Strafprozessuale Probleme im 2. Staatsexamen: Rechtsprechung zum materiellen Strafrecht

Aus Wikibooks


BGH NJW 2012, 1524[Bearbeiten]

Sachverhalt[Bearbeiten]

Das Schwurgericht hatte mit Verweis u.a. auf die Hemmschwellentheorie den Tötungsvorsatz verneint, nachdem der Angeklagte einem anderen, mit dem er zuvor schon eine körperliche Auseinandersetzung hatte, mit den Worten "Verreck du Hurensohn" eine 11cm lange Klinge mit solcher Wucht in den Rücken gestoßen hatte, dass eine Rippe durchtrennt und die Lunge punktiert wurde.

Leitsätze[Bearbeiten]

  1. Der "Hemmschwellentheorie" kommt keine über § 261 StPO hinausgehende eigenständige Bedeutung zu.
  2. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.
  3. Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann.

BGH NStZ 2014, 35[Bearbeiten]

Sachverhalt[Bearbeiten]

Die Tatsacheninstanz hatte den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt, mit der Feststellung, er habe seinen Gegner zu Boden gestreckt hat und anschließend auf das infolgedessen wehrlose Opfer mehrfach im Bereich des Kopfes und der Bauchgegend eingetreten. Aus dieser besonders gefährlichen Gewalthandlung hatte es auf den Tötungsvorsatz geschlossen. In der Strafzumessung wurde dem Angeklagten hingegen zugute gehalten, dass es sich um eine Spontantat handelte.

Leitsätze[Bearbeiten]

Zwar liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen ein bedingter Tötungsvorsatz trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen nahe.Der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz ist trotzdem nur dann rechtsfehlerfrei, wenn auch alle gegen das Vorliegen des Vorsatzes sprechenden Umstände in die tatrichterliche Erwägung gewürdigt wurden.

Begründung[Bearbeiten]

Die Entscheidungen des BGH zur Hemmschwellentheorie führen nicht dazu, dass eine umfassende Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände entfallen darf. Das Vorliegen einer Spontantat kann gegen einen Tötungsvorsatz sprechen, damit hätte sich das Gericht trotz des Wissens des Angeklagten um die objektive Lebensgefährlichkeit der Verletzungshandlung auseinandersetzen müssen.

BGH NJW 2013, 1379[1][Bearbeiten]

Sachverhalt[Bearbeiten]

Zwei Gruppen hatten sich zu einer Schlägerei verabredet, bei der niemand in konkrete Todesgefahr geraten war. Fraglich war, ob in die Gefahr gefährlicher Körperverletzungen wirksam eingewilligt werden konnte.

Leitsätze[Bearbeiten]

  1. Die Einwilligung in eine Körperverletzung, die im Rahmen einer verabredeten Schlägerei rivalisierender Gruppen begangen wird, ist gemäß §228 StGB sittenwidrig, wenn es an Absprachen und effektiven Sicherungen für deren Einhaltung fehlt, die das Gefährlichkeits- und Eskalationspotential begrenzen.
  2. Die im Verlauf einer solchen Auseinandersetzung begangenen Körperverletzungen verstoßen selbst dann gegen die guten Sitten,wenn im Einzelfall keine konkrete Todesgefahr bestand.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. BGH Beschluss vom 20. Februar 2013 – 1 StR 585/12