Adventskalender 2009: Türchen 18
Gerade die „besinnliche Zeit“ ist für Viele die stressreichste Zeit des Jahres – hier fehlen noch Geschenke, dort muss man noch eine Karte schreiben und die obligatorische Gans muss schließlich auch noch besorgt werden.
Doch wie entsteht Stress überhaupt und was kann man dagegen tun?
Ein einflussreiches Modell zur Stressentstehung ist das transaktionale Modell nach Richard Lazarus, das heuer seinen 35. Geburtstag feiert. Seine Quintessenz: Stress ist vor allem Kopfsache; er hängt weniger davon ab, wie eine bestimmte Situation beschaffen ist, sondern vielmehr davon, wie wir sie bewerten.
Lazarus zufolge nehmen wir zwei Bewertungen vor (s. Abbildung):
- Primäre Bewertung: "Ist der Reiz für mich überhaupt relevant?" Wenn ja: "Ist er eine Herausforderung, eine Bedrohung oder ein Verlust?" Die Beantwortung dieser Fragen hängt ab vom Aktivationsgrad und der Einschätzung des eigenen Könnens.
- Sekundäre Bewertung: "Habe ich Handlungsmöglichkeiten?" Wird diese Frage mit "Nein" beantwortet, entsteht Stress; wird sie mit "Ja" beantwortet, geht das Individuum zum Coping über.
Mit anderen Worten: Stress entsteht erst dann, wenn wir einen Reiz als relevant und negativ, d. h. als Bedrohung oder Verlust einschätzen (primäre Bewertung) und wir keine Möglichkeit sehen, ihm zu entkommen (sekundäre Bewertung). Existieren jedoch Handlungsmöglichkeiten, so entsteht kein Stress – wir werden mit dem Stressor fertig (Coping).
Konkret: Ich weiß zwar, dass ich noch fünf Weihnachtskarten schreiben muss, und erlebe dies als Bedrohung. Trotzdem stresst es mich nicht, da mir Handlungsmöglichkeiten offenstehen: Noch heute werde ich mich auf meinen Hosenboden setzen und die fünf Karten schreiben (problemorientiertes Coping) oder ich werde meine negativen Gefühle abbauen, indem ich mir plausible Ausreden überlege für den Fall, dass ich es doch nicht hinkriege (emotionsorientiertes Coping) – oder aber ich verändere meine primäre Bewertung: ich sehe die Situation nicht länger als ein Problem an, sondern als eine Herausforderung („Jetzt möchte ich es selber mal wissen: schaffe ich es, die fünf Karten in der kurzen Zeit zu schreiben? Ich werde mein Bestes geben, und wenn es nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm.“). Durch diese positive sekundäre Bewertung mitsamt den Copingstrategien lässt sich Stress vermeiden.
Fällt die sekundäre Bewertung jedoch negativ aus, sieht man also keine Handlungsmöglichkeiten, so kommt es zu einer Stressreaktion. Einem altehrwürdigen Modell zufolge (allgemeines Adaptationssyndrom nach Selye) treten dann folgende Phasen ein, die mit charakteristischen körperlichen Veränderungen einhergehen: Alarmphase, Widerstandsphase und Erschöpfungsphase.
Für alle, die es genauer wissen wollen:
Das allgemeine Adaptationssyndrom (SELYE) ist eine komplexe Antwort des Körpers, wenn die Homöostase gestört wird. Es gliedert sich in drei Phasen (s. Abbildung):
- Alarmphase: diese ist unterteilt in Schock- und Gegenschockphase.
- Schockphase: Herzfrequenz↑, Blutdruck↓, Blutglucose↓.
- Gegenschockphase: Sympathikus↑, ACTH↑, Desynchronisation im EEG (β-Wellen).
- Widerstandsphase: Aktivierung aller Energiereserven; Sympathikus↑↑, Cortisol-Ausschüttung↑ (wg. ACTH↑ in der Alarmphase; kann sogar zu einer kompensatorischen Hypertrophie der Nebennierenrinde führen), Veränderung vegetativer Parameter; Daueraktivierung des Sympathikus kann das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
- Erschöpfungsphase: Aufbrauchen der Reserven, Dekompensation der Stressreaktion bei chronischem Stress, Immunsuppression aufgrund dauernder Cortisol-Ausschüttung, Wachstum/Reparatur↓, Reproduktionsfunktion↓.
Physiologische Grundlage für diese Stressreaktionen bilden im Wesentlichen zwei Achsen (s. Abbildung):
- Hypothalamus-Sympathikus-NNM-System: schnelle Aktivierung (psychophysische Erregung und Bereitstellung von Energie).
- Hyptohalamus-Hyphophysen-NNR-Achse: Cortisolausschüttung bewirkt Bereitstellung von Glucose sowie Hemmung von Fettsäure-Synthese, Entzündungsprozessen, Immunabwehr.
Bis es aber zur Erschöpfungsphase kommt, ist Weihnachten ohnehin schon vorbei. Allerdings warten dann andere Stressoren auf einen („Warum hast du mir keine Karte geschickt?“) – womit wir wieder beim transaktionalen Stressmodell von Lazarus wären.
Um Stress zu vermindern, helfen auch Entspannungsübungen. Zwei seien im Folgenden ganz kurz vorgestellt:
- Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson: bestimmte Muskelgruppen bewusst anspannen (1-2 min), dabei die begleitenden Empfindungen registrieren, dann entspannen (3-4 min); dies bewirkt über eine Senkung des allgemeinen Muskeltonus eine Abnahme psychischer Spannungen, Angstreduktion sowie eine Verbesserung der Körperwahrnehmung. MP3-Download
- Atementspannung: (1) einen ruhigeren Atemrhythmus erreichen (durch bewusste Beeinflussung), (2) anschließend den Atem "fließen" lassen; dadurch kommt es zu einer Beruhigung vegetativer Vorgänge.
Ich hoffe, dass euch die Tipps (Copingmethoden, Entspannungsübungen) dabei helfen, die wohl stressreichste Zeit des Jahres unbeschadet zu überstehen, und wünsche euch noch eine ruhige Adventszeit!
Die Inhalte dieses Türchens stammen aus dem Buch Elementarwissen medizinische Psychologie und medizinische Soziologie.
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