Unwirksam: Doppelblind
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Ein schönes Zitat aus alter Zeit zu diesem Thema :
Derowegen mögen die unglückseligen Patienten hingehen und sich diesen gefährlichen Experimenten unterwerfen und ihr Vertrauen auf den Zufall stellen."
Agrippa von Nettesheim Ungewissheit und Eitelkeit aller Künste und Wissenschaften, S. 505. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 10070 (vgl. Agrippa-Eitelk. Bd. 2, S. 72-73)]
Die Mediziner arbeiten blind , manchmal sogar doppelblind
[Bearbeiten]Geht man heutzutage wegen einer Erkrankung zu einem niedergelassenen Arzt oder in ein Krankenhaus, können seltsame Dinge mit einem passieren.
Da kann es sein, dass der behandelnde Arzt, zu dem man ja volles Vertrauen haben soll, zu einem kommt und einem erklärt, dass man genau der richtige Patient für die eine oder andere Arzneimittelstudie sei.
Mag der Patient schon verwundert sein, dass mit kranken Menschen Studien oder Testungen durchgeführt werden, so wird er dann vielleicht völlig verständnislos reagieren, wenn er hört, dass weder er noch der Arzt wissen dürfen, ob er nun das zu prüfende Medikament bekommt oder nicht.
Das Ganze wird dem Patienten dann als Doppelblindversuch näher zu bringen versucht, was die neueste Errungenschaft der modernen Medizin zu sein scheint.
Die Frage, ob man denn nun ein Versuchskaninchen sei, wird heftig bestritten, ganz wird man das Gefühl aber nicht los dabei.
Was hat es aber mit so einem Doppelblindversuch auf sich und was kann man als Patient davon halten?
Für die Medizin als Erfahrungswissenschaft ist es ein großes Problem herauszufinden, ob eine getroffene Maßnahme oder ein verabreichtes Medikament dem Patienten nun genutzt oder geschadet hat. Das was vielen Leuten als einfach und offensichtlich schnell lösbar erscheint, stellt sich bei näherer Betrachtung als doch ziemlich schwieriger Tatbestand heraus.
Auf was kann sich dann der Mediziner und damit auch sein Patient verlassen?
Soll er, wie früher und auch heute üblich, seine Schlüsse aus der genauen Beschreibung von Einzelfällen und deren Verlauf ziehen?
Oder soll er alle Patientenverläufe eines Jahres oder eines Jahrzehntes im Rückblick sichten und daraus Folgerungen ableiten?
Oder soll er ein Jahr lang so und das nächste Jahr mit der anderen Methode behandeln und danach Resumee ziehen?
Viele Medikamente, die heute als wirksam anerkannt sind, wurden auf diese Weise untersucht und in den Erfahrungsschatz der Medizin aufgenommen. Die beschriebenen Methoden erwiesen sich zwar als brauchbar, aber doch als sehr mühsam und fehlerträchtig.
Immer wieder werden Einzelfallberichte als nicht repräsentativ, eben als Einzelfälle, und damit als nicht allgemein gültig angezweifelt. Immer wieder werden neben den untersuchten Behandlungsmethoden andere Einflüsse erkannt, die die Ergebnisse von rückwärts gerichteten Untersuchungen unbrauchbar oder doch sehr unsicher erschienen lassen.
Pflichtenhefte einer guten medizinischen Studie
[Bearbeiten]So waren es die Statistiker, die den Medizinern schließlich einen Katalog von Leitlinien präsentierten, die auch auf dem dünnen Eis der Biologie und der Medizin sichere Aussagen über Erfolg oder Misserfolg, über Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit erlauben.
Nach Meinung der Statistiker sollte eine Studie
- randomisiert,
- prospektiv,
- doppelblind
und nach definierten Eingangs- und Wirksamkeitskriterien durchgeführt werden.
Was verbirgt sich hinter dieser Vielzahl von Fachausdrücken:
Randomisiert heißt, dass der Zufall mitspielen darf.
Nur wenn schon vor Beginn einer Studie festliegt nach welcher per Zufall gefundenen Zuteilung zu der einen oder der anderen Behandlungsgruppe verfahren wird, sind verfälschende Einflüsse während der Studie auszuschließen.
Prospektiv heißt in die Zukunft gerichtet.
Nur wenn von einem bestimmten Stichtag an bis zu einem bestimmten festgelegten Endpunkt eine Patientengruppe untersucht wird, sind Einflüsse auszuschließen, die bei retrospektiver d.h. rückwärtsgerichteter Betrachtung auftreten und kaum zu korrigieren sind.
Doppelblind heißt, weder der Arzt noch der Patient wissen zum Zeitpunkt der Behandlung, welche von zwei alternativen Medikamenten im speziellen Fall eingesetzt werden. Erst nach Erhebung aller Daten werden die Karten aufgedeckt und man kann dann in der vorher festgelegten und bis dahin nicht zugänglichen Liste nachsehen, wer welchen Stoff erhalten hat. Erst nach dem Endpunkt einer Studie kommt also die Stunde der Wahrheit.
Nur so können die während der Testung immer wieder auftretenden "Placeboeffekte" ausgeschlossen werden, die durch den behandelnden Arzt oder durch den Patienten selber verursacht werden.
Sehr wichtig ist aber auch eine gute Auswahl des Krankheitsbildes der Patienten, die in so eine Untersuchung einbezogen werden. Je enger die Auswahl von Patienten erfolgt, desto eher sind verlässliche Ergebnisse zu erwarten. Die untersuchten Patienten sollen möglichst genau die gleiche Krankheit, im gleichen Stadium und von gleicher Schwere haben.
Dass hier aus praktischen Erwägungen Grenzen der Patientenauswahl gesetzt sind, wird jedem klar, der bei einer Studie die Mehrzahl der Patienten ausschließen muss, weil sie seiner strengen Auswahl nicht genügen.
Genauso entscheidend ist das Erfolgskriterium.
Was soll denn als Maß für die Heilung oder die Besserung einer Krankheit herangezogen werden?
Gerade hier findet man immer wieder Schwachpunkte, da über diese Frage vor Beginn einer Studie viel zu wenig nachgedacht wird. Erst im Verlauf einer Studie oder gar erst hinterher, wird einem bewusst, dass man vielleicht aufs falsche Pferd gesetzt hat.
Ein schwer messbares oder schwer nachprüfbares Erfolgskriterium kann den Wert einer Studie stark einschränken.
An Hand dieser Anforderungen erkennt man die schwere Bürde, die da von den Statistikern den Medizinern auferlegt wurde.
Es scheint gerade so, dass die wenig verlässlichen und deswegen mühsamen alten Methoden der Medizin durch neue, zwar verlässlichere, aber durch die strengen Auflagen genauso beschwerliche Methoden ersetzt wurden.
Und dennoch führt kein Weg zurück:
Wer heute vernünftige Medizin betreibt, muss sich wohl oder übel dem Diktat der Statistiker unterwerfen. Er muss dem Patienten, auch wenn es ihm schwer fällt, zu erklären versuchen, warum beide nicht wissen dürfen, was in den Testpackungen enthalten ist, das Medikament oder das Zuckerstück, das vermeintlich wirksame oder das unwirksame Prinzip.
Nur so kann man heute die eingangs gestellten Fragen beantworten, ob denn Versuche mit kranken Menschen vertretbar sind oder nicht. Nur mit diesen Methoden mutet man einer möglichst kleinen Gruppe von Patienten eine unwirksame oder weniger wirksame Behandlung zu.
Man muss geradezu die Aussage umkehren :
Arzneimitteltestungen, die nicht solchen strengen Auflagen unterworfen sind, sollten sehr kritisch betrachtet und möglichst nur in Ausnahmen durchgeführt werden.
Alle Medikamente und Heilmethoden, die nicht solchen Tests unterzogen wurden, sollten nicht oder nur in Ausnahmefällen als wirksam anerkannt werden und zum Einsatz beim kranken Menschen zugelassen werden.
Wer dies nicht wahr haben will, muss sich dessen bewusst sein, dass er sich selbst oder seinen ihm anvertrauten Patienten Risiken zumutet, von denen er nichts ahnt. Er tut dies noch dazu für teures Geld, zu Lasten des Patienten oder der Allgemeinheit und mit fragwürdigem Nutzen.
Legte man die genannten strengen Maßstäbe an, so würde aus der Vielzahl von Arzneimitteln eine kleinere Zahl übrig bleiben mit genau umrissener Wirksamkeit, mit bekanntem Risiko und mit tragbaren Kosten.
Und aus der Flut von medizinischen Veröffentlichungen der letzten Jahre würde ein kleines Rinnsal werden. Ein Rinnsal allerdings, welches sauberes Wasser führt und an dessen Rand die Bäume der sicheren Erkenntnis wachsen.
Will man das Thema noch einmal aufgreifen so kann man sagen:
Auch unter Blinden kann manchmal der Doppelblinde recht behalten und unter Sehenden ein König sein.