Astronomische Berechnungen für Amateure/ Positionsastronomie/ Sphärische Trigonometrie

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Hier sollen die wichtigsten Beziehungen der sphärischen Trigonometrie, von denen wir im folgenden Gebrauch machen wollen, zusammengestellt werden. An einem Beispiel soll exemplarisch gezeigt werden, wie sich Formeln der sphärischen Trigonometrie herleiten lassen. Wer tiefere Einsichten in das Thema wünscht, muss sich ein spezialisiertes Werk anschauen. Der Klassiker für Astronomen ist immer noch W. M. Smarts Textbook on Spherical Astronomy[1].

Ein Grosskreis auf einer Kugel ist ein beliebiger Kreis, dessen Mittelpunkt mit dem Kugelmittelpunkt zusammenfällt. Sind auf der Kugeloberfläche zwei beliebige Punkte P und S gegeben, so gibt es einen eindeutig bestimmten Grosskreis durch diese Punkte. Die beiden Punkte P und S teilen die Kreislinie in zwei Stücke, die in der Regel ungleich lange sind. Das kürzere Stück stellt die kürzeste Verbindung zwischen P und S dar. Grosskreise sind auf der Kugeloberfläche das, was Geraden in der Ebene: die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Ein grosser Unterschied besteht allerdings zwischen Geraden und Grosskreisen. Wenn in der Ebene zwei Punkte P und S eine Gerade g definieren, und ein Punkt T ausserhalb dieser Geraden liegt, so gibt es eine zweite Gerade h durch T, die die erste Gerade g nicht schneidet, nämlich die Parallele h zu g durch T. Auf der Kugeloberfläche ist die Situation anders. Wenn durch die Punkte P und S ein Grosskreis g definiert wird, und T ein Punkt auf der Kugeloberfläche, aber nicht auf dem Grosskreis g ist, dann schneidet jeder Grosskreis h durch T den Grosskreis g in zwei Punkten.


Beispiele:

Ekliptik, Himmelsäquator und Horizont sind verschiedene Grosskreise auf der Himmelskugel. Sie haben paarweise je zwei Schnittpunkte: Ekliptik und Himmelsäquator schneiden sich im Frühlingspunkt ♈ und im Herbstpunkt ♎ ; Himmelsäquator und Horizont schneiden sich im Ost- und im Westpunkt; Ekliptik und Horizont schneiden sich in zwei Punkten, die keine eigenen Namen haben.


Jedes Bogenstück ST kann wahlweise durch seine Länge A oder durch den Winkel a beschrieben werden, den die Vektoren und vom Kugelmittelpunkt M zu den Punkten S und T bilden. Wenn R der Kugelradius ist und a im Bogenmass gemessen wird, dann besteht zwischen A und a der Zusammenhang:


Kugeldreieck; Details findet man im Text

Wenn wie im Falle der Himmelskugel der Radius belanglos ist, dann ist die Angabe des Winkels a die Möglichkeit, das Bogenstück zu charakterisieren.

Sind auf einer Kugel drei Punkte P, S und T gegeben, so lassen sich immer zwei Punkte mit einem Stück eines Grosskreises verbinden: PS, PT und ST. Die drei Punkte definieren damit ein sphärisches Dreieck Nach den Feststellungen des vorangehenden Absatzes lassen sich die drei Seiten durch drei Winkel a, b, c ausdrücken. Dazu kommen die drei Innenwinkel des sphärischen Dreiecks . Wie in der Ebene wird auch auf der Kugeloberfläche ein Dreieck durch sechs Stücke (drei Seiten und drei Winkel) beschrieben, wobei allerdings nur drei unabhängig sind und die anderen drei sich daraus berechnen lassen. Beim ebenen Dreieck ergibt die Summe der Innenwinkel α + β + γ = 180° = π rad. Beim sphärischen Dreieck ist die Innenwinkelsumme aber immer grösser als 180° bzw. π, jedoch kleiner als 540° bzw. 3π. Man bezeichnet als den (sphärischen) Exzess. Ferner bezeichnet man wie in der Ebene s = a + b + c als den Umfang des sphärischen Dreiecks.


Auf einer Kugel seien die drei Punkte P, S, T gegeben, die ein sphärisches Dreieck definieren. Es ist dann: , wo M den Kugelmittelpunkt bezeichnet. Legen wir im Punkt P die Tangentialebene an die Kugel und verlängern MS, bis in U die Tangentialebene geschnitten wird. PU ist dann Tangente an den Grosskreis durch P und S. Analog findet man den Punkt V in der Tangentialebene mit PV als Tangente an den Grosskreis durch P und T. Nun ist der Innenwinkel α im sphärischen Dreieck PST (in der Ecke P, der Seite a gegenüber) per Definition der Winkel zwischen den Tangenten an die Dreieckseiten (dh. Grosskreisbogen) b und c im Punkt P. Es ist , denn bei jedem Kreis bilden Tangente und Radius zum Berührungspunkt einen rechten Winkel. Andererseits ist wie oben schon festgestellt . Das Dreieck MPU ist ein gewöhnliches, ebenes Dreieck. Dort gilt mit der ebenen Trigonometrie (wir erinnern uns der selten gebrauchten Funktion Secans, die ganz einfach den Kehrwert des Cosinus darstellt):


Im ebenen Dreieck PUV gilt der Cosinussatz der ebenen Trigonometrie:


Mit dem ebenen Dreieck MUV finden wir unter nochmaliger Anwendung des Cosinussatzes:


Setzen wir die rechten Seiten der beiden Gleichungen einander gleich und benutzen die aus der ebenen Trigonometrie bekannte Identität (analog für c), dann erhalten wir:


Dies ist eine der wesentlichen Beziehung der sphärischen Trigonometrie. Durch zyklische Vertauschung von a, b, c, α, β und γ erhalten wir ein Set von drei Gleichungen, die als Seiten-Cosinussatz bekannt sind:

  
   
  
   
  


Wie eingangs erwähnt wollen wir die weiteren Sätze nicht mehr beweisen, sondern zur Kenntnis nehmen. Als nächstes folgt der sphärische Sinussatz:

  


Als dritter folgt der Sinus-Cosinussatz:

  
  
   
   
  


Als vierter folgt der Kotangenssatz, auch bekannt als „Vier-Elemente-Formeln“:

 
 
 
 
 


Zum Abschluss folgen Delambre's Gleichungen (V) und daraus abgeleitet die Neperschen Gleichungen (VI):

 
 
 
                                                                   
 
 
 


  
  
  
                                                                          
  
  
  


Übungen

  • Ein Interkontinentalflug führt von Frankfurt am Main (+8° 33' E, +50° 02' N) nach Los Angeles (−118° 24' W; +33° 57' N). Der Pilot fliegt auf der kürzesten Bahn, also auf einem Grosskreisbogen. Die Flugzeit von Frankfurt/M. nach LA International beträgt rund 10 Stunden. Wie lange ist die Flugstrecke, und welche mittlere Geschwindigkeit hat das Flugzeug demnach? Rechnen Sie mit einer mittleren Flughöhe von 10 km.
  • Welche geografische Breite und welche geografische Länge hat der nördlichste Punkt der Flugbahn auf dem Weg von Frankfurt/M. nach LA International? Welchen Winkel zur Nordrichtung muss der Pilot beim Starten steuern? Unter welchem Winkel fliegt er LA International an? Nehmen Sie für beide Aufgaben an, die Erde habe eine Kugelgestalt.



Nachweis:

  1. Smart W. M.; Green, R. M.. Textbook on Spherical Astronomy. Cambridge University Press, Cambridge/New York/Melbourne, Sixth edition, 1999. ISBN 978-0521291804