Schüler. (Der Historiker Thierry und der Philosoph Comte waren kurze Zeit seine Sekretäre.)

Trotz all des Erfolges lebt Saint-Simon stets in ärmlichen Verhältnissen. Bei einem missglückten Selbstmordversuch schießt sich Saint-Simon ein Auge aus. Zwei Monate danach trifft er auf den Bankier Olinde Rodrigues, der von nun an sein Gönner und Förderer wird. Saint-Simon schreibt die Verkündigungen des „Neuen Christentums“.

Von vielen Bewunderern umgeben, verfolgte er bis zuletzt seine Absichten, eine Zeitschrift zu veröffentlichen.

Am 22. Mai 1825 stirbt Henri de Saint- Simon in den Armen seine Freundes Olinde Rodrigues in Paris.

Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Henri de Saint-Simon wurde von vielen berühmten Denkern beeinflusst. Besonders von Francis Bacon, René Descartes und John Locke, die sich bereits mit der Auswertung politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Phänomene durch die Methoden der Wissenschaft in Anwendung der Naturwissenschaften, beschäftigt haben.

Saint-Simon wurde außerdem als Begründer des „Dreistadiengesetzes“ bekannt, welches aber auf die Theorien Turgots und Condorcets zurückgeht.

Weiters wurde er in seinen Interpretationen stark von der Geschichtsphilosophie Hegels beeinflusst und übernahm viele von dessen Thesen und Gedanken.

Den meisten Einfluss hatte jedoch Napoleon auf Saint-Simons Denken. Saint-Simon wiederstrebte die Vorstellung eines Herrschers, der in ein Land einfällt und es zu beherrschen versucht. Darüber verfasste er auch ein Buch „ Profession de foi du Comte de Saint- Simon au sujet de l’ivasion du territoire francaise par Napoleon Bonaparte" (1815).

Werke[Bearbeiten]

1802: Lettres d’un Habitant de Genève

1807/ 08: Intoduction aux travaux scientifiques du XIXe siècle

1808: Lettres

1812: Mémoire introductive de M. de Saint- Simon sur sa contestation avecM. de Reder, Alecon

1813: Mémoire sur la Sience de l'Homme

1813: Travail sur la gravitation universelle

1814: De la Réorganisation de la société européenne

1815: Profession de foi du Comte de Saint- Simon au sujet de l'ivasion du territoire francaise par Napoleon Bonaparte

1815: Opinion sur les mesures à predere contre la coalition de 1825

1817: L'Industrie

1819: La Politique

1819: L’Organisateur

1820: Considérations sur les mesures à predre pour terminer la revolution

1820: Lettres à M.M. les Jurés

1820-22: Du système industriel

1822: Des Bourbons et des Stuarts

1824 : Le Catéchisme des industriels

1825 (?): Opinions littéraires, philosophiques et idustrielles

1825 : Le Nouveau Christianisme

Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Grundvorstellungen:

Saint-Simon gilt als Begründer des französischen Sozialismus. Er versuchte die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Phänomene mit den Methoden der empirischen Wissenschaften zu erklären. Saint-Simon stütze sich auf den Positivismus. Er versuchte alles auf positivistisch-wissenschaftlichem Wege zu erklären und eine positive Wissenschaft über die Menschen und ihr Sozialverhalten aufzustellen.


Ökonomische These:

Saint-Simon sah den Menschen als Objekt in der physischen Ordnung an. Er war der Erste, der diese Theorie aufstellte und wurde dafür hart kritisiert. Saint-Simon hatte die Vorstellung einer natürlichen Gleichheit unter den Menschen und wollte somit die Abschaffung von Klerus und Adel, durch die Vereinigung der Politik und der Naturwissenschaften vorantreiben.

Saint-Simon beschäftigte sich außerdem mit der Aufdeckung und Propaganda sozialer Missstände. Er war immer davon überzeugt, das die Revolution nie zuende gehen würde. Saint-Simon versuchte die Menschen des „Proletariats“ direkt anzusprechen („Genfer Briefe“) und erklärte sich solidarisch mit den „Nichtbesitzenden“. Seiner Meinung nach stützt die arme Unterschicht die reichen Industriellen. Jedoch erging es den sozial Benachteiligten in zweierlei Sinn schlecht. Durch zu schlechte Fürsorge mussten diese physische wie auch psychisch, moralische Armut erleiden.

Saint-Simon benannte also „die Industrie“ als den Grund für die „Teilung der Gesellschaft“ in Reich und Arm. Außerdem sollte das „Proletariat“ die Verantwortung tragen, die politisch Herrschenden zu legitimieren. Er forderte, dass auch „einfache Arbeiter“ als "ständige Mitglieder der Gesellschaft" gesehen werden sollten.


Religion ( Saint-Simonismus):

Saint-Simon glaubte, dass soziale Befriedigung durch eine gemeinsame Ideologie aller Klassen und Schichten herbeigeführt werden kann.

„Eine Gesellschaft kann sich ohne gemeinsame moralische Ideen nicht erhalten.“ ( Saint- Simon)

Seine neue Gesellschaft sollte von einem wissenschaftlichen Geist beherrscht werden und die Ergebnisse der positiven Wissenschaft anerkennen und nutzen. Die Wissenschaft muss, so Saint-Simon, auf die Zukunft hin orientiert werden und natürlich an eine bessere Zukunft glauben (-> Positive Einstellung Saint- Simons). Der Aufbau seiner „Gesellschaft“ sollte folgendermaßen aussehen:

- Führungsschichten, die sich um das Wohl weniger Privilegierter sorgen und kümmern

- Anerkennung von Leistungseliten

- Jeder sollte sich als Teil einer „ Produktionswerkstatt“ sehen und zum Aufbau beitragen.


Die Basis zu dieser Idee scheint Saint-Simoner im Christentum gefunden zu haben.

„ Gott hat gesagt: Die Menschen sollen sich gegenseitig als Brüder entgegenkommen.“


Der Friedensgedanke Saint-Simons :

Saint-Simon lehnt Gewalt in jeder Hinsicht ab. Er will die Wissenschaft in den Dienst des Friedens stellen, sowohl des inneren als auch des äußeren. Dem inneren Frieden soll die organische Integration und Förderung des wachsenden Proletariats dienen. Den äußeren Frieden will er durch seine „Theorie des neuen Christentums“ erreichen.

Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Wichtigster Schüler Saint- Simons war Auguste Comte Auguste Comte arbeitete mit 19 Jahren als Sekretär und Redakteur für Saint- Simon. Gemeinsam mit ihm hat Saint- Simon einige wichtige Texte herausgegeben:

1817- 1818: Redaktionsarbeit am 3. und 4. Band von „L’Industrie“

1819: Zusammenarbeit an der Zeitschrift „La Politique“

1820-1822: Zusammenarbeit an einer Reihe von Broschüren und Briefen unter dem Titel „Du Système industriel“

1823-1824: Arbeiten an den vier Heften des „Catéchisme des industriels“

(zit. nach: Emge, R., Saint Simon, S. 119)

Im Mai 1824 beendeten sie die gemeinsame Arbeit und gingen ihre eigenen Wege.

Saint- Simon gab Comte den Anstoß zu seiner Theorie über den "Positivismus"


Die Saint- Simonisten:

Um die Lehre Saint- Simons bildete sich nach seinem Tod regelrecht eine Sekte. Die Texte und Bücher, welche er in seinen letzten Lebensjahren geschrieben hatte, fanden großen Anklang, eine Gruppe von Anhängern setzt sich zusammen.

Besonders wichtig für die Saint- Simonisten ist die Theorie über die Abschaffung von adeligen und geistlichen Standesvorrechten. Sie glauben an eine Theorie der modernen, industriellen Gesellschaft. Nach Henris Tod, geben seine engsten Freunde unter dem Titel „Doctrine de Saint- Simon“ (1829) eine Sammlung seiner Ideen heraus. Sie strukturieren seine Thesen und kommen zu dem Ergebnis, dass jegliches Klassendenken abgeschafft und ein neues, soziales Eigentumsrecht eingeführt werden müsse.

Diese „Sekte“ bzw. die Gruppe von Anhängern von Saint- Simon war und ist immer stark vertreten gewesen. Sie ist auch für die heutige Soziologie noch von Bedeutung, da die Klassengesellschaft nach wie vor ein Thema ist, das die Menschen unserer Zeit beschäftigt. Heute handelt es sich zwar nicht um Adelige und Geistliche, sondern um die „Schichten“ Arm –Reich. Viele Jugendliche und Erwachsene werden aus diesem Grund heute noch zu Anhängern der Saint- Simonisten.


Literatur[Bearbeiten]

  • Muckle, F. (1908):
    "Henri de Saint-Simon. Die Persönlichkeit und ihr Werk"
    Frankfurt am Main
  • Salomon, G. (1962):
    "Exposition de la doctrine de Saint-Simon. Die Lehre Saint-Simons; G. Salomon"
    Darmstadt
  • Emge, R. (1987):
    "Saint-Simon. Einführung in ein Leben und Werk. Eine Schule, Sekte und Wirkungsgeschichte"
    München-Wien