Spezielle Ableitungsregeln – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Aus Wikibooks

Spezialfälle der Kettenregel[Bearbeiten]

Wir wollen nun noch ein paar Spezialfälle der Kettenregel aufzählen, die in der Praxis häufig vorkommen. Für die Herleitung der Ableitungen von , , , , etc. verweisen wir auf das anschließende Kapitel Beispiele für Ableitungen.

Fall: ist linear[Bearbeiten]

Sind und ist differenzierbar, dann ist auch differenzierbar und für gilt

Beweis

ist differenzierbar mit für alle . Mit der Kettenregel ist auch differenzierbar, und es gilt

Beispiel

Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Fall: ist Potenzfunktion[Bearbeiten]

Ist differenzierbar, dann ist auch differenzierbar für alle , und für gilt

Beweis

ist differenzierbar mit für alle . Mit der Kettenregel ist auch differenzierbar, und es gilt

Beispiel (Ableitung von Potenzfunktion)

Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Fall: ist Wurzelfunktion[Bearbeiten]

Ist differenzierbar, dann ist auch mit differenzierbar, und für gilt

Beweis

ist differenzierbar mit für alle . Mit der Kettenregel ist auch differenzierbar, und es gilt

Beispiel (Ableitung von Potenzfunktion)

Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Fall: [Bearbeiten]

Ist differenzierbar, dann ist auch differenzierbar, und für alle gilt

Beweis

Sei ist differenzierbar mit . Da nach Voraussetzung differenzierbar ist, ist nach der Kettenregel auch differenzierbar, und es gilt

Beispiel (Ableitungen von Exponentialfunktionen)

1. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

2. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Sonderfall: Ableiten von „Funktion hoch Funktion“[Bearbeiten]

Ein Sonderfall der exponentiellen Ableitung ist für

gegeben. Hier ist die innere Funktion . Die Ableitung berechnen wir daher, indem wir beim Nachdifferenzieren auf die Produktregel anwenden.

Beispiel (Ableitungen von Exponentialfunktionen 2)

1. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

2. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

3. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Fall: [Bearbeiten]

Ist differenzierbar, dann ist auch differenzierbar, und für alle gilt

(Logarithmische Ableitung)

Beweis

Sei ist differenzierbar mit für alle . Da nach Voraussetzung differenzierbar ist, ist nach der Kettenregel ist daher auch differenzierbar, und es gilt

Beispiel (Logarithmische Ableitungen)

1. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

2. Ist , d.h. , dann ist für alle und damit

Verständnisaufgaben: Beantworte die folgenden Fragen:

  1. Warum ist der Definitionsbereich von gleich ?
  2. Wie ist der Definitionsbereich und die Ableitung von ?

Lösungen:

  1. Es gilt ist wohldefiniert
  2. Es gilt ist wohldefiniert. Also ist . Für die Ableitung von gilt

Hinweis

Weiter unten werden wir sehen, wie wir mit Hilfe der Logarithmischen Ableitung sehr gut die Ableitungen von Produkt-, Quotienten- oder Potenzfunktionen berechnen können. Dies macht besonders dann Sinn, wenn die Funktion beispielsweise aus mehreren Produkten besteht. ()

Linearkombinationen von Funktionen[Bearbeiten]

Die Faktor- und Summenregel besagt, dass die Ableitung linear ist. Wenden wir diese Linearität auf Funktionen an, so folgt:

Satz (Ableitung von Linearkombinationen von Funktionen)

Sei , differenzierbar und . Dann ist auch

differenzierbar, und für alle gilt

Beweis (Ableitung von Linearkombinationen von Funktionen)

Wir zeigen die Aussage sauber mittels vollständiger Induktion über :

Induktionsanfang: . Für gilt

Induktionsvoraussetzung:

gelte für ein

Induktionsschritt: .

Beispiel (Differenzierbarkeit von Polynomfunktionen)

Die Potenzfunktionen sind für alle differenzierbar mit

Nach dem Satz von oben ist damit jede Polynomfunktionen

für und differenzierbar mit

Anwendung: Herleitung von Summenformeln[Bearbeiten]

Die Linearität der Ableitung können wir verwenden um neue Summenformeln aus bereits bekannten zu gewinnen. Betrachten wir als Beispiel die geometrische Summenformel für und :

Beide Seiten der Gleichung können auf als differenzierbare Funktionen bzw. aufgefasst werden:

Da ein Polynom ist, gilt für :

Außerdem gilt mit der Quotientenregel

Da nun , gilt auch . Also gilt für :

Ergänzungsfrage: Welchen speziellen Summenformeln erhalten wir für und ?

Für erhalten wir

und für

Verallgemeinerung der Produktregel[Bearbeiten]

Die Produktregel lässt sich auch auf mehr als zwei differenzierbare Funktionen anwenden, indem wir zunächst mehrere Funktionen zusammenfassen, und dann die Produktregel mehrfach hintereinander anwenden. Für drei Funktionen ergibt sich

Für vier Funktionen erhalten wir analog

Wir erkennen nun ein klares Bildungsgesetz bei der Ableitung: Das Produkt der Funktionen wird aufsummiert, wobei in jedem Summand die Ableitung um eine Stelle nach „hinten rutscht“. Allgemein erhalten wir so für die Ableitung einer Produktfunktion aus Funktionen:

Satz (Verallgemeinerte Produktregel)

Ist und sind differenzierbar, so ist auch die Produktfunktion differenzierbar, und es gilt

Aufgabe (Beweis der verallgemeinerten Produktregel)

Beweise die verallgemeinerte Produktregel mittels vollständiger Induktion über .

Beweis (Beweis der verallgemeinerten Produktregel)

Induktionsanfang: . Es gilt

Induktionsvoraussetzung:

gelte für ein

Induktionsschritt: .

Beispiel (Verallgemeinerte Produktregel)

Die Funktion

ist differenzierbar, da , und für alle differenzierbar sind. Weiter ist

, und

Mit der verallgemeinerten Produktregel folgt daher für alle :

Aufgabe (Verallgemeinerte Produktregel)

Bestimme den Definitionsbereich und die Ableitung der Funktion

Lösung (Verallgemeinerte Produktregel)

Definitionsbereich: Die Funktionen , und sind auf ganz definiert. hingegen nur auf . Daher ist

Ableitung: ist differenzierbar, da die Funktionen , , und differenzierbar sind. Weiter gilt für alle :

, , und

Nach der verallgemeinerten Produktregel gilt daher

Hinweis

Gilt bei der verallgemeinerten Produktregel zusätzlich für alle , so können wir beide Seiten durch dieses Produkt teilen, und erhalten so die Form

Der Vorteil bei dieser Darstellung ist, dass die Summe auf der rechten Seite wesentlich übersichtlicher ist. Genau diese Idee steckt hinter der logarithmischen Ableitung, die wir im nächsten Abschnitt vorstellen.

Logarithmische Ableitung[Bearbeiten]

Die logarithmische Ableitung ist ein sehr elegantes Hilfsmittel, um die Ableitung von verschachtelten Funktionen zu berechnen. Für eine differenzierbare Funktion ohne Nullstellen ist die Logarithmische Ableitung definiert durch

Wir haben oben schon gezeigt, dass mit der Kettenregel gilt:

In der folgenden Tabelle sind einige Standardbeispiele von logarithmischen Ableitungen aufgelistet:

Definitionsbereich
,

Aufgabe (Logarithmische Ableitungen berechnen)

Bestimme die logarithmische Ableitung (mit Definitionsbereich) der folgenden Funktionen

  1. mit

Lösung (Logarithmische Ableitungen berechnen)

Teilaufgabe 1: Es gilt für alle . Damit ist

Da für alle ist der Definitionsbereich der logarithmischen Ableitung von gleich .

Teilaufgabe 2: Mit der Quotientenregel gilt

für alle
Damit ist

Da für alle ist der Definitionsbereich der logarithmischen Ableitung von gleich .

Teilaufgabe 3: Für gilt

Da für alle ist der Definitionsbereich von gleich .

Durch direktes Nachrechnen erhalten wir für die logarithmische Ableitung die folgenden Rechenregeln:

Satz (Rechenregeln für logarithmische Ableitung)

Für zwei differenzierbare Funktionen und ohne Nullstellen gilt

  1. für
  2. für

Hinweis: Die Regeln sind analog zu den Rechenregeln für die Logarithmusfunktion.

Beweis (Rechenregeln für logarithmische Ableitung)

Wir beweisen nur Regel 1 und Regel 4. Die anderen drei überlassen wir euch als Übungsaufgabe.

Regel 1: Da und differenzierbar und nullstellenfrei sind, ist auch differenzierbar und nullstellenfrei. Damit gilt

Regel 4: Da differenzierbar und nullstellenfrei ist, ist auch für differenzierbar und nullstellenfrei. Weiter oben hatten wir mit Hilfe der Kettenregel schon gezeigt. Damit ist

Aufgabe (Rechenregeln für die logarithmische Ableitung)

Beweise die Regeln 2, 3 und 5 des vorherigen Satzes

Beweis (Rechenregeln für die logarithmische Ableitung)

Regel 2: Da differenzierbar und nullstellenfrei sind, ist auch differenzierbar und nullstellenfrei. Mit der Kettenregel gilt . Damit gilt

Regel 3: Da und differenzierbar und nullstellenfrei sind, ist auch differenzierbar und nullstellenfrei. Unter Verwendung von Regel 1 und 2 erhalten wir nun

Alternativ kann man die Regel auch mit Hilfe der Quotientenregel beweisen.

Regel 5: Da differenzierbar und positiv sind, ist auch differenzierbar und positiv. Mit der Kettenregel gilt . Damit gilt

Hinweis

Die Summenregel lässt sich für nullstellenfreie und differenzierbare ( noch verallgemeinern zu

Mit Hilfe der Regeln können wir nun Ableitungen berechnen. Der Übergang zur logarithmischen Ableitung bringt zwar meist nicht weniger Rechenaufwand, ist aber wesentlich übersichtlicher als die Berechnung mit den üblichen Regeln, und daher weniger anfällig gegenüber Flüchtigkeitsfehlern.

Beispiel (Logarithmische Ableitung 1)

Als erstes differenzieren wir mit Hilfe der logarithmischen Ableitung die Produktfunktion

Zunächst bestimmen wir den zulässigen Definitionsbereich: Es ist , und . Damit wir die die logarithmische Ableitung bilden können, müssen und nullstellenfrei sein. Wegen wählen wir daher .

Nun bilden wir die logarithmische Ableitung von : Es gilt

Zuletzt multiplizieren wir die Gleichung mit durch, und erhalten

Beispiel (Logarithmische Ableitung 2)

Als nächstes differenzieren wir die folgende Quotientenfunktion „logarithmisch“

Zum Definitionsbereich: Der Nenner ist immer ungleich null. Damit nullstellenfrei ist muss der Zähler ungleich null sein. Es muss also gelten

Daher ist der Definitionsbereich gleich .

Mit und gilt für die logarithmische Ableitung von

Durch Multiplikation mit erhalten wir

Beispiel (Logarithmische Ableitung 3)

Zuletzt differenzieren wir mit der logarithmischen Ableitung noch

Zum Definitionsbereich: Damit definiert ist, muss gelten. ist auf ganz nullstellenfrei. Also ist .

Die logarithmische Ableitung von ist

Durch Multiplikation mit erhalten wir

Aufgabe (Logarithmische Ableitung)

Differenziere, mit Hilfe der logarithmischen Ableitungen, die folgenden Funktionen, auf deren Definitionsbereich:

Verallgemeinerte Kettenregel[Bearbeiten]

Genau wie die Summen- und Produktregel, lässt sich auch die Kettenregel auf die Komposition von mehr als zwei Funktionen verallgemeinern. Für zwei differenzierbare Funktionen und lautet die Kettenregel

Wenden wir diese auf drei Funktionen , und an, so erhalten wir durch zweimaliges Anwenden der Regel

Wenn wir nun genau hinsehen, erkennen wir das Bildungsgesetz: Zunächst wird die äußerste Funktion abgeleitet, und die beiden inneren in die Ableitungsfunktion eingesetzt. Anschließend wird die zweite Funktion abgeleitet, und die innerste eingesetzt, und das ganze mit der vorderen Ableitung multipliziert. Zuletzt wird noch die innerste Funktion abgeleitet und dazumultipliziert. Verallgemeinern wir dies nun auf Funktionen, so erhalten wir:

Satz (Verallgemeinerte Kettenregel)

Seien differenzierbar für aller , und für alle . Dann ist auch differenzierbar, und für alle gilt

Beweis (Verallgemeinerte Kettenregel)

Wir beweisen die Aussage mittels vollständiger Induktion über :

Induktionsanfang: . Es gilt

. Hier gilt die Kettenregel

Induktionsvoraussetzung:

gelte für alle und ein

Induktionsschritt: . Für gilt