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Zweideutigkeit als System - Thomas Manns Forderung an die Kunst: Der Künstler und die Gesellschaft

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Entstehung: 25.Februar bis 11.März 1953.[1]
Erstdruck

Wie schon in den 1918 erschienenen Betrachtungen eines Unpolitischen spricht sich Thomas Mann erneut gegen die Kunst als moralisierende Instanz aus. Der Künstler sei kein moralisches Wesen, sondern ein „ästhetisches“. Sein Grundtrieb sei das Spiel und nicht die Tugend. Er nehme sich in aller Freiheit heraus, mit den Fragestellungen und Antinomien der Moral dialektisch zu spielen. [2]

Das Kunstwerk sei dem Künstler [3] ein mehr oder weniger neu erfundener, privater und absonderlicher Spaß. Er werde seinen geistigen Boheme-Zustand nie ganz ablegen können. „Allotria“ nennt Thomas Mann künstlerische Kreativität. Die "Ironie" des Künstlers sei doppelseitig, - Selbstironie wie auch Ironie gegen die bürgerliche Gesellschaft. [4]

Kunst und Künstler seien zweierlei. Denn was die moralische Würde der Kunst betreffe, verdanke sie sich unwillkürlichen Leistungen des Künstlers. Der Künstler selbst [5] möchte im Grunde, dass die Kunst nicht aufhöre, über sich selbst zu lachen.

Nun wechselt Thomas Mann, ein Nachfahre des mythologischen Proteus, seinen Standpunkt und spricht aller Kunst „ein kritisches Element“ zu. Sie untersuche und werte „ästhetisierend“. Das betreffe die erzählende Prosa und das Drama, mehr jedoch Lyrik und Gesang. [6] Deren Gehalt sei subjektiv, undistanziert und direkt.

„Das Wort! Ist es denn nicht - sofern es ins Schwarze trifft - Kritik in sich selbst? Der Welt ist es nie bequem.“ Und so stehe der Schriftsteller gegen ein „obstinates, dumm-schlechtes Menschenwesen“, in spezifischer Reizbarkeit und Vereinsamungsneigung. Dem Schriftsteller werde Erkenntnis zu künstlerischer Form, verschmelzen Erkenntnis und Form zu „Geist, Schönheit und Freiheit“. Wo sie fehlen, „da ist Dummheit, die alltägliche Menschendummheit, die sich zugleich als Form- und als Erkenntnislosigkeit äußert.“ [7]

Thomas Mann stellt damit den Erkenntniswillen der "Welt", d. h. der demokratischen Mehrheit infrage. Mit dem Durchschauen, vom freiwilligen Außenseiter störend vorgebracht, konkurriert in der Demokratie die massengerechte, korrumpierende Sprache des Politikers, - der seinen bürgerlichen Beruf aufgegeben hat. Verfügt er über Charisma und suggestive Wortgewalt, rekrutiert er wie einst der Rattenfänger von Hameln, zwar nicht aus Kindern, doch aus der alltäglichen Menge seine Anhänger. Er mag gutwillige Mitläufer gewinnen, aber ohne Zugeständnisse an obstinates, dumm-schlechtes Menschenwesen wird er keine plebiszitäre Majorität erringen.

So deutlich ist Thomas Mann nicht geworden. Immerhin läßt er Serenus Zeitblom über das Urteilsbermögen der Menge äußern: "Es hat unsereins ja seine Zweifel, ob jedermanns Gedanken die richtigen sind." [8]


Q u e l l e n und Anmerkungen:

  1. Thomas Mann. Essays 1945 - 1955. Hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski. Frankfurt am Main: S. Fischer 1997, S. 522
  2. Mann, Thomas: Der Künstler und die Gesellschaft. Unesco-Schriftenreihe. Wien: W. Frick 1953, S. 11 [1]
  3. „Dem Künstler des Wortes“
  4. a. a. O., S. 19
  5. Der Künstler Thomas Mann
  6. Lied-Dichtung
  7. a. a. O., S. 24 /25
  8. Mann, Thomas: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde. Stockholm: Bermann-Fischer 1947, S. 464


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